· 

Kompliment und weiter

Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung zeigen: Deutschland hat den Kitaausbau überraschend gut gemeistert. Allerdings nur bis 2015. Und die große Bewährungsprobe kommt erst noch.

Nach dem Aufwärtstrend kam die Stagnation: Grafik aus der Studie.
Nach dem Aufwärtstrend kam die Stagnation: Grafik aus der Studie.

ES IST EINE GUTE Nachricht, die die Bertelsmann-Stiftung heute Morgen verschickt hat. Ihr "Ländermonitor frühkindliche Bildungssysteme" zeigt einen breiten Aufwandstrend bei der Kitaqualität in den vergangenen Jahren. Zumindest wenn man diese anhand der Personalausstattung bemisst.

 

War eine pädagogische Fachkraft 2012 für 4,8 Krippenkinder im Ganztagsbetrieb zuständig, waren es 2017 noch 4,3 Kinder. Im Kindergartenbereich verbesserte sich der Personalschlüssel im gleichen Zeitraum von 9,8 auf 9,1 Kinder pro Erzieher/in. Gleichzeitig, so berichtet die Studie, haben die Kitaleitungen mehr Luft für dringend benötigte Planungs- und Organisationsaufgaben. 2012 hatten noch 17 Prozent angegeben, keine Zeit für Leitungsaufgaben zu haben, 2017 beklagten dies nur noch 11 Prozent.

Angesichts solcher Zahlen dürfte diesmal sogar der bei Kultusministern notorische Ärger über Stiftungen und deren Besserwissereien ausbleiben. Die Bertelsmann-Berechnungen sind auch deshalb so positiv zu bewerten, weil im gleichen Zeitraum die Zahl der betreuten unter Dreijährigen um 36,6 Prozent angestiegen ist, die der über dreijährigen Kitakinder um 4,5 Prozent. Insgesamt werden jetzt fast fast drei Millionen Kinder in deutschen Kitas betreut. Mehr Kinder und gleichzeitig bessere Betreuungsverhältnisse sind also machbar, und bei aller berechtigten Kritik an der Personalkrise im Bildungswesen dürfen sich die verantwortlichen Politiker für diese Leistung einmal auf die Schulter klopfen lassen. Allerdings nur kurz. 

 

Weiter große Unterschied zwischen Ost und West

 

Die Bertelsmann-Stiftung hat sich nämlich jedes einzelne Bundesland im Detail vorgenommen, und dabei zeigt sich, wie stark die Schere offen bleibt. Vor allem zwischen West und Ost: In den nicht mehr wirklich so neuen Ländern müssen sich fast doppelt so viele Kinder eine Fachkraft teilen – was vor allem damit zu tun hat, dass dort traditionell noch mehr Kinder die Krippe besuchen. Bildungsforscher hatten in den vergangenen Jahren die Befürchtung geäußert, bei einer weiter zunehmenden Nachfrage nach Krippenplätzen im Westen könnten sich die Betreuungsverhältnisse dort den deutlich schlechteren im Osten annähern. Dies ist bislang nicht passiert, der Abstand ist stabil geblieben. Für den Westen ist auch das eine gute Nachricht.

 

Die zweite Einschränkung des Ausbaulobs: Laut Bertelsmann-Stiftung ist die Aufwärtsdynamik 2015 zum Stehen gekommen, die bundesweiten Personalschlüssel blieben seitdem (bei regionalen Schwankungen) unverändert. Stiftungsvorstand Jörg Dräger fordert deshalb "bundesweit einheitliche und gesetzlich geregelte Standards zur Qualitätsverbesserung", ansonsten bleibe der Flickenteppich. Auch benachteilige die im sogenannten Gute-Kita-Gesetz der Großen Koalition geplante Verteilung der Bundesmittel speziell Ostdeutschland, weil sie die Zahl der bereits betreuten Kinder nicht berücksichtige. Dräger wiederholte seine Kritik, dass viele Bundesländer derzeit lieber die Kitagebühren abschafften, als möglichst viel Geld in Personalausstattung zu stecken.

 

Priorität Beitragssenkung?

 

Eine Sorge, mit der die Bertelsmann-Stiftung nicht allein ist: Eine totale Abschaffung der Kitagebühren laufe auf eine "Bezuschussung der bessergestellten Familien hinaus", sagte der Münchner Bildungsökonom Ludger Wößmann schon im vergangenen Jahr. Die Soziologin Jutta Allmendinger meinte, wer kostenlose Kitas wolle, müsse den Leuten auch sagen, was das für die Qualität der frühkindlichen Bildung bedeute. Gebühren abhängig vom Einkommen seien besser. Und sogar der Wirtschaftsforscher Marcel Fratzscher, der die SPD im vergangenen Bundestagswahlkampf beraten hatte, forderte: "Solange das Ideal von kostenloser Bildung zu Lasten der Qualität und der Chancengerechtigkeit geht, sollte man auf die Kostenfreiheit auch für die Bessergestellten verzichten."

 

Allen Expertenwarnungen zum Trotz stand im Februar 2018 dann doch folgendes Versprechen im Koalitionsvertrag von SPD und Union: "Entlastung von Eltern bei den Gebühren bis hin zur Gebührenfreiheit". Kein Wort von "einkommensabhängig", nichts vom Vorrang der Qualität vor dem Einstieg in die Kostenfreiheit. Stattdessen müssen sich die ebenfalls im Koalitionsvertrag genannte Ziel "Ausbau des Angebots und bei der Steigerung der Qualität" die Finanzierung mit der Gebührenabschaffung teilen.

 

Für 2021 und 2022 will der Bund den Ländern jährlich zwei Milliarden Euro für die Kitas überweisen. Der Bertelsmann-Stiftung zufolge reicht dieser Beitrag jedoch nicht aus, um "einen qualitativ hochwertigen Ausbau" der Kitas zu gewährleisten. Dafür seien mindestens 8,7 Milliarden Euro pro Jahr erforderlich. Außerdem bestehe keinerlei Zusage des Bundes für die Jahre ab 2023.   

 

Die Bundesvorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, sprach von einem "Alarmzeichen für Union und SPD". Die Kitaqualität dürfe nicht vom Wohnort abhängen. "Kinder und Eltern müssen sich auf eine hochwertige Kindertagesbetreuung verlassen können, egal in welchem Bundesland sie leben." Die Bundesregierung müsse beim Kita-Qualitätsgesetz-Entwurf nachbessern, um   bundesweit einheitliche Qualitätsstandards und eine dauerhafte finanzielle Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der frühkindlichen Bildung sicherzustellen. 

 

Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe, forderte in der Neuen Osnabrücker Zeitung ein "Bundes-Kita-Qualitätsgesetz". Die Ergebnisse des Ländermonitors zeigten, dass der aktuelle Gesetzentwurf  "völlig unzureichend" sei. Tepe sagte weiter, der Bund müsse auf Dauer jährlich rund zehn Milliarden Euro zusätzlich in den Kita-Bereich zu investieren.

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Unbekannt (Dienstag, 28 August 2018 14:52)

    Mir wird schlecht, wenn ich sehe, wie wenig uns unsere Kinder wert sind. Ich wäre für einkommensabhängige Kita-Gebühren, ich will keine kostenlose Kitas, sondern gute Betreuungsverhältnisse und Erzieherinnen, motiviert und qualifiziert sind.