Der Streit um die Zukunft des Bildungsföderalismus geht in seine entscheidende Phase. Wieder mal. Seine prominenteste Geisel ist der Digitalpakt.
Tim Reckmann: "Grundgesetz", CC BY-NC-SA 2.0
DIE KOMPLEXITÄT DES Bildungsföderalismus lässt sich mit einem Wort beschreiben, und es ist kein schönes Wort: Kooperationsverbot.
Ich versuche es mal mit einer kurzen Erklärung. Bildung (Wissenschaft lasse ich heute mal raus) ist laut Grundgesetz Ländersache, das ist die sogenannte Kultushoheit. Nach dieser Logik gibt es erstmal gar kein Verbot, sondern einfach unterschiedliche Zuständigkeiten von Bund und Ländern. Tatsächlich kommt das Wort Kooperationsverbot im Grundgesetz nicht vor.
Allerdings findet viele Menschen in Deutschland, und laut Umfragen ist es die Mehrheit, die Regelung unsinnig. Es liege doch im gesamtstaatlichen Interesse, die bestmöglichen Schulen zu haben, sagen sie, und wenn die Länder (zumindest einige davon) zu finanzschwach sind, dann müsse der Bund ihnen doch helfen können. Alles Andere sei widersinnig, sagen sie. Und fordern: Das Kooperationsverbot muss weg.
Nun besteht die Komplexität des Bildungsföderalismus jedoch auch darin, dass die Antworten nicht so einfach sind, wie sie zunächst scheinen. Wenn der Bund den Ländern Geld gibt, will er auch mitbestimmen. Das aber wollen die Länder nicht: Kultusminister argumentieren an der Stelle gern, dass der Bund viel zu weit weg sei von den Schulen, um zu wissen, was vor Ort wichtig sei. Plötzlich ist die Kultushoheit wieder ganz wichtig.
Kein Wunder, dass die Politik in den vergangenen 15 Jahren bei dem Thema ziemlich hin- und hermäandert ist. Erst beschloss die damalige Große Koalition von Union und SPD 2006 die Rückkehr zur (fast) reinen Lehre, sprich: Der Bund hat (fast) nichts zu sagen. Doch es dauerte nicht lange, bis die nie ganz verstummten Mahner in der SPD plötzlich wieder die Mehrheit in der Partei bildete. Die Länder schaffen das nicht allein, sagten sie – und suchten den Föderalismus-Schulterschluss mit den Grünen und Linken, die betonten, dass sie das doch immer gesagt hätten. Die meisten Grünen jedenfalls, denn zum Beispiel Baden-Württembergs Landesverband lehnt Änderungen am Kooperationsverbot ab. Die FDP bekam noch später die Kurve als die SPD, ist mit ihrem Parteivorsitzenden Christian Lindner aber plötzlich begeistertes Mitglied im Anti-Kooperationsverbot-Lager.
In der Union wiederum war es lange umgekehrt wie bei den Grünen: Die Mehrheit sagte: Finger weg vom Grundgesetz, aus sehr prinzipiellen Kulturhoheits-Gründen, aber die Christdemokraten in den ärmeren Ländern sagten: Man kann es mit Prinzipien auch zu weit treiben.
Der Kompromiss, der nach langem Hin und Her und vielen Jahren in zwei Schritten daraus folgte, ist föderal-salomonisch. Schritt eins: Der Bund darf helfen, aber nur bei Baumaßnahmen und anderen Investitionen, und nur den armen Kommunen (siehe Grundgesetz-Artikel 104c). Als die Union dem Ende 2016 zustimmte, jubelte die SPD das erste Mal vom Ende des Kooperationsverbots. Um wenig später weitere Änderungen zu fordern. Wie gesagt: Es ist komplex. Schritt zwei steht im Koalitionsvertrag: Der Bund darf nicht nur den finanzschwachen Kommunen helfen, aber nur bei Investitionen. Wieder jubelten sie in der SPD, versprachen: Das war’s dann. Teil der Union jubelten auch, aber leise. Dafür klang das Grummeln der baden-württembergischen Regierung aus CDU und Grünen umso lauter, von wegen Ausverkauf der Kulturhoheit der Länder, sie kündigten an: Da machen wir nicht mit. Und besonders die CDU-/CSU-Bundestagsfraktion versprach den Ländern: Wir werden genau kontrollieren, was ihr mit dem Geld anfangt.
Wäre der Gegenstand nicht so ernst, man könnte das ewige Vor und Zurück unterhaltsam finden. Und sich auf das nächste Bonmot freuen.
Für ihren Schritt zwei braucht die GroKo eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat, die kriegt sie nur, wenn sie Teile der Opposition ins Boot holt. Und die, das wird jetzt offensichtlich, wollen sich ihre Zustimmung abkaufen lassen. FDP und Grüne haben Schwarz-Rot ihre Unterstützung angeboten – wollen aber im Gegenzug die ganz große Lösung. Die Pläne der Koalition gingen in die richtige Richtung, teilten Katrin Göring-Eckardt, Anton Hofreiter und Christian Lindner jetzt in einem Brief an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit, aber: "Die Investitionen in Beton und Chips müssen einhergehen mit und ergänzt werden durch Investitionen in die Köpfe von Lernenden und Lehrenden."
Der Bund, so ihre Kernforderung, soll die Schulen überall und dauerhaft unterstützen: Das wäre tatsächlich das Ende des Kooperationsverbots – und der Kulturhoheit der Länder, wie wir sie kennen.
Man kann das richtig finden oder nicht. Unabhängig davon ist es unschwer zu erkennen, dass es ein Vorschlag mit Hintergedanken ist. Merkel wird ihm nicht zustimmen können, ohne die weiten Teile der CSU und CDU, die schon gegen Schritt eins und vor allem gegen Schritt zwei waren, vollends auf die Barrikaden zu bringen. Wo Baden-Württembergs schwarz-grüne Regierung bereits hockt und vor dem Wochenende nochmals verschärft von einem "Frontalangriff auf die föderale Struktur" sprach. Gleichzeitig dürfte der Vorstoß von FDP und Grünen (also denen außerhalb Baden-Württembergs) die Lust auf mehr bei all jenen in der SPD wecken, die die Zugeständnisse der Union schon bislang nur mühsam als neue Kompromisslinie akzeptieren konnten.
Wer hofft, der Brief würde die Richtung zu neuen Verhandlungen weisen, unterliegt also womöglich einem gefährlichen Irrtum. Er wird den Weg zu neuen Grundsatzdebatten eröffnen. Zu Machtproben in der GroKo und darüber hinaus. Den Parteichefs von Grünen und FDP müsste das eigentlich bewusst sein. Aber womöglich ist ihnen ja der Showeffekt wichtiger.
Fest steht: Die Schulen werden so nicht besser, im Gegenteil. Sie werden noch länger auf dringend nötige Unterstützung warten. Zwar bekräftigt Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) immer noch, dass trotz aller Verzögerungen die ersten Mittel aus dem versprochenen fünf Milliarden schweren Digitalpakt Anfang 2019 fließen werden. Doch Union und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass der Digitalpakt erst kommt, wenn das Thema Kooperationsverbot abgeräumt ist. Ein strategischer Fehler, wie sich jetzt erweist.
Es wäre wohl zu viel verlangt von FDP und Grünen, ihn nicht auszunutzen. Davon träumen aber darf man wohl. Realistisch betrachtet indes dürfte die Versuchung, die Regierung vorzuführen, zu groß sein.
Dieser Essay erschien heute in einer kürzeren Version zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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Klaus Hekking (Dienstag, 11 September 2018 07:28)
Die Kulturhoheit der Länder ist ein alter Zopf. Wer zuständig ist, muss es auch machen. Wer es nicht kann ist nicht mehr zuständig, badta