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"Äußerst dringliche, zwingende Gründe"

Seit Jahren arbeitet die staatliche Stiftung für Hochschulzulassung mit einem Berliner Privatunternehmen zusammen und leidet trotzdem unter einem Software-Chaos. Jetzt vergibt sie einen neuen Millionenauftrag – wieder an dieselbe Firma.

AM 23. AUGUST veröffentlichte die Stiftung für Hochschulzulassung (SfH) eine sogenannte "Freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung". Darin teilte die ländereigene Stiftung mit, dass sie einen Auftrag vergeben wolle, Gegenstand: "die Entwicklung des Übergangssystems für die Software Gradial-Neu als Teil des Dialogorientierten Serviceverfahrens (DoSV)", inklusive Unterstützung der SfH bei der weiteren Konzeptionierung, dazu die eigentliche Entwicklung, die Testung, die Schulung der Mitarbeiter, die Aufwendungsbetreuung, die Stabilisierung des Systems "sowie das dazu gehörige Projektmanagement".

 

Das sogenannte Dialogorientierte Serviceverfahren ist die zentrale Onlineplattform, über die mittelfristig alle in Frage kommenden Studienplätze mit lokalen NCs vergeben werden sollen. Ebenso ist die Stiftung zuständig für die Administration der bundesweiten Zulassungsbeschränkungen, also für die Fächer Medizin, Zahn- und Tiermedizin sowie Pharmazie. In den vergangenen Jahren ist es jedoch zu massiven Problemen in der flächendeckenden Umsetzung des DoSV gekommen, der einst aufgestellte Zeitplan wurde um Jahre gerissen. 

 

Inzwischen musste der langjährige SfH-Geschäftsführer gehen, die Länder beschlossen mit Zustimmung der Hochschulen (die gleichberechtigt im bisherigen Stiftungsrat sitzen) eine Neuorganisation der Stiftung. An einer Stelle allerdings bleibt der Neuanfang zumindest vorerst aus: Der alte Softwaredienstleister der Stiftung, der die massiven technischen Probleme zumindest nicht hat verhindern können, soll auch der neue sein. Die SfH teilt mit, sie beabsichtige, "nach Ablauf von 10 Kalendertagen, gerechnet ab dem Tag nach der Veröffentlichung dieser Bekanntmachung", die Berliner IT Service Omikron GmbH (ITSO) zu beauftragen, Volumen laut Aufgabenbeschreibung: 2,021 Millionen Euro. Und zwar ohne öffentliche Ausschreibung.

 

Dass das irgendwie ein Geschmäckle hat, wissen auch die Verantwortlichen bei der Stiftung, und so schicken sie gleich noch eine ausführliche Erklärung hinterher: Das Übergangssystem diene "der kurzfristigen Umsetzung des Numerus clausus III-Urteils" des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 2017. Darin ist festgelegt, dass schon vom Sommersemester 2020 an keine Studienplätze mehr nach dem alten System vergeben werden dürfen, woraus folge, dass das Übergangssystem im Mai 2019 fertiggestellt sein müsse, da die Bewerbungsphase im Herbst 2019 beginne. Der dadurch entstehende Zeitdruck sei so hoch, dass kein "Teilnahmewettbewerb" um die Ausschreibung möglich sei. Konkret führt die Stiftung die "Kombination der äußerst dringlichen, zwingenden Gründe" an, verbunden mit dem Umstand "dass nur das aktuell in die Entwicklung des DoSV eingebundene Unternehmen die tatsächlich-technischen Kenntnisse" habe, um die geforderte Leistung so kurzfristig erbringen zu können.

 

Vermutlich wird die nüchterne Juristensprache ausreichen, dass nicht weiter auffällt, welch Offenbarungseid die Länder damit abgeben: Sie haben sich von einem einzigen Software-Anbieter abhängig gemacht, der ihnen noch dazu signalisiert hat, dass er einen Vollausbau des Systems in der vorhandenen Zeit nicht hinbekommt, weswegen überhaupt eine Übergangslösung nötig ist. Und auch wenn die Stiftung also ganz offensichtlich auch einen technischen Neuanfang brauchen könnte, kommt sie aus der selbstverschuldeten Abhängigkeit bis auf Weiteres nicht heraus. In der Hochschulszene gibt es Experten, die anzweifeln, ob diese Art der Direktvergabe überhaupt rechtlich in Ordnung gehe. Dass sie es dürfen, haben sich die Kultusminister angesichts eigener Zweifel dann selbst in einem Rechtsgutachten bestätigen lassen.  Die Finanzministerkonferenz der Länder hatten bereits im vergangenen November angemahnt, bei der Neuaufstellung der Governance sollten "auch Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsüberlegungen in geeigneter Weise Berücksichtigung finden".

 

Wer die Entwicklung bei der Stiftung in den vergangenen Jahren verfolgt hat, kann sich denken, dass dieser Offenbarungseid vor allem der Stiftungsratsvorsitzenden Ulrike Gutheil, im Hauptberuf Staatssekretärin im Brandenburger Wissenschaftsministerium, sauer aufstoßen dürfte. Sie hat nach Übernahme des Stiftungsvorsitzes im vergangenen Jahr den lange überfälligen Neuanfang bei der Stiftung überhaupt erst angestoßen, sie hat die nötigen Schritte mit viel Energie durchgesetzt, und als ehemalige Kanzlerin der Technischen Universität Berlin ist sie mit den Tücken von Hochschul-Software bestens vertraut. Doch aus der ITSO-Nummer kommt offenbar auch Gutheil nicht raus. Immerhin endet die Ausschreibung, die keine ist, mit einem Versprechen: "Der Vollausbau des neuen Systems auf der Grundlage des Übergangssystems wird europaweit ausgeschrieben werden, sobald alle politischen und juristischen Weichenstellungen getroffen sind und das entsprechende Lastenheft erstellt ist."

 

Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, alles Andere wäre sonst auch wirklich rechtswidrig. Aber gut, dass die Stiftung es nochmal betont.


Währenddessen treiben die Kultusminister die Reform der Studienplatzvergabe voran. Mehr dazu lesen Sie hier.

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Kommentare: 1
  • #1

    DL (Donnerstag, 13 September 2018 13:45)

    Jetzt wird es langsam spannend... Mehr davon.