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Wer bremst denn da?

Die Verhandlungsplanung von Bund und Ländern zeigt: Der Nationale Bildungsrat wird sich nicht vor 2020 konstituieren. Anja Karliczek hat bei dem Thema offenbar ihren Ehrgeiz eingebüßt.

Dienstsitze von KMK und BMBF. Credits: siehe unten.

AM ANFANG SOLLTE alles ganz schnell gehen. In den ersten Maitagen, nicht einmal zwei Monate nach ihrem Amtsantritt, schickte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) den Kultusministern einen Brief. Darin erläuterte sie ihren Länderkollegen, wie sie sich den Nationalen Bildungsrat vorstellt, dessen Gründung Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben. Parallel präsentierte sie ihren Vorschlag hier im Blog.

 

Viele Kultusminister fühlten sich überrumpelt. Nicht nur, weil Karliczek dem Bund in dem neuen Gremium mehr Entscheidungsmacht gönnen wollte als den Ländern. Sondern auch, weil die "Neue" gleich über die Medien (und dann auch noch die digitalen!) gegangen war, anstatt erst einmal hinter verschlossenen Türen mit den Ländern ins Gespräch zu kommen. Karliczeks Kalkül schien klar: Wenn der Bildungsföderalismus und die Kultusministerkonferenz schon so ein schlechtes Image haben, dann lässt sich über die öffentliche Meinung wunderbar Tempo machen und der Einigungsdruck auf die Länder erhöhen. 

 

Der nicht für sein diplomatisches Fingerspitzengefühl bekannte bildungspolitische Sprecher der Unionsfraktionen im Bundestag, Albert Rupprecht (CSU), sekundierte Karliczek entsprechend deutlich: Wer jetzt bremse, habe "kein echtes Interesse an mehr Qualität in der Bildung". 

 

Vier Monate später reiben sie sich in der Kultusministerkonferenz verwundert die Augen. Das ging ja einfach, sagen sie sich. Dass sie bei den anstehenden Bildungsrat-Verhandlungen nicht aufs Gas drücken würden, war logisch. Doch nach dem Auftakt Anfang Mai dachten sie: Karliczek lässt bestimmt nicht locker, und sie müssen sehen, wie sie hinterherkommen. Doch jetzt müssen gar nicht mehr selbst bremsen. Das übernimmt das BMBF für sie. 

 

Offiziell heißt es aus Karliczeks Ministerium zwar weiter, mal wolle mit den Ländern "zügig" zu einer Verständigung kommen. In einem ersten Sondierungsgespräch auf der Ebene von Spitzenbeamten hat sich das BMBF jedoch bereitwillig auf einen Zeitplan bis zur Gründung des Bildungsrates eingelassen, der – vorsichtig formuliert – nicht gerade überambitioniert ist. Bis Anfang 2019 sollen erste Eckpunkte erarbeitet werden, im Anschluss daran eine darauf basierende Vereinbarung, die dann im Sommer (oder auch erst im Herbst) nächsten Jahres den Regierungschefs von Bund und Ländern zur Beschlussfassung vorgelegt werden soll. Womit der Bildungsrat sich nicht vor Anfang 2020 konstituieren würde, zweieinhalb Jahre nach der Bundestagswahl.

 

Was ist passiert? Schlägt da wieder das Fehlen eines von zwei beamteten Staatssekretären durch? Der Nachfolger der Mitte Juli entlassenen Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen ist zwar bestimmt, doch bislang hat Christian Luft sein Amt nicht angetreten. Derweil stehen die großen Entscheidungen in Bildung und Wissenschaft Schlange, vom Digitalpakt über den Hochschulpakt bis hin zum Pakt für Forschung und Innovation, um nur die ganz großen zu nennen. Sie alle sollen in den nächsten paar Monaten an der Reihe sein. Ach ja, und dann ist da noch eine Grundgesetzänderung, um die es gerade viel Streit gibt, die aber auch irgendwie bis Jahresende erledigt sein soll. Fehlen für den Bildungsrat schlicht die Kapazitäten?

 

Dabei sind die Hoffnungen, die manche in das neue Gremium setzen, gewaltig. Laut GroKo-Vertrag soll der Bildungsrat auf der Grundlage von Forschungsergebnissen Vorschläge für mehr Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungswesen vorlegen und so helfen, sich über "die zukünftigen Ziele und Entwicklungen" zu verständigen. Der Chef der Bertelsmann-Stiftung, Jörg Dräger, schwärmte in der Süddeutschen Zeitung, der Bildungsrat, "diese Überraschung im Koalitionsvertrag", sei ein "Hoffnungsschimmer für die Kinder und Jugendlichen, die unabhängig von ihrer Herkunft hochwertige und gerechte Bildung verdienen." Ein gut aufgestellter Bildungsrat werde helfen, endlich echte, bundesweit gültige Bildungsstandards zu installieren, er könne politisch-ideologische Auseinandersetzungen in sachlichere Debatten übersetzen "und so das Schlingern in der Bildungspolitik mindern".

 

Man kann sich vorstellen, dass die Kultusminister jeden solcher Sätze als Kritik an ihrer Arbeit lesen: Wer den Bildungsrat zum Heilsbringer erhebt, spricht der Kultusministerkonferenz ihre Handlungsfähigkeit ab. Einige mutmaßten gar, der Bildungsrat könne die KMK gänzlich überflüssig machen. Nur widerwillig haben sie sich überhaupt von ihrer Totalablehnung des neuen Gremiums verabschiedet. Wenn der Bund jetzt mit der Idee eines Nationalen Bildungsrates um die Ecke komme, "da frage ich: Was ist denn dann die KMK?“, kommentierte KMK-Präsident Helmut Holter noch Anfang März. Und erst als Karliczek im Mai ihren Vorstoß machte, entwickelten auch die Kultusminister kurzfristig so etwas wie Aktionismus in der Angelegenheit und konterten das Bundeskonzept mit einem Gegenvorschlag, der aufs genaue Gegenteil hinauslief: viel Macht für die Länder, möglichst wenig für den Bund. Woraufhin sich Bildungswissenschaftler und Schulpraktiker über das inhaltslose Stimmengefeilsche zwischen Bund und Ländern erregten. 

 

Jetzt könnte es sogar passieren, dass die Kultusminister mit ihrer parallel angeschobenen Reform ihrer Konferenz schneller am Ziel sind als der Bund mit seinen Bildungsrat-Ambitionen. Womit sie die Definitionshoheit zurückhätten. 

 

Von den Ländern muss Karliczek für ihren Tempowechsel also keine Schelte fürchten. Aber vielleicht wäre es mal wieder an der Zeit für ein bisschen Erwartungsdruck. Fragt sich nur: von wem. Vielleicht hat Albert Rupprecht ja noch Kapazitäten.  


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