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In spite of #MeToo – Plädoyer für eine wertvolle akademische Tradition

Warum die Beziehung zwischen Doktorvater, Doktormutter und Doktorand doch eine wundervolle Sache sein kann. Von Jeffrey Peck.

Jeffrey Peck. Foto: privat
Jeffrey Peck. Foto: privat

WIE ALLE UNIPROFESSOREN kenne ich beide Perspektiven. Die des Betreuers, viele Male, über viele Jahre hinweg, und  – noch prägender – die des Betreuten. Von meinem eigenen deutschen Doktorvater an einem German Department einer amerikanischen Universität in den 70er und 80er Jahren habe ich gelernt, wie positiv beeinflussend, ja transformativ und bedeutungsvoll die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern unterschiedlichen Alters sein kann.  Eine Zusammenarbeit, die einem sich oft über Jahre erstreckenden Prozess gleicht, der nicht nur die Erarbeitung der Dissertation in enger Begleitung bedeutet, sondern, zumindest bei mir, prägend war für meine intellektuelle Entwicklung und meine gesamte akademische Karriere. 

 

Doch besonders nach dem jüngsten Skandal am German Department der New York University, wo ausnahmsweise ein männlicher Doktorand seine Doktormutter der sexuellen Belästigung beschuldigt hat, muss auch ich einräumen: Womöglich lässt sich diese aus meiner Sicht schöne und wertvolle deutsche akademische Tradition von integrer und gewissenhafter Betreuung in ihrer bisherigen Form nicht halten. Und wenn ich ehrlich bin, konnte auch ich in meinem Umfeld im Laufe der Jahre etliche Fälle beobachten, bei denen ich – von außen und im Nachhinein betrachtet – nicht ausschließen kann, dass Betreuer die gegebenen Machtstrukturen missbraucht haben. In den meisten Fällen, das wissen wir, sind Frauen die Leidtragenden, die Benachteiligten, die Ausgenutzten. Doch egal ob Mann oder Frau: Wir alle, die wir an den Hochschulen etwas zu sagen haben, tragen die Verantwortung, genauer hinzuschauen. Nachzufragen. Zweideutiges nicht zu tolerieren. 


JEFFREY D. PECK war über viele Jahre Wissenschaftsmanager in den USA. Jetzt lebt er in Deutschland und arbeitet als Berater im Hochschulbereich. Über seine Erfahrungen und Einsichten schreibt er einmal im Monat hier im Blog.


Und trotzdem möchte ich dafür plädieren, diese ganz besondere, diese wissenschaftlich wie menschlich produktive Beziehung von Doktorvater/Doktormutter und Doktorand, die nicht zufälligerweise mit einem archaischen Begriff aus der engsten Familie bezeichnet wird,  zumindest in ihren Kernaspekten zu bewahren. Als eine grundsätzlich sehr wertvolle Tradition, aber auch angesichts ihrer aktuellen Bedeutung für künftige Akademiker. Gleichzeitig müssen wir die durch #MeTwo zu Recht angesprochene Ausnutzung von Machtstrukturen beseitigen. Wie das funktionieren könnte?

 

Zunächst einmal, indem wir die Komplexität dieser Betreuungsbeziehung nicht länger herunterspielen. Wenn Professorinn_en ihren Doktorandinn_en akademische Eltern sein wollen, dann begeben sie sich in die Verantwortung einer längerfristigen, möglicherweise lebensbestimmenden Perspektive hinein. Genau wie echte Eltern es tun. Und wie es Grenzen zwischen Eltern und Kindern gibt, bestehen auch zwischen akademischen Eltern und Doktoranden Linien, die nicht übertreten werden dürfen. Denn obgleich die Beziehung anders als bei echten Kindern erst im fortgeschrittenen Alter beginnt, entstehen emotionale Abhängigkeiten, die es zu beachten gilt. Diese emotionalen Abhängigkeiten, und das ist entscheidend, müssen von beiden Seiten, vor allem aber von denjenigen mit der akademischen Macht, verstanden werden. Nur dann lässt sich die Beziehung zwischen Betreuer und Betreuten richtig und angemessen gestalten, nur dann kann eine zunehmende Vertrautheit und Entspanntheit im Umgang miteinander entstehen, ohne dass Verletzungen und Übertretungen drohen.  

 

Läuft es gut und richtig zwischen Doktorvater/-mutter und Doktorand_in, so entwickelt sich über Tage, Monate und dann auch Jahre ein zwischenmenschlicher Dialog. Vielleicht entsteht sogar eine besondere Freundschaft, eine Beziehung, in der der Professor sein Wissen so einsetzt, dass es dem Doktoranden nicht nur das eigene Fachgebiet immer weiter öffnet, sondern ihn auch über sich selbst und seine Rolle als Mensch und Akademiker lernen lässt. Aus dem Mentoring wird ein Geben und Nehmen, wenn Betreuer und Betreute die Doktorarbeit nicht nur als Kulmination eines Studiums begreifen, sondern zugleich als Gelegenheit, eine neue Lebensphase, sei es an der Universität oder außerhalb, gemeinsam zu reflektieren. Zuerst habe ich von meinem Doktorvater profitiert, der mir dies ermöglichte, später übernahm ich selbst die Verantwortung eines "Vaters" für meine eigenen Studierenden und Doktoranden. And the beat goes on….

 

Die Generation von Germanisten in den USA, zu der ich gehöre, hatte oft Deutsche als Doktorväter (und zumeist waren es Männer in dieser Zeit), die zu den 68ern gehörten, die sich also auflehnten gegen die Art, wie das Deutschland der Nachkriegszeit mit seinem Nazierbe umging. Diese meist progressiven und oft linken Wissenschaftler waren ganz einfach nicht stolz darauf, Deutsche zu sein. Die noch ausstehende Bewältigung der Vergangenheit lag vor ihnen und auch uns, den künftigen Germanisten, und viele von uns Doktoranden waren interessanterweise amerikanische Juden. Unsere Professoren waren meist keine Juden, aber sie waren Menschen mit einem besonderem Gefühl der Verantwortung für das, was im Namen Deutschlands geschehen war. Daher sprachen sie mit uns nicht nur über Goethe oder Kleist, sondern auch über Juden und Deutsche. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum diese akademische Beziehung für viele von uns bis heute so prägend geblieben ist. 

 

Sicherlich beruht die Zusammenarbeit zwischen Betreuern und Betreuten heute auf anderen Grundlagen. Meistens wird es eine vergleichbare geschichtliche Komponente nicht geben. Aber das Phänomen der so besonderen Beziehung zwischen Doktorvater und Doktorand steht sehr wohl und immer in einem zeitgeschichtlichen, einem historischen Zusammenhang: Mit den Anfängen der modernen deutschen Universität in Berlin zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstand der Begriff als Teil der deutschen Tradition, die dann ungefähr ein Jahrhundert später von amerikanischen Colleges übernommen wurde.

 

Eine Verbindung der Bildungstraditionen zweier Länder, das ist es, was ich selber hier mit meiner Arbeit versuche. Daher mein Plädoyer: Lasst uns weiter mit kritischer Offenheit und Respekt voneinander lernen in der Hoffnung, dass – auch dank #MeToo  – an den Hochschulen weiter das Lehren und Forschen im besten Humboldtschen Sinne, im Miteinander der Lehrenden und Lernenden und ohne solche Skandale, im Vordergrund steht. 

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Kommentare: 4
  • #1

    Edith Riedel (Dienstag, 18 September 2018 09:49)

    Schön, dass dieses Thema hier aufgegriffen wird!

  • #2

    tmg (Dienstag, 18 September 2018 13:12)

    Ja, sehr schön, dass es aufgegriffen wird. Nur steht in dem Artikel leider nichts drin, was über wohlfeile Allgemeinplätze hinausginge.

  • #3

    McFischer (Dienstag, 18 September 2018 14:56)

    Schöner Beitrag - aber er erntet meinen - fast - völligen Widerspruch.
    Vielleicht zuerst die Einschränkung: Ja, eine gute Promotionsbetreuung kann eine wertvolle Erfahrung für beide Seiten werden, kann eine immer noch wertvolle Initiierung in die 'höhere akademische Welt' sein (sozusagen eine 'rite de passage' vom Studierenden zum/zur Wissenschaftler/in).
    Aber...
    Erstens: Die Beziehung ist eben keine, die auch nur annähernd mit einer zwischen Eltern und Kindern gleichzusetzen ist oder auch nur gleichgesetzt werden sollte! Kinder sind gewissermaßen unmündig, müssen dann über lange Zeit betreut, erzogen, begleitet werden. Doktoranden sind dies nicht! Sie haben im Studium wissenschaftliches Arbeiten gelernt; sie sind also selbst auf diesem Feld nicht mehr unmündig. Anleitung ja, aber Erziehung, Selbstschutz etc., das ist nicht mehr nötig
    Zweitens: Die Beziehung in der Promotion ist ja nicht nur Mutter/Vater und Kind, sondern meist auch eine der 'Dienstaufsicht'. Man ist als Doktorand Wiss. Hilfskraft, Wiss. Mitarbeiter/in, Mitarbeiter/in in Drittmittelprojekten... und fast immer auf befristeten Stellen. Es gibt also eine ganz klare ökonomische Abhängigkeit und zudem ein klares Interesse von Doktorvater/-mutter über die Promotion hinaus. Eine ungute Vermischung!
    Drittens: Wenn Kinder vernachlässigt werden, ist dies ein Fall für das Jugendamt, da schreitet letztlich der Staat ein. Wenn Doktoranden vernachlässigt werden, dann... tja, dann bleibt nur ein schwieriger Wechsel zu einem anderen Betreuer/in, was zum Teil aus Eitelkeiten der Betreuer gar nicht so einfach ist.
    Viertens: Auf einer ganz persönliche Ebene ist die Beziehung auch psychologisch fragil. Bei Kindern in der Schule ist das ähnlich - aber da lehren ausgebildete Pädagogen/Lehrer. Doktorväter/-mütter haben diesen Hintergrund nicht, sollen aber ein professionelles pädagogisches Verhältnis haben. Schwierig - und ich kenne persönlich genug negative Beispiele von unprofessionellem Verhalten der Betreuenden.
    Fünftens: Um bei der Analogie zu bleiben - Kinder kommen in die Pubertät, machen einen - oft konkfliktreichen - Ablösungsprozess durch. In einer (idealen) Familie bedeutet dies: zunehmend Freiheit geben und zunehmend weniger Grenzen setzen, zur Eigenständigkeit erziehen. In der 'Promotionsfamilie' kann eine solche 'Pubertät' höchst problematisch sein. Wer sich mit Doktorvater/-mutter überwirf, riskiert nicht nur ggf. lange Jahre der Promotion, sondern verbaut sich auch wichtige Unterstützung und Netzwerke für eine Post-Doc-Karriere.
    Fazit: Schöne Analogie, aber aus mehreren Gründen trägt sie nicht weit und ist letztlich auch nicht ungefährlich romantisierend.

  • #4

    Edith Riedel (Freitag, 21 September 2018 09:44)

    @tmg: Ich stimme Ihnen zu - es sind Allgemeinplätze und es wird noch nicht mal der Name der Person genannt, die an der NYU sich so unschön produziert hat. Dennoch beachtenswert, dass das Thema hier überhaupt auftaucht. In den amerikanischen (Hochschul)medien ist es viel präsenter.