Jahrelang litt die Uni der Ex-Hauptstadt Bonn am Bedeutungsverlust. Bei der neuen Exzellenzstrategie könnte sie zu den großen Gewinnern zählen.
Universität Bonn.
Wolkenkratzer: "Bonn 1266, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.jpg",
CC BY-SA 4.0
DAS SEI JA PRIMA, schreibt der Pressesprecher per Mail. Ein Artikel über die Universität Bonn, über ihre Chancen im Elite-Wettbewerb deutscher Spitzenforschung? Gerne! Drei Tage später ruft er an. Zerknirscht. Der Rektor wolle sich vor dem 27. September lieber nicht öffentlich äußern. Auch keine andere Person aus der Führungsetage. Man habe doch sicher Verständnis.
Ja, das hat man. Es geht schließlich um viel. Um die Zukunft einer der traditionsreichsten Universitäten des Landes.
Der Wettbewerb um die Fördermillionen für die besten deutschen Universitäten – die sogenannte Exzellenzstrategie von Bund und Ländern – hält nicht nur Bonn im Klammergriff, sondern auch 40 weitere Universitäten, die im K.-o.-Verfahren dieser Wettbewerbsrunde noch im Rennen sind; zwei Jahre dauert die Runde nun schon. 88 Anträge für Spitzenforschungsprojekte – die Exzellenzcluster – werden jetzt von Experten aus aller Welt begutachtet. Monatelang haben die Wissenschaftler an ihren Anträgen gefeilt. Haben den Forschungsstand abgesteckt, Thesen angespitzt, Visionen entworfen. Seitdem halten sie alle die Luft an. Rektoren, Professoren, Wissenschaftsminister.
Der 27. September wird der Tag sein, an dem die Luft entweicht. Vor Erleichterung bei jenen, die den Zuschlag bekommen. Vor Enttäuschung bei denen, die scheitern. Es geht um Geld, natürlich – 533 Millionen Euro pro Jahr lässt sich die Bundesregierung die Förderung der Spitzen-Unis kosten. Aber es geht auch um das Renommee und den weltweit sichtbaren Glanz akademischer Institutionen. Um den Elite-Stempel. Kaum eine Universität sehnt ihn so sehr herbei wie jene in Bonn.
Schon von außen behauptet sie, mehr zu sein als nur eine Universität. Königsgelb prunkt das um 1700 erbaute Schloss inmitten der Bonner Innenstadt. Seit Friedrich Wilhelm III. es 1818 der neu gegründeten Universität zuschlug, wohnen hier Fakultäten in Türmen. Stuck umrankt die hohen Decken. Majestätisch erstreckt sich davor die Hofgartenwiese in den öffentlichen Raum. Den 200. Jahrestag ihres Bestehens feiert die Uni in diesem Jahr, der Stolz auf die eigene Tradition sitzt in jedem Bücherregal. Nicht nur Karl Marx und Friedrich Nietzsche, Theodor Heuss, Joseph Ratzinger und Christian Lindner haben hier studiert. Man war auch: die Bundes-Uni, regierungsnah, buchstäblich. 1983 demonstrierten vor dem Schloss Hunderttausende gegen den Nato-Doppelbeschluss. Auch die Vorlesungspulte waren immer nahe an der politischen Macht. Es konnte passieren, dass Professoren einen Anruf bekamen: »Können Sie gleich mal ins Kanzleramt kommen?« Wer hier lehrte, war politisiert. Wer hier studierte, suchte nach der Nähe der Politik. Einflussreich, forschungsstark, so war das Selbstbild der Universität.
Doch dann kam der Regierungsumzug nach Berlin. Ein Schock für die Stadt und die Uni. Der Glanz verblasste in den darauffolgenden Jahren.
Mehrfach bewarb sich die Uni vergeblich um den Titel Exzellenzuniversität, der erstmals 2006 vergeben wurde. Zum Verdruss der Bonner schaffte es dann die Universität zu Köln gleich nebenan – ein Riesentanker, die größte Hochschule des Landes. Köln errang die Exzellenzkrone 2012 scheinbar mühelos; ins Selbstbild der Bonner passte das nicht.
Diesmal könne die Universität
ihr Trauma abschütteln
Doch diesmal könnte alles anders werden. Könnte die Universität ihr Trauma abschütteln. Sie hat den Traum, nicht nur eine ehrgeizige Forschungsuniversität ersten Ranges zu sein, sondern dies endlich auch vor aller Augen bescheinigt zu bekommen. Einen Vorerfolg gibt es schon. Bei der Vorauswahl des Exzellenzwettbewerbs im vergangenen Jahr wurden mehr als die Hälfte aller Bewerbungsskizzen ausgesiebt. Keine andere Universität aber brachte so viele Clusteranträge durch wie die Bonner – und keine hatte eine so gute Erfolgsquote. An sieben der 88 Cluster-Anträge ist die Universität beteiligt, nur eine einzige Skizze flog vorzeitig raus. Ein sensationell gutes Ergebnis, das überall mit Anerkennung quittiert wurde.
Ihren Aufstieg hat die Universität Bonn auch einer Neuausrichtung zu verdanken. Machten früher die Geisteswissenschaften den Kern der Universität aus, stehen nun die Naturwissenschaften und die Mathematik im Vordergrund. In den Exzellenz-Anträgen geht es um Quantenphysik, Digitalisierung und Robotik oder um die Frage, wie komplexe Systeme entstehen, von Elementarteilchen über Neuronen bis hin zu ganzen Sternen. Biologen, Mediziner und Mathematiker wollen die Lernprozesse des Immunsystems verstehen. Das Hausdorff Center for Mathematics will die mathematischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts identifizieren und angehen.
Apropos Mathematik: Den vorläufig sichtbarsten Schub fürs Selbstbewusstsein bekam die Friedrich-Wilhelms-Universität erst neulich. Da erhielt einer ihrer Professoren, der Mathematiker Peter Scholze, die Fields-Medaille. Gerade mal 30 Jahre alt ist er und erst der zweite Deutsche, der diese weltweit bedeutendste Mathematik-Auszeichnung erhält. Er habe das Fach schon jetzt revolutioniert, sei eine Lichtgestalt der Forschung, hieß es auf der ganzen Welt.
Michael Hoch strahlte in diesen Tagen. »Unser Ziel war und ist es, die besten Köpfe der jeweiligen Disziplinen, auch und vor allem herausragende Nachwuchstalente, für Bonn zu gewinnen und ihnen optimale Bedingungen für ihre Forschung zu bieten«, sagte er. Es klang nicht wie ein Wunsch – sondern wie eine Gegenwartsbeschreibung. Hoch, 56, ist seit 2015 Rektor der Universität Bonn. Der Architekt des geplanten Erfolgs.
Die Mathematiker bilden
den Kern des Erfolgs
Wer sich in diesen Wochen nach den Gründen für den neuen Bonner Höhenflug umhört, stößt immer wieder auf die gleichen Antworten. Die erste ist, dass es sich gar nicht um einen Höhenflug handle. Sondern dass Bonn endlich da ankomme, wo es von seiner wissenschaftlichen Leistung her hingehöre. Dass zweitens die Mathematiker den Kern dieses Erfolgs bilden. Die dritte Antwort lautet: Der vor gut drei Jahren ins Amt gekommene Michael Hoch hat etwas geschafft, das viele in Bonn bislang für undenkbar hielten. An einer Universität der Einzelspieler so etwas wie Teamgeist zu entfachen.
Einen Mann der leisen Töne nennen sie den Evolutionsbiologen, und evolutionär sei auch Hochs Verständnis von Universitätsentwicklung, sagt Thomas Grünewald, der bis 2017 in der damaligen rot-grünen Landesregierung Staatssekretär im NRW-Wissenschaftsministerium war. »An einer Universität, die von jeher eine starke Leitung abgelehnt hat, braucht es eine zurückhaltende Persönlichkeit wie Michael Hoch, die behutsam, aber immer zielgerichtet Veränderungen anschiebt.« Nicht überfordern, aber auch nie nachlassen, das scheint Hochs Motto zu sein.
Ob er damit auch in den Geisteswissenschaften Erfolg haben wird? Dass man sich in den letzten Jahren so schwergetan hat mit dem Exzellenzwettbewerb, lag auch an den Fächern, die in der alten Bonner Republik das Herz der Universität waren, lag an der Germanistik und Romanistik, an der Theologie, der Politologie und der Geschichtswissenschaft.
Nur ein Clusterantrag kommt derzeit aus diesen Fächern. »Beyond Slavery and Freedom« soll Formen von Abhängigkeit und Sklaverei jenseits der Antike und von Nordamerika erforschen, zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen.
In der Philosophischen Fakultät herrscht in diesen Tagen eine schizophrene Stimmung. Alle hoffen auf den Erfolg von »Beyond Slavery« am 27. September – das könnte den Geisteswissenschaften die lang vermisste Anerkennung geben und sie ins Zentrum der Universität zurückführen. Nur wissen viele gar nicht, ob sie überhaupt dahin zurückwollen. Zu sehr fremdeln sie mit der Exzellenz-Logik. Gerade kleine Institute fürchten sich vor Stromlinienförmigkeit und dem Druck der Uni-Leitung. »An der Peripherie lebt es sich bescheiden, aber auch sicherer«, sagt ein Professor.
Im Grunde symbolisiert die Bonner Zerrissenheit den wahrscheinlich größten Grundkonflikt des Elite-Wettbewerbs überhaupt: Ist er zu einseitig zugeschnitten auf den Forschungsbetrieb großer Labore, auf Forschungskonsortien naturwissenschaftlicher Prägung, deren wissenschaftlicher Output sich an der Publikationszahl in internationalen Forschungsjournalen bemisst? Können, ja sollen Geisteswissenschaftler, die traditionell in kleineren Gruppen arbeiten, oftmals sogar allein und dann mitunter jahrelang an einem Buch, diesen Anforderungen genügen?
Kann Rektor Hoch die Uni
und all ihre Teile versöhnen?
Genau hier liegt eine zentrale Herausforderung für den Rektor Michael Hoch: Kann er als Naturwissenschaftler die Uni und all ihre Teile versöhnen? Reichen die paar Jahre seiner Amtszeit seit 2015 überhaupt aus, um eine solche große Institution wie die Uni Bonn in all ihrer Vielseitigkeit zu repräsentieren?
Hoch sei einer, so berichten viele, der immer die richtigen Worte finde. Dass er in diesen Tagen schweigt, zeigt, unter welchem Druck er steht. Nicht nur als Rektor der Universität, sondern auch als prominente Figur der Stadt Bonn. Denn auch für die Politik geht es um viel. Bonns Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan (CDU) sagt, die Stadt werde alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Uni in ihren Ambitionen zu unterstützen. Die Universität sei schon immer von zentraler Bedeutung für die Stadt gewesen, umso mehr gelte das seit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin. »Wir sind heute eine von Bund und Land geförderte Wissenschaftsstadt mit einer einzigartigen Dichte wissenschaftlicher und internationaler Einrichtungen.«
Tatsächlich ist dieses Bonner Nebeneinander erstaunlich: Da gibt es die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder den Deutschen Akademischen Austauschdienst, vom Uni-Hauptgebäude nur ein paar Kilometer die Adenauer-, Brandt- und Ebertallee nach Süden entlang. Institute wie das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen oder das Max-Planck-Institut für Mathematik, Entwicklungshilfeorganisationen oder auch die Außenstelle der UN-Uni sind hier. Und mittendrin: die Universität Bonn.
Aus ihrer Lage, sagen viele, habe sie bislang nicht genug gemacht. Das soll sich nun ändern; und die Universität zugleich die Stadt Bonn in die Lage versetzen, den Bedeutungsverlust nach der deutschen Wiedervereinigung zu kompensieren: Wenn schon nicht mehr Hauptstadt des Landes, dann immerhin eine Hauptstadt der Wissenschaft!
Spätestens am 27. September gegen 16 Uhr wird für Bonn klar sein, wohin die Reise geht. Dann treten Bundesforschungsministerin Anja Karliczek und Bremens Wissenschaftssenatorin Eva Quante-Brandt vor die Presse und verkünden die Cluster-Gewinner. Ausgerechnet im Bonner Wissenschaftszentrum, nur wenige Kilometer vom Büro des Rektors Michael Hoch entfernt. Die Uni-Chefs überall im Land werden erklären müssen, wie es weitergeht. Und egal, was dann mit Bonn ist: Michael Hoch dürfte wieder mal die richtigen Worte finden.
Dieser Artikel erschien zuerst in der ZEIT.
Worum es am 27. September geht
ExStra ist das Kürzel für Exzellenzstrategie, die sich früher »Exzellenzinitiative« nannte. Aus ehemals drei Förderlinien sind nun zwei geworden: Exzellenzcluster und Eliteuniversitäten. Graduiertenschulen fördert die ExStra nicht mehr separat.
50 Exzellenzcluster, vielleicht ein paar mehr oder weniger, werden am 27. September von einer Kommission aus Wissenschaftlern und Politikern gekürt. Jeder der 88 eingereichten Anträge steht für einen Verbund, der fächerübergreifend Dutzende Forscher umfasst.
Drei bis zehn Millionen Euro können pro Jahr für einen Cluster herausspringen, hinzu kommt eine
Universitätspauschale von noch einmal maximal einer Million Euro. Und das über sieben Jahre lang.
Zwei prämierte Exzellenzcluster reichen aus, damit man sich für den Titel der Exzellenzuniversität bewerben kann, der mit noch mehr Fördergeld einhergeht. Dafür müssen die Unis bis zum 10. Dezember weiterführende Konzepte vorlegen.
533 Millionen Euro beträgt das jährliche Fördervolumen ab 2019, gemeinsam bereitgestellt von Bund und Ländern. Die Verteilung des Geldes wird die Bildungslandschaft in Deutschland auf viele Jahre hinaus prägen.
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Klaus Hekking (Mittwoch, 26 September 2018 22:02)
Na wenigstens nominal haben wir mit 41 weltweit die größte Dichte an Exzellenzuniversitäten. Da können nicht mal die USA mithalten�
Zukunftsmusiker (Donnerstag, 27 September 2018 14:44)
Die so genannte Exzellenzinitiative ist eine Reklameaktion, die nur Strohfeuer produziert. Schade, dass Wissenschaftsjournalisten diesen faulen Zauber immer noch ernst nehmen.