Vor zehn Jahren vereinbarten Bund und Länder in der sächsischen Landeshauptstadt hochgesteckte Ziele. Die wenigsten wurden erreicht. Helfen könnte der Nationale Bildungsrat.
Foto: Pixabay/BarbarALane
ES GIBT DA dieses Foto, das jetzt wieder überall abgedruckt werden wird. Darauf steht Angela Merkel als rosa Farbklecks inmitten einer Horde furchtbar gut gelaunt wirkender Ministerpräsidenten in dunklen Anzügen und lächelt gequält.
Am 22. Oktober vor genau zehn Jahren haben Bund und Länder beim Dresdner Bildungsgipfel den Aufbruch in der Bildung beschworen, sie vereinbarten verbindliche Ziele, eine Halbierung der Schulabbrecherzahlen zum Beispiel, zusätzliche Kitaplätze und mehr Studienanfänger. Alles bis 2015. Vor allem aber versprachen sie, innerhalb von sieben Jahren die gesamtgesellschaftlichen Ausgaben für Bildung und Forschung auf zehn Prozent der Wirtschaftsleistung zu steigern. Angela Merkel erkannte einen "Riesenschritt Richtung Bildungsrepublik", eine Selbstverpflichtung, aus der die Politik nicht mehr herauskomme.
Tatsächlich nicht? Betrachtet man das 2008 entstandene Gruppenbild, lautet die erste Erkenntnis: Das Bleibendste am Bildungsgipfel war die Kanzlerin. Keiner der 16 Ministerpräsidenten, die in der sächsischen Landeshauptstadt tagten, ist noch im Amt. Womöglich haben viele von ihnen das ja damals vorausgesehen, weswegen es ihnen relativ leichtfiel, sich auf die 2015er-Verpflichtung einzulassen.
Die zweite Erkenntnis: Nein, Bund und Länder haben nicht geliefert. Zwar sind die Schulabbrecherquoten zwischenzeitlich deutlich zurückgegangen, es entstanden hunderttausende neue Kitaplätze. Aber bei fast keinem Ziel, bis auf das der zusätzlichen Studienanfänger, hat es ganz gereicht. Am wenigsten beim plakativsten und wichtigsten von damals: Statt zehn Prozent für Bildung und Forschung wurden es 2015 nur gut neun Prozent, hat der Bildungsforscher Klaus Klemm für den Deutschen Gewerkschaftsbund errechnet. Seitdem ging es nicht aufwärts. Die Lücke zwischen Versprechen und Wirklichkeit beträgt inzwischen über 30 Milliarden Euro. Pro Jahr.
Als Ausrede wirft die Politik Nebelkerzen: Die Wirtschaft sei so stark gewachsen, dass der Anteil nicht zu erreichen gewesen sei. Tatsächlich nahmen die Steuereinnahmen jedoch noch stärker zu als die Wirtschaftsleistung, landeten aber nicht vorrangig in Bildung und Forschung. Der wirkliche Grund, warum es nicht geklappt hat mit der Selbstverpflichtung, zeigt das Kernproblem der föderalen Ordnung unserer Bildungspolitik: Es gibt keine Instanz, die von allen gewollte Standards durchsetzen könnte. Kaum ein Ministerpräsident fühlt sich an die Versprechungen seines Vorgängers gebunden.
Eine Selbstermächtigung der Bildungspolitik beginnt mit der überfälligen Reform der Kultusministerkonferenz, die ihren Mitgliedern die Kraft geben muss, sich gegenüber den Egotrips der eigenen Regierungschefs zu behaupten. Der nächste Schritt besteht in der Einrichtung eines Nationalen Bildungsrates, der die Erfüllung gesteckter Ziele überprüft und Bericht erstattet. Und schließlich muss der Bund seine Bildungs-Zuschüsse an die Länder stärker davon abhängig machen, dass sie ihrerseits ihre Zusagen einhalten. Alles nicht eben populäre Vorschläge. Aber am unpopulärsten ist eine Bildungspolitik, die ständig hinter ihren Versprechen zurückbleibt.
Dieser Kommentar erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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Klaus Hekking (Montag, 08 Oktober 2018 22:12)
10 Jahre nach Ausrufung der Bildungsrepublik Deutschland und nach Investition von rund 2 Billionen Euro in das staatliche Bildungswesen sind zu konstatieren: sinkendes Leistungsniveau der Schüler laut IQB,IGLU, ein chronischer Lehrermangel, Ausfall von Millionen Pflichtunterrichtsstunden, ein Sanierungsstau in 2-stelliger Milliardenhöhe in den staatlichen Bildungseinrichungen, ein Rückstand in der Digitalisierung, Studienabbruchquoten von 30%, usw.usf.
Wir konstatieren nicht die Unterfinanzierung des staatlichen Bildungsproblems als Kernproblem, sondern die systemimmanenten Struktur der staatlichen Planwirtschaft im Bildungswesen
Die von Bundeskanzlerin Merkel 2008 inaugurierte Strategie, diese Strukturprobleme nicht zu lösen, sondern mit immer mehr Steuergeld zuzuschütten, hat sich als nicht erfolgreich erwiesen.
Man kann nur hoffen, dass endlich die richtigen Lehren daraus gezogen werden und der nicht reformfähige Bildungsföderalismus irgendwann durch ein zivilgesellschaftliches Bildungssystem abgelöst wird.
Michallik (Mittwoch, 10 Oktober 2018 15:55)
1. Der Dresdener Bildungsgipfel hätte am Ende erfolgreicher sein können. Wie alles im Leben. Aber es lohnt sich, die jährlichen Berichte von Bund und Länder an die Ministerpräsidentenkonferenz und die Bundeskanzlerin zu lesen und nachzuvollziehen. Es ist viel passiert und es ist es wert, das auch anzuerkennen.
2. Der Bildungsföderalismus ist reformfähig. Das zeigen erfolgreiche und vergleichbare Systeme wie die Schweiz oder Kanada. Die Gründe liegen nicht in der Struktur, sondern in der Ausgestaltung und vor allem darin, welchen Wert die Zivilgesellschaft der Bildung und ihren Strukturen beimisst. So lange und so weit beispielsweise Diesel und Straßen die Kriterien für eine zukunftsfähige Gesellschaft sind, so lange wird sich an der Ausgestaltung wenig ändern. Mehr Verantwortung, mehr Evidenz, Ausbau der Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte, als das sind konkrete Herausforderungen. Die gilt es zu meistern und blumige Forderungen nach "zivilgesellschaftlichen Bildungssystemen" sind hierbei wenig konkret und hilfreich. Auch der Bildungsrat wird dabei keine Kontrollinstanz der Länder werden. Wer sich eine solche Konstellation wünscht, der setzt alles daran, dass dieses Projekt nie Wirklichkeit wird. Denn, das hat mit dem im Grundgesetz geregelten Föderalismus nichts zu tun. Dabei ziele ich weniger auf den Bund und mehr auf die Länder. Ich zitiere dabei gerne Wolfgang Schäuble, der in seiner letzten Sitzung des Bundestages als Bundesfinanzminister in der Diskussion um den Bildungsföderalismus den Ländern sinngemäß ins Stammbuch geschrieben hat: "Ihr habt die Verantwortung, dann nehmt sie auch wahr!"
Und zum Abschluss noch ein wenig Lektüre. Wer die Axt an den Bildungsföderalismus legt, legt sie an den Föderalismus im Ganzen. Das verfassungsrechtlich zu beleuchten und zu bewerten, diese Mühe hatte sich der Verfassungsrechtler Hans-Jürgen Papier zum 70jährigen Jubiläum der KMK gemacht. Den Text finden Sie hier: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2018/Papier_70_Jahre_Kultusministerkonferenz_1948.pdf,
viel Spass bei der Lektüre!
Klaus Hekking (Mittwoch, 10 Oktober 2018 21:15)
Föderalismus ist ein gutes Prinzip. Dabei gilt es allerdings zu unterscheiden zwischen „echtem“ und „scheinbarem“ Föderalismus. Bei ersterem wird das Subsidiaritätsprinzip konsequent beachtet: Gestaltungsmacht und Finanzierungsverantwortung liegen untrennbar bei der föderalen Teileinheit. Beim scheinbaren Föderalismus nimmt die föderale Einheit die Gestaltungsmacht für sich in Anspruch und wälzt die Finanzverantwortung auf die gesamtstaatliche Ebene ab. Letzteres ist bei uns Verfassungswirklichkeit. Die Heilige Kuh der Länderkulturhoheit grast immer mehr auf der grünen Weide des Bundes. Machen wir uns ehrlich: De facto ist der Bildungsföderalismus bereits durch die „Gemeinschaftsaufgabe Bildung und Wissenschaft“ abgelöst worden. Dieser Weg muss evolutionär weiter gegangen werden