Fünf Fertigkeiten, ohne die Wissenschaftsmanager ihren Job nicht gut machen werden. Von Jeffrey Peck.
HARVARD ZÄHLT ZU den Universitäten mit dem besten Ruf, nicht nur in den USA, sondern weltweit. Trotzdem bin ich nicht der Meinung, dass sich in Deutschland von Harvard und anderen Eliteuniversitäten der Ivy League besonders viel lernen lässt. Vieles von dem, was in Harvard und anderswo toll läuft, hat nämlich mit dem big money zu tun, das diesen Hochschulen zur Verfügung steht und anderen, die ihnen nacheifern wollen, eben nicht.
Ich möchte an dieser Stelle allerdings zwei Einschränkungen machen. Die erste: Auch im Denken deutscher Hochschulen – Stichwort Exzellenzinitiative – wird der Faktor Geld als Voraussetzung herausragender Forschung deutlich beherrschender. Wobei das Geld amerikanischer Eliteuniversitäten nicht von staatlicher Seite kommt, sondern hauptsächlich durch fundraising generiert wird.
Die zweite Einschränkung: Das, was Harvard so beeindruckend macht, ist nicht nur das Geld. Es sind die Leute. Die leaders. Von denen sich dann doch wieder eine Menge lernen lässt.
JEFFREY D. PECK war über viele Jahre Wissenschaftsmanager in den USA. Jetzt lebt er in Deutschland und arbeitet als Berater im Hochschulbereich. Über seine Erfahrungen und Einsichten schreibt er einmal im Monat hier im Blog.
Vor einigen Tagen schickte mir ein US-Kollege einen Artikel über den neuen Harvard-Präsidenten, Lawrence Bacow, erschienen im universitätseigenen Harvard Magazine (September-October 2018). Der Artikel stammt von John S. Rosenberg und trägt den sehr treffenden Titel "The Pragmatist". Leaders wie Bacow scheinen zu wissen, wie sich eine Hochschule mit (ich glaube zur Not auch: geringeren) finanziellen Ressourcen managen lässt, durch pragmatische und überzeugende Führung, die ihr dabei hilft, sich gut weiterzuentwickeln. Bacow hat die Autorität eines erfolgreichen Wissenschaftsmanagers, der hohe Positionen an nunmehr drei renommierten Universitäten in Boston (MIT, Tufts, Harvard) bekleidet hat. Der in seinem Fach zu den weltweit anerkannten Intellektuellen zählt. Und der zugleich weiß, was es heißt, eine komplexe Organisation, wie eine Universität sie darstellt, zu managen und zu führen.
Ich selbst bin nie Universitätspräsident gewesen, sondern nur dean an einer amerikanischen public university. Wobei dieser Posten deutlich mehr umfasst als der eines "Dekans" in Deutschland. Ein dean trägt umfassende administrative Aufgaben und Verantwortung für Finanzen und Personal, hat also streng genommen ebenfalls eine Menge Macht. Und als einer, der mit Macht umgehen musste, kann ich mich sehr gut mit vielen von Bacows Beobachtungen über das Management einer Hochschule identifizieren. Ohne dass er es explizit so nennt, steckt in seinen Ausführungen ein Manifest über leadership, das ich für sehr richtig, absolut vernünftig und praktikabel halte.
Ich möchte fünf Schwerpunkte hervorheben, die aus meiner Sicht, ob in den USA oder in Deutschland, für Wissenschaftsmanager essentiell sind. Diese Schwerpunkte sehe ich als Basis einer Art best practices, und sie sind zugleich ziemlich common sense, wie es bei wirklich durchdachtem Herangehen häufig der Fall ist. Leider scheinen viele Wissenschaftler, die ohne Vorbereitung in Führungspositionen mit Verwaltungs- und Managementaufgaben geraten, solche Selbstverständlichkeiten zu vergessen oder – eigentlich überraschend – hatten sie sich bis dahin nie bewusst gemacht.
Im Kern laufen alle fünf Schwerpunkte, die ich gleich nennen möchte, auf eine einzige bestimmte Grundeinstellung hinaus: Offenheit, gepaart mit der Fähigkeit zur Abgrenzung, mit dem nötigen Selbstbewusstsein und mit dem Mut, auch unliebsame Entscheidungen treffen zu können. Risiken einzugehen, wenn andere Bedenken haben. John S. Rosenberg spricht in seinem Bacow-Porträt von einer Hochschule als "community", und diese community wird definiert durch eine Vielfalt von Menschen mit "competing interests", so nennt Bacow das. Weswegen man eine Strategie braucht oder zumindest eine Vorstellung davon, wie die auftretenden Konflikte bearbeitet werden können. Für Bacow, den Pragmatiker, ist "what works" and "what needs to be done and do it" eine klare Grundlage. Diese Bereitschaft, pragmatisch und risikobereit zu sein, ist der Kontext, in denen die folgenden fünf Schwerpunkte zu verstehen sind.
1. Zuhören: Aktives, nicht nur passives Zuhören und die Fähigkeit, unterschiedlichste Meinungen oder Perspektiven zu verstehen, und das natürlich gerade auch dann, wenn man nicht unbedingt mit dem Gehörten übereinstimmt. Es geht darum, alles zu hören und wahrzunehmen, ohne einzelne Sichtweisen durch Vorurteile oder Projektionen abzublocken.
2. Reflektieren: Kritische Reflexion betrifft nicht nur den Inhalt dessen, was gesagt wird, sondern auch den Prozess des Gesprächs selbst. Als Zuhörer, sollte man seine eigenen Perspektiven in Frage stellen, um zu verstehen, welche Grundannahmen hinter den eigenen Positionen stecken.
3. Empathisch sein: Auch in Organisationen dürfen wir nicht vergessen, dass wir es mit Menschen und ihren Persönlichkeiten, mit ihren individuellen Geschichten und Sensibilitäten, zu tun haben. Es ist notwendig, mit emotional intelligence eine Balance zu finden zwischen den berechtigten Egoismen der Individuen und der unberechtigten Instrumentalisierung Dritter zugunsten eigener Interessen.
4. Entscheiden: Diskussion und Konsensbildung ist wichtig, aber irgendwann muss eine Entscheidung getroffen werden. Ein leader muss oft Wege gehen, auf denen einige ihm folgen und andere nicht. Weil sie es nicht können oder weil sie es nicht wollen. In jedem Falle aber sollte ein guter leader fundierte Argumente für seine bzw. ihre Positionen bieten.
5. Tun: Sehr oft ist dies der schwerste Schritt. Reden allein ist nicht genug! Entscheidend ist die Einbettung der action in einen strukturierten Plan oder in eine Strategie, die transparent kommuniziert wird und konsequent und nachhaltig ist. Durchdachte Vorhaben, die nicht nur realisierbar sind, sondern dann auch tatsächlich realisiert werden, sind es, die einem leader am Ende Glaubwürdigkeit verschaffen.
Die Beachtung dieser Prinzipien kann entscheidend dazu beitragen, das Vertrauen aller Beteiligten zu ermöglichen, damit sie gemeinsam mit dem leader eine academic community aufbauen können. Die Traditionen und Wertesysteme im akademischen Bereich waren und sind andere als zum Beispiel in der Industrie, aber je komplexer die Hochschulen werden, desto mehr Ähnlichkeiten zur corporate world fallen auf, im Denken der Akteure wie auch in den entstandenen Strukturen. Die Tendenz in den USA, CEOs und politicians mit der Leitung von Hochschulen zu beauftragen, sehe ich dabei als einen gefährlichen Trend. Gerade vor diesem Hintergrund ist die in Deutschland laufende Entwicklung des Wissenschaftsmanagements zu einem eigenständigen, professionellen "Fach" sehr positiv zu bewerten.
Leider scheint es nicht so viele leaders wie Bacow zu geben, die auf der Grundlage umfassender eigener Erfahrung das nötige Verständnis für den Wissenschaftsbetrieb und zugleich auch den angemessenen corporate spirit haben. Dabei bräuchten wir solche leaders immer dringender in einer Zeit, die von engeren Verbindungen zwischen Hochschulen und Gesellschaft geprägt ist, in der die Hochschule, ihre Fakultätsmitglieder, Mitarbeiter und Studierenden immer stärker ihre Verantwortung gegenüber ihrer Umwelt wahrnehmen. In Deutschland wird diese Entwicklung mit dem Stichwort "Third Mission" beschrieben. Bacow formuliert diese Kernaufgabe seiner Universität wie folgt: "doing ... all I can ... and indeed I would say - all we can - ... for the good of the world we serve."
Nicht nur Harvard als Eliteuniversität, sondern jede akademische Institution sollte heutzutage in diesem Sinne auch ihren Beitrag zur Verbesserung unserer Welt leisten, egal ob in Boston oder in Berlin, ob Elite-Institution oder nicht, ob Universität oder Fachhochschule. Dafür braucht es leaders, die den Rahmen dafür ermöglichen. Dies sehe ich als unsere Herausforderung für die Zukunft.
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