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Was die Kultusminister heute beschließen wollen

Die Abiturbestenquote beim Medizin-NC steigt womöglich auf 30 Prozent, die neue Lehrerbedarfsprognose enthüllt eine enorme Lücke vor allem im Osten, und beim Digitalpakt herrscht überwiegend Einigkeit: ein Überblick.

Sitzungsort: Das Sekretariat der KMK in Berlin
Sitzungsort: Das Sekretariat der KMK in Berlin

DIE KULTUSMINISTER TREFFEN sich heute zu ihrer Oktobersitzung, und auch wenn nur ein Teil der Ergebnisse im Anschluss veröffentlicht werden soll: Die heute anstehenden Entscheidungen werden für viele Betroffene lang anhaltende Folgen haben. Es geht um weitere Weichenstellungen bei der Neuregelung der Medizin-Studienplatzvergabe, um eine neue Prognose des Lehrerbedarfs bis 2030, um die Demokratieerziehung und um Hilfen für Schulen in benachteiligten Stadtteilen. Auch über sich selbst will die Kultusministerkonferenz reden, genauer: über die Frage, wie es mit der Anfang des Jahres versprochenen grundlegenden Reform des Gremiums weitergeht. Und dann ist noch Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) zu Gast, um die letzten offenen Verhandlungsfragen beim Digitalpakt abzuräumen. Ein Überblick.

 

Medizin-NC: Womöglich bald 30 Prozent Abiturbestenquote, aber es gibt noch Diskussionen dazu

 

Das Sekretariat der Kultusministerkonferenz (KMK) will heute Abend eigentlich per Pressemitteilung verkünden: Die im Juni offiziell verabschiedeten, zunächst noch sehr groben Eckpunkte zur NC-Neuregelung in den Medizin-Studiengängen sind jetzt im Detail ausverhandelt. Womöglich wird die Erfolgsmeldung jedoch noch einmal verschoben. 

 

Worum es geht: Die Abiturbestenquote, nach der (nach Abzug der Vorabquoten) bislang 20 Prozent der Studienplätze vergeben wurden, soll künftig wohl auf 30 Prozent steigen. Allerdings gibt es offenbar zwei Länder, die mit dem neuen Zuschnitt der Quote (noch) nicht einverstanden sind.

 

Zweitens: Da gleichzeitig das Auswahlverfahren der Hochschulen (AdH) wie bislang 60 Prozent umfassen soll, bliebe für die neu geplante Talentquote nur noch ein Umfang von 10 Prozent übrig. Womöglich ist das ja der Grund für die Bedenken aus den beiden Ländern. Übrigens soll die Talentquote nicht mehr so heißen, man hat sich auf die neue Bezeichnung "Erfahrungsquote" verständigt, um nicht den Eindruck zu erwecken, hier gehe es irgendwie um Genietum. Im Vordergrund bei dieser Quote soll stehen, welche anderen, nicht durch seine Abiturnoten ausgedrückten Qualifikationen ein Studienbewerber in seinem bisherigen Leben erworben hat. 

 

Eine dritte Neuigkeit wird vor allem die langjährigen Bewerber freuen: Es wird wohl eine auf zwei Jahre laufende Übergangsregelung für die sogenannten Altwartenden geben. Über die Debatten dazu im Vorfeld hatte ich bereits berichtet. Grundsätzlich wollen sich die Minister offenbar darauf festlegen, dass die Übergangsregelung als Teil der Erfahrungsquote ausgestaltet werden soll und dass ihr Umfang zwischen dem ersten und zweiten Jahr abnimmt. Die letzten Details müssen noch beschlossen werden, die angedachte Logik zeigt aber ein kurzes Rechenbeispiel: Die Bewerber dieser Quote können in der Übergangszeit je nach ihrer Wartezeit und Eignung bis zu 100 Punkte erreichen, wovon im ersten Jahr 45 über die Wartezeit und 55 über inhaltliche Eignungskriterien (nicht die Abiturnote!) vergeben werden. Pro Semester Wartezeit gibt es drei Punkte bis zur Obergrenze von 45. Im zweiten Jahr werden nur noch 30 von 100 Punkten über die Wartezeit vergeben, es gibt dann noch zwei Punkte pro Wartesemester, der Rest läuft über die anderen Eignungskriterien.  Natürlich wird die Erfahrungsquote ganz schön eng, wenn sie nur 10 Prozent umfassen sollte und dann für zwei Jahre auch noch die Übergangsregelung für die Altwartenden beherbergen soll.

 

Viertens: Innerhalb des AdH sollen als verpflichtende Kriterien auf jeden Fall die Abiturnote (die über einen Ausgleichsmechanismus, genauer: ein Prozentrangverfahren, bundesweit vergleichbar gemacht werden muss) UND ein fachspezifischer Studieneignungstest vorgesehen werden. Darüber hinaus soll mindestens ein weiteres nicht schulnotenbasiertes Kriterium zur Anwendung kommen, eine fachlich passende abgeschlossene Berufsausbildung zum Beispiel, bestimmte Ehrenämter oder Freiwilligendienste, Preise bei außerschulischen Wettbewerben oder auch strukturierte Auswahlgespräche an den Hochschulen.  

 

Insgesamt kommen die KMK-Pläne, so sie so umgesetzt werden, ziemlich nah an eine Forderung, die der Deutsche Philologenverband erst gestern erhoben hatte. Dessen Bundesvorsitzende Susanne Lin-Klitzing sagte, eine Anhebung der Abiturbestenquote auf 30 Prozent sei nötig, damit künftig nicht nur die 1,0-Abiturienten berücksichtigt würden. Für das Auswahlverfahren der Hochschulen hatte der Philologenverband vorgeschlagen, neben die Abinote zwei weitere "gut berechenbare Faktoren" zu stellen, zum einen evidenzbasierten Medizinertests, zum anderen "medizinische Vorerfahrungen". Innerhalb des AdH regte Lin-Klitzung eine Binnen-Landarztquote von zum Beispiel fünf Prozent vor. 

 

Zurück zu dem heute eigentlich vorgesehenen, aber noch nicht sicheren KMK-Beschluss: Nicht neu, aber trotzdem nochmal wichtig zu betonen ist, dass die Neuregelung voraussichtlich nicht nur für die vom Verfassungsgerichtsurteil betroffene Humanmedizin gelten wird, sondern für alle Studiengänge, deren Studienplätze bundesweit zentral vergeben werden, also zurzeit auch Zahn- und Tiermedizin und Pharmazie. Insofern ist es wahrscheinlich, dass die Neuregelung mittelfristig auch auf die lokalen Zugangsbeschränkungen ausstrahlen wird. 

 

Lesen Sie hierzu auch meinen nach der KMK-Sitzung veröffentlichten Artikel.

 

 

Lehrerbedarf: Besonders große Lücke im Osten

 

Die Prognose der KMK, die auf den "zusammengefassten Modellrechnungen der Länder" beruht, bezieht sich auf die Zeit bis 2030. Stimmen die Kultusminister heute zu, dürfte das Zahlenwerk kurzfristig veröffentlicht werden. Die wichtigste Botschaft: Es fehlen nach KMK-Schätzungen bis 2030 jedes Jahr deutschlandweit im Schnitt 1200 Lehrer. Klingt angesichts von insgesamt pro Jahr nur Neueinstellung benötigen 31900 Lehrern gar nicht so viel, doch die wahren Dimensionen der veränderten Prognose werden im Vergleich zur vorhergehenden, 2015 von der KMK veröffentlichten Modellrechnung deutlich: Demgegenüber steigt der Lehrerbedarf nämlich dramatisch an – um fast 10.000, und zwar pro Jahr. 

 

In den neuen Bundesländern wird der Lehrermangel  besonders bitter bleiben. Im Schnitt können hier der Prognose zufolge bis 2030 Jahr für Jahr ein knappes Drittel der offenen Stellen nicht durch voll ausgebildete Lehrer besetzt werden. 

 

In den alten Bundesländern ergibt sich dagegen in der Gesamtschau bis 2030 sogar ein leichter Überschuss an Lehrern, doch ist diese Aussage gleich mehrfach missverständlich. Erstens: Schaut man sich die KMK-Zahlen im Detail an, zeigt sich: Auch im Westen wird es bis einschließlich 2022 deutlich mehr Stellen als ausgebildete Bewerber geben. Erst danach kommt es zum Teil zu erheblichen Überschüssen an Jung-Lehrern. Zweitens: Die Prognosen geben die durchschnittliche Deckungslücke (bzw. den Überschuss) pro Jahr an und errechnen diese aus dem gesamten Zeitraum 2018 bis 2030. Soll heißen: Die erwarteten vielen Lehrer Ende der 20er Jahre führen zu einer scheinbaren Minderung des Mangels zehn Jahre zuvor. Wovon die Schüler in den nächsten Jahren praktisch gar nichts haben. Drittens: Da die Kultusminister ganz bewusst darauf verzichten wollen, die Jahre 2016 und 2017 in ihre Betrachtung einzubeziehen, bildet die Prognose nicht den bereits vorhandenen erheblichen Nachholbedarf an voll ausgebildeten Lehrern ab. 

 

Die Zahlen im Detail: In den neuen Bundesländern fehlen bis 2030 durchgängig jedes Jahr tausende Lehrer, der Mangel sinkt von fast 2800 im Jahr 2022 über 1890 2024 auf gut 1000 im Jahr 2030 ab. Besonders erschreckend sind  die Werte für das laufende Jahr. Im Westen konnten fast 9000 von gut 34000 Stellen nicht adäquat besetzt werden, im Osten 2660 von 7500. 

 

Eine wichtige Anmerkung: Nicht alle Fächer und Schularten sind gleichermaßen vom Lehrermangel betroffen. Vor allem Gymnasiallehrer gibt es in den nächsten Jahren durchgängig genug. Besonders groß ist der Mangel dagegen Berufsschullehrern, bei Sonderpädagogen, bei Grundschullehrern und für "einzelne Schularten des Sekundarbereichs I“. Und noch ein Disclaimer am Ende: Die Zahlen, wie sie mir vorliegen, stammen aus der Beschlussvorlage. Es ist allerdings zu hören, dass sie sich bis zur Endfassung heute Nachmittag noch einmal leicht verändern könnten. 

 

Die Bertelsmann-Stiftung hatte zuletzt im Januar 2018 eine Prognose vorgelegt, demzufolge bis 2025 allein an den Grundschulen 35.000 Lehrer fehlen werden. Inwiefern die KMK-Prognose mit den Bertelsmann-Zahlen zusammenpasst, wird eine der spannenden Debatten der nächsten Tage sein.

 

Lesen Sie hierzu auch meinen nach der KMK-Sitzung veröffentlichten Artikel.

 

Demokratieerziehung an den Schulen

 

Es ist das Thema, das der diesjährige KMK-Präsident, Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) zu einem Schwerpunkt seiner Amtszeit erklärt hat. Die KMK hatte bereits 2009 eine Empfehlung "Stärkung der Demokratieerziehung" veröffentlicht. Diese ist nun während Holters Präsidentschaft grundsätzlich überarbeitet worden und soll künftig: "Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule" heißen. Im November soll es in der Thüringer Landesvertretung auch eine passende Fachtagung der Kultusministerkonferenz geben, Titel: "Bildung für die Demokratie?! – Politikverständnis und -praxis in Schule und Unterricht". Auch hierzu will die KMK nach der Sitzung eine Pressemitteilung veröffentlichen. 

 

Zeitlich passend zur KMK-Empfehlung erschien gestern eine repräsentative Befragung unter Jugendlichen, derzufolge  "Fake News" und "Hate Speech"  zum Alltag von jungen Menschen, die in den sozialen Medien aktiv sind, gehören. Die Hälfte der 14- bis 24-Jährigen in Deutschland berichtet, mindestens einmal die Woche in den sozialen Medien auf Falschnachrichten zu stoßen; fast ein Fünftel sogar täglich. In der Schule werde der Umgang mit Falschnachrichten und Hasskommentaren jedoch kaum thematisiert, berichtet die Vodafone Stiftung, die die Befragung in Auftrag gegeben hat. Dabei wünschten sich den Zahlen zufolge drei Viertel der Schülerinnen und Schüler mehr Aufklärung hierzu im Unterricht. Weitere Ergebnisse der Studie: Zwei Drittel der Jugendlichen glauben, dass die Verbreitung von Falschnachrichten den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland gefährde. Jede/r Zweite hat schon einmal Hasskommentare bei den Betreibern sozialer Netzwerke gemeldet, immerhin jeder Vierte Falschnachrichten. 35 Prozent der Befragten könnten sich vorstellen, Politiker bei Fragen über soziale Medien zu kontaktieren.

 

Lesen Sie hierzu auch die nach der KMK-Sitzung veröffentlichte Empfehlung

 

 

Neue Hilfen für benachteiligte Schulen

 

Es ist eine Initiative, die auf dem Koalitionsvortrag der Großen Koalition zurückgeht. Darin heißt es, die Bundesregierung wolle "gemeinsam mit den Ländern die besonderen Herausforderungen von Schulen in benachteiligten sozialen Lagen und mit besonderen Aufgaben der Integration aufgreifen." Der Bund soll für die Begleitforschung und die Evaluierung der getroffenen Maßnahmen zuständig sein, die Länder die Schulen entsprechend fördern und begleiten.  

 

Auf Initiative von Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) soll nun ein Eckpunktepapier "für eine gemeinsame Initiative von Bund und Ländern“ erarbeitet werden – "unter Berücksichtigung der vorhandenen Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis einschließlich eines Verfahrensvorschlages und einer Zeitschiene". 

 

Der Plan von Bund und Ländern kann kaum hoch genug bewertet werden. Seit Jahren fordern Bildungsforscher mit zunehmender Dringlichkeit, ein Tabu unseres Bildungssystems zu durchbrechen: die Finanzierung der Schulen per Gießkanne. Der Bildungsökonom Ludger Wößmann sagt: "Wieviel Geld eine Schule erhält, könnte doch auch davon abhängen, welchen sozialen Hintergrund ihre Schüler haben." Übersetzt bedeutet das: Ein Gymnasium im gutbürgerlichen Stadtteil bekäme weniger Euro für Lehrerstellen und Ausstattung als die Oberschule im Hochhausviertel. "Im derzeitigen System, in dem die öffentliche Schulfinanzierung per Gießkanne erfolgt, profitieren vor allem die Schüler, die ohnehin schon bessergestellt sind", sagt Wößmann, der am Münchner ifo-Institut forscht. 

 

Einzelne Bundesländer haben sich bereits auf den Weg gemacht, Berlin zum Beispiel, vor allem aber eben Hamburg, wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung der Hansestadt neulich bescheinigte. Eine "wirksame und bedarfsorientierte Ressourcensteuerung" über den Sozialindex, so formulierten die drei Autoren in schönster Wissenschaftlersprache, sei in Hamburg in deutlich weitgehender Weise umgesetzt, "indem Schulen mit besonderer sozialer Belastung spezielle Unterstützung erhalten, zum Beispiel durch gestaffelte Absenkung der Klassenfrequenzen oder durch Sprachförderangebote."

 

Es passt also, wenn Ties Rabe das Thema jetzt auch in der KMK vorantreibt, damit die Hilfen für benachteiligte Schulen bundesweit systematisiert werden. Hoffentlich folgen aus den bemerkenswerten Plänen am Ende aber auch ebenso bemerkenswerte Maßnahmen. 

 

 

Reform der KMK

 

Hier geht es weiter eher schleppend voran. Nachdem ein erster Entwurf eines neuen KMK-Staatsvertrages selbst vielen Kultusministern peinlich war, wollen die Ressortchefs sich jetzt erstmal auf eine Liste sogenannter Oberthemen verständigen, die in einem möglichen Staatsvertrag abgehandelt werden sollen, darunter Lehrerbildung, berufliche Bildung, aber auch Inklusion, frühkindliche Bildung und "Bezeichnung der Schularten", also eine mögliche Harmonisierung. 

 

Insgesamt bleibt aber auch mit der Festlegung der Themen noch unklar, wie ambitioniert diese im Rahmen einer KMK-Reform tatsächlich als gemeinsame Herausforderungen des Bildungssystems angegangen werden sollen. Kurzum: Es ist weiter Geduld gefragt. 

 

Gestern haben sich KMK-Präsident Holter und die anderen Präsidiumsmitglieder übrigens wieder einmal mit Vertretern von Bildungsstiftungen wie Bertelsmann getroffen. Das ist angesichts der anstehenden KMK-Reform nicht ohne Brisanz: Gerade die Bertelsmann-Stiftung hat mit der Vielzahl an Studien zu (siehe oben) Lehrermangel, Ganztag oder Kitaqualität die Kultusminister zum Teil heftig auf die Palme gebracht. Nach außen entstand dadurch noch stärker der Eindruck einer reformbedürftigen KMK.

 

Überraschend schnell ging es in Sachen KMK-Reform an anderer Stelle: Heute wollen die Kultusminister offiziell die Einrichtung einer Kulturministerkonferenz innerhalb der KMK beschließen. Hier hat der rheinland-pfälzische Minister für Wissenschaft und Kultur, Konrad Wolf (SPD) mit seinem Vorschlag innerhalb weniger Monate einen Erfolg erzielt. 


Lesen Sie zur Einrichtung der Kulturministerkonferenz auch die Pressemeldung auf der KMK-Website nach der Entscheidung.

 

 

...und mal wieder: der Digitalpakt

 

Bundesbildungsministerin Karliczek will für eine Stunde bei der KMK vorbeischauen, und es sieht so aus, als könnten diesmal tatsächlich alle noch offenen Streitpunkte abgeräumt werden. Die Staatssekretäre von Bund und Ländern – erstmals dabei als BMBF-Verhandlungsführer: der neue Staatssekretär Christian Luft – haben vergangene Woche jedenfalls schon mal gute Vorarbeit geleistet. 

 

Am erstaunlichsten ist eine Änderung gegenüber den Eckpunkten, die vor einem halben Jahr noch kaum einer für möglich gehalten hatte: Mobile Endgeräte, wenn auch nur solche, die in den Schulen verbleiben, sollen jetzt doch mit Digitalpakt-Mitteln angeschafft werden. Die Länder wollen, dass sie dafür 20 Prozent der Gesamtinvestitionen pro Land ausgeben dürfen. Der Bund ist etwas restriktiver und will noch dazu die Förderung digitaler Endgeräte nur dann erlauben, "wenn ein besonders begründeter Ausnahmefall vorliegt". Im Kern aber besteht offenbar Konsens, hier erheblich von den ursprünglichen Eckpunkten abzuweichen. Eine Weichenstellung, die von Bildungsexperten als äußerst kritisch eingestuft wird, weil nun womöglich viel Geld in Geräte gesteckt wird, die bald schon wieder veraltet sind. Auch wer den technischen Support für diese Geräte leisten soll, ist völlig unklar.

 

Die Finanzhilfen sollen an allgemeinbildende und berufliche Schulen gehen, auch Schulen in freier Trägerschaft sollen förderfähig sein. Grundsätzlich kann auf Schulebene in folgende technische Ausstattung investiert werden: die Verbesserung der digitalen Vernetzung in Schulgebäuden und auf dem Schulgelände; das schulische W-LAN, Anzeigegeräte wie Whiteboards und andere im Unterricht verwendete Displays; die Weiterentwicklung und der Aufbau digitaler Lernplattformen und Schulserver. Auf der Ebene von Regionen, Kreisen und Ländern sollen weitere übergreifende Investitionen förderfähig sein, darunter wiederum Lernplattformen, Server und Clouddienste, und sogar Einrichtungen der Lehrerbildung nach der Universität (also für die Referendariatsphase und die Weiterbildung) können mithilfe von Digitalpakt-Mitteln die nötige digitale Ausstattung finanziert bekommen. Auch länderübergreifende Maßnahmen sollen möglich sein.   

 

Grundsätzlich organisieren die Länder aber die Vergabe der Mittel in eigenen Länderausschreibungen, die "Kriterien und ein Verfahren zur Bewertung und Begutachtung von Anträgen enthalten". Ihre Bekanntmachungen sollen die Länder im "Benehmen mit dem Bund" erstellen. Die Schulträger müssen zu jedem Antrag für jede betroffene Schule unter anderem eine Bestandsaufnahme der bestehenden und benötigten Ausstattung vorlegen, dazu auch ein technisch-pädagogisches Einsatzkonzept und die bedarfsgerechte Fortbildungsplanung für die Lehrer. Die Träger dürfen mehrere Anträge über die Laufzeit des Digitalpakts stellen. 

  

Noch Klärungsbedarf besteht ausgerechnet bei der Zahl fünf Milliarden. Diesen Euro-Betrag hatte schon Karliczeks Vorgängerin Johanna Wanka stets als Volumen des Pakts genannt, eine Milliarde pro Jahr sind vorgesehen. Deshalb wollen die Länder den Betrag auch in die Vereinbarung geschrieben sehen. Das BMBF sperrt sich dagegen aus "haushaltsrechtlichen Bedenken" – solange der Digitalfonds, aus dem der Pakt gespeist werden soll, nicht ausreichend gefüllt ist, und will daher als Volumen "bis zu fünf Milliarden" in die Vereinbarung schreiben.

 

Ein zweiter Streitpunkt hat ebenfalls mit Geld zu tun: Die Länder feilschen mit dem Bund noch darum, ob sie nicht zum Beispiel auch ihre "Aufwendungen für die Programmsteuerung" auf den von ihnen zu leistenden Eigenanteil von laut Bund-Länder-Vereinbarung "mindestens 10 Prozent" an der Programmfinanzierung anrechnen können. Anders formuliert: Sie wollen Arbeitsstunden, die das Personal in den Länderverwaltungen für die Umsetzung des Pakts erbringt, als eine Art geltwerte Leistung bewerten lassen und "großzügig" berücksichtigt sehen. Der Bund fordert demgegenüber, dass allein Investitionen der Länder als Eigenanteil zählen dürfen, hat aber eine Prüfung zugesagt. 

 

Außerdem diskutieren beide Seiten noch, inwieweit und wie genau die in der KMK-Strategie "Bildung in der digitalen Welt" genannten Maßnahmen der Länder als Teil und damit Verpflichtung der Länder im Rahmen des Pakts Erwähnung finden sollen. Das ist ein spannender Punkt, der auf den Ursprung der Idee zum Digitalpakt zurückgeht: Die Länder, so war der Gedanke im Herbst 2016, einigen sich auf eine gemeinsame Digitalstrategie, und im Digitalpakt unterstützt sie der Bund bei der dafür nötigen technischen Ausstattung. Im Gegenzug, so war schon damals der Gedanke, berichten die Länder dem Bund, wie weit sie mit den in ihrer Digitalstrategie formulierten Selbstverpflichtungen gekommen sind. 

 

Eine letzte offene Frage der Verwaltungsvereinbarung ist wirklich etwas für die ganz Detailvernarrten – auch wenn die finanzpolitischen Implikationen durchaus bedeutsam sind: Es muss noch geklärt werden, wer beim Breitbandausbau eigentlich die sogenannten "letzten Meter", also den letztendlichen Anschluss der Schulen, übernimmt. Das BMBF sieht ihr eigentlich das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastrukttur in der Verantwortung, die Länder trauen dieser Aussage jedoch nicht so ganz und wollen zur Sicherheit, dass sie die letzten Meter sonst ebenfalls aus den Digitalpakt-Mitteln zahlen können. 

 

Die Verwaltungsvereinbarung wollen die Bildungsminister von Bund und Ländern im Dezember unterschreiben, also noch pünktlich vor Jahresende. Im Moment sieht es nach dem zwischenzeitlichen Hin und Her wieder so aus, als könnte das tatsächlich gelingen. Zeit wird es: Karliczek hat eigentlich versprochen, dass es Anfang 2019 mit dem Mittelfluss losgehen soll. Im Vorfeld ihres erneuten Gesprächs mit der KMK sagte sie nun: "Wir kommen gut voran in den Verhandlungen über die Bund-Länder-Vereinbarung zum DigitalPakt Schule." Voraussetzung für die Bund-Länder-Vereinbarung sei die Grundgesetzänderung von Artikel 104c. "Wir brauchen jeweils eine Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag und im Bundesrat. Hierfür werbe ich im Bund und in den Ländern um Unterstützung."

 

Hiermit benennt die Ministerin klar den eigentlichen politischen Knackpunkt, der den Start des Digitalpakts ernsthaft gefährdet: Schafft es die Bundesregierung, sich rechtzeitig mit der Opposition von Grünen und FDP auf eine Grundgesetzänderung zu verständigen? Und welchen Preis ist sie dafür zu zahlen bereit? Könnte es am Ende möglicherweise doch noch ganz anders kommen? Karliczeks Vorgängerin Wanka zeigte sich stets überzeugt davon, den Digitalpakt auch ohne Grundgesetzänderung auf den Weg bringen zu können. Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) betont bis heute – derzeit als einzige verantwortliche Ressortchefin – dass dies gehen würde. Womöglich schwenken Bund und Länder doch wieder auf die alte Linie ein, wenn es bei der Grundgesetzänderung weiter stockt?  

 

Lesen Sie hierzu auch meinen nach der KMK-Sitzung veröffentlichten Artikel.


Foto: Das Verwaltungsgebäude der ehemaligen Patzenhofer-Brauerei, heute sitzt hier unter anderem das Sekretariat der KMK. Jörg Zägel: "Berlin, Mitte, Taubenstrasse 10, Patzenhofer-Brauerei.jpg", CC BY-SA 3.0.

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