Bundesbildungsministerin Karliczek traf gestern die Kultusminister, doch konkrete Beschlüsse gab es nicht. Wie zügig es mit dem Milliarden-Programm losgeht, hängt ohnehin erstmal von der geplanten Grundgesetzänderung ab.
IRGENDWANN LEGTE HELMUT HOLTER 4,16 Euro auf den Tisch, eine Handvoll Münzen. Dazu könne man auch "bis zu fünf Euro" sagen, meinte der Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK) in Richtung von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Die hatte gestern Nachmittag die KMK besucht, um noch einmal über den Digitalpakt zu verhandeln. Und Holter (Linke), im Hauptberuf Bildungsminister von Thüringen, wollte jetzt – auch im Namen seiner Kollegen – wissen, was genau eigentlich die Formulierung "bis zu fünf Milliarden Euro" bedeuten soll, die Karliczek in die Digital-Vereinbarung schreiben lassen möchte. Nach dem Motto: Werden es jetzt fünf Milliarden oder nicht?
Sie wünsche sich das, antwortete die Bundesministerin. Aber fest zusagen könne sie das im Moment nicht, solange sie diesbezüglich keine feste Zusage von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) habe. Um die sie beständig werbe.
Charmant sei das gewesen, berichteten einige Kultusminister danach. Aber vorangebracht habe die sie Antwort nicht. Die Formulierung "bis zu fünf Milliarden Euro" soll Karliczeks Ministerium offenbar dazu dienen, nicht auf der Summe festgenagelt werden zu können. Was Holter wiederum auf seine Idee mit den 4,16 Euro brachte, den "bis zu fünf Euro".
Immerhin soll es auch sonst überwiegend ein harmonisches Gespräch gewesen sein, das Karliczek (CDU) gestern mit ihren Kollegen aus den Ländern geführt hat. Was allerdings auf die Stimmung drückte: Viele der Minister wurden in ihren Erwartungen enttäuscht. Sie hatten gehofft, man werde in dem Spitzengespräch die letzten noch verbliebenen Fragen zur Gestaltung der Bund-Länder-Vereinbarung abhaken können, die nach den "bis zu fünf Milliarden" zum Beispiel. Sehr viele sind es ja nicht mehr (siehe hierzu meinen Blogeintrag von gestern Morgen). Doch konkret beantwortet haben Bund und Länder keine einzige davon.
Dafür signalisierte Karliczek jedes Mal: Wir sind im Gespräch, wir arbeiten dran. Und sie tat es so überzeugend, dass die meisten Landesminister sich ebenfalls überzeugt zeigten: Den Bund-Länder-Vertrag könne man rechtzeitig bis Jahresende hinbekommen– aber alles hänge eben an der noch ausstehenden Grundgesetzänderung.
Die Große Koalition hat im Bundestag allein nicht die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit, weswegen sie auf die Unterstützung der Opposition angewiesen ist. Grüne und FDP fordern als Gegenleistung, dass das sogenannte Kooperationsverbot noch weiter gelockert wird als derzeit vorgesehen. Voraussichtlich schon Ende nächster Woche kommt es zum Showdown im Parlament: Gelingt dann Teil eins der Grundgesetzänderung im Bundestag? Oder werden Grüne und FDP auf mehr bestehen, als die Große Koalition in Sachen Bildungsföderalismus zu ändern planen? Und was dann? Wie schwierig es werden dürfte, zeigte heute der Kommentar der bildungspolitischen Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Margit Stumpp zur KMK-Prognose des Lehrerbedarfs. Die Zahlen seien "alarmierend und erschütternd", sagte Stumpp. Trotz der primären Zuständigkeit der Länder sei auch der Bund gefordert. "Mit der laufenden Grundgesetzänderung muss das Kooperationsverbot fallen, damit Bund und Länder endlich an einem Strang ziehen für gute Bildung und die Zukunft unserer Kinder."
Im Gespräch mit den Kultusministern gestern betonte Karliczek, dass die Kulturhoheit der Länder unangetastet bleiben solle, ansonsten sagte die Ministerin, sie bleibe bis zum 19. Oktober, dem voraussichtlichen Tag der Abstimmung, eine Optimistin, dass das Vorhaben klappt. "Wir können jetzt zeigen, dass wir bei unterschiedlichen Zuständigkeiten dennoch eine gemeinsam Verantwortung übernehmen", wird sie aus der Sitzung zitiert. In diesem Sinne sind wir (gemeint: Bund und Länder) eine Verantwortungsgemeinschaft." Ein bisschen pathetisch, aber womöglich hat es ja geholfen.
Wobei Karliczek in der KMK-Runde bis auf Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), die ihr deutlich contra gab, von der Grundgesetzänderung ohnehin keinen mehr überzeugen musste. Die meisten Kultusminister sind schon lange auf die durch den GroKo-Koalitionsvertrag vorgebenden Linie eingeschwenkt, die einen aus Überzeugung, die anderen aus pragmatischen Gründen: Sie wollen endlich an das Digitalpakt-Geld.
Eisenmann war es auch, die am Ende verhinderte, dass die Minister sich, wie von KMK-Präsident Holter angestrebt, auf ein programmatisches Votum einigten, nach dem Motto: "Eigentlich sind wir uns einig, jetzt müssen wir nur noch die letzten Details klären, und dazu haben wir den Willen." Eine solche Erklärung ergebe zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn, sagte Eisenmann.
"Wir haben uns heute keinen Zentimeter bewegt, obwohl der Bund uns vorher anderes signalisiert hatte“, kommentierte sie später. Das ärgere sie. "Es gibt nach dem Treffen noch genau dieselben offenen Punkte wie vor dem Treffen. Das geht nicht." Die zentrale Frage, auf die Karliczek keine Antwort habe präsentieren können: "Werden es nun fünf Milliarden Euro oder nicht?" Das wollten alle Länder allmählich mal wissen, sagte Eisenmann. Und auch wenn sie bei der Frage Verfassungsänderung eine Einzelmeinung vertreten möge – an dieser Stelle spreche sie für viele.
Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, der die Politik der SPD-geführten Ministerien koordiniert, sagte nach dem Treffen, die Gespräche über den Digitalpakt seien sehr weit vorangekommen "und stehen nach meinem Eindruck kurz vor dem Abschluss." Die Gesprächsatmosphäre sei sehr konstruktiv. "Mit ein bisschen mehr gutem Willen hätten wir vielleicht schon in der KMK die letzten offenen Punkte klären können. Dazu müssten neben dem Bund auch einige Länder – insbesondere Baden-Württemberg – ihre reservierte Haltung überdenken."
Die Ernüchterung nach dem an sich netten, wenn auch ergebnislosen Gespräch könnte allerdings bei den meisten schnell weichen – falls es nächste Woche im Bundestag klappt. Wenn nicht, wird es eng für einen Start des Geldstroms Anfang 2019.
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