Eine parlamentarische Anfrage der Grünen ergibt: Die Bundesregierung hat keinen Plan, wie sie die Ausgaben für Forschung und Entwicklung aufpumpen will.
MANCHMAL SIND DIE inhaltslosesten Antworten ja die aussagekräftigsten. Mit dem Brief, den Michael Meister an Anna Christmann geschrieben hat, verhält es sich jedenfalls so.
Michael Meister (CDU) vertritt als parlamentarischer Staatssekretär das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Anna Christmann ist Grünen-Bundestagsabgeordnete und Sprecherin ihrer Fraktion für Innovations- und Technologiepolitik. Christmann hatte der Bundesregierung eine schriftliche Anfrage gestellt. Sie wollte wissen, wie genau Schwarz-Rot ihre im Koalitionsvertrag enthaltene Ankündigung umzusetzen gedenkt, dass Deutschland bis 2025 mindestens 3,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in Forschung und Entwicklung investiert.
Eine berechtigte Frage, die angesichts der Umstände ziemlich naheliegt. Vollmundig haben die GroKo-Partner die 3,5 als neues Ziel ausgegeben, nachdem die 3,0 zuletzt (fast) erreicht worden war. Und sie stellten eine Vereinbarung mit den Ländern und der Wirtschaft in Aussicht, die ja wesentliche Anteile der zusätzlichen F&E-Ausgaben stemmen müssten.
An sich ist solcher Ehrgeiz lobenswert, erst recht, wenn er dann auch noch mit einem nicht allzu fernen Zieljahr – 2025 – unterlegt wird. Die Fragezeichen werden allerdings riesengroß, wenn man sich anschaut, welche zusätzliche Summe Union und SPD auf Seiten des Bundes bis zur Halbzeit 2021 für die Umsetzung reserviert haben: ganze zwei Milliarden Euro. Nicht pro Jahr, sondern für die gesamte laufende Legislaturperiode.
Christmann bat die Bundesregierung deshalb in ihrer Anfrage um einen Zeitplan und nähere Informationen zur Ausgestaltung der versprochenen Vereinbarung, dazu forderte sie eine Aufstellung der für jedes Jahr von 2019 bis 2025 voraussichtlich nötigen Euro-Beträge, die Bund, Länder und die Wirtschaft jeweils leisten müssten, damit die 3,5 erreicht wird.
Meister antwortete im Namen der Bundesregierung, und angesichts der detaillierten Frage hätte man mit elaborierten Ausführungen rechnen können. Man hätte erwartet, dass die Antwort Meister sogar Spaß macht, schließlich ist der BMBF-Staatssekretär von Hause aus Finanzpolitiker, was Budgetzahlen und Projektionen zu seinem Metier machen dürfte. Beim ersten Blick auf Meisters Brief denkt man dann allerdings, da müssten unterwegs ein paar Seiten verloren gegangen sein.
Neun Zeilen lang ist die Antwort, in der Meister die Pläne der Bundesregierung zum Erreichen eines ihrer symbolträchtigsten Ziele darlegt. Im Kern umfasst sie drei Sätze. Satz 1: Die Regierung habe das Ziel in der Neuauflage ihrer Hightech-Strategie 2025 aufgegriffen. Satz 2: Als "zentrale neue Initiativen" nennt Meister die Einführung der steuerlichen Forschungsförderung, die kürzlich beschlossene Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen und "die Weiterentwicklung der Projektförderung". Satz 3: Wieviel Geld die 3,5 Prozent kosten, sei abhängig von der Wirtschaftsentwicklung. Punkt. Ende.
Innovationspolitikerin Christmann kommentiert: Die Antwort "macht deutlich, dass die Regierung keine Strategie hat, wie sie das 3,5-Prozent-Ziel überhaupt erreichen möchte." Und Christmanns Fraktionskollege Kai Gehring, Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschule, fordert von BMBF-Chefin Anja Karliczek (CDU) "ein klares Bekenntnis" zur 3,5 und "konkrete und belastbare Vorschläge, wie dieses (Ziel) bis 2025 auch tatsächlich zu erreichen ist." In den Haushalten für 2018 und 2019 zeige die Regierung dazu aber keinen Ehrgeiz.
Dass die Regierung "keine Strategie" und "keinen Ehrgeiz" habe, zählt zu den Standardfloskeln jeder Oppositionspartei, aber in diesem Fall ist es auch für außenstehende Betrachter unmöglich, zu einem anderen Ergebnis zu kommen. So vage die Formulierung des Ziels im Koalitionsvertrag war, so durchsichtig unzureichend seine finanzielle Unterlegung, so entlarvend ist nun die Antwort, die Meister im Namen der Bundesregierung verschickt hat.
Und sie lässt sich noch dazu furchtbar leicht auseinandernehmen: Von den beiden einzigen wirklich greifbaren, haushaltspolitisch relevanten neuen Initiativen, die der BMBF-Staatssekretär "zur Steigerung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben" aufzählt, sind für die eine (Agentur für Sprunginnovationen) im Endausbau gerade mal 100 Millionen Euro pro Jahr vorgesehen. Das entspricht ungefähr 0,03 Prozent der derzeitigen Wirtschaftsleistung. Und die andere, die steuerliche Forschungsförderung, wird "gerade einmal debattiert", wie die Grünen-Politikerin Christmann zu Recht anmerkt.
Geradezu ärgerlich ist Meisters dritter Satz, demzufolge die genauen Summen von der Wirtschaftsentwicklung abhingen. Stimmt, ist aber ohne weitere Ausführungen trivial und sonst gar nichts. Genau deshalb braucht die Regierung ja eine Strategie, Prognosen und eine Ausgabenplanung, um das 3,5-Prozent-Ziel sowohl in einem Szenario A (konjunktureller Abschwung, weniger Steuereinnahmen) zu erreichen als auch im Szenario B eines anhaltenden Aufschwungs, der gekennzeichnet wäre durch weiter steigende Steuern, aber auch durch ein stark steigendes Bruttoinlandsprodukt, was wiederum die nötigen Haushaltsbeträge für die 3,5 erhöhen würde. Ebenfalls müsste die Bundesregierung den Inflationsausgleich bedenken. Und täte sie all das, könnte sie es auch in der nachvollziehbaren Berechnung, die Christmann erbeten hatte, darlegen.
Inzwischen sind wir im zweiten Jahr der Legislaturperiode angelangt. Dass die Bundesregierung so ganz offensichtlich keine Ahnung hat, wie Deutschland bis 2021 den halben Weg zur 3,5 Prozent schaffen soll, ist ernüchternd. Und alarmierend ist es auch: Schon die Summen, die erforderlich wären, um angesichts von Inflation und Wirtschaftswachstum die 3,0 Prozent-Quote sicher zu erreichen und zu halten, übersteigen das, was die Bundesregierung eingeplant hat. Zumal der Bund überhaupt nur einen Teil der staatlichen Ausgaben bestreitet. Und die staatlichen Ausgaben insgesamt nicht einmal ein Drittel der gesamten F&E-Aufwendungen ausmachen.
Die Grünen haben selbst nachgerechnet und kommen auf rund 34 Milliarden Euro, die Deutschland 2025 zusätzlich pro Jahr in Forschung und Entwicklung investieren müsste, um bei 3,5 Prozent zu liegen. Unter Berücksichtigung der Inflation, die die Grünen ausgeklammert haben, hatte ich im Februar sogar einen zusätzlichen Bedarf von 49 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Geht man von einem staatlichen F&E-Anteil von um die 30 Prozent aus, bedeutet das also staatliche Mehrausgaben (von Bund und Ländern) zwischen 10 und 15 Milliarden Euro im Jahr. Nochmal zur Erinnerung: Die GroKo hat bis 2021 zwei Milliarden zusätzlich eingeplant. Nicht pro Jahr, sondern insgesamt.
Um es in einem Satz zusammenzufassen: Die Bundesregierung verspricht etwas, dessen Großteil andere (Länder, Wirtschaft) erbringen müssen, doch anstatt wenigstens für ihren Verantwortungsbereich vorbildlich in Vorleistung zu gehen, plant sie komplett unzureichend und redet sie sich mit leicht zu widerlegenden Halbsätzen heraus. Womit eine Frage bleibt: Kommt da noch etwas?
Klaus Hekking (Dienstag, 16 Oktober 2018 12:29)
Genug gepumpt: Frisches Denken ist angesagt Herr Wiarda: Relevanz und Nutzen des outputs der staatlich geförderten Forschung steht in keinem angemessenen Verhältnis zum input. Rein quantitative Ausgabeziele in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik erweisen sich zunehmend als Subventionierung von Leerlauf. Dass das BMBF etwas genauer hinschaut, wofür es das Geld der Steuerzahler ausgibt, ist nur zu begrüssen