Der Wissenschaftsjournalismus muss anders über seine Zukunft nachdenken, wenn es eine geben soll. Ein Gastbeitrag von Manfred Ronzheimer.
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ALS GESTERN NACHMITTAG im Futurium in Berlin neben der Bundesforschungsministerin und auf deren Einladung eine illustre Runde von 50 Kommunikationsprofis über die Verbesserung der Wissenschaftskommunikation reflektierte, saß der Wissenschaftsjournalismus mit drei Vertretern lediglich am Katzentisch. Das ist auch nicht besonders zu beklagen, denn eine zu große Nähe zur Macht bekommt keinem Journalismus gut, auch dem wissenschaftsaffinen nicht.
Trotzdem ist das ein Problem. Denn wer in den neuen Wissenschaftbarometer von "Wissenschaft-im-Dialog" schaut, der stellt fest, dass die Bevölkerung weiter die Produkte der journalistischen Wissensvermittler bevorzugt und ihnen mehr vertraut als den Hochglanzprodukten der Wissenschaftskommunikatoren. Hinzu kommt: Als einer, der bei dem legendären PUSH-Symposium des Stifterverbandes 1999 in Bonn zugegen war, auf dem die Tür zur Professionalisierung der Wissenschaftskommunikation auf Seiten der Hochschulen und Forschungsinstitute aufgestoßen wurde, weiß ich, dass Journalisten in diesen Debatten über die Vermittlung zwischen Academia und Bevölkerung schon mal stärker gehört wurden als heute.
Angesichts der derzeitigen Randständigkeit des heutigen Wissenschaftsjournalismus in Deutschland – die wohlgemerkt nicht dem Wissenschaftssystem, sondern dem Wandel des Mediensystems anzulasten ist – ist es gut, dass sich zwei Vertreter beider Welten am passenden Ort – in einer Wochenzeitung – Gedanken gemacht haben, wie nun gerade die Lage des Wissenschaftsjournalimus verbessert werden könnte. Unter dem Titel "Wie man Wissen zugänglich macht" unterbreiten der Forscher Reinhard Hüttl (Geoforschungszentrum, Acatech) und der Journalist Volker Stollorz (Science Media Center, Ex-FAZ) in der ZEIT einige Vorschläge in dieser Richtung. Sehr löblich, wie gesagt, nur leider viel zu kurz gesprungen, wie sich bei näherer Betrachtung herausstellt.
Um gleich mit dem Hauptmanko ihres Beitrags einzusteigen: Die Vorschläge der beiden zielen ab auf eine Sicherung und Bestandserhaltung des Wissenschaftsjournalismus, wie er gegenwärtig ist, wogegen eigentlich seine grundsätzliche disruptive Veränderung erforderlich wäre. Und diese Notwendigkeit ist nicht auf die Wissenschafts-Nische beschränkt: Der Journalismus als Kommunikationsdienstleister der Gesellschaft muss sich komplett neu erfinden. Er braucht neue Geschäftsmodelle und Vermittlungstechniken, er muss den Leser endlich wirklich mitdenken und partizipieren lassen (Journalismus 2.0). Ich frage in die Runde: Wer spricht über solche Erfordernisse? Mein Appell an die Journalistenszene und darüber hinaus: Lasst uns bitte nicht die Pseudo-Zukunftsdiskurse von Autoindustrie und Braunkohle-Verstromern in der Medien-Arena wiederholen.
Wie lauten die Vorschläge von Hüttl/Stollorz?
1. Die Qualität der Berichterstattung über Wissenschaft und Technik müsse gestärkt werden, und zwar in allen Ressorts, nicht nur auf der Wissenschaftsseite. Hervorgehoben wird dabei (warum eigentlich?) der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der mehr wissenschaftskompetente Journalisten brauche.
2. Wissenschaftler sollten in die Rundfunkbeiräte berufen werden. Dafür weniger Kirche dort.
3. "Mehr Ressourcen" (Was ist das? Geld, Personal, Raum, Zeit?) für guten Wissenschaftsjournalismus "auch in den privaten TV-Medien, den Radio- und Printredaktionen". Als Beispiellösung wird das Science Media Center (SMC) angeführt, das Stollorz mit Stiftungsmitteln in Köln aufgebaut hat.
4. Gründung einer Stiftung für Wissenschaftsjournalismus (finanziert aus der öffentlichen Forschungsförderung und aus privaten Mitteln) zur Förderung von Aus- und Weiterbildung und als "Experimentierraum für neue journalistische Formen". Ein Big Data-Projekt wird gleich vorgeschlagen, was beim SMC auch schon in der Schublade liegt. Unklar bleibt, wer über die Vergabe der Gelder entscheidet. Eine Selbstverwaltung a la Deutsche Forschungsgemeinschaft?
5. Belohnungen im Wissenschaftssystem für Forscher, die sich engagiert an die Öffentlichkeit wenden (passt logisch nicht in diese Reihe).
6. Desinformationen vorbeugen: Einrichtung eines "Komitees der Eulen", um politische Entscheidungsträger in komplexen Streitfragen schnell mit knappen, aussagekräftigen Berichten zu versorgen. Zusammengesetzt aus Wissenschaftlern und Medienprofis. Auch hier ist der SMC-Bezug mit Händen zu greifen.
Die Aufzählung ist in der Substanz enttäuschend, weil vermeintliche Lösungen nur aus dem bestehenden System heraus gedacht werden. Grenzüberschreitungen – neudeutsch: Disruptionen – werden nicht gewagt. Die meisten Vorschläge von Hüttl und Stollorz fanden sich darüber hinaus schon im Akademien-Papier "Wissenschaft, Öffentlichkeit, Medien" (WÖM-2) aus dem vorigen Jahr. Der darin enthaltenen einzige wirklich neue Gedanke – der Aufbau einer redaktionell unabhängigen bundesweiten Wissenschaftskommunikations- und Informationsplattform im Internet – wird in dem ZEIT-Aufsatz nicht mehr aufgegriffen. Dabei könnte dies die wichtigste Innovation auch für den Wissenschaftsjournalismus sein.
Selbst wenn er also aufgefordert wird, über eine andere Zukunft nachzudenken, wirkt der Wissenschaftsjournalismus wie angekettet in seiner Nische, aus der er nicht herauskommt. Vor allem die Gesellschafts-Blindheit ist deprimierend. Warum werden neuere Bewegungen wie "Citizen Science" nicht vom Wissenschaftsjournalismus aufgegriffen und auf seine Arbeitsweise adaptiert (Citizen Journalism)? Warum wird dieses Feld allein der Wissenschaftskommunikation der Institute überlassen? Ein weiteres Beispiel für diese journalistische Lethargie war der "March for Science", der bereits zweimal stattgefunden hat: Die Gesellschaft – jedenfalls ihre wissenschaftsinteressierten Teile – engagieren sich aktiv für die Freiheit der Forschung. Warum erwachsen daraus nicht mediale Angebote, die dieses Bürgerinteresse kontinuierlich bedienen?
Ich persönlich beschäftige mich sehr mit den Themen der "Großen Transformation" (Grand Challenges), die von Bedeutung für die Zukunft der Menschheit sind, aber keine adäquate Widerspiegelung im Mediensystem finden. Hier werden neue, auch virale Verbreitungsideen gebraucht, um nicht nur Bewusstseinswandel in der Bevölkerung, sondern auch ein Umsteuern bei den Entscheidern zu erreichen – und das schnell. Aber um die Wirkungen (Impact) seiner Produkte, also eine klassische medienethische Frage, kümmert sich der heutige Journalismus sowieso viel zu wenig.
Last but not least: Auch über die Überwindung des Grabens zwischen Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus wird zu wenig nachgedacht, nicht nur, aber auch im aktuellen Beitrag in der ZEIT. Dabei würde von Synergien am meisten der Endnutzer, der wissenschaftsinteressierte Bürger, profitieren. Aktuell geht es jedoch so rein gar nicht in diese Richtung. Jeder denkt zuerst an sich und für sich. Change, Wandel, Neuerung, wird mit einer solchen Haltung der Selbtstbezogenheit und der Abgrenzung nur hinausgeschoben, aber letztlich nicht verhindert.
Neulich hat die Bundesregierung eine Agentur für Sprunginnovationen beschlossen, was mich auf eine Idee gebracht hat. Vielleicht ist die ja die richtige Adresse, um auch die Disruptionen im Journalismus zu fördern. Ich habe jedenfalls vor, es sehr bald herauszufinden.
Manfred Ronzheimer ist freier Journalist für Wissenschafts- und Innovationspolitik in Berlin.
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Klaus Diepold (Dienstag, 16 Oktober 2018 10:58)
Interessanter Beitrag, der aber nicht ohne trendige "Innovation-Speak" auskommt. So fliegt insbesondere die "Disruption" etwas sinnbefreit durch die Gegend. Vorschlag: Einfach mal den Begriff weglassen.
Zukunftsmusiker (Dienstag, 16 Oktober 2018 18:05)
Mein Lösungsvorschlag: Den Wissenschaftsjournalismus als eigenes Genre/ eigene Berufsgruppe abschaffen. Ich lese viel zu viele unkritische Artikel von deutschen Wissenschaftsjournalisten, die nur Presseerklärungen von Unis oder Forschungseinrichtungen nachplappern. Zum Beispiel zur angeblich so erfolgreichen "Exzellenzinitiative". Ich führe das auf eine Art Stockholm-Syndrom zurück: Man ist so spezialisiert, so von spezialisierten Quellen abhängig, daß die eigene Unabhängigkeit leidet und man zum Propagandisten wird. Viel besser wäre es, wenn mehr Wissenschaftler selbst über ihre Arbeit schrieben. Und zwar arrivierte Leute, die sich frei äußern können ohne Angst vor Repressalien. Im New York Review of Books z.B. schreiben keine Wissenschaftsjournalisten, sondern nur Wissenschaftler. Durchaus auch mal sehr kritisch über die eigene Zunft, oder über das eigene Wissenschaftssystem.
Zukunftsmusiker (Dienstag, 16 Oktober 2018 18:11)
PS: Im deutschsprachigen Raum fällt mir als Positivbeispiel eigentlich nur Caspar Hirschi ein. Wir brauchen mehr solche Leute.
Markus Pössel (Dienstag, 16 Oktober 2018 19:53)
Die "Überwindung des Grabens zwischen Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus" klingt vielversprechend. Allerdings: Was versteht der Autor unter "Wissenschaftskommunikation"? Sowohl die Kurzformel von den "Hochglanzprodukten der Wissenschaftskommunikatoren" als auch die Graben-Formulierung legt nahe, dass hier einmal mehr die (im heutigen Diskurs glücklicherweise oft überholte) verengte Bedeutung gemeint ist, bei der Wissenschafts-PR und Wissenschaftskommunikation synonym verstanden werden.
Dabei könnte auch der Wissenschaftsjournalismus von der breiteren Definition profitieren, die Wissenschaftskommunikation als Oberbegriff sieht, und Wissenschafts-PR, Wissenschaftsjournalismus, aber auch das kurz erwähnte direkte Engagement von Wissenschaftlern bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit (das dann auch gar nicht mehr so aus der Reihe fällt, wie sich der Autor wundert) und noch mehr als Spielarten der Wissenschaftskommunikation sieht. In diesem breiteren Kontext werden dann für Wissenschaftsjournalisten auch neue Rollen außerhalb der Nische möglich, etwa das Kuratieren der diversen Online vorhandenen Inhalte – Problem des Lesers ist ja nicht selten, dass es nicht für viele Themen keine guten Inhalte gäbe, sondern wie man interessante Inhalte guter Qualität findet. Herkömmliche Medien, das sagt das zitierte Wissenschaftsbarometer, haben nach wie vor eine große Reichweite. Das sind gute Voraussetzung für eine Kuratoren-Funktion – zumindest bei denjenigen Medien, die Links auf andere als eigene Inhalte setzen (bei einigen scheint das nach wie vor verpönt zu sein).
Journalismus 2.0 mit partizipierenden und mitdenkenden Lesern klingt ebenfalls gut. Solch ein Journalismus müsste allerdings ein Selbstverständnis entwickeln, dass dann auch mit Kritik von außen sinnvoll umgehen kann. Wie skeptisch z.B. Stefan Niggemeier mit Übermedien da zum Teil noch von seinen Kollegen beäugt wird, zeigt, dass an dieser Stelle noch einiges an selbstkritischen Umstellungen nötig ist.
Dabei wäre die damit einhergehende Transparenz durchaus auch eine vertrauensfördernde Maßnahme. Das schon erwähnte Wissenschaftsbarometer 2018 nennt immerhin 62% der Befragten, die der Aussage zustimmen (ganz oder eher), dass es ein Zeichen für Qualitätssicherung ist, wenn wissenschaftliche Ergebnisse bei Wiederholungsstudien nicht bestätigt werden. Das lässt hoffen, dass auch ein sich korrigierender, auf externen Input und eben auch externe Kritik souverän reagierender Journalismus 2.0 dadurch an Glaubwürdigkeit gewinnen könnte, dass die Öffentlichkeit der Qualitätssicherung direkt zusehen kann.
Machen wir doch direkt mal ein Experiment mit dem Gastautor. Dessen Aussage "dass die Bevölkerung weiter die Produkte der journalistischen Wissensvermittler bevorzugt und ihnen mehr vertraut als den Hochglanzprodukten der Wissenschaftskommunikatoren" finde ich in dem erwähnten Wissenschaftsbarometer nämlich nirgends. Relatives Vertrauen in Journalismus oder Wissenschaftskommunikation (siehe oben, hier wohl als "Wissenschafts-PR" gemeint) wurde da nämlich gar nicht abgefragt. Und was die Bevölkerung "bevorzugt" auch nicht – dort wird gefragt "wie häufig" bestimmte Medien genutzt werden, aber das ist eine Kombination aus Vorlieben (was bevorzugt wird), Zugänglichkeit/einfacher Erreichbarkeit und sicher auch noch ein paar weiteren Faktoren mehr.
Also, Experiment Journalismus 2.0, Partizipationsversuch: Leserrückmeldung zur Aussage zum Wissenschaftsbarometer. Sie interpretieren in das Wissenschaftsbarometer Aussagen zu Vertrauen und Bevorzugung hinein, die darin soweit ich sehen kann gar nicht enthalten sind. Bitte korrigieren Sie!
Manfred Ronzheimer (Freitag, 19 Oktober 2018 19:39)
An @Zukunftsmusiker
Das würde das Kind mit dem Bade ausschütten. Es stimmt, dass heutiger Wissenschaftsjournalismus zu nah am Wissenschaftssystem dran ist und da überwiegend nur den "Erklärbären" abgibt. Es fehlt die kritische Bewertung des Systems und der Rückkanal "Sprachrohr der Gesellschaft", auch im Sinne der Förderung gesellschaftsdienlicher Forschung.
@Pössel. Da ich Praktiker bin, will ich hier vorerst nur zwei praktische Schritte ankündigen. Einmal gehe ich nochmal in das WID-Wissenschaftsbarometer rein, auch für eine parteipolitische Auswertung. Da werde ich auch nochmal die Medienakzeptanz zusammenfassen. Die höhere Glaubwürdigkeit der klassischen Medien stand meiner Erinnerung nach in der Allensbach-Studie für die Leopoldina zur SynBio. Muss ich noch raussuchen.
Und zweitens mache ich Anfang November auf der BerlinScienceWeek https://berlinscienceweek.com/ den praktischen Versuch, dieses Event der Wissenschaftskommunikation mit wissenschaftsjournalistischer Begleitung aufzuladen und evtl auch zu konterkarieren. Es sind etliche Themen dabei, die unterschiedlich gecovert werden können, etwa zum aktuellen Digital- und KI-Hype. Die WPK unterstützt mich dabei. Dieser Versuch (ein Realexperiment von journalistischer Seite) kann auch Erkenntnisse bringen zu evtl weiteren Synergien von WJ und WK.
Josef König (Montag, 22 Oktober 2018 14:28)
Ich habe mir etwas mehr Zeit gelassen, bevor ich den Beitrag von Stollorz/Hüttl kommentiert habe. Dazu nun ausführlich in meinem Blog:
https://www.widderworte.de/2018/10/wissenschaft-ist-fuer-jeden-zugaenglich/
Laubeiter (Mittwoch, 31 Oktober 2018 13:21)
In diesem Beitrag lese ich zum einen die Suche nach neuen Formen, mit denen Wissenschaft im neuen Mediensystem dargestellt werden kann, zum andern die Auseinandersetzung mit Hüttl und Stollorz. Letzteres mal beiseite, finde ich ersteres gut beschrieben, Danke! Zwei Sachen: (1) Mir fehlt das Thema Twitter. (2) Gibt's nicht schon Ansätze für citizen journalist? Ex-Guardian Editor Rusbridger erzählt in seinem neuen Buch, wie sich seine Zeitung gewandelt hat von einem Lieferanten gedruckter News zu einem digitalen Abbild der Welt, das 24h am Tag von den Journalisten in den Guardian Büros und den ehemaligen Lesern, jetzt Members neu zusammengesetzt wird.