Eigentlich wollte die GroKo heute die Grundgesetzänderung als Voraussetzung des Digitalpakts durch den Bundestag bringen. Daraus wird vorerst nichts. Ein Blick nach vorn.
VERGANGENE WOCHE HATTE ich geschrieben: Jetzt warten alle auf den 19. Oktober. Alle, das waren in diesem Fall die Schulen überall in Deutschland, die endlich etwas sehen wollen von den versprochenen fünf Milliarden für ihre Digitalausstattung. Alle, das waren aber auch die Bildungsminister von Bund und Ländern, die wissen: Ohne Verfassungsänderung keinen Digitalpakt.
Zumindest haben Union und SPD es so in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, und heute sollte es im Bundestag ernst werden: Die Regierungsparteien wollten ein ganzes Paket von Grundgesetz-Reformen beschließen, darunter die Umformulierung von Artikel 104c, dieser umgangssprachlich "Kooperationsverbot" genannten Regelung, wonach der Bund bislang nur finanzschwachen Kommunen bei den Bildungsinvestitionen helfen darf.
Das Problem allerdings, das einige der GroKo-Granden bei der Abfassung ihres Koalitionsvertrages offenbar unterschätzt haben: Sie haben gar nicht die dafür nötige Zwei-Drittel-Mehrheit. Weswegen sie auf Unterstützung durch die Opposition angewiesen sind. Noch bei ihrem Treffen mit der Kultusministerkonferenz vergangene Woche sagte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) trotzdem tapfer, sie bleibe bis zum 19. Oktober eine Optimistin, dass das Vorhaben klappen werde.
Karliczeks demonstrativ positive Einstellung hat nicht geholfen. Die geplante Verfassungsänderung ist von der Tagesordnung der heutigen Bundestagssitzung verschwunden. Die Koalitionsparteien sind sich noch nicht einig geworden mit Grünen und FDP, die als Gegenleistung für ihre Zustimmung fordern, dass das Kooperationsverbot noch weiter gelockert wird.
Konstruktiver verhält sich übrigens die Linksfraktion, die zwar auch mehr will als die Regierung, aber offenbar nicht um den Preis, dass die Grundgesetzreform möglicherweise ganz scheitert. Die bildungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion Margit Stumpp warf der Bundesregierung unterdessen vor, sie habe trotz mehrmaliger Aufforderungen erst diese Woche zu Gesprächen mit Grünen und FDP durchringen können. "Warum so spät!?"
Dass es heute nicht klappt, zeichnete sich seit Anfang der Woche ab. Das ist im Ergebnis ein bisschen peinlich für die GroKo. Aber ein Grund zur Sorge ist es nicht. Noch nicht. Entscheidend ist, dass die Grundgesetz-Änderung rechtzeitig vor Jahresende perfekt ist, denn wenn die Bund-Länder-Vereinbarung zum Digitalpakt es dann auch ist (wovon praktisch alle Beteiligten inzwischen ausgehen), dann könnte das Programm wie versprochen zum 1. Januar starten. Oder zumindest die Ausschreibung. Das erste Geld würde sicher noch auf sich warten lassen. Aber man ist angesichts der über zweijährigen Geschichte des Pakts inzwischen schon mit kleinen Fortschritten zufrieden.
So unwichtig es also ist, dass es nicht der 19. Oktober geworden ist: Überhaupt nicht egal ist, dass Regierung und Opposition im Bundestag jetzt sehr schnell die Kurve kriegen. Und auch im Bundesrat muss die nötige Zustimmung abgesichert werden.
Klar wäre es möglich, zur Not auf die Eckpunkte zurückzufallen, die Bund und Länder vor der Bundestagswahl ausgearbeitet hatten (auch wenn Karliczeks Vorgängerin Wanka sie nie unterschrieben hatte). Diese Eckpunkte hatten den Digitalpakt noch ohne Verfassungsänderung geplant, und alle waren sich damals einig, das gehe auch – irgendwie.
Ratsam ist diese Rolle rückwärts allerdings nicht. Denn die jetzt fast fertige Bund-Länder-Vereinbarung beruht auf der vorweggenommenen Rechtsgrundlage des noch nicht beschlossenen neuen Artikels 104c. Die Logik ist hier eine ganz andere, so dass der Text zu einem guten Stück neu vereinbart werden müsste. Was enorm Zeit und noch mehr Nerven kosten würde. Nein, das kann jetzt nicht die Lösung sein.
Um es ganz klar zu sagen: Geht die Nummer mit der Verfassungsänderung auch in den nächsten Wochen schief, wird die Öffentlichkeit nicht differenzieren. Verantwortlich sind dann alle Akteure gleichermaßen: Regierung wie Opposition. Und sie alle werden sich fragen lassen müssen, warum sie ihre Verantwortung für Bildung in Deutschland nicht wahrgenommen haben.
Jetzt ist die Zeit für Kompromisse. Und zwar sofort, unverzüglich.
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