Bundesforschungsministerin Anja Karliczek ist begeistert von der Idee der Europäischen Universitäten – und schätzt ihre französische Kollegin Frédérique Vidal.
Frau Ministerin, Ihre erste Auslandsreise als Ministerin hat Sie Ende März 2018 nach Paris geführt. War das mehr als politische Symbolik?
Wenn Sie neu in einem Amt sind, dann sind es die ersten Erfahrungen und Begegnungen, die Sie prägen. Es war für mich eine große Ehre, von Präsident Macron zur Vorstellung der französischen KI-Strategie eingeladen zu werden. Bevor die Festveranstaltung begann, war noch Zeit für ein Mittagessen, und da habe ich meine Kollegin Frédérique Vidal kennengelernt. Wir saßen beieinander und haben schnell gespürt, wie ähnlich wir bei vielen Fragen ticken.
Zum Beispiel?
Wir können den aktuellen Schwierigkeiten, in denen die Europäische Union steckt, auf einem kleinen, aber zentral wichtigen Feld begegnen: dem Feld der Hochschulpolitik. Wir wollen, dass junge Menschen sich nicht nur in einer Nation zu Hause fühlen, sondern dass sie ganz Europa als ihre Heimat betrachten. Viele Hochschulabsolventen werden später Führungspositionen besetzen, und wenn wir es richtig anstellen mit der Idee der Europäischen Universitäten, werden sie sich noch mehr als heute ein Stück weit als Botschafter verstehen. Als Botschafter der europäischen Idee und des Zusammenhalts zwischen den europäischen Staaten.
Klingt ein bisschen zu schön, um wahr zu sein.
Aber was uns in diesen Tagen in Europa fehlt, ist doch genau ein bisschen mehr von diesem Ehrgeiz. Als ich im BMBF anfing, war vieles neu für mich. Aber eines habe ich gleich begriffen: Das Tolle an den Europäischen Universitäten ist, dass die Idee nicht spaltet, dass Sie diese Netzwerke vorantreiben können, ohne auf die sonst immer gleichen Konfliktthemen zu stoßen. Die Idee rührt nicht am Selbstverständnis der Nationalstaaten, jedes Land kann weiter unterwegs sein in seinen unterschiedlichen Traditionen und akademischen Strukturen, und wenn ich diese Unterschiede als Studentin erlebe, lerne ich sie ganz anders verstehen und akzeptieren. Ich stelle es mir faszinierend vor, ein komplettes Studium in drei oder mehr Ländern zu absolvieren.
Manche hätten sich gewünscht, dass noch ein bisschen größer gedacht wird – mit dem Ziel, eine oder mehrere Universitäten komplett neu zu gründen und in all ihren Bestandteilen neu aufzubauen. Jetzt gibt es ein Förderprogramm für bestehende Universitäten mit europäischen Ambitionen.
Und ich bin froh, dass schon bei meinem ersten Treffen mit Frédérique Vidal klar war, dass wir beide unter der Idee dasselbe verstehen. Wir haben uns in den folgenden drei Monaten dann viele Male dazu abgesprochen. Warum sollen wir neue Universitäten gründen, wenn wir hervorragende Universitäten haben, die es näher zueinander zu bringen gilt? Es geht um die Menschen und ihre Zusammenarbeit und nicht um den Aufbau neuer Riesenstrukturen, der noch dazu viel Zeit verschlingen würde.
Aber wir haben doch schon europaweite Austauschprogramme wie Erasmus.
Ja, ich kann fürs Studium nach Barcelona oder Rom gehen, aber ich habe dann noch keinen europäischen Abschluss, sondern einen deutschen, einen spanischen oder italienischen. Erst aus dem Plan, ganze Studiengänge über mehrere Länder hinweg zu generieren, entsteht ein wirklich europäisches Studium. Es wird mit den Europäischen Universitäten so ähnlich sein wie bei der Deutsch-Französischen Hochschule, aber noch weit darüber hinausgehen: Durch den europäischen Abschluss müssen Sie auch die Curricula aufeinander abstimmen, und weil wir Forschung und Lehre zusammendenken, nicht nur die Studiengänge, sondern auch die Forschungsstrategien der beteiligten Universitäten.
Inwieweit konnten Sie sich mit Ihren Vorstellungen überhaupt noch einbringen? Ende März 2018 waren die Planungen zur Europäischen Universität doch fast schon gelaufen.
Na ja, da waren schon noch viele Fragen offen. Vor allem praktischer Natur. Zum Beispiel, dass sich nicht immer ganze Universitäten abstimmen müssen, sondern manchmal auch nur einzelne Fachbereiche. Dass die Netzwerke, die die Europäischen Universitäten ausmachen sollen, nicht zu groß sein dürfen. Wir müssen überschaubare Verbünde schaffen, die schnell agieren können. Denn wir brauchen schnell Erfolge, die zeigen, dass die europäische Idee funktioniert.
Sie haben anfangs von Ihrem besonderen Verhältnis zur französischen Wissenschaftsministerin Vidal gesprochen. Wenn man Ihnen beiden zuhört, ist es erstaunlich, wie ähnlich Sie beide klingen.
Weil unsere Zusammenarbeit für uns beide eine Herzensangelegenheit ist. Deutschland und Frankreich haben, was die Forschung angeht, an vielen Stellen ähnliche Ideen und Konzepte. Da ist es doch logisch, erstmal gemeinsam voranzuschreiten, anstatt zu warten, bis sich irgendwann auf europäischer Ebene alle einig werden. Darum ergänzen Deutschland und Frankreich die Finanzierung der Europäischen Universitäten mit eigenen Mitteln. Und bei der Künstlichen Intelligenz wollen wir schon mal ein gemeinsames Forschungsnetzwerk aufbauen, um dann in einem zweiten Schritt die anderen europäischen Länder zur Mitarbeit einzuladen.
Die kürzlich verkündete Gründung einer Agentur für Sprunginnovationen war dann aber doch ein rein deutsches Projekt.
Das ist ein Anfang. Aber ganz klar: Auch bei diesem Thema liegt die Zukunft in Europa. Frederique Vidal und ich wollen in gemeinsamer, länderübergreifender Initiative Sprunginnovationen fördern. Dazu sind wir in engem Kontakt und setzen uns dafür ein, dass im neuen EU-Forschungsrahmenprogramm dazu beigetragen wird, dass auf allen Ebenen – in den Regionen, den Mitgliedstaaten und der Union insgesamt – aufeinander abgestimmte Initiativen für Forschung und Innovation gestartet werden.
Dieses Interview erschien in gekürzter Fassung zuerst im DSW Journal 3/2018 des Deutschen Studentenwerks.
Kommentar schreiben