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Keine Lust auf Gestern

Die Beziehung zwischen Promovierenden und Promotionsbetreuern ist eine besondere. Sie mit veralteten Familienbegriffen zu belegen, greift aber daneben. Eine Replik von David Willmes.

David Willmes. Foto: Jürgen Gocke

WORUM GEHT ES? Um Sätze wie diese: "Wenn Profesorinn_en ihren Doktorandinn_en akademische Eltern sein wollen, dann begeben sie sich in die Verantwortung einer längerfristigen, möglicherweise lebensbestimmenden Perspektive hinein. Genau wie echte Eltern es tun."

 

Jeffrey Peck will in seiner Kolumne Verständnis wecken für die "emotionalen Abhängigkeiten" im Betreuungsverhältnis. Doch in den Ohren hochqualifizierter Promotionsaspiranten klingt seine Eltern-Analogie entmündigend. Sie sollen in dem Familienstück offenbar die Rolle der akademischen Adoptivkinder spielen.



Peck hat sich auf die Fahnen geschrieben, die Beziehung zwischen Promovierenden und Betreuenden als "wertvolle akademische Tradition" zu erhalten. Das ist löblich – aber warum sieht er sie in Gefahr? Die Überschrift seines Beitrags, die mit "In spite of #MeToo" beginnt, lässt erahnen, dass es ihm um die Auseinandersetzung mit Machtmissbrauch geht. Konkret nennt er aber nur die Affäre am German Department der New York University, die in diesem Sommer Schlagzeilen machte. Dort wurde die Professorin Avital Ronell wegen sexueller Belästigung eines Doktoranden für ein Jahr suspendiert. Grund genug für Pecks Rettungsversuch, bei dem er die "Ausnutzung von Machtstrukturen beseitigen" will. Auch das ist löblich, endet aber in Allgemeinplätzen und besagtem Familienjargon, der Emanzipationsbemühungen über Bord wirft.

 

Peck weiter: "[W]ie es Grenzen zwischen Eltern und Kindern gibt, bestehen auch zwischen akademischen Eltern und Doktoranden Linien, die nicht übertreten werden dürfen." Wo die Linien zu ziehen sind, sagt er nicht. Stattdessen wirbt der Autor für eine angemessene Gestaltung des Betreuungsverhältnisses, nur dann könne "eine zunehmende Vertrautheit und Entspanntheit im Umgang miteinander entstehen, ohne dass Verletzungen und Übertretungen drohen".

 

Meinem stummen Nicken folgen schnell Fragen: Ja, aber wie? Wie lässt sich die Beziehung gut gestalten? Wie kann Machtmissbrauch bekämpft werden?

Nicht durch unzeitgemäße Familienbegriffe, die Promovierende infantilisieren – und die ebenfalls aus Sicht der Betreuenden problematisch sind. Denn: Auch wenn sie sich nicht in der Vater- oder Mutterrolle sehen, werden sie in ein familiäres Rollenkorsett gezwängt. Sie werden parentalisiert, obwohl sie ihre Betreuungsrolle vielleicht ganz anders verstehen, zum Beispiel im Sinne einer Ratgeberin oder Mentorin, eines Moderators oder Begleiters von Selbstverwirklichungsprozessen.

 

Damit sind wir angelangt bei einer wichtigen Grundlage für ein gutes Betreuungsverhältnis: Rollenklärung auf beiden Seiten. Viele Hochschulen unterstützen Betreuende hierbei durch Führungskräfteseminare oder spezielle Coaching-Angebote. In Kursen von Graduierteneirichtungen lernen Promovierende, die Betreuungsbeziehung aktiv zu gestalten. So kann der Neigung zu tradierten Rollenbeziehungen und begleitenden emotionalen Übertragungsprozessen begegnet werden.

 

Unerlässlich sind gemeinsame Gespräche über die Rahmenbedingungen der Promotionsphase. Keine Fünfminutenmonologe zu Formalien. Sondern eine intensive Klärung der jeweiligen Erwartungen zu Themen wie Arbeitsumfeld, Finanzierung, Häufigkeit der Betreuungsgespräche und Sachstandsberichte, Feedbackformen sowie Teilnahme an Kolloquien oder Konferenzen. Dabei schwingt die persönliche Lebenssituation immer mit. Inwieweit sie mitgeteilt wird, ist eine individuelle Frage, die zusammenhängt mit dem erwünschten Nähe-Distanz-Verhältnis. Um Missverständnissen vorzubeugen, sollten am Ende klare und verbindliche Vereinbarungen getroffen werden.

 

In Baden-Württemberg sind schriftliche Promotionsvereinbarungen seit der Novellierung des Hochschulgesetzes im Jahr 2014 verpflichtend. Mit weiteren Regelungen hat das Land Vorbildcharakter. So sieht es Ombudspersonen für Konflikte im Promotionsbereich vor und macht die Promovierenden zu einer eigenen Gruppe mit Stimmrechten in den Hochschulgremien.

 

Doch es gibt noch Luft nach oben. Seit 2011 liegen Empfehlungen des Wissenschaftsrates auf dem Tisch, die in Deutschland spärlich umgesetzt werden. Dazu zählen die Trennung von Begutachtung und Betreuung sowie die Begleitung des gesamten Promotionsprozesses durch ein Komitee, um die kollegiale Kontrolle und Verantwortung zu stärken. Aus der Hochschulforschung wissen wir, dass Abhängigkeits- und Hierarchieverhältnisse in Lehrstuhlsystemen größer sind als in Departmentsystemen. Wer die soziale Distanz zwischen den akademischen Rängen reduzieren will, muss das Rad also nicht neu erfinden. Zum Zurückradeln ist mir jedenfalls nicht zumute.

 

David Willmes ist Berater, Coach und Mediator. An der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg berät er Doktorandinnen und Doktoranden zu allen Fragen rund um die Promotion.

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Kommentare: 3
  • #1

    Jakob Wassink (Mittwoch, 07 November 2018 19:23)

    Ein sehr schöner Beitrag!

    Ich habe nur die traurige Befürchtung, dass in nicht zu ferner Zukunft, Personen eine Promotion aufnehmen, die eine elterliche Führsorge brauchen, wünschen und zulassen.

    Die Hochschulen setzen hier eine kostbare Tradition aufs Spiel, wenn sie nicht endlich Studienanfänger intensiv zur wissenschaftlichen Arbeit befähigen und den Studierenden im weiteren Studienverlauf zutrauen, selbständig über ihren Lernprozess und die Prüfungsvorbereitung zu entscheiden.

  • #2

    Koordinatorin eines Doktorandenkollegs (Dienstag, 20 November 2018 14:03)

    Menschlich mag ein Doktorand schon von einer engen Beziehung zum Betreuer der Doktoratsphase profitieren. Schliesslich haben Professoren ihren Promovenden jahrelange Erfahrung im System Wissenschaft und seinen Fallstricken voraus. Sie überblicken ihr Fach, sie können vor Modethemen warnen, wie sie durch Doktorandenschulen flächendeckend kultiviert wurden. Drittmittelfinanzierte Promotionskollegs setzen einen Rahmen, z.B. welche Koryphäen des Fachs zitiert werden sollen. Innovation ist eher durch freie Doktoranden erwartbar, falls der Betreuer dies gelten lässt. Die Abhängigkeiten sind also einmal asymmetrisch-hierarchisch und einmal kollektivistisch, nach Gruppenerwartung des Kollegs und seine Gutachter. Vorteile hat die strukturierte Doktorandenausbildung, weil sie Zugänge zu Druckkosten, Kongressreisen, Auslandsinstituten und so Karrierechancen bietet, die sich dem altbackenen Lehrknecht am Lehrstuhl so selten bieten werden. Er/sie lebt vom Netzwerk des Professors- das ist, wie jeder Mathematiker weiss, eine deutlich kleinere Zahl von Kontakten als im Kollektivverbund. Folglich endet die Assistenz öfter in de Sackgassenkarriere, z.B. reine Lehrkrafttätigkeit.

  • #3

    Matthias Schober (Mittwoch, 12 Dezember 2018 19:30)

    A+