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Kommando zurück?

Nach der Grundgesetz-Einigung vom Freitag gibt mit einem Mal heftigen Ärger. Wackelt der Digitalpakt doch wieder?

WOMÖGLICH WAR DER Jubel verfrüht. Nach Baden-Württemberg hat jetzt auch Schleswig-Holstein angekündigt, die geplante Änderung des Bildungsföderalismus zumindest in der vorliegenden Form nicht akzeptieren zu wollen. Schleswig-Holsteins CDU-Bildungsministerin Karin Prien bestätigte diesbezügliche Absichten. "Der Zeitplan dürfte so jetzt nur noch schwer zu halten sein."

 

Mit ihrer Äußerung spielt Prien auf die für den 6. Dezember vorgesehene Paraphierung des Digitalpakts an, aber auch auf den Weg zur Grundgesetz-Änderung selbst. Sowohl Bundestag als auch Bundesrat sollen, so lautete bislang die Planung, noch im Dezember die Neufassung beschließen, damit das 5,5-Milliarden-Programm für die Schulen zum 1. Januar 2019 in Kraft treten kann. Wackelt der Starttermin nun wieder?

 

Bis zur Einigung vom vergangenen Freitag galt Schleswig-Holstein als Befürworter der Grundgesetz-Änderung. Baden-Württembergs grün-schwarze Landesregierung hatte sie dagegen schon lange aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt. Dass nun auch das nördlichste Bundesland auf Abstand geht, liegt an den weiteren Details der geplanten Neufassung, die jetzt bekannt werden. Sie sorgen in zahlreichen Bundesländern für Aufregung.

 

In der Vorlage, die der Haushaltsausschuss des Bundestages morgen behandeln soll, steht nämlich auch eine geänderte Formulierung des Artikels 104b. Diese hatten die Fraktionsspitzen von Union, SPD, Grüne und FDP am Freitag nicht erwähnt. Artikel 104b , Absatz 2, Satz 5 soll künftig lauten: "Die Mittel des Bundes sind in jeweils mindestens gleicher Höhe durch Landesmittel für den entsprechenden Investitionsbereich zu ergänzen; sie sind befristet zu gewähren und hinsichtlich ihrer Verwendung in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen."

 

Konkret heißt das: Alle künftigen Bund-Länder-Investitionsprogramme, die auf der Grundlage des neu formulierten Artikels 104c zustande kommen, müssen von den Ländern zu 50 Prozent gegenfinanziert werden. Dem Vernehmen nach kam diese Bedingung durch die Haushaltpolitiker in den Änderungsentwurf, die ansonsten dem Kompromiss nicht zugestimmt hätten. Der CDU-Chefhaushälter Eckhardt Rehberg bestätigt auf Nachfrage, es sei "ein wichtiges Anliegen der Haushaltspolitiker der Union bei den Verhandlungen zur Grundgesetzänderung gewesen, dass es bei neuen Finanzhilfen des Bundes ein neues Kriterium der Zusätzlichkeit gibt." Man habe in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt, dass die Bundesmittel nicht zu einer Verbesserung vor Ort geführt hätten, weil die Länder eigene Mittel in derselben Höhe gekürzt hätten.

 

Schleswig-Holsteins Bildungsministerien Prien kommentiert: "Damit wäre die von FDP und Grünen mit den GroKo-Bundestagsfraktionen verhandelte GG-Änderung ein Bärendienst für eine bessere Bildungsfinanzierung in Deutschland."

 

Ihr Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sagte unterdessen der dpa, seine Regierung stehe zur Grundgesetzänderung. Diese dürfe jedoch nicht dazu führen, dass der Bund seine Finanzverantwortung für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen zukünftig nur noch in begrenztem Umfang wahrnehmen wolle, sagte Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Grüne). "Wir dürfen als Länder nicht tatenlos zusehen, wie sich der Bund aus seiner Verantwortung für gelingende Daseinsvorsorge zurückzieht."

 

Der verspätete Protest scheint darauf zu beruhen, dass die Fraktionsspitzen der Bundesparteien zunächst nicht über diesen neuen Passus informiert hatten, nicht einmal die eigenen Parteifreunde in den Ländern – obwohl er eine grundlegende Bedeutung für die künftige Anwendung des neuen 104c hat: Die Hürde für ein Investitionsprogramm ist durch die hälftige Finanzierung plötzlich sehr hoch geworden. "Hier wird mal eben einseitig zu Lasten von Kommunen und Ländern die Geschäftsgrundlage für die zukünftige Kofinanzierung im Bildungsbereich geändert“, sagt Prien und befindet: "Eine solch einschneidende Grundgesetzänderung, heimlich und leise quasi als Gegenleistung für den Digitalpakt, das ist kein gutes Verfahren im Umgang mit dem Grundgesetz und ein zu hoher Preis." 

 

Gestern herrschte sogar kurzzeitig Verwirrung, ob sogar der Digitalpakt von der 50-Prozent-Regelung betroffen sein könnte – was auch ihn in seinen Grundlagen erschüttert hätte, sieht er doch nur eine 10-Prozent-Beteilgung der Länder vor. Doch dann wurde klar: Es soll eine Art "Lex Digitalpakt" geben. Eine Übergangsregelung als Teil der Verfassungsänderung soll festlegen, dass "Finanzhilfen, die auf einer bis zum 31. Dezember 2019 in Kraft getretenen Regelung beruhen" auch ohne eine "mindestens hälftige Mitfinanzierung der Länder" beibehalten werden dürfen. Ergo: Der Digitalpakt könnte bleiben, wie er ist – wenn die Länder nicht, siehe oben, ihrerseits Nachverhandlungen anstreben werden.

 

Wird auch nochmal Hand an den Digitalpakt selbst gelegt?

 

Denn auch den Digitalpakt selbst will Prien nochmal aufmachen. Durch die Grundgesetz-Änderung ergäben sich hier zusätzliche Spielräume für die Länder, "die müssen wir jetzt nutzen, sonst macht die neue Formulierung doch keinen Sinn." Konkret erlaubt die geplante Veränderung des Grundgesetz-Artikels 104c, dass die Länder mehr Kosten, die ihnen zum Beispiel bei den notwendigen Fortbildungen von Lehrern entstehen, auf ihren vorgeschriebenen Eigenanteil anrechnen lassen können. 

 

Aus vielen anderen Bundesländern hieß es zunächst lediglich, man befinde sich noch in der Meinungsfindung. Nicht so aus Baden-Württemberg. "Unsere Haltung in Baden-Württemberg ist klar, wir werden der Grundgesetzänderung nicht zustimmen, da diese ein massiver Eingriff in unser föderales System bedeutet", sagte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), die zugleich die Politik der CDU-geführten Kultusministerien koordiniert. "Doch die 50-Prozent-Regelung im Artikel 104b rückt die Pläne nun auch für weitere Länder in ein neues Licht und es regt sich Widerstand. Ich setze darauf, dass sich weitere Länder unserer Haltung anschließen werden.“

 

Christian Luft hingegen, Staatssekretär im Bundesbildungsministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und bundesseitiger Digitalpakt-Verhandlungsführer, kommentierte die Kritik aus Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg kurz und knapp: "Wir sind guten Mutes, dass die Verwaltungsvereinbarung für den DigitalPakt Schule am 6. Dezember paraphiert werden kann." 

 

Auch Ties Rabe, SPD-Bildungssenator in Hamburg und Koordinator der SPD-geführten Kultusministerien, meinte auf Twitter, die 50-Prozent-Regelung sei "sicher nicht die beste Idee", "aber auch nicht so schlimm." So bleibe es beim Digitalpakt bei der 90-10-Finanzierung. "Bei anderen Projekten müssten die Länder zwar 50 Prozent zahlen, dürfen aber alles anrechnen, was sie ohnehin einsetzen. In den meisten Fällen wird das reichen." Bei Spiegel Online ergänzte Rabe, er werde deshalb nicht das ganze Projekt in Frage stellen. Die Schulen bräuchten das Geld und den technischen Fortschritt. "Bund und Länder sollten in diesem Sinne ihre Konflikte überwinden."

 

Doch was würde die Neuregelung des Bildungsföderalismus, sollte sie so bleiben, für kommende Bund-Länder-Initiativen wie das im Koalitionsvertrag festgelegte Ganztagsprogramm bedeuten? Ganz klar: Insoweit sie erst 2020 oder später beschlossen werden, wäre die 50-50-Finanzierung Vorschrift. Wobei der neue 104b, Rabe deutet es an, offenbar eine vergleichsweise großzügige Auslegung erfahren soll. In der Vorlage für die morgige Sitzung des Haushaltsausschusses heißt es in den Erläuterungen, als "zu berücksichtigende Landesmittel" gälten alle für die Laufzeit des Bund-Länder-Programms vorgesehenen Investitionen der Länder "in dem durch die Finanzhilfe definierten Investitionsbereich". Also auch alles, was die Länder ohnehin schon vorhatten. 

 

Trotzdem sind 50-Prozent gerade für ärmere Bundesländer eine große Klippe, und das ist von den Haushältern offenbar auch so gewünscht – damit der Bund künftig nicht von Investitionsprogramm zu Investitionsprogramm getrieben wird.  "Die Haushaltslage der Länder ist mit einem Überschuss von 19,6 Milliarden Euro bis einschließlich September 2018 bedeutend besser als die des Bundes", sagt CDU-Haushälter Eckhardt Rehberg.

 

Die Grünen und die FDP betonen derweil die neuen Möglichkeiten durch die Grundgesetz-Änderung im Ganztagsbereich. "Der Kompromiss ermöglicht, dass der Bund nicht nur die Schulmensa bauen oder das Dach sanieren, sondern auch in gute Betreuung und Bildung am Nachmittag investieren darf", sagt die bildungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Margit Stumpp. "Dazu zählen zusätzliche Fachkräfte sowie externe Akteur*innen aus Jugendarbeit, Sport, Musik und Kulturarbeit." 


NACHTRAG AM 29. NOVEMBER

Mittlerweile zeichnet sich deutlicher ab, dass neben Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein auch Hessen und Bayern der Grundgesetz-Neufassung in der vorliegenden Form nicht zustimmen wollen. In drei dieser vier Länder sind neben der Union auch die Grünen an der Regierung beteiligt. In Nordrhein-Westfalen ist die Entscheidung offenbar weiter offen, ebenso in Sachsen. Wenn diese beiden Länder "Ja" würden  (und alle übrigen ebenfalls), wäre die Zwei-Drittelmehrheit im Bundesrat trotzdem gesichert.

 

Klar ist: Es wird knapp, und es könnte auf eine offene Konfrontation mit dem Bundestag hinauslaufen. Dessen Haushaltsausschuss hat gestern bereits der Grundgesetzänderung zugestimmt, und zwar mit den Stimmen aller Fraktionen außer der AfD. Heute soll das Plenum nachziehen. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anja Hajduk, sagte, damit die Finanzhilfen des Bundes "einen spürbaren Unterschied vor Ort machen, sollen sie die Investitionen der Länder ergänzen und eben nicht ersetzen." Die bereits vereinbarten Programme "wie zum Beispiel die Schulsanierung in finanzschwachen Kommunen bis 2023" seien davon aber ausdrücklich nicht betroffen. Hajduks Botschaft ist sicher auch und gerade in Richtung der eigenen Parteikollegen in den Ländern gemünzt.

 

Die SPD-Bundestagsabgeordnete und Digitalexpertin Saskia Esken twitterte, was lange währte, werde endlich gut. "Wir öffnen ein Türchen im Grundgesetz und bringen damit den von Wanka maximal verstolperten und verschleppten Digitalpakt endlich auf dem Weg."

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Kommentare: 3
  • #1

    PB (Dienstag, 27 November 2018 18:13)

    Deren Inhalt hatten die Fraktionsspitzen von Union, SPD, Grüne und FDP am Freitag nicht erwähnt. Artikel 104c , Absatz 2, Satz 5 soll künftig lauten: „Die Mittel des Bundes sind in jeweils mindestens gleicher Höhe durch Landesmittel für den entsprechenden Investitionsbereich zu ergänzen; sie sind befristet zu gewähren und hinsichtlich ihrer Verwendung in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen.“

    Was stimmt das Parlament denn bitte ab? Liegt dem Parlament der geänderte Gesetzesentwurf etwa nicht mehr schriftlich vor?

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 27 November 2018 18:28)

    @PB: Doch, tut er. Aber am Freitag gab es zunächst nur die Info der Einigung, die Unterlagen kamen später...

  • #3

    PB (Dienstag, 27 November 2018 21:03)

    Danke! Es ergab aber auch bei anderen Anlässen schon mal die Frage, ob die Abgeordneten genau wissen, was sie da abstimmen, d.h., ob sie Entwurf wirklich gelesen haben.