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"Wir sind weder das Bau- noch das Sozialministerium"

Anja Karliczek über ihre BAföG-Reform, Künstliche Intelligenz, die nationale Weiterbildungsstrategie – und warum sie Horst Seehofer einen Brief geschrieben hat.

Frau Ministerin, Sie sind seit acht Monaten im Amt. Am meisten Aufsehen haben Sie bislang mit dem internen Umbau ihres Ministeriums erregt. Die Hochschulszene fragt sich: Geht’s jetzt auch mal inhaltlich los?

 

Es geht los, und zwar richtig. Es stimmt ja: Wir haben ein bisschen gebraucht, auch wegen der Umstrukturierung. Aber die war wichtig. Nun aber geht es Schlag auf Schlag. Mit der BAföG-Novelle. Mit unserer Initiative für die berufliche Weiterbildung, die auch auf eine stärkere Aktivierung der Hochschulen bei diesem Thema abzielt. Und das erste Paket an Wissenschaftspakten haben wir ja schon im November 2018 mit den Ländern beschlossen, wobei die Fachhochschulen besonders im Zentrum standen. Das zweite Paket folgt im Mai 2019. Dann erneuern wir den Hochschulpakt, den Pakt für Forschung und Innovation und den Qualitätspakt Lehre. 

 

Klingt eindrucksvoll. Zeigt aber auch, wieviel liegen geblieben ist in den vergangenen anderthalb Jahren.

 

Vieles ist in der Pipeline, vieles ist aber auch in Kürze spruchreif. Beim BAföG etwa haben wir den Plan, dass die neuen Regeln und Fördersätze schon im kommenden Herbst 2019 in Kraft treten. Zum Glück haben wir für die Reform eine Menge Geld zur Verfügung: eine Milliarde Euro. 

 

Ihre Vorgängerin Johanna Wanka hat nach der letzten, lange aufgeschobenen BAföG-Erhöhung 2016 argumentative Verrenkungen unternommen, um zu erklären, warum diese nicht die erwünschten Wirkungen zeitigte. Tatsächlich ging die Zahl der Geförderten auch 2016 zurück. Sagen Sie jetzt deutlicher: Das war nix?

 

Ich glaube sehr wohl, dass die letzte Reform gewirkt hat. Die wirklich Bedürftigen hat das BAföG immer erreicht. Ich glaube aber auch, dass allein das nicht mehr reicht. Wir wollen mit unserer Politik wieder in die Mitte der Gesellschaft hinein. Es ist gut, dass die Konjunktur die Einkommen hat steigen lassen, aber daraus folgt auch, dass wir beim BAföG mehr tun müssen, denn die Gehälter vieler Eltern haben die Fördergrenzen überschritten. In anderer Hinsicht hat sich die Situation zuletzt merklich verschärft. In vielen Städten ist Wohnraum inzwischen so teuer, dass sehr viele Studierende das Nachsehen haben. >>


Das Interview mit Anja Karliczek fand vor der aktuellen Zuspitzung um Grundgesetz-Änderung und Digitalpakt statt. Die Berichterstattung dazu finden Sie hier


>> Und was tun Sie dagegen?

 

Wir erhöhen die Wohnraumpauschale noch einmal kräftig. Das wird Zeit. 

 

Anders formuliert: Das hat die Regierung verschlafen?

 

Das sehe ich anders. Vor zwei Jahren haben wir das BAföG bereits deutlich erhöht, 2017 war das erste volle Jahr mit den neuen Sätzen. Erst im Sommer 2018 konnten wir uns die Wirkung in der Statistik anschauen. Und wir sehen jetzt: Wir müssen nochmal nachlegen. Eine weitreichende politische Entscheidung hat immer einen Vorlauf. Im Frühjahr, ich war gerade eine Woche im Amt, forderte die Opposition im Bundestag: Die BAföG-Reform muss kommen, sofort. Ja, aber ohne verlässliche aktuelle Daten weiß ich doch gar nicht, an welchen Schrauben ich vernünftigerweise drehen muss. Jetzt weiß ich das. Wir machen eine Kombination aus höheren Freibeträgen beim Einkommen, höheren Bedarfssätzen und einer deutlich gestiegenen Wohnraumpauschale. 

 

Mehr Geld, aber sonst bleibt alles, wie es ist? Es gibt seit vielen Jahren Konzepte, wie das BAföG grundsätzlich neu aufgestellt werden könnte, inklusive einer elternunabhängigen Komponente für alle. Warum sind Sie nicht mutiger?

 

Ich glaube, dass die Strukturen beim BAföG so, wie sie sind, schon sehr ausgefeilt sind. Das mit hat nichts mit mangelndem Mut zu tun. Wir nehmen sehr wohl grundsätzliche Änderungen in unserem Gesamtsystem von Finanzierungsinstrumenten vor, indem wir zum Beispiel das Aufstiegs-BAföG, das frühere Meister-BAföG, endlich gleichstellen mit der Ausbildungsförderung für die Studierenden. Wenn wir es ernst meinen mit der Gleichwertigkeit der unterschiedlichen Bildungswege, den akademischen wie den nicht-akademischen, dann brauchen wir auch eine Gleichwertigkeit bei der Finanzierung. Das ist für mich im Moment ein viel entscheidenderer Punkt, als wenn wir jetzt das gesamte Fördersystem im BAföG umreißen würden. 

 

"Oft sind es die kleinen Stellschrauben,
an denen das Drehen lohnt."

 

Reißt die Politik normalerweise zu viel um?

 

Wir haben in unserem Land viele gut funktionierende Systeme. Wenn man wirklich etwas besser machen will, sind es meines Erachtens oft die kleinen Stellschrauben, an denen das Drehen lohnt. Aber das regelmäßig, immer wieder. 

 

Sie haben das Thema Gleichwertigkeit der Bildungswege angesprochen. Das tun Sie eigentlich immer. 

 

Weil das für mich ein großer Schwerpunkt ist. Wir müssen die gedachten Gegensätze zwischen beruflicher und akademischer Bildung überwinden. Dafür eignet sich der Weiterbildungssektor besonders gut. Dort lassen sich die Bereiche zusammenführen. 

 

Was bedeutet das konkret?

 

Die Weiterbildung wird sich modularisieren, das heißt, in jeder Lebensphase werde ich passende Lerneinheiten in unterschiedlicher Größe finden, die mir praktisch weiterhelfen. Beruflich, aber auch persönlich. Das ist die Idee des lebensbegleitenden Lernens, die Individualisierung der Weiterbildung: Ich suche mir von unterschiedlichen Anbietern und Institutionen die Inhalte, die am besten zu meinen Bedürfnissen passen. Und viele dieser Weiterbildungsmodule könnten künftig auch von den Hochschulen kommen. Bislang kann aber niemand sagen, wie genau sich unser Bildungssystem verändert. Darum brauchen wir neue Konzepte, ganz neue Ansätze, und nach denen suchen wir im Moment. 

 

Sind Sie als Bundesregierung da überhaupt im Fahrersitz? Die Hochschulen sind zu allererst Ländersache, ihre Einbeziehung in die berufliche Weiterbildung wäre es auch.

 

Einer muss aber den Anstoß geben. Indem wir zum Beispiel das duale Studium zwischen Hochschule und Betrieb weiter stärken. Viele Berufe verändern sich rasant, diese Dynamik erfordert neue Schnittstellen mit der Wissenschaft. Dazu gibt es bereits hochinteressante Ideen, gerade in den MINT-Fächern. Als Politik können wir solche Ansätze verstärken und uns gleichzeitig Gedanken über eine mögliche Zertifizierung der neuen Angebote machen. Wer nach Gelegenheiten zur Weiterbildung sucht, dem hilft ein Gütesiegel, das ihm oder ihr sagt: Hier ist wirklich die Qualität drin, die versprochen wird. 

 

Wie wird der Wettbewerb aussehen, von dem Sie da sprechen? 

 

Die Koalition hat in Ihrem Vertrag eine nationale Weiterbildungsstrategie angekündigt. Dazu wollen wir einen Wettbewerb für innovative Konzepte ausschreiben. Und wie genau wir diesen gestalten, dazu werden wir mit allen reden: mit den Sozialpartnern, mit den Handels- und Handwerkskammern, mit der Allianz für Weiterbildung. Klar ist schon jetzt: Wir wollen, dass sich auch die Hochschulen mit den Unternehmen zusammentun und gemeinsam Weiterbildungskonzepte entwickeln. Es geht um eine Verzahnung der Systeme. Entsprechend offen muss die Ausschreibung formuliert sein. Berufsschulen müssen sich genauso bewerben können wie die Kammern, die Fachhochschulen und Universitäten. Die besten Antragsskizzen werden dann von uns die Finanzierung erhalten, ihre Ideen umzusetzen. Es geht darum, Prototypen zum Nachahmen zu erzeugen. 

 

Warum betonen Sie das mit der offenen Ausschreibung so?

 

Wir wissen: Die KI wird sich in allen möglichen Branchen niederschlagen, aber jeweils sehr unterschiedlich. Wir wissen noch nicht wirklich, was das für die Geschäftsmodelle und für die Arbeitsplätze bedeutet. Welche Kompetenzen künftig einzelne Mitarbeiter brauchen werden. Wir können da immer nur auf Sicht fahren, und die Veränderungen sind so rasant, dass die Weiterbildungsangebote wahrscheinlich ständig neu aufgelegt werden müssen. Immer wieder müssen andere Module entstehen und neu kombiniert werden. Und diese Dynamik müssen wir schon mit der Offenheit unserer Ausschreibung abbilden. 

 

"Eine Altersgrenze von 30 Jahren 

beim BAföG ist ausreichend."

 

Wann soll es losgehen, wieviel Geld wird es für den Wettbewerb geben? 

 

Die Förderbekanntmachung wollen wir noch in diesem Jahr veröffentlichen. Der Wettbewerb wird sich in zwei Phasen gliedern: Konzeption und Umsetzung. Zunächst geht es darum, Ideenskizzen zu erarbeiten. Diese Skizzen sollen bis Ende des Frühjahrs 2019 vorliegen und werden dann gemeinsam mit einer Expertenjury bewertet. Im Sommer soll dann die Konzeptphase beginnen, in der die umsetzungsreife Erarbeitung eines konkreten Projekts in einer Höchstdauer von sechs Monaten und bis zu 100.000 Euro gefördert wird. Im Frühsommer 2020 soll es dann mit der Umsetzung der ausgewählten Projekte losgehen. Insgesamt planen wir für den Innovationswettbewerb für die berufliche Bildung zurzeit fünf Millionen Euro im Jahr 2019 und von 2020 bis 2022 jeweils 20 Millionen Euro im Jahr ein. Von diesem Wettbewerb verspreche ich mir spannende Impulse für die berufliche Bildung von morgen und übermorgen! 

 

So dynamisch, wie Sie die beruflichen Anforderungen zur Zukunft beschreiben, soll sich also auch das Angebot an Weiterbildung entwickeln. Umso mehr wundert, wie wenig dynamisch Sie an die Ausbildungsförderung herangehen.

 

Das stimmt doch nicht. Genau deshalb will ich doch das berufliche und akademische BAföG gleichwertig gestalten. Und dafür geben wir viel Geld aus. Die bereits erwähnte Milliarde, um Schüler und Studierende zu unterstützen, und 350 Millionen auf Bundesseite für das Aufstiegs-BAföG.

 

Aber was ist mit den Altersgrenzen für Studierende? Widersprechen die nicht längst der Lebenswirklichkeit? 

 

Das finde ich nicht. Mit dem klassischen BAföG fördern wir die Erstausbildung von der weiterführenden Schule bis zum Hochschulstudium, und dafür ist eine Altersgrenze von 30 Jahren ausreichend. Da sollten wir auch ruhig konsequent bleiben. Die Menschen erwarten Regeln, die sie als fair und transparent empfinden. Und die müssen dann auch von allen eingehalten werden. Um das auch mal klar zu sagen: Wenn der Staat die Erstausbildung unterstützt, dann können wir von den Empfängern auch erwarten, dass sie bis 30 auch die gewünschte Ausbildung begonnen haben. Beim Aufstiegs-BAföG für Meister, Erzieher oder Fachwirte ist die Situation eine andere. Hier geht es um Fortbildungen. Diese Förderung sollte man in Anspruch nehmen können, wann immer man sie braucht. Da ist es in der Tat entscheidend, dass es keine feste Altersgrenze gibt. 

 

Das Problem für Berufstätige ist ja oft auch gar nicht nur die Finanzierung der Weiterbildung, sondern der damit einhergehende Verdienstausfall.

 

Weswegen die erwähnte Modularisierung so wichtig ist. Wenn Menschen ein gutes Einkommen haben, gewöhnen sie sich daran. Und dann hilft es ungemein, wenn sie sich gar nicht zwischen Arbeit und einem Studium entscheiden müssen. Sondern wenn sie beides kombinieren können in Form einer modularisierten Weiterbildung und auch so zu einem Abschluss kommen. Auch das halte ich künftig für entscheidend: dass wir möglichst viele Leute möglichst lückenlos im Arbeitsleben halten, weil sich das Arbeitsleben so schnell verändert, dass man nach einem Ausstieg möglicherweise den Einstieg nicht mehr findet. Gerade wenn man schon älter ist. In skandinavischen Ländern ist die Weiterbildung in Teilzeit schon heute ziemlich normal. 

 

"Wenn 50 Prozent eines Jahrgangs an die Hochschulen gehen, können nicht 50 Prozent Forscher werden."

 

So lange, wie wir jetzt schon über berufliche Bildung und Weiterbildung reden, wird es wieder Kritiker geben, die sagen: "Typisch Anja Karliczek. Bei der geht es immer nur um Verwertung. Ein ganzheitliches Verständnis von Bildung um ihrer selbst willen geht ihr ab." Was antworten Sie?

 

Dass wir nicht immer in Schubladen denken dürfen. Das eine widerspricht dem anderen doch gar nicht. Natürlich brauchen wir Leute, die nach dem Studium an den Universitäten und Forschungseinrichtungen bleiben, die sich dort der Wissenschaft widmen. Aber wenn ich 50 Prozent eines Jahrgangs an die Hochschulen bringe, können nicht 50 Prozent Forscher und Entwickler werden. Darum ist das Ziel guter Hochschullehre doch überhaupt wieder so stark in den Fokus gerückt. Ein Großteil der Studierenden wird am Ende in Unternehmen arbeiten, und auch darauf müssen die Hochschulen sie vorbereiten. Deswegen: Es geht nicht um ein Entweder-Oder. Es geht um ein Sowohl-Als auch.

 

Sie sprechen die über 50 Prozent Studienanfänger an. Oft werden die rhetorisch gegen die zu geringe Zahl von Auszubildenden ausgespielt, als ob wir eine Akademikerschwemme hätten. Müssten wir nicht über das eigentliche Problem unseres Bildungssystems reden, die 20 Prozent, die laut Nationalem Bildungsbericht ohne jeden Bildungsabschluss bleiben?

 

Auch das gehört zu der grundlegenden Veränderung, die unsere Gesellschaft durchlebt. Schon heute ist es so, dass Sie ohne Schulabschluss ein viel höheres Risiko haben, arbeitslos zu werden. Und je technologiebasierter die Arbeitswelt wird, desto größer wird auch das Problem. Zuletzt hat auch die gute Wirtschaftslage manchen jungen Menschen ohne Schulabschluss zu einem Ausbildungsplatz verholfen. Aber sobald die Konjunktur abkühlt, droht das zu kippen. 

 

Dafür, dass Sie die Lage so dramatisch beschreiben, ignoriert die Bildungspolitik das Thema erstaunlich konsequent. Warum? Weil das Problem schon Jahrzehnte alt ist und bisher nie gelungen ist, die Gruppe der Abgehängten nennenswert zu verkleinern? 

 

Die Vielfalt in den Schulklassen und Schulen macht es für die Lehrkräfte zu einer riesigen Herausforderung, auf jeden Schüler angemessen einzugehen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass uns da die Digitalisierung hilft. Dass die digitalen Lehr- und Lernmethoden gerade denen, die leichter lernen, ein Stückweit ermöglichen, sich selbstbestimmt weiterzuentwickeln. Was den Pädagogen wiederum mehr Zeit gibt, sich um die lernschwächeren Schüler zu kümmern. Aber wir dürfen nicht so tun, als ob das Problem damit erledigt wäre. Bei Kindern und Jugendlichen, die von zu Hause nie eine Einstellung zum Lernen mitbekommen haben, da muss Schule sehr subtil und kleinteilig anfangen. Bildungsforscher sagen uns, dass der Ganztagsunterricht hilft. Aber sie sagen auch, dass Ganztag nur hilft, wenn er mehr Förderung bedeutet und nicht bloß Betreuung.

 

Weshalb die meisten Bildungsforscher einen gebundenen Ganztag bevorzugen – mit über den ganzen Tag verteilten Unterrichtseinheiten und Entspannungsphasen, die sich abwechseln.

 

Das ist es nicht, was ich meine. Die Frage ist: Schaffen wir es, den Ganztag dafür zu nutzen, dass wir die Kinder wirklich anders und besser fördern? Dafür brauchen wir dann aber auch die Lehrer. Womit wir bei der nächsten Herausforderung angelangt sind. Wir müssen den Lehrermangel in den Griff bekommen. Wir drohen doch schon wieder in den nächsten Schweinezyklus hineinzulaufen.

 

Kann der Bund den Ländern dabei helfen?

 

Mein Wunsch ist, das gemeinsam mit den Ländern zum Thema zu machen. Die Lage ist ja auch von Land zu Land sehr unterschiedlich. In Hessen etwa haben wir eine Versorgungsquote von über 100 Prozent, anderswo ist der Mangel gewaltig. Wir sprechen also auch von einer besseren Verteilung zwischen den Ländern. Und auch zwischen Lehramtsfächern: In meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen zum Beispiel kämpft die Schulministerin Yvonne Gebauer damit, dass sie auf der einen Seite zu viele Lehrer für die Oberstufe hat und zu wenige für die Grundschule. Das alles erinnert mich an den Ärztemangel. Wie ist der entstanden? Durch die ungleiche Verteilung zwischen Stadt und Land oder durch zu geringe Kapazitäten an den Universitäten, durch zu wenig Studienplätze?

 

Am Ende ist es beides.

 

Exakt. Und darum brauchen wir solide Zahlen, und wenn wir uns mit denen auseinandergesetzt haben, werden wir das auf die Tagesordnung bringen. Der demografische Umbruch gerade in den pädagogischen Berufen ist enorm schnell. Immer mehr Grundschullehrer arbeiten in Teilzeit. Ähnlich ist bei den Kitaerzieherinnen. Auch das sind zu einem guten Teil jüngere Frauen, die zeitweise aus dem Beruf gehen, wenn sie Mütter werden. Und dann oft nur in Teilzeit zurückkehren. 

 

"Warten Sie mal ab. Ich kann 

sehr entschieden bitten."

 

Was bedeutet das für die Bildungseinrichtungen?

 

Der Anspruch, die Lebensplanung der Mitarbeiter mit den Erwartungen der Eltern und den Bedürfnissen der Kinder zusammenzubringen, ist immer schwerer einzulösen. Damit müssen wir uns auseinandersetzen und Antworten finden. 

 

Derzeit diskutiert die Hochschulpolitik von Bund und Ländern kein Thema so intensiv wie die Neuauflage des Hochschulpakts. Gleichzeitig steigen für die Studierenden die Mieten, es gibt zu wenige Wohnheimplätze, die Mensen platzen aus den Nähten. Wann reden Bund und Länder endlich auch über einen Hochschulsozialpakt?

 

Wir erhöhen nicht nur die Wohnpauschale beim BAföG, sondern ich habe auch einen Brief an Horst Seehofer geschrieben, dass er als zuständiger Minister im geplanten Paket zum sozialen Wohnungsbau den Bau von Studentenwohnheimen mit fördert. Das würde nicht nur den Studierenden Entlastung bringen, sondern den Städten insgesamt, weil gerade die kleinen Wohnungen, die vielfach von Studenten bewohnt werden, rar sind. Aber es ist seine Zuständigkeit, ich kann ihn nur freundlich darum bitten. 

 

Einfach nett bitten? Ist das nicht ein bisschen wenig?

 

Warten Sie mal ab. Ich kann sehr entschieden bitten. 

 

Aber warum unternehmen Sie nicht selbst etwas, anstatt ein anderes Ministerium zu zeigen?

 

Weil das genau das ist, was wir nicht machen dürfen. Als Bundesministerium für Bildung und Forschung sind wir für Exzellenz in der Forschung zuständig, wir wollen die Qualität in der Lehre fördern. Wir sind weder das Bau- noch das Sozialministerium, es wäre ein Fehler, die Verantwortlichkeiten zwischen den Ressorts weiter zu verwischen. Die Menschen müssen wissen, wer wofür zuständig ist.

 

Bis 2006 waren Ihr Ministerium  aber zumindest für den Hochschulbau zuständig. Nicht für Wohnheime, aber Mensen und Cafeterien wurden sehr wohl gefördert. 

 

Und es wäre nicht sinnvoll, zu der Zeit vor 2006 zurückzukehren. Wir haben die Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern entflochten, und ich bin ein großer Fan des Grundsatzes, dann die zugewiesenen Verantwortlichkeiten auch von den richtigen Stellen einzufordern. Das ist doch genau einer der Vorwürfe, die wir zu hören bekommen: Dass keiner mehr erkennen kann, welche Ebene wofür zuständig ist. Dadurch steigen die Heilserwartungen an den Bund. Der Bund kann nicht alle Probleme lösen. Ein zentralistisches Staatswesen liefert keine besseren Ergebnisse. Das ist für mich keine sinnvolle Alternative.

 

Sie glauben an den Föderalismus?

 

Ich glaube daran, dass mehr Zuständigkeiten für den Bund gerade in der Bildungspolitik nicht automatisch zu schnellerem Handeln führen, weil wir viel weiter weg sind vom Geschehen. Wir können nicht so zielgenau handeln. Als Bund sind wir für die Grundlagenförderung in der Forschung zuständig, wir können in anderen Bereichen Anstöße geben. Aber wir können nicht die so unterschiedlichen Bildungsprobleme in Deutschland mit einheitlichen Mitteln lösen. 

 

"Mein Ziel ist, dass die Kommunikation des eigenen Forschungsthemas von Anfang an mitgedacht wird."

 

Sie haben eben von einer ureigenen Zuständigkeit des Bundes gesprochen, der Forschungsförderung. In einer Rede haben Sie neulich angekündigt, die Rolle der Wissenschaftskommunikation bei der Forschungsförderung stärker als bislang zu berücksichtigen. Was genau haben Sie vor?

 

Mein Ziel ist, dass die Kommunikation des eigenen Forschungsthemas von Anfang an mitgedacht wird. Auch das müssen Wissenschaftler lernen: wie sie ihr Thema geeignet nach außen tragen. Das wird nicht nur gelingen, wenn wir früher damit anfangen. Schon Studierende, die sich für eine akademische Laufbahn interessieren, müssen wissen: Die Wissenschaftskommunikation gehört wie selbstverständlich zu ihren Aufgaben, sie müssen da hineinwachsen. Welche Förderung geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen, darüber diskutieren wir gerade. Neulich erst habe ich dazu einen spannenden Workshop mit Journalisten, Kommunikationsexperten und Wissenschaftlern gehabt. Eine Botschaft ist mir dabei besonders wichtig: Es geht ganz klar nicht um PR, nicht um Forschungsmarketing.

 

Sondern?

 

Mein Eindruck ist, dass wir das gegenseitige Vertrauen von Wissenschaft und Politik wieder stärken müssen. Um als Politiker gute Entscheidungen treffen zu können, brauchen wir die Beratung der evidenzbasierten Wissenschaft. Natürlich müssen wir einerseits dafür werben, dass die Politik Schritte auf die Wissenschaft zumacht. Aber umgekehrt muss die Wissenschaft größere Anstrengungen unternehmen, ihre Ergebnisse angemessen in den politischen und gesellschaftlichen Raum hinein zu vermitteln.

 

Geht das konkreter? Johannes Vogel, der Chef des Berliner Museums für Naturkunde, fordert, einen Anteil aller Fördergelder verpflichtend für die Wissenschaftskommunikation zu reservieren.

 

Ja, aber ist das wirklich eine gute Idee? Ich glaube, Zwang ist nicht der Weg. Hier ganz sicher nicht, auch sonst fast nie. Warum versuchen wir es nicht mit einem System, das ermuntert und zum Beispiel auch den Journalismus ins Boot holt? In Köln gibt es das Science Media Center, betrieben von Wissenschaftsjournalisten, das anderen Journalisten bei der inhaltlichen Orientierung hilft. Das ist doch spannend. Es wird nicht gelingen, dass künftig jeder ein Kommunikationsmeister ist, aber zusammen mit Kommunikationsprofis können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler allein oder in Teams sehr wohl mit der Gesellschaft ins Gespräch kommen. Aber jeder sollte sich an jemanden wenden können, der es ist. Aber das sind erstmal meine Überlegungen. Warten wir ab, was der Austausch mit der Szene ergibt.

 

Also werden wir noch ein Bundesprogramm Wissenschaftskommunikation bekommen?

 

Warten Sie es ab. Lassen Sie uns darüber sprechen, wenn die Ideen einen gewissen Reifegrad erreicht haben.


Dieses Interview erschien zuerst im DSW Journal des Deutschen Studentenwerks. Die Fragen stellte ich zusammen mit Achim Meyer auf der Heyde.

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Kommentare: 1
  • #1

    Edith Riedel (Dienstag, 11 Dezember 2018 20:09)

    Die Forschungs- und Wissenschaftsfeindlichkeit, die diese Ministerin atmet, ist atemberaubend. Ja, es gibt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, deren Forschungsgebiete für den Großteil der Bevölkerung nicht nachvollziehbar sind (und sich auch nicht nachvollziehbar machen lassen). Das kann man nicht weg-wissenschaftskommunizieren. Bitte lasst diese Menschen forschen! And on a second note: das Science Media Center ist eine wunderbare, gut etablierte Einrichtung. Wer es "spannend" findet, hat davon wohl vor zwei Wochen zum ersten Mal gehört?