Die Hochschulen klagen über einen milliardenschweren Sanierungsstau. Doch der hat nicht nur mit fehlendem Geld zu tun. Ein Gastbeitrag von Jana Stibbe.
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AUF DEN ERSTEN BLICK scheint es vor Bauprojekten an den Hochschulen nur so zu wimmeln. Ständig werden Grundsteinlegungen und die Eröffnung neuer Hochschulgebäude von den Wissenschaftsministerien gefeiert. Wie passt dazu, dass die Hochschulkanzler*innen der Universitäten auf ihrer Jahrestagung im September den Abbau des Sanierungsstaus gefordert haben?
Ganz einfach: Der Neubau von Forschungsgebäuden, um den es sich bei den Jubel-Meldungen meist handelt, kann eben nicht den Verfall bestehender Hochschulgebäude verhindern. Er deckt nur den steigenden Bedarf, der dadurch entsteht, dass an den Hochschulen immer mehr geforscht wird.
Aus meiner Sicht gibt es zwei Gründe, warum sich die Bausubstanz gerade an den Hochschulen so problematisch entwickelt hat. Der erste sind unklare Regelungen und die Verteilung der Zuständigkeiten, was den Bau, Unterhalt und die Finanzierung von Hochschulgebäuden betrifft. Weniger freundlich könnte man von einer ungeeigneten Aufgabenverteilung sprechen.
Der zweite Grund: Die Politik hat in ihrer Finanzplanung nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Anforderungen an Hochschulbauten sich von denen an andere öffentliche Gebäude unterscheiden. Und sie hat dabei auch die tatsächliche Lebensdauer der Bauten überschätzt.
Wer ist wofür zuständig, und welche Konsequenzen hat die Kompetenzverteilung?
Es mag manchen überraschen: Wenn es um den Bau von und in Hochschulgebäuden geht, haben die meisten Hochschulen wenig zu sagen. Der Boden und das, was darauf steht, die sogenannten Liegenschaften, befinden sich zum größten Teil im Eigentum der Länder. Vertreten werden sie meist durch die sogenannten Landesbau- und Liegenschaftsbetriebe, die auch als Bauherren agieren. Nur in Bremen haben ausschließlich die Hochschulen die sogenannte Eigentümer- und Bauherrenfunktion für die von ihnen genutzten Liegenschaften.
Jana Stibbe ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim HIS-Institut für Hochschulentwicklung e. V. in Hannover.
Allerdings gilt das so allein für das Bauen. Schon wieder anders sieht es beim Gebäudemanagement, bei der Instandsetzung und beim täglichen Betrieb aus. Diese Aufgaben übernehmen in den meisten Bundesländern die Hochschulen. Und genau hier zeigt sich eines der wesentlichen Probleme: Eine Abgrenzung zwischen den Aufgaben der Hochschulen (Gebäudemanagement) und denen der Landesbaubetriebe (das Bauen) gestaltet sich in vielen Fällen schwierig. Soll heißen: Es gibt Aufgaben, für die sich unter Umständen keiner zuständig fühlt.
Hinzu kommt, dass es keine einheitliche Aufgabenverteilung für die Hochschulliegenschaften bundesweit gibt. Sie unterscheidet sich je nach Bundesland und zudem auch innerhalb von Bundesländern.
Das reicht von der Zuständigkeit für alle liegenschaftsbezogenen Aufgaben zum Beispiel der Stiftungshochschulen Niedersachsens bis zur Beschränkung auf das Warten und Bedienen von technischen Anlagen durch die Hochschulen in Sachsen. Unterschiede bei der Aufgabenverteilung entstehen auch aufgrund der Hochschulart innerhalb der Länder. Die Universitäten erhalten oft mehr Aufgaben als zum Beispiel die Fachhochschulen. Diese Vielfalt zeigt, dass keine klare Abgrenzung zwischen dem Bau und dem Betrieb möglich ist. Die sogenannte Betreiberverantwortung kann unter diesen Umständen vom größten Teil der Hochschulen nicht ausreichend erfüllt werden. Und schon gar nicht ohne angemessenes Budget.
Verdeutlichen wir all das an einem Beispiel: Man stelle sich eine große Universität mit den von ihr genutzten Grundstücken und Gebäuden vor. Das Land überträgt seinem Bau- und Liegenschaftsbetrieb die Aufgabe, es als Eigentümer und Bauherr zu vertreten. Wie alle Eigentümer will auch das Land wissen, was genau es eigentlich besitzt. Es will für alle seine Gebäude Genehmigungspläne und aktuelle Baupläne haben. Es möchte seine Gebäude kennen und entscheiden, was aktuell gebaut oder verändert wird. Ein Eigentümer ist für die Sicherheit von Mensch und Umwelt in der Umgebung der Gebäude verantwortlich, und wenn er das Gebäude nicht selbst nutzt, möchte er natürlich zufriedene Nutzer*innen haben.
Nun sind Hochschulliegenschaften nicht irgendwelche Mietwohnungen. Es handelt sich um Spezialimmobilien mit besonderen Anforderungen. Die Gebäude sind zum Teil technisch extrem hochgerüstet, einige Hochschulen verfügen zudem über enorm große Nutzflächen (bis zu 400.000 Quadratmeter). Darum kann der Eigentümer, also das Land, und der das Land vertretende Bau- und Liegenschaftsbetrieb, nicht alles selbst überschauen. Womit die Hochschule ins Spiel kommt und ebenfalls Eigentümeraufgaben erhält: Sie ist es, die die Sicherheit für Mensch und Umwelt gewährleisten soll; sie soll dafür sorgen, dass dafür notwendige Baumaßnahmen angestoßen werden. Aber wie genau kann sie das? Und wo enden ihre Zuständigkeiten?
Die Unklarheiten reichen bis zur Frage, wer nun eigentlich den Bauzustand erfasst. Ebenfalls des Öfteren strittig ist, wer die Behebung von Schäden veranlasst, und schließlich gibt es vielerorts Diskussionen darüber, wer die am Bestand durchgeführten Baumaßnahmen dokumentiert und archiviert.
Der Bau- und Liegenschaftsbetrieb und die Hochschule sind beide irgendwie zuständig, aber keine der beiden Seiten ist der jeweils anderen Seite gegenüber weisungsbefugt, sodass die entsprechende Aufgabe auch nicht vom Gegenüber eingefordert werden kann. So besteht die Gefahr, dass keine der beiden Seiten sie erledigt. Die Hochschule schon deshalb nicht, weil sie unter Umständen gar nicht das erforderliche Budget dafür hat.
Ein weiteres Problem schließt sich an, wenn tatsächlich einmal eine Baumaßnahme beschlossen worden ist. Die Hochschulen betreuen und pflegen zwar die Gebäude nach Erstellung oder Sanierung bis zu ihrem Abriss: sozusagen ein Leben lang. Doch auch wenn das die Hochschulen eigentlich zu DEN Experten macht, was die Nutzung und den Betrieb und die Anforderungen daran angeht: In der Regel werden sie beim Planungs- und Bauprozess überhaupt nicht gefragt, zumindest gibt es meist keine geregelte Beteiligung der Hochschulen. Sie sind daher angewiesen auf das Talent und den Willen in den Landesbaubetrieben, die von ihnen beschriebenen Notwendigkeiten an die Planer und Baufirmen "durchzudolmetschen" –eben weil die Hochschulen in vielen Fällen gar nicht direkt mit ihnen kommunizieren können. Das gelingt mal besser, mal schlechter.
Häufig werden den Hochschulen dann mangelhafte neue oder sanierte Gebäude überlassen. Und weil die Hochschulen nicht Vertragspartner von Planern und Baufirmen sind, können sie die Mängelbeseitigung nicht direkt anweisen.
An anderer Stelle sitzen Hochschulen und Liegenschaftsbetriebe wiederum im gleichen Boot. Sie müssen auf die Entscheidungskompetenz der übergeordneten Ressorts und der Landesparlamente vertrauen, wenn es um Fragen der Finanzierung und der Priorisierung der erforderlichen Baumaßnahmen geht. Womit auch Ministerien und Parlamente einen Teil der Verantwortung dafür tragen, dass die nötigen Sanierungsmaßnahmen in gebührendem Tempo erfolgen und die nötigen Anforderungen an Bauqualität und Sicherheit erfüllen.
Natürlich steht die Parlamentshoheit bei der Finanzierung außer Frage, doch ist zu konstatieren, dass die gegenwärtige Verteilung der Aufgaben und Entscheidungsbefugnisse nicht dazu geeignet sind, den Abbau des Sanierungsstaus zu forcieren und die Hochschulen in die Lage zu versetzen, ihre staatlichen und eigenen Aufgaben bestmöglich zu erfüllen. Wenn das Prinzip der Aufgabenverteilung auf mehrere Einrichtungen und Ebenen beibehalten werden soll, ist eine gründliche Überarbeitung erforderlich – und die stimmige Beschreibung von Rollen und Zuständigkeiten. Bei dieser Überarbeitung sollten dringend die Hochschulen gefragt werden.
Das Problem der Finanzplanung
Wenn schon die Anforderungen an Hochschulgebäude ganz besondere sind und einem dynamischen Wandel unterliegen, dann müsste die Finanzplanung der Länder darauf eigentlich reagieren. Doch das tut sie bislang nicht oder nur unzureichend. Ein Kernproblem ist die gängige Haushaltspraxis, Sanierungsmaßnahmen einzeln zu veranschlagen – jeweils in Abhängigkeit der jährlich begrenzten Mittel. Anders gesagt: Es wird nur dann etwas gemacht, wenn gerade Geld dafür da ist. Dabei würde schon der Bestandserhalt einen verlässlichen Mittelstrom erfordern – Investitionssummen, die planbar sind und abhängig von der Menge an Hochschulgebäuden und ihrem Zustand jedes Jahr wiederkehren.
Es geht also um eine jährliche Investitionsplanung auf der Basis der Bestandsflächen, die unabhängig von den Einzelmaßnahmen ist. Nur diese sollte das Parlament beschließen und die Priorisierung der Baumaßnahmen im Bestand den Bau- und Liegenschaftsbetrieben oder direkt den Hochschulen überlassen. So wäre die Parlamentshoheit gesichert, und die jährlichen Summen könnten entsprechend dem Wachstum oder dem Abbau der Nutzflächen angepasst werden. Dieses Prinzip der "langfristigen (Re)Investitionsplanung für Hochschulliegenschaften" ist keine abstrakte, realitätsfremde Idee, sondern wird so bereits unter anderem von Hessen und Schleswig-Holstein praktiziert.
Vertiefende Informationen zu diesem Thema und eine detailliertere Darstellung zur Rollenverteilung finden sich in der Online-Publikation HIS-HE:Medium 1|2018.
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Steffen Prowe (Dienstag, 11 Dezember 2018)
Danke für die diese umfassende, sehr gut reflektierende Darstellung der Friktionen Bau/Hochschulen!!
In der Tat erlebt man bei lange notwendigen und dann endlich bewilligten Neubauten genau den Spagat, dass die Hochschulen -wenn sie in den Planungsprozess über die Abfragen zu inhaltlichen Bedarfe sogar involviert werden, was sehr positiv ist!- dann dennoch vor dem Dilemma stehen, dass seitens der Bauträger plötzlich diese Bedarfe infrage gestellt werden. Auch Finanzierungen werden so gekürzt, dass zT noch nicht einmal aktuell notwendige Bedarfe in NEUBAUTEN (!!) adäquat gedeckt werden können.
Baumaßnahmen für die BILDUNG stellen stets langfristige Investitionen in die Zukunft der Leistungsfähigkeit der Bildungssysteme und damit auch des Landes/des Staates dar. Jedes finanzpolitisches und kurzsichtig handelndes Kürzen hat jahrzehntelange Auswirkungen. Wie man am Sanierungsbedarf sehen kann. Denn "schrottig" gebaut wird später teuer. Oder wer lange verrotten lässt, zahlt x-fach drauf.
Ich würde mir hier eine weitaus vertrauensvollere und kompetentere Zusammenarbeit wünschen, die beiden Seiten (Bauträger Land und Nutzer Hochschule) gerecht wird. Wer gemeinsam langfristig plant, kann auch die Nachhaltigkeit des Tuns steuern, kann Bewusstsein schaffen für die Investition, kann das "Ownership" für beide Seiten generieren helfen.
Leider erleben wir gerade bei uns nach guten, sehr konstruktiven Anfängen kurz vor Baubeschluss das Gegenteil. Das führt zu Frustration der Lehrenden, der zukünftigen Nutzer und Bildungs-Akteure also, und kann eine solche tolle Maßnahme Neubau an einer Hochschule nachhaltig beschädigen. Aber zuweilen sind ja kluge Landespolitiker*innen vorhanden, die dem die Türe weisen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Als Naturwissenschaftler ehedem nie.
Ulf Richter (Dienstag, 11 Dezember 2018 22:22)
Ein wirklich guter Beitrag, der die Realität leider zutreffend beschreibt. Es gibt zur Auflösung des Dilemmas nicht die eine Lösung im Sinne von one sizes fits all aber sicherlich einige gute Ansätze. In NRW soll es ein Optionsmodell geben. Auch das könnte ein Weg sein, das unstrittige Problem zu lindern, wenn die Politik den Mut hat, neue Wege zu gehen.