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Lieber Föderalismus, wie siehst DU denn aus?

Der Bund gewährt den Ländern in den nächsten zehn Jahren 140 Milliarden Euro zusätzlich. Und dann gibt es Streit wegen fünf Milliarden für den Digitalpakt? Das versteht doch keiner. Ein Brief an den Föderalismus von Daniela von Treuenfels.

Foto: Pixabay/The_BiG-LeBowsKi.

LIEBER FÖRDERALISMUS,

 

da bist du ja wieder. Die Leute reden über dich, als wärst du weg gewesen. Für mich hast du etwas von einem Teddybären: heiß geliebt und lange vergessen. Ein Leben ohne Teddybär ist möglich, aber sinnlos. Egal ob das Ohr abgekaut, das Bein amputiert oder der Schmodder festgewachsen ist. Ohne dich ist alles nichts.

Armin Laschet sah neulich aus, als hätte er dich irgendwo unterm Bett gefunden. Nicht zufällig beim Aufräumen. Nein, er hat nach dir gesucht, und das war wohl etwas anstrengend. Glücklich sah er nicht aus. Wie mag es einem gehen, der etwas von der Gefahr einer "Einheitsschule" knurrt. Und staatsmännisch hinterherschiebt, Schule lasse sich "föderal, ortsnah, nah bei den Menschen besser lösen als durch eine einheitliche Qualitätsvorgabe aus Berlin."

 

Nein, lieber Föderalismus, es gibt keinen Anlass in Ehrfurcht zu erstarren. Im Gegenteil, die Länderchefinnen und Länderchefs blamieren sich gerade bis auf die Knochen. Es geht um den sogenannten Digitalpakt für die Schulen. Fünf Milliarden Euro waren lange versprochen, um die Bildungseinrichtungen von der Steinzeit in die Zukunft zu katapultieren. Sie wenigstens mit der Gegenwart Schritt halten zu lassen. Breitbandanschlüsse, W-Lan, Endgeräte, dafür sollten die Milliarden verwendet werden. Aber der Deal zwischen dem Bund und den Ländern ist vorerst geplatzt.

 

Um die Gründe dafür zu erklären, muss man ein paar Jahre zurückschauen. 2015 brachte der Bundestag das Kommunalinvestitionsgesetz auf den Weg, mit 3,5 Milliarden Euro sollten so finanzschwache Kommunen unterstützt werden. Städte und Gemeinden konnten Straßen reparieren oder öffentliche Gebäude sanieren. Für allgemeinbildende Schulen durfte das Geld nicht verwendet werden – weil ja der Bund sich nicht in die Bildungshoheit der Länder einmischen darf. Zwei Jahre später gab es noch einmal 3,5 Milliarden Euro, diesmal nur für Schulsanierungen. Ein Novum, das als "Lockerung des Kooperationsverbotes" gefeiert wurde. Der Bund machte aber Vorgaben bei der Definition der "Finanzschwäche". Wie die Länder das Geld in der ersten Runde verteilt hatten, hatte den Bundespolitikern nicht so gut gefallen. Alle machten es anders und jeder machte es wie er wollte, immer mit dem Ziel, möglichst viele teilhaben zu lassen. Wie bunt und schräg es da zuging, habe ich ausführlich hier beschrieben.

 

Die Ministerpräsidenten bekamen schon einmal 
ihren Willen – jetzt müssen wir alle damit leben 

 

Eine wichtige Veränderung der Bund-Länder-Finanzen gab es 2017: Der Länderfinanzausgleich wurde reformiert. Finanzkraftausgleich heißt seitdem das Regelwerk, das Deutschland in sogenannte Geber- und Nehmerländer aufteilt. Komplizierte Berechnungsverfahren sollen dafür sorgen, dass die wirtschaftlich Starken die Finanzschwachen unterstützen. 

 

Die Reform wurde so umgesetzt, wie die Ministerpräsidenten der Länder das wünschten. In einer Studie hat Tobias Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft errechnet, wie viel Geld die Länder in Zukunft mehr erhalten: "Insgesamt überlässt der Bund in den Jahren von 2020 bis 2030 rund 140 Milliarden Euro seiner Einnahmen den Bundesländern", sagt Hentze. 

 

Der IW-Ökonom kritisiert das neue Modell als eines, das die Finanzkraftunterschiede zwischen den Ländern verstärke und den Bund "noch stärker in die Rolle des weißen Ritters" dränge. Die Finanzkraftunterschiede würden zwar weiter ausgeglichen, aber nicht so stark wie im bisherigen System. Hentze befürchtet sogar, dass die Lücke zwischen Geber- und Nehmerländern sich weiter vergrößert: "Denn die Geberländer haben mit der Reform größere Anreize, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern, da sie zusätzliche Einnahmen zu einem höheren Grad für sich behalten dürfen. Damit verfestigt sich bei den Nehmerländern das Dilemma, dass Steuermehreinnahmen durch eine Verbesserung der Standortbedingungen fast in gleicher Höhe mit einer Kürzung der Ausgleichszahlungen einhergehen. In der Folge wird die Rolle des Bundes manifestiert, durch weiter steigende Ergänzungszuweisungen die Finanzkraft der Nehmerländer abschließend anzuheben, so dass die Diskrepanzen zwischen arm und reich nicht zu groß ausfallen, insbesondere aber keine Anreize zu einer Korrektur der Ursachen aus eigener Anstrengung entstehen."

 

Geberländer – wie das finanzstarke Baden-Württemberg  profitieren durchweg von den höheren Umsatzsteuermitteln in Verbindung mit dem neuen Tarif des Finanzausgleichs, stellt die Studie weiter fest. Das ist besonders interessant, weil Südwest-Chef Winfried Kretschmann zur Verteilung der Digitalpakt-Mittel genau das vorschlägt. Der Bund könne den Ländern die fünf Milliarden Euro "ohne weiteres über die Umsatzsteuer geben", so Kretschmann in der Süddeutschen Zeitung . "Dann geht der Digitalpakt blitzschnell über die Bühne."

 

Kretschmann ist übrigens der einzige Ministerpräsident, der dich nicht erst unterm Bett suchen musste, lieber Föderalismus, denn er hat sich schon immer ganz fest an Dich gedrückt. Aber, lieber Föderalismus, hatte ich dich schon gefragt, warum dir ein Auge fehlt?

 

Kretschmanns Vorschlag ist gegenwärtig
nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren

 

"Kann man machen", sagt zu Kretschmanns Vorschlag ein Sprecher des Bundesrechnungshofes und verweist auf Artikel 106 des Grundgesetzes . "Die Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer sind neu festzusetzen, wenn sich das Verhältnis zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Länder wesentlich anders entwickelt." Das ist derzeit aber nicht gegeben, die Einnahmen in Bund und Ländern sprudeln gleichermaßen. Winfried Kretschmann macht also einen Vorschlag, der nach heutigem Stand rechtlich nicht möglich ist, und es spricht nichts dafür, dass ihm das nicht bewusst ist.

 

Der Bundesrechnungshof macht in der Debatte um Zuweisungen des Bundes an die Länder Vorschläge, die in Ländern und Kommunen als Zumutung empfunden werden. Am besten wäre es, grundsätzlich gar keine Finanzhilfen an die Länder zu geben, weil es nur dann klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten gebe, fasst der Sprecher zusammen. Zweitens: Wenn Finanzhilfen, dann müssten sie "zusätzlich" sein. Damit das Geld nicht einfach so in den Landeshaushalten versickert, fordert der Bundesrechnungshof mehr Kontrollrechte.

 

Es gibt einen gewaltigen Investitionsstau in Deutschland. Straßen, Schienen, Universitäten, öffentliche Gebäude: Vielerorts nagt der Rost, bröckelt der Putz, besteht Einsturzgefahr. Schulen sind laut einer Studie der KfW mit einem Gesamtbedarf von 47,7 Milliarden Euro besonders stark betroffen. Und da sind die Stadtstaaten gar nicht eingerechnet. Auch die Modernisierung durch Schaffung einer vernünftigen digitalen Infrastruktur und Ausstattung ist in dieser Rechnung noch gar nicht enthalten.

 

Beispiel Nordrhein-Westfalen, wo Armin Laschet Ministerpräsident ist: Das bevölkerungsreichste Bundesland gehört zu den Schlusslichtern in Sachen Schulbauinvestitionen. 90 Euro pro Schüler waren es 2016, Bayern gab in diesem Jahr 680 Euro pro Kopf aus – das 7,5-fache. Aktuell wendet sich ein Kölner Schüler mit einer Petition an die Öffentlichkeit: Mehr Investitionen in die digitale Ausstattung der Schulen sind das Ziel. Das ZDF schickte in der Adventszeit im Rahmen seiner Spendengala "Ein Herz für Kinder" ein Renovierungsteam in eine heruntergekommene Leipziger Schule . Das größte mir bekannte Sanierungsprojekt ist die Berufsschule in Augsburg  (ja, auch in Bayern gibt es viele kaputte Schulen), das Schulzentrum für 1600 Schüler muss für mehr als 100 Millionen Euro saniert werden. Tausende Beispiele gibt es im ganzen Land.

 

Die Länder haben so viel Geld – was spricht
dagegen, von ihnen mehr Engagement zu verlangen?

 

Es liegt nahe, diese Herausforderung als Gemeinschaftsaufgabe zu begreifen. Auch für den Digitalpakt ist allen bewusst, dass die fünf Milliarden nur ein bescheidener Anfang sein können; die Rechnung wird um ein Vielfaches höher ausfallen. Die Länder haben ab 2020 mehr Geld, rund zehn Milliarden Euro jährlich. Was spricht also dagegen, Bundeshilfen mit Mitteln aus dem eigenen Haushalt zu ergänzen? Der Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes sieht eine Beteiligung "in mindestens gleicher Höhe" vor. Der Bundesrechnungshof soll mehr Kontrollrechte erhalten.

 

Die Länder nehmen das Geld aus Berlin immer gern, lassen sich jedoch über die Verwendung nur ungern reinreden. Zum Beispiel bei den Mitteln für den sozialen Wohnungsbau. Eine halbe Milliarde Euro erhalten die Länder dafür pro Jahr vom Bund. Das Bundesbauministerium hat prüfen lassen , wie die Mittel von 2009 bis 2011 ausgegeben wurden: Wie die Rheinische Post berichtete, investierten Bayern, Hamburg und Nordrhein-Westfalen demnach kräftig, die meisten Bundesländer sehr wenig. Insgesamt ging die Zahl der fertiggestellten Sozialwohnungen sogar zurück. Die Mittel fließen weiter bis 2019 – ohne dass die Sanktionierung von Zweckentfremdung rechtlich möglich wäre. 

Nun ist Bildung Ländersache, da läuft das sicher ganz anders, denn die Bundespolitik hat ja keine Ahnung, Kultushoheit, Landeskinder… – Nein.

 

Seitdem über den Digitalpakt gesprochen wird, warten die Länder auf das Geld – und investieren nicht. Investitionen werden zurückgestellt, Mittel anderweitig verplant. So hat das auch Hans-Peter Meidinger, Chef des Lehrerverbandes, gesehen, als sich nach der Bundestagswahl im September 2017 die Regierungsbildung in die Länge zog. Kommunen und Bundesländer würden bei Schulsanierung und Digitalisierung auf der Bremse stehen. "Überfällige Investitionen werden in der Hoffnung auf Bundeszuschüsse verzögert anstatt vorgezogen – das ist ein Skandal!"

 

Auch das Bundesgeld für Schulsanierungen verpufft wirkungslos, hat Kai Eicker-Wolf vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) festgestellt. Im Juni 2018 veröffentlichte er mit seinem Kollegen Achim Truger eine Untersuchung zur Wirkung des Schulsanierungsprogrammes in Hessen. Das Fazit der beiden Ökonomen: Beide Programme des Kommunalen Investitionsgesetzes mit einem Volumen von insgesamt sieben Milliarden Euro haben kaum zu einer Belebung der kommunalen Investitionen geführt. 

 

Wer wirklich leidet, sind nicht
die Länder, sondern die Kommunen 

 

"Die nominale, also die nicht preisbereinigte Summe der kommunalen Investitionen in Hessen liegt im Jahr 2017 unter dem Wert des Jahres 2000", stellen die Forscher fest. Die Schulbauinvestitionen fielen im langjährigen Vergleich sogar unterdurchschnittlich aus. Vieles deute darauf hin, "dass bei den Investitionsförderprogrammen erhebliche Mitnahmeeffekte auftreten – das heißt, die Kommunen nehmen die Programme in Anspruch, nutzen sie aber kaum für zusätzliche Investitionsprojekte."

 

Das liegt vor allem daran, dass die zur Verfügung stehenden Mittel hinten und vorne nicht ausreichen. "Bund und Länder müssten ihre Förderungen erheblich ausweiten", sagt Kai Eicker-Wolf vom DGB. Gleichzeitig müssten aber auch Kommunen strukturell besser aufgestellt werden. In den vergangenen Jahren der Sparhaushalte wurden in allen Städten und Gemeinden die Verwaltungen verkleinert. In den Bauabteilungen fehlen die Mitarbeiter, die Bauvorhaben planen und steuern. Stuttgart und Berlin sind Beispiele dafür: Geld gibt es zuhauf, wird aber nur sehr zögerlich und nicht vollständig abgerufen. Derweil schlittern die Schulen von einer Havarie in die nächste. Dringend notwendige Erweiterungen liegen auf Eis.

 

Schüler, Lehrer und Eltern haben für all das wenig Verständnis, der Unmut ist überall groß. Es ist niemandem zu vermitteln, dass Deutschland einerseits ein Europa ohne Grenzen auf den Weg gebracht hat, aber andererseits so etwas wie einen bildungspolitischen Schengen-Raum nicht hinbekommt. Der Streit um den Digitalpakt geht in die nächste Runde, der Vermittlungsausschuss des Bundestages und des Bundesrates tagt im kommenden Jahr, ein Termin steht noch nicht fest. Wann es dann endlich losgehen kann mit dem Aufbau einer modernen schulischen IT-Infrastruktur, steht in den Sternen.

 

Lieber Föderalismus, ich nähe jetzt die Naht an deinem Bäuchlein zu. Dann suchen wir dir ein schönes Plätzchen.

 

Daniela von Treuenfels ist freie Journalistin in Berlin und ist Mitbetreiberin von berlin-familie.de.

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