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Neustarts, Never Ending Stories und ein Happy End

Das neue Jahr kann zum Basiscamp für den bildungspolitischen Aufbruch ins nächste Jahrzehnt werden. Ein Gastbeitrag von Ernst Dieter Rossmann.

Foto: Andry Richardson / Pixabay - CCO. 

MIT SEINEM AUSBLICK auf das neue Jahr hat Jan-Martin Wiarda hier im Blog vorgelegt, ich möchte als Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung eine weitere Perspektive auf die nächsten 12 Monate beisteuern. Um es ganz nüchtern zu sagen: Wenn es gut läuft, kann 2019 ein herausragendes, aber auch ein konfliktreiches und ein anstrengendes Jahr für die Bildungs- und Wissenschaftspolitik werden. Aus meinem Blickwinkel als Ausschussvorsitzender werden unsere 21 eingeplanten Sitzungstage schwerlich ausreichen, um das absehbare Jahresprogramm in seiner Gesamtheit erfolgreich zu behandeln. Da wird es Sonderschichten geben müssen.

 

Ein erster Überblick

 

Immerhin sind mindestens drei gewichtige Bundesgesetze zu verabschieden, nämlich die Novellierung des BAföG für die Schüler und die Studierenden und die Neufassung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes AFBG für die Berufliche Qualifizierung – bisher besser bekannt als Meister-BAföG – mit einem zusätzlichen Finanzvolumen von mindestens 1,35 Milliarden Euro. Auch eine Reform des Berufsbildungsgesetzes steht dieses Jahr an. 

 

Aber damit nicht genug: Wir werden hoffentlich das vorläufige Happy End der Never Ending Story um das Kooperationsverbot erleben, was uns konkret den Digitalpakt ermöglicht, und außerdem die Gründung der Agentur für Sprunginnovationen, die sich hoffentlich ebenso positiv auswirken wird wie  die geplante Fachkräftestrategie, die Strategie für Künstliche Intelligenz und eine neue Förderinitiative für die Wissenschaftskommunikation. All diese Vorhaben werden wir gegenüber der Bundesregierung kritisch-konstruktiv begleiten.

 

Großthemen im Ausschusses werden auch die Entscheidungen von Bund und Ländern zum Hochschulpakt und damit zusammenhängend zur Implementierung der bisherigen Bundesmittel in Höhe von rund zwei Milliarden Euro jährlich in die Grundfinanzierung der Hochschulen sein, die Weiterführung des "Qualitätspaktes Lehre" genauso wie die Verhandlungen zur weiteren Ausstattung und Ausrichtung des Paktes für Forschung und Innovation (PFI) ab 2020.


Ernst Dieter Rossmann ist SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.


Immer wichtiger werden auch die europäischen und die internationalen Bezüge von Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungspolitik. Der bedauerliche Brexit wird auch mit Blick auf Bildung, Wissenschaft und Forschung aufzuarbeiten sein. Umso mehr sollten wir auf eine neue Dynamik für die europäische Bildungs- Wissenschafts- und Forschungspolitik hoffen, ausgehend von der Europäischen Kommission im Zusammenwirken mit dem Europäischen Palament und den


zuständigen Ministerräten nach den Europawahlen im Mai. Intensiv zu behandeln sein im Bundestagsausschuss wird der schon im Jahr 2018 vorgelegte siebte Nationale Bildungsbericht, dessen Fokus dieses Mal auf "Wirkungen und Erträge von Bildung" lag. Mit seinen Beratungen zum Nationalen Bildungsbericht sollte  der Bundestag bewusst ein Signal in Richtung der Länder senden, deren Landtage und jeweiligen Fachausschüsse dieses umfangreiche und höchst profunde Faktendokument zu allen Bereichen der Bildungsentwicklung bislang leider viel zu wenig debattieren. 

 

Der Nationale Bildungsrat als historische Chance 

 

Ein Instrument, um das nächste Jahrzehnt in Bildung und Wissenschaft langfristig in den kritischen Blick zu nehmen und um eine ergebnisoffene Begutachtung zu ermöglichen, kann der im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD verabredete Nationale Bildungsrat werden. Selbst wenn die Querelen um den Digitalpakt aktuell zeigen, wie komplex bis verworren die Entscheidungsfindung zwischen Bund und Ländern gerade in Bildungsfragen verlaufen kann: Die jetzige Konstellation einer Großen Koalition im Bund, die den Bildungsrat fest vereinbart hat, schafft in Verbindung mit einer bunter werdenden Kultusministerkonferenz eine bemerkenswerte Phase der Offenheit und Beweglichkeit und eröffnet so die historische Gelegenheit, eine echte Zukunftsinstitution zu schaffen. 

 

Ein Nationaler Bildungsrat ist auch deshalb eine große Chance, weil er der Missing Link ist zwischen der bald im Grundgesetz vorgesehenen erweiterten Bund-Länder-Kooperation in Bildungsfragen auf der einen Seite und der Bildungsforschung auf der anderen Seite, wobei sich die Akteure schon jetzt auf den Nationalen Bildungsbericht als evidenzgestütztem Faktenwerk stützen können. Unabhängige  Expertise aus Wissenschaft und Gesellschaft und gute gemeinsame Empfehlungen gehören  als vierter Baustein einer Bildungspolitik, die mit Konsens, Perspektive und Langfristigkeit ins nächste Jahrzehnt hineinreicht, ebenfalls zwingend dazu.

 

Bis ein solches Gremium arbeitsfähig ist, sind wir allerdings bereits im Jahr 2020, und bis der Bildungsrat erste zentrale Arbeitsergebnisse vorlegen kann, wird noch mehr Zeit vergehen. Ein weiteres Zuwarten oder gar Aussitzen helfen der Sache insofern überhaupt nicht. Im Gegenteil: Die Bundesbildungsministerin sollte möglichst schnell einen tragfähigen Vorschlag hierzu entwickeln und  den beteiligten Partnern vorstellen. 

 

Dabei müssen einige kritische Fragen jetzt sehr direkt und lösungsorientiert angesprochen werden, und zwar vor allem die folgende: Welche Zeichen sind bei der Zusammensetzung des Gremiums zu setzen? Ein Nationaler Bildungsrat sollte nicht denkbar sein ohne eine deutliche Aufwertung der kommunalen Ebene, die bei Bund-Länder-Bildungsverhandlungen bisher nicht gleichberechtigt einbezogen war, die aber im gesamtstaatlichen Aufbau stark engagiert ist, nicht zuletzt auch bei den Finanzierungsfragen. So geben die Kommunen deutlich mehr Geld für Bildung aus als der Bund. Auch die Sozialpartner gilt es verbindlich einzubeziehen, denn die Bildungsentwicklung der Zukunft wird noch weniger eine rein staatliche Aufgabe sein, als sie es jetzt schon ist. 

 

Ein starkes Zeichen der Souveränität von Politik

 

Nicht weniger zentral: Soll der Nationale Bildungsrat ein Gutachter-Gremium sein, das nur auf der Basis von Aufträgen vom Bund und den Ländern agiert, oder kann sich der Nationale Bildungsrat auch selbst beauftragen mit Fragestellungen und Empfehlungen?  Für ein solches Initiativrecht spricht, dass der Nationale Bildungsrat, der ja kein rein staatliches Expertengremium der Theorie und Praxis ist, sondern gerade für das Prinzip von  gesellschaftlicher Kooperation und Konsensfindung stehen soll, damit ein eigenes Profil gegenüber dem politisch beauftragten und wissenschaftlich getriebenen Konsortium des Nationalen Bildungsberichts bekommen würde. Im Übrigen wäre es ein starkes Zeichen der Souveränität von Politik und von Vertrauen in diesen Expertenkreis.

 

Müssen die Stimmbänke bei strittigen Entscheidungen einer besonderen Machtarithmetik zwischen Bund und Ländern gehorchen, oder kann es auch mehr Offenheit geben? Nach allem, was man hört, gibt es gegenwärtig vor allen Dingen Schwierigkeiten bei den Stimmverhältnissen zwischen Bund und Ländern. Deshalb sollte ein Modell kommen, bei dem nicht eine politische Ebene allein über eine Mehrheit verfügen kann, sondern eine qualifizierte Anzahl von Partnern für ihre Position gewinnen muss.

 

Ein solches Modell wird umso leichter zu finden sein, je sicherer die Landesregierungen sich fühlen, dass ihnen ihre gesetzlich zustehende Souveränität in der Bildungspolitik nicht streitig gemacht werden soll. Wenn die Gewissheit da ist, dass der Bund nicht die Ambition hat, durch den Bildungsrat kein exekutives Organ über die Bildungskompetenz der Länder hinweg schaffen zu wollen, wird es möglich sein, zu einer guten und einvernehmlichen Lösung zu kommen. Ein zusätzliches innovatives Beratungsgremium angesichts immer komplexer werdender  Bildungsbiographien kann die Bildungspolitik von Bund, Ländern und Kommunen jedenfalls gut gebrauchen.

 

Wie wir 2019 die Grundlage für das nächste Jahrzehnt legen

 

Für die Bundesbildungsministerin, für die Bundesregierung und für sämtliche Parlamentsfraktionen, für Regierung und Opposition gleichermaßen, eröffnet dieses wirklich umfangreiche Jahresprogramm 2019 die Aussicht, Bildung, Wissenschaft und Forschung wieder ins Zentrum der Innovationsdebatte in Deutschland zu rücken. Mit Recht weist Anja Karliczek darauf hin, dass nach den bemerkenswerten Budgetzuwächsen der vergangenen Jahrzehnte jetzt der kritische Blick auf die Erträge dieser Anstrengungen gerichtet wird, auf die Qualität und Effizienz der Förderprogramme, der Institutionen und der entstandenen Strukturen. Dabei  muss allen Beteiligten klar sein: Wenn die Bildungs- , Wissenschafts- und Forschungspolitik des Bundes zeigt, was sie im Zusammenspiel mit den Ländern  programmatisch wie gesetzgeberisch "hebeln" kann, wird sie die 2019 ebenfalls unvermeidbare Finanzdebatte für 2020 und folgende umso selbstbewusster führen können. 

 

Diese große Finanzdebatte pro Bildung und Forschung muss kommen, wenn wir bedenken, dass die ambitionierten Ziele, 3,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung und sieben Prozent in Bildung zu investieren, noch längst nicht erreicht sind. Wir brauchen rund 100 Milliarden zusätzlich aus der jährlichen Wertschöpfung, um diese ebenso hochgesteckten wie notwendigen Marken im nächsten Jahrzehnt zu erreichen. Der Streit hierüber wird mit Verve geführt werden müssen. Ein erfolgreiches Jahr 2019 für Bildung und Forschung kann und muss hierfür die Basis bilden.

 

Was anzuregen ist und Anstoß erregen kann

 

Wenn das Jahr 2019 ein gutes Jahr für Bildung, Wissenschaft und Forschung wird, dann wird es auch inhaltliche Vorstöße und ins vermeintlich Utopische zielende Ideen geben müssen, die über die Tagespolitik hinausreichen und die Debatte für die Gestaltung des nächsten Jahrzehnts und darüber hinaus öffnen.

Ich will vier Beispiele geben:

 

 

1. Das allgemeine Ausbildungsgeld

 

Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD sieht die gesetzliche Einführung einer Mindestausbildungsvergütung vor, weil damit eine Absicherung und eine Aufwertung der beruflichen Ausbildung erreicht werden soll. An anderer Stelle verpflichten sich die Regierungspartner, auch  für die Gesundheitsberufe das Schulgeld abzuschaffen und diese Berufsausbildungen damit attraktiver zu machen. Und schließlich hat die Bundesfamilienministerin auch ohne direkte Zuständigkeit einen Fonds aufgelegt, damit in der schulischen Erzieherausbildung eine Ausbildungsvergütung gezahlt werden kann.

 

Da liegt die Forderung nahe, angesichts der elementaren Bedeutung einer beruflichen Ausbildung für jeden jungen Menschen, unabhängig davon, ob diese dual oder schulisch oder in anderen hybriden Formen durchgeführt, eine Mindestausbildungsvergütung zu zahlen, sei es von den Unternehmen oder staatlich oder auch kombiniert.

 

 

2. Die beruflich-akademischen Kompetenzen und Berufsstufen

 

Mein zweites Beispiel zielt auf mehr Klarheit in den Begriffen und Strukturen ab. Im Europäischen Qualifikationsrahmen und seiner deutschen Umsetzung gibt es im Anschluss an die Kompetenzstufe 4, die das Abitur ebenso wie eine erfolgreiche abgeschlossene Berufsausbildung einschließt, die Stufen 5, 6 und 7, die sowohl Berufsqualifikationen wie akademische Qualifikationen adressieren.

 

Gerade wenn wir die grundsätzliche Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Berufsbildung anerkennen, hat die Parallelität von einem akademischen Bachelor und einem Berufsbachelor, von einem akademischen Master und einem Berufsmaster nicht nur viel Charme, sondern bedeutet auch eine Orientierungshilfe für einen über den nationalen Rahmen hinausweisenden  europäischen Arbeitsmarkt. Eine solche klare Begrifflichkeit würde im Übrigen auch die überfällige nationale Neuordnung der Finanzierung der verschiedenen Weiterbildungsgesetze erleichtern und könnte letztlich auch die europäische Anschlussfähigkeit vorbereiten.

 

  

3. Eine neue Trias von DFG, DLG und DTG 

 

Natürlich sind Forschung, Lehre und Transfer im Bereich der Hochschulen unterschiedlich strukturiert und erfordern jeweils besondere Förderbedingungen und Förderinstitutionen. Aber was spricht eigentlich dagegen, den Dreiklang von Lehre, Forschung und Transfer auch in der mittelfristig zu organisierenden gemeinsamen Förderstruktur von Bund und Ländern aufzunehmen, wenn es um die Spitzen- und Innovationsförderung geht? 

 

Auch deshalb sollte die breit anerkannte klassische Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ergänzt werden um eine kurzfristig neu zu gründende Deutsche Lehrgemeinschaft (DLG), die den Impuls aus dem Qualitätspakt Lehre verstetigen würde, und eine langfristig aufzubauende Deutsche Transfergemeinschaft (DTG), die insbesondere die Leistungen der Fachhochschulen noch stärker fördern würde, zusammen mit dem Transferleistungen der Universitäten. Dass hiermit letztlich ein weiterer Baustein für Bildung und Forschung in einem gemeinsamen Europa der Zukunft gesetzt werden kann, ist beabsichtigt.

 

 

4. Europäische Universitäten (und eine Bundesuniversität für Europa) 

 

Mein letztes Beispiel soll zum Nachdenken erregen. Eine große Enttäuschung des Jahres 2018 ist die fehlende Reaktion auf den bildungspolitischen Anstoß des französischen Präsidenten Macron in seiner zu Recht berühmten Sorbonne - Rede am 26. September 2017. Bis 2024 sollten, so sein Vorschlag damals, mindestens 20 europäischen Universitäten errichtet  werden, die ein Netzwerk von Universitäten aus mehreren Ländern Europas bilden. Diese Universitäten beschrieb Macron als Orte pädagogischer Neuerung und exzellenter Forschung, an ihnen sollte jeder Studierende im Ausland studiert und Seminare in mindestens zwei Sprachen belegt haben.

 

In Deutschland müssen müssen daran gehen, an mindestens drei solcher europäischer Universitäten  beteiligt zu sein, im Profil, in der Ausstattung, in der Zusammensetzung der Studierenden wie des Kollegiums in Lehre und Forschung. Wenn wir in Deutschland und in Frankreich und anderen Pionierländern damit jetzt nicht beginnen, ist das bis zum Jahr 2024 kaum noch zu schaffen. Ich will deshalb mit einer provokanten Frage enden: Wenn Deutschland in der Lage war, zwei Bundeswehrhochschulen aufzubauen, weshalb sollte es uns nicht möglich sein, zusammen mit unseren europäischen Partnern eine europäische Bundeshochschule für europäische Governance und Ökonomie zu errichten? 

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Kommentare: 1
  • #1

    Markus Pössel (Dienstag, 22 Januar 2019 10:08)

    Viele Überlegungen, die zumindest mich vorsichtig optimistisch stimmen; was das Ende mit dem Ruf nach DLG und DTG geht angeht, bin ich allerdings zwiegespalten. Positiv wäre in der Tat, wenn es eine DLG gäbe, bei der analog zur DFG auch einzelne Wissenschaftler*innen Geld für innovative Lehrprojekte beantragen könnten. Das kann auf der Praxisebene, also dort, wo tatsächlich in den Hochschulen gelehrt wird, zu einem neuen Aufbruch führen. Analog bei der DTG, insbesondere mit einem breit gefassten Transferbegriff. (Ich komme aus der Astronomie; einer unser wirkungsvollsten Transfers ist der "Export" spannender Wissenschaftsthemen, die Schüler*innen stark interessieren, in die Bildungseinrichtungen.)

    Andererseits gibt es doch schon im Forschungsbetrieb Kritik an einem Wissenschaftsalltag, der drittmittelabhängig ist und dadurch nur schwierig langfristigere Perspektiven fassen (und jungen Wissenschaftler*innen bieten!) kann. Wollen wir dieses von-Projekt-zu-Projekt-hangeln mit DLG und DTG wirklich reproduzieren? Ich weiß, dass schon die Diskussion um "Lehrprofessuren" haarig war. Aber ohne feste Stellen mit Schwerpunkt Lehre und/oder Schwerpunkt Transfer wird es schwierig, diese beiden Aufgaben auf Augenhöhe in den Hochschulen zu verankern.