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"Mutige Politik bedeutet, das Vorhandene neu zu sortieren"

Braucht Deutschland eine eigene Förderorganisation für Wissenschaftstransfer – auf Augenhöhe mit der DFG? Ja, sagt FDP-Wissenschaftsexperte Thomas Sattelberger und geht auf Konfrontationskurs mit Forschungsministerin Anja Karliczek.

Foto: privat.

Herr Sattelberger, "Transfer" ist in der Wissenschaftspolitik ein Modewort geworden. Aber jeder scheint etwas Anderes darunter zu verstehen. Haben Sie eine gute Definition?

 

"Transfer" bedeutet, wissenschaftliche Erkenntnisse in anwendungsorientierte Prototypen zu übersetzen, mit diesen Prototypen zu experimentieren und aus ihnen am Ende neue Prozesse, Services und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Oder bestehende zu verbessern. Das reicht von Industrieprodukten bis zu neuen Dienstleistungen einer Kommune für ihre Bürger. Wenn ich Geschäft sage, meine ich also nicht, dass es automatisch um wirtschaftliche Profite geht.

 

Die Wissenschaft soll also einmal mehr zeigen, dass sie das Geld, das die Gesellschaft ihr gibt, wert ist.

 

Die Wissenschaft demonstriert ihre Nützlichkeit für die Gesellschaft, so würde ich das formulieren. Das kann ein Beitrag zum Wirtschaftswachstum sein, aber auch Konzepte, um die Bürgernähe der öffentlichen Verwaltung zu erhöhen. Nützlich ist also alles, was im zivilgesellschaftlichen, im öffentlichen und im wirtschaftlichen Sektor zu Mehrwert für die Menschen führt. Der Begriff der Nützlichkeit ist für mich ein wunderschön großer Schirm, unter dem sich viele Ansprüche, Interessenlagen, Wünsche und Aspirationen vereinen lassen.

"Natürlich ist der Erkenntnisfortschritt
als solcher grundlegend"

 

Und doch bleibt die Forderung nach mehr Transfer und Nützlichkeit am Ende immer ein Vorwurf an die Adresse der Wissenschaftler: Ihr leistet bislang nicht genug für die Gesellschaft. Steckt darin nicht eine enorme Geringschätzung der Grundlagenforschung?

 

Im Gegenteil. Natürlich ist der Erkenntnisfortschritt als solcher grundlegend. Dass die Erde keine Scheibe ist, hatte anfangs keinerlei ökonomische Bedeutung. Aber dieses Wissen war die Voraussetzung, damit die Welt sich verändern konnte, dass die Aufklärung sich gegen die alten Mächte durchsetzen konnte. Eine nützlichere Erkenntnis war insofern kaum vorstellbar. Und solche Erkenntnisse liefert nur die Grundlagenforschung. Wenn wir aber über das Thema der Anwendungsorientierung sprechen, gelangen wir in eine engere Sphäre der Nützlichkeit, die neben das Interesse an Erkenntnis das Interesse an einer Verwertung stellt. Daneben stellt, wohl gemerkt. Das, was wir als gesellschaftliche Verantwortung der Hochschulen beschreiben können oder auch neuerdings als ihre "Dritte Mission", soll nichts von dem, was die Mission der Hochschulen bisher ausmachte, ersetzen. Es ist lediglich eine Erweiterung.

 

Warum drücken Sie eigentlich so aufs Tempo? Warum unterstellen alle immer, dass die Transferleistung der Wissenschaft nicht mehr reicht?

 

Weil die gesellschaftlichen Bedürfnisse andere sind als vor zehn oder 20 Jahren. Reden Sie mit dem Maschinenbau-Unternehmen auf dem Land oder mit der Regional-Niederlassung der Caritas: Sie alle wollen, sie alle suchen die Nähe zur Forschung, sie verlangen nach Innovation. Gerade abseits der großen Städte beobachten wir eine zunehmende Innovationsarmut im Mittelstand, verstärkt durch den Mangel an Fachkräften und die Dynamik der Digitalisierung. Das lässt die Erwartungen an die Hochschulen wachsen, ihre gesetzliche Nützlichkeit deutlich stärker als bislang unter Beweis zu stellen, nicht mehr nur der eigenen Logik des Wissenschaftsbetriebes und dem Selbstinteresse der Forscher zu folgen.

 

Können Sie das Misstrauen in der Wissenschaft verstehen, wenn die Politik mit Begriffen wie "Nützlichkeit", "Verwertung" und "Erweiterung der Mission" hantiert?

 

Verstehen schon, aber wirklich nachvollziehen? Nein. Ich weiß, dass hinter möglichen Abwehrreflexen immer die große Angst steckt, die Wissenschaft, die Hochschulen könnten von der Wirtschaft vereinnahmt werden. Wo geheime Drittmittelverträge abgeschlossen werden, fordern Whistleblower ihre Öffnung. Wo zwei Dutzend Professuren von einer Unternehmensstiftung kommen wie im Fall von Lidl und der Technischen Universität München, erscheinen kritische Artikel in den Zeitungen. Dieses wache Auge der Gesellschaft und der Hochschulmitglieder selbst ist wichtig, und die Debatten zeigen, dass die gesellschaftlichen Checks und Balances funktionieren. Doch kommt es mir manchmal so vor, als würden wir vor lauter Skepsis gar nicht mehr die Chancen sehen, die in der – geregelten – Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft stecken.

 

"Ein paar Millionen für eine Organisation mit schickem 

Türschild, aber ohne Durchschlagkraft bringen nichts" 

 

Die betonen Sie mit dem Antrag, den Ihre Fraktion heute im Bundestag einbringt, umso stärker. Sie verlangen eine komplette Neustrukturierung der öffentlichen Förderstrukturen für den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Einer mehr für die Galerie? Als Opposition kann man viel fordern.

 

Da kennen Sie mich schlecht. Ich habe den Antrag ausgearbeitet, weil ich die Veränderungen, die drinstehen, umsetzen will, mit Frustrationstoleranz.

 

Sie wollen eine eigene Förderorganisation für den Transfer einrichten. Die Forderung einer Deutschen Transfergemeinschaft (DTG) analog zur für die Grundlagenforschung zuständigen Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ist allerdings nicht neu.

 

Nicht alles muss neu sein, aber es muss gut sein! Neu ist jedoch, dass wir das in unserem Antrag zu Ende denken. Ein paar Millionen für eine nette kleine Förderorganisation mit schickem Türschild, aber ohne jede Durchschlagkraft bringen ja nichts. Die DFG hat ein Budget von über drei Milliarden Euro pro Jahr. Eine DTG muss ebenfalls in den Milliardenbereich gehen.

 

Wo soll das Geld denn herkommen? Das Förderprogramm "Innovative Hochschule", das am ehesten einer Blaupause gleichkommt, hat ein Budget von 550 Millionen – auf zehn Jahre.

 

Zum Geld komme ich gleich. Aber erstmal muss ich noch etwas Anderes loswerden. Sie haben eben zu Recht gesagt, dass die Idee einer DTG nicht allein von der FDP kommt. Auch die Fachhochschulen treiben sie mit großem Engagement voran. Deshalb hat es mich extrem geärgert, mit welcher Beiläufigkeit Bundesforschungsministerin Karliczek die Forderung neulich per Interview vom Tisch fegen wollte: Sie sei nicht dafür, ständig neue Strukturen aufzubauen. Ende der Ansage. Eine furchtbare und auch dogmatische Vereinfachung des komplexen Transferthemas. Und das hat mich nochmal angestachelt.

 

Was zu tun?

 

Zu zeigen, dass hinter einer solchen Absage eine Denke steckt, die wir überwinden müssen. Die Politik ist groß darin, sich immer neue Initiativen auszudenken, solange sie dafür auch immer neues Geld ausgeben kann. Mutige Politik bedeutet aber viel häufiger, das Vorhandene neu zu sortieren. Solche Formen der Portfolio- und Prozessoptimierung sind in der Wirtschaft, aus der ich komme, normal.

 

"Wir müssen das Silodenken
der Ministerien durchbrechen"

 

Wenn auch, gelinde gesagt, nicht immer erfolgreich.

 

Das haben Sie gesagt. Bei der Deutschen Transfergemeinschaft muss es jedenfalls darum gehen, die gewachsenen Strukturen anders zu konfigurieren. Mein Vorschlag: Wir nehmen die Förderprogramme aus dem Wirtschaftsministerium, die insbesondere der Innovation im Mittelstand dienen sollen. Wir packen die Mittel aus dem Bundesforschungsministerium dazu, die vor allem die wirtschaftsnahe Hochschulforschung stärken sollen. Beide haben nämlich bislang ihre Schwächen.

 

Welche sind das?

 

Bei den Geldern aus dem Wirtschaftsministerium ist das die oft überzogene Wirtschaftsnähe – noch dazu regional nicht ausbalanciert – bei den Förderentscheidungen, wodurch eine Menge Euros für einen kleinteiligen, wenig innovativen Reparaturbetrieb in den Unternehmen enden. Die BMBF-Mittel wiederum werden häufig so hochschulnah vergeben, dass die Firmen in den Kooperationen oft nur als Alibipartner dienen, um mehr Geld für Hochschulprojekte zu haben. Daher mein Vorschlag: Lasst uns beide Strukturen zusammenführen in einer einzigen Organisation und die mit einer klaren Mission und einer hohen Unabhängigkeit ausstatten.

 

Von welchen Beträgen reden Sie?

 

Wir haben ausgerechnet, dass wir insgesamt etwa eine Milliarde Euro jährlich in der DTG konzentrieren könnten. Wir durchbrechen das Silodenken der Ministerien und bauen eine partnerschaftliche Struktur von Wissenschaft und Wirtschaft auf. Und beschleunigen den Transfer in einer Weise, wie er schon seit Jahren überfällig ist.

 

Haben Sie schon mit der AIF über Ihre Idee geredet? In der "Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen" organisiert sich der forschende Mittelstand und betreibt die sogenannte "industrielle Gemeinschaftsforschung", die – Zitat von der AIF-Website "die Lücke zwischen Grundlagenforschung und wirtschaftlicher Anwendung" füllen soll. Mit den Millionen aus dem Wirtschaftsministerium. Und dieses Geld wollen sie der AIF wegnehmen?

 

"Ach herrje, da ist auch
so eine typische Debatte"

 

Ach herrje, das ist auch so eine typische Debatte. Alle haben immer Angst, dass ihnen etwas weggenommen wird. Sie können auch ruhig die Fachhochschulen hinzunehmen, die zwar für die DTG sind, aber auch Angst haben, dass ich ihnen mit meinem Vorschlag etwas streitig machen möchte. Warum? Weil ich sie in der DTG in ein Boot mit der Wirtschaft, der kommunalen Verwaltung und mit zivilgesellschaftlichen Organisationen bringen möchte. Schön wäre es, wenn die Leute mal anders herum denken würden. So zum Beispiel: Ich finde, die AIF hätte in dem Modell, das wir als FDP vorschlagen, sehr gute Aussichten, mit ihren vorhandenen Netzwerken das institutionelle Rückgrat der Deutschen Transfergemeinschaft zu werden. Wenn sie bereit ist, sich weiterzuentwickeln.

 

Die AIF würde zur DTG?

 

Sie könnte ein wichtiger Teil einer neuen Innovationsbrücke sein. Vor allem könnte die neue DTG zu einer Blaupause werden, wie kluge interministerielle Zusammenarbeit aussieht. Und wie sich neue Innovationspartnerschaften zwischen den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Akteuren aufbauen lassen. Die DTG könnte auch ein Prototyp für neue Strukturen eines gemeinnützigen Verbundes werden, für ungewöhnliche Prozesse und das auch anderswo längst nötige Pooling bislang getrennter Ressourcen.

 

So, wie Sie das beschreiben, erinnert das ein bisschen an die im vergangenen Jahr von der Bundesregierung beschlossene Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen. Sehen Sie nicht die Gefahr von Doppelstrukturen?

 

Überhaupt nicht. Transfer und Sprunginnovationen sind getrennte Welten, wobei ich immer noch lieber und weniger schönfärberisch von radikalen Innovationen spreche. Die Agentur muss, wenn sie erfolgreich sein soll, ein schneller Brüter werden, wo die Grenzen zwischen Grundlagen und Anwendung verschwimmen. Die Challenges, die Innovationswettbewerbe, die sie veranstaltet, müssen an der Grenze des Vorstellbaren liegen und Menschen dazu ermutigen, nach bislang nicht für möglich gehaltenen Lösungen zu suchen. Das Ziel ist also eine spezielle Form von Innovation, die nicht inkrementell, also schrittweise, passiert, sondern in Form seltener, aber extrem folgenreicher Durchbrüche. Natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass auch aus einer DTG mal eine radikale Innovation käme, aber das ist nicht ihr Ziel.

 

Wie werden die anderen Fraktionen auf Ihren Antrag reagieren?

 

Ich weiß, dass es auch in den anderen Fraktionen Leute gibt, die sich einen Neustart in der Form vorstellen könnte, wie ich ihn eben beschrieben habe, auch in der SPD und in der Union. Aber ich fürchte, solange die Große Koalition regiert, wird das nichts. 

 

Thomas Sattelberger, 69, saß nacheinander im Vorstand von Lufthansa, Continental und Telekom. Im September 2017 wurde er Bundestagsabgeordneter für die FDP, seit wenigen Tagen ist er Fraktionssprecher für den Gesamtbereich Innovation, Bildung und Forschung.

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Kommentare: 4
  • #1

    Zukunftsmusiker (Freitag, 01 Februar 2019 11:28)

    Sattelberger ist ein kluger Kopf. Er geht aber nicht weit genug: Das Konzept "Transfer" selbst ist das Problem, weil es einen einfachen linearen Prozess unterstellt, von der Forschung zur Anwendung. Was wir aber auch brauchen, ist Forschung die sich von möglichen Anwendungen motivieren lässt: "use-inspired research" (Beispiel: Penicillin).

    Das zweite von Sattelberger unterschätzte Problem ist, dass die Tranferstellen der Universitäten mit völlig ungeeignetem Personal besetzt sind. Diese Leute sind unkündbar. Zugleich sind sie sind Veto-Spieler, weil sie die Lizenzierung oder den Verkauf von Patenten verhindern können. Eine DTG kann nur funktionieren, wenn Unis ihr Monopol bei der Verwertung akademischer Patente verlieren und dort endlich Wettbewerb einzieht. Das ist aber politisch eine ganz harte Nuß.

  • #2

    Zukunftsmusiker (Freitag, 01 Februar 2019 11:40)

    PS zum zweiten Punkt oben: Es hilft auch nichts, ausgelagerte aber immer noch staatsnahe Patentverwertungsagenturen zu gründen, an die Unis ihre Rechte abtreten. Diese Agenturen werden dann nämlich von ähnlich ungeeignetem Personal betrieben (oder gar von entsandten oder ehemaligen Verwaltungsangestellten der beteiligten Unis, die sich flugs in "Wissenschaftsmanager" umbenennen). Hier wäre ein echter Neuanfang nötig.

  • #3

    Klaus Diepold (Freitag, 01 Februar 2019 11:47)

    Ich kann hier den Gedanken und Woren von Zukunftsmusiker nur zustimmen.

    Allerdings sehe ich das Problem bei den universitären Technology Transfer Manager nicht darin, dass sie unkündbar wären, sondern vielmehr dass sie meist befristet angestellt sind und vor allem zu schelcht bezahlt. Die Fähigkeit einen echten Transfer hinzubekommen ist hoch anspruchsvoll und sehr wertvoll. Mit einer E13-besoldeten stelle bekommt kaum die richtigen Leute für den Job und durch die Befristung hat man auch regelmäßig mit erheblichen Know-How-Verlust zu rechnen.

    Beim letzten Kommentar von Zukunftsmusike kommt noch erschwerend hinzu, dass da auch immer der Rechnungshof im Hintergrund lauert ...

  • #4

    tecken (Donnerstag, 14 Februar 2019 15:08)

    Wie gut sich Herr Sattelberger mit Transfer, Wirtschaft und Wissenschaft auskennt zeigt seine Zeit als Vorstandsvorsitzender der ZU-Stiftung, der Trägerin der Zeppelin Universität. In diese Zeit fallen sowohl die Mehrkosten des Campus als auch die Umstrittenen Provisionen für Stephan A. Jansen, die bis heute nicht aufgeklärt sind
    https://www.suedkurier.de/region/bodenseekreis/friedrichshafen/Mehrkosten-am-ZF-Campus-Frage-der-Verantwortung-bleibt-offen;art372474,8697998