KI darf kein Monopol von Informatik-Studierenden bleiben. Wir brauchen ein “Studium KI generale” für alle Studiengänge. Ein Gastbeitrag von Mike Raschke und Ronny Röwert.
Foto: Frank Chamaki / unsplash - cco.
STARTUPS ENTWICKELN PLATTFORMGESTÜTZTE Geschäftsmodelle, Bewerbungen werden algorithmengestützt vorsortiert, Fachtexte werden durch eine maschinell lernende Software in andere Sprachen in Echtzeit übersetzt: Anwendungen künstlicher Intelligenz sind schon heute nicht mehr aus der modernen Arbeitswelt wegzudenken.
Mit ihrer nationalen Strategie zur Künstlichen Intelligenz (KI) hat die Bundesregierung Ende 2018 KI richtigerweise zur Schlüsseltechnologie der deutschen Wirtschaft erkoren: “KI made in Germany”, so der Name des Maßnahmenkatalogs, soll bewirken, dass Deutschland im Zeitalter der Algorithmen den Anschluss an KI-anwendungsstarke Regionen wie Nordamerika oder China hält.
RONNY RÖWERT ist Volkswirt und Programmmanager beim Stifterverband, zuständig unter anderem für die Studierendenbeteiligung im Hochschulforum Digitalisierung und für die Unterstützung von baden-württembergischen Hochschulen bei der Strategieentwicklung im digitalen Zeitalter.
MIKE RASCHKE studiert Sicherheitspolitik an der Freien Universität Berlin und dem SciencesPo Paris. Er ist studentischer Mitarbeiter beim Stifterverband im Hochschulforum Digitalisierung.
Fotos: Sebastian Horndasch. Lizenz: CC BY–SA 4.0
Bis 2025 gibt der Bund jährlich 500 Millionen Euro, um Anwendungspraktiken der KI für deutsche Unternehmen zu erschließen und KI-Forschung in sogenannten Kompetenzzentren und Anwendungs-Hubs zu finanzieren. Ob diese finanziellen Kraftanstrengungen im internationalen Vergleich ausreichen, um Deutschland im top-down-Modus zu neuen Innovationssprüngen zu verhelfen, sei zunächst dahingestellt. Fest steht: Den vielschichtigen Umwälzungen dieser KI-Welt werden sich Wirtschaft und Wissenschaft nicht entziehen können.
Doch mit Spitzenforschung zu Künstlicher Intelligenz allein wird der gewünschte Innovationssprung nicht gelingen: Wenn es darauf hinausläuft, dass das Wissen um den Einsatz von Algorithmen den Informatik-Studierenden und einigen wenigen Forschenden vorbehalten bleibt, wird das von der Bundesregierung ausgerufene Ziel von “KI Made in Germany” zum leeren Versprechen.
"KI ist weder nur Zukunftsthema noch Monopol der
Techies. Es betrifft uns alle, und zwar schon heute"
Künstliche Intelligenz ist längst ein fester Bestandteil unseres Alltags, mit rasant steigender Tendenz. Ob digitale Sprachassistenten, automatisiert-personalisierte Werbung, Gesichtserkennung, Kundensupport durch Chatbots: Überall dort, wo viele Daten ausgewertet werden, können KI-Systeme Handlungsabläufe mit steigender Präzision erlernen und dem Menschen assistieren. Angesichts neuer, intelligenter Technologien lassen verschiedene Studien, wie beispielsweise vom McKinsey Global Institute, erahnen, wie tiefgreifend sich der Arbeitsmarkt transformiert:
Je nach Szenario könnten 24 bis 47 Prozent der aktuell bestehenden Arbeitsplätze in Deutschland bis 2030 direkt von Automatisierungsprozessen betroffen sein. Frei übersetzt bedeutet das: Wer sich ändernden Kompetenzanforderungen in seinem Arbeitsbereich verschließt und sich nicht weiterbildet, wird womöglich zu den Verlierern der Arbeitswelt 4.0 gehören.
Von Alarmismus sind die deutschen Werktätigen jedoch (noch) weit entfernt.
So offenbart sich in einer breit angelegten, europäischen Befragung des Beratungsunternehmens Deloitte ein Paradox: Obwohl Arbeitnehmer*innen die großen Trends durchaus erkennen, verschließen sie die Augen vor den Auswirkungen der Digitalisierung auf ihren eigenen Job. Nur 18 Prozent der in Deutschland Befragten sehen die benötigten Fähigkeiten und Kompetenzanforderungen im eigenen Job grundlegenden Veränderungen ausgesetzt. In Italien oder Spanien geben immerhin über 30 Prozent an, sich über die Auswirkungen auf sich selbst im Klaren zu sein.
Wie sollte es auch existieren, ein Bewusstsein für die gesamtgesellschaftlichen Umwälzungen, die der verstärkte KI-Einsatz für die berufliche Zukunft von uns allen mit sich bringt, wenn die grundlegenden Praktiken künstlicher Intelligenz hierzulande immer noch so abstrakt erscheinen?
Tech-Wissen für Non-Techies
Sicherlich bedeutet die von Digitalität geprägte Arbeitswelt 4.0 zunächst einmal Hochkonjunktur für Datenanalyst*innen und Fachinformatiker*innen. Der Stifterverband schätzt den Bedarf an IT-Fachkräften in Deutschland bis 2023 auf mehr als 700.000 Stellen. Doch lenkt gerade diese Hochkonjunktur davon ab, die Künstliche Intelligenz als Querschnittstechnologie zu verstehen, die für alle Arbeitskräfte relevant ist. Um das zu ändern, muss KI-Wissen endlich breit im Bildungssektor verankert werden.
Konkret gilt es, jedem Studierenden – egal ob im Fach Agrarwissenschaften, BWL oder Zahnmedizin – bis 2020 die Chance zu geben, in einer Hochschulveranstaltung KI-Bildung zu erfahren. KI muss endlich heraus aus der Informatik-Blase. Doch wie genau kann der deutschen Hochschullandschaft dieser Kraftakt gelingen?
Von Leuchtturmprojekten zur Breitenwirksamkeit
Zum Glück passierte zuletzt bereits einiges an deutschen Hochschulen. Traditionelle Informatik- und Data Science-Studiengänge werden erweitert und reformiert, Lehrpläne um Module mit KI-Bezug ergänzt, während Forschungsverbünde und Kooperationen zwischen Hochschulen und Großunternehmen entstehen, die den gegenseitigen Wissenstransfer verbessern. So haben sich die Universitäten in Stuttgart und Tübingen mit dem Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme und weltbekannten Konzernen von BMW und Daimler bis hin zu Bosch und Amazon zu Europas größtem Forschungscluster “CyberValley” zusammengeschlossen.
Eine Entwicklung, auf die Hochschulen aufbauen können, wenn es nun um die verstärkte Integration von KI-Inhalten in die Hörsäle geht. Denn bisher wird KI nur an wenigen Hochschulen als Querschnittsthema verstanden und bleibt ansonsten den Informatik-Studiengängen vorbehalten. In andere Fachdisziplinen konnten KI-relevante Inhalte schlichtweg noch nicht vordringen. Studiengänge wie “Robotics, Cognition and Intelligence” an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, die beispielsweise Maschinenbau und Elektrotechnik mit Informatik verbinden, bestätigen eher die Ausnahme als die Regel.
Was Hoffnung macht: Baden-Württemberg stellte vor kurzem die Finanzierung von zehn KI-Professuren “in einer großen thematischen Bandbreite” in Aussicht, in Niedersachsen sollen bis zu 17 sogenannte “Digital-Professuren” geschaffen werden, die sich ausdrücklich nicht nur auf technische Fächer beschränken. Auch anderswo sind die Landesregierungen aufgewacht. Ein historisches Möglichkeitsfenster, das Potenzial eröffnet für eine breitenwirksame Integration von KI-Inhalten in die akademische Lehre. Nun gilt es, fächerübergreifende Kurse und Module einzurichten, die KI für viele anderen Fachrichtungen erfahrbar und anwendbar macht. Wie wäre es mit einem Kurs “Psychologische Hintergründe des Maschinellen Lernens”, einen für “Die Ethik der Algorithmen”?
Warum nicht “KI-Geschäftsmodelle in der Plattformökonomie” behandeln oder ein Modul “Schlüsselkompetenz KI” anbieten, das grundsätzlich für Studierende aller Fakultäten offensteht?
Die Zeit drängt, und während die bürokratischen Mühlen der deutschen Hochschullandschaft nun langsam in Gang kommen, schauen sich viele junge Menschen notgedrungen woanders um. Online verfügbare Lernangebote schießen aus dem Boden und bedienen genau jene Nachfrage nach KI- und Tech-Bildung, die deutsche Hochschulen bislang ignoriert haben. Allein die MOOC-Plattform edX führt mehr als 46 Kurse rund um den Themenkomplex KI. Hochschulen sollten darüber nachdenken, ihren Studierenden diese Kurse für ihr Hochschulstudium anzurechnen.
Menschen im Umgang mit KI befähigen: Vorbild Finnland
Dass KI-bezogene Qualifizierung ganzheitlich gedacht werden kann und nicht zwangsläufig an den Toren der Hochschulen Halt machen muss, zeigt das Beispiel Finnland. Dort schlug vergangenes Jahr die sogenannte “AI Challenge” hohe Wellen und führte dazu, dass sich überall im Land Menschen intensiv mit KI auseinandersetzten.
Was als frei zugänglicher Online-Kurs mit dem ambitionierten Ziel, 1 Prozent des Landes mit den Grundlagen von KI vertraut zu machen, startete, entwickelte sich zu einer grandiosen Erfolgsstory: Nachdem mehr als 250 Unternehmen an der Challenge teilnahmen und sich verpflichteten, ihr Personal mit dem Online-Kurs weiterzubilden, zogen Ministerien und viele weitere Einzelpersonen gleich. Bis Dezember 2018 schlossen mehr als 10.500 Menschen den Kurs erfolgreich ab.
Diese Initiative zeigt: Menschen wollen die großen, technologischen Entwicklungen in ihrem Alltag verstehen und sie nutzen können, ganz gleich ob sie schon IT-Kenntnisse besitzen oder eben nicht. Dafür brauchen sie niederschwellige Zugänge. Auch in Deutschland ist es Zeit für eine “Bildungsoffensive KI” für alle – ausgehend von den Hochschulen als zentrale Orte für das lebenslange Lernen.
Kommentar schreiben
Nicolas B. (Mittwoch, 27 Februar 2019 09:19)
Kleine Korrektur: "Robotics, Cognition, Intelligence" ist ein Studiengang an der TU München, nicht an der LMU. Dass man dort inhaltlich passende Module aus den Fakultäten Informatik, Elektrotechnik und Maschinenwesen wählen kann ist richtig und richtungsweisend.
Jean D. (Mittwoch, 27 Februar 2019 11:26)
Sehr guter Beitrag, gut geschrieben und trotz der Größe und Komplexität des Themas äußerst informativ.
Nikolaus Bourdos (Mittwoch, 27 Februar 2019 11:49)
Danke an die Autoren. Hier wird knapp, aber präzise beschrieben, worauf es in naher Zukunft ankommen wird.
tmg (Mittwoch, 27 Februar 2019 12:21)
Die Autoren fordern ein ''Studium KI generale für alle Studiengänge''. Das ist ungefähr so sinnvoll oder notwendig wie ein Studium Elektrizität generale für alle Studiengänge.
Klaus Diepold (Mittwoch, 27 Februar 2019 21:53)
@Nicholas
Danke für die Korrektur.
Wenn Studierende aller Fächer ein KI-Querschnittsfach belegen, und dann verstehen wie KI funktioniert, dann sind die Studierenden, die sich ernsthaft in einem dedizierten Studium (Informatik, Ingenieurwissenschaften, Mathematik, etc) mit dem Thema beschäftigen ziemlich dumm.
Oder aber KI ist doch etwas komplizierter, dann stellt sich die Frage, welche Kompetenzen in Form einer Querschnittsveranstaltung an fachfremde Studierende vermittelt werden können.
Oder ist die Forderung eher in der Richtung zu verstehen, dass Universitäten einfache Einführungskurse zu KI anbieten sollen, die ohne weitergehende mathematische und technische Kenntnisse auch für Nichttechniker bewältigbar sind?
KI ist nur ein Hype (Donnerstag, 28 Februar 2019 10:47)
wie schon so viele davor und die Aufregung weitgehend unbegründet. KI ist kein Voodoo, die Mathematik dahinter recht simpel. Jeder halbwegs technisch versierte Mensch, kann sich per Youtube-Tutorials und Open-Source-Bibliotheken in 2-3 Wochen aufschlauen. Der Durchbruch von "Machine Learning" für einfache Alltagsanwendungen resultiert allein aus dem glücklicherweise seit Jahrzehnten anhaltenden, stabilen Fortschritt in der Halbleitertechnik, d.h. FLOPS, FLOPS FLOPS.
Auffällig an der Debatte ist, dass sich fast immer nur Fachfremde (Philosophen, Soziologen, Politologen, Ökonomen, Politiker) äußern. Warum bloß?
Die meisten Techniker/Wissenschaftler lächeln milde über den gegenwärtigen Wahnsinn, verhalten sich aber ruhig und nehmen die Fördermillionen gerne mit: Ministerium XY hat KI-Millionen? - Kein Problem, hier kommt der Antrag, der 1.) Eure German Angst vor China und Nordamerika bedient und 2.) die Wunderheilung durch "Data-driven Science" verspricht. Und am Ende machen wir das, was wir immer schon gemacht haben: Experimentieren, modellieren/interpolieren/approximieren, back to start.
Mechanisierung/Automatisierung zur Produktivitätssteigerung (aka "Digitalisierung") hat es zum Glück immer schon gegeben und wird es weiter geben. Berufe sind immer schon verschwunden und dafür neue entstanden. Woher der Glaube, dass ausgerechnet diese Gegenwart singulär in der Zeitgeschichte ist?
Sorry für den Rant. Musste mal sein.
Zukunftsmusiker (Donnerstag, 28 Februar 2019 20:48)
@ Klaus Diepold
Stimme Ihrer Kritik zu. Und ich gehe weiter: Dieser Beitrag des Stifterverbands ist schwammig, oberflächlich und effekthascherisch. Leider ist dieses Niveau aber typisch für den Stifterverband insgesamt (ich spreche aus 20+ Jahren eigener Erfahrung) .
Klaus Diepold (Freitag, 01 März 2019 09:13)
@Zukunftsmusiker
Ihrer Generalkritik am Stifterverband kann ich mich in keiner Weise anschließen. Meine Erfahrungen der vergangenen Jahre waren alle ausnehmend positiv.
Das aus dieser Richtung vielleicht auch mal ein (für mich) weniger überzeugender Beitrag kommt ist für mich ok. Ich selbst gebe auch nicht nur Kluges und Druckreifes von mir. Entscheidend ist, dass wir im Dialog sind und bleiben.
tmg (Freitag, 01 März 2019 19:42)
@Klaus Diepold
Entscheidend ist der Inhalt eines Dialogs, und nicht, dass man prinzipiell im Dialog ist und bleibt.
Wolfgang Kühnel (Dienstag, 08 Oktober 2024 18:02)
Zum Beitrag # 6: Gerade heute wurde gemeldet, dass Geoffrey Hinton den Nobelpreis für Physik bekommen wird. Er hat selber KI entwickelt und auch für Google gearbeitet, aber er warnt auch entschieden vor den Gefahren von KI. Wikipedia weiß mehr über ihn.
Also sollte man vor einer allzu naiven KI-Begeisterung warnen. Dahinter stecken allzu oft reine Geschäftsinteressen, und die Nachteile bekommen derzeit z.B. die Kunden der Deutsche Bahn AG zu spüren, denn nach deren Vorstellungen soll es künftig Fahrscheine nur noch digital geben. Die Kunden brauchen dann ein (angeblich umwelt-freundliches) Smartphone, sie müssen für dessen Funktionsfähigkeit sorgen, sie müssen persönliche Daten abliefern, und es kann gespeichert werden, wer wann wohin gefahren ist, alles auf Befehl "von oben". Big Brother is watching you.