Das Universitätsklinikum Heidelberg schürte den Medien-Hype um einen angeblich revolutionären Krebstest. Nur ein Beispiel misslungener Wissenschaftskommunikation oder steckt mehr dahinter?
Screenshot von der BILD-Website.
DIE BILD BRACHTE die ganz große Story. Eine "Weltsensation aus Deutschland" sei das, die da aus Heidelberg komme. Die dortige Universitätsklinik habe einen "revolutionären Test" entwickelt: Er könne Brustkrebs entdecken, bevor ihn bildgebende Verfahren sichtbar machen können, außerdem sei der Bluttest sicherer als die bisherigen Verfahren und noch dazu besonders treffsicher bei Risikopatientinnen mit genetischer Veranlagung. "Ein medizinischer Durchbruch."
Zu der Schlagzeile packte die Zeitung das passende Foto: drei Mediziner, aufgestellt wie Superhelden im Arztkittel, ganz vorn mit lässig-verschränkten Armen posierte Christof Sohn, geschäftsführender Ärztlicher Direktor der Universitätsfrauenklinik.
Das war vor zwei Wochen. Heute sagt Sohn auf Nachfrage, das habe er so nicht gewollt. Die Schlagzeile "Weltsensation" sei nicht angebracht gewesen "im Zusammenhang mit unserem Test", er habe sie aber auch nicht gekannt, bevor der Artikel veröffentlicht wurde, und ganz bestimmt hätten er und seine Kollegen sie "in dieser Form“ nicht mitgetragen. Nein, er habe "immer versucht, mich vorsichtig auszudrücken".
Es ist der Versuch der Schadensbegrenzung. Denn so groß das Presseecho auf die Nachricht von der "Weltsensation" war, so vernichtend fiel das Urteil in der Fachcommunity aus. "Eine Berichterstattung, die ohne Evidenzgrundlage Hoffnungen bei Betroffenen weckt, ist aus unserer Sicht kritisch zu bewerten und entspricht nicht den von uns vertretenen Grundsätzen medizin-ethischer Verantwortung", kommentierten sieben renommierte Verbände von der Deutschen Krebsgesellschaft bis zur Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in einer gemeinsamen Erklärung. Und der Max-Planck-Forscher Gerd Gigerenzer erklärte die Wortmeldungen der Heidelberger Forscher zur "Unstatistik des Monats". Den Versuchen der Heidelberger Forscher, die Schuld für das PR-Desaster allein auf den Zeitungsartikel zu schieben, begegneten Gigerenzer und seine Unstatistik-Mitstreiter dabei mit der Feststellung: "Das Problem liegt nicht erst bei der BILD-Zeitung, sondern bereits in der Pressemitteilung."
Die Pressemitteilung, auf die Gigerenzer anspielt, erschien abgestimmt nach dem als "exklusiv" vermarkteten BILD-Artikel am 21. Februar. Verschickt hat sie die Pressestelle des Uniklinikums, auch sie liest sich effekthascherisch: Der Test sei ein "Meilenstein in der Krebsdiagnostik", und Sohn, der sich so vorsichtig ausgedrückt haben will, preist die "neue, revolutionäre Möglichkeit, eine Krebserkrankung in der Brust nicht-invasiv und schnell anhand von Biomarkern im Blut zu erkennen". Die "Sensitivität", die Trefferrate, mit der kranke Patienten durch den Test erkannt würden, liege bei 75 Prozent.
Die zugrunde liegende Studie ist bisher
weder abgeschlossen noch publiziert
Was die Sache noch kritischer macht: Den "Meilenstein", den das Universitätsklinikum da verkündet, gibt es nicht. Zumindest noch nicht. Vielleicht wird er mal einer. Doch die Studie, um die es geht, ist bislang weder abgeschlossen noch publiziert. Weshalb kein unabhängiger Mediziner die Aussagen und Angaben Sohns und seiner Mitarbeiter überprüfen kann. Die laut "Unstatistik" noch dazu unvollständig sind: Ob die Trefferrate von 75 Prozent gut oder schlecht sei, lasse sich aus den vom Uniklinikum gegebenen Informationen nicht ableiten, da die "Falsch-Alarm-Rate" des Bluttests in der Pressemitteilung unerwähnt bleibe, also wie oft Patienten, die nicht krebskrank sind, mit einem positiven Testergebnis konfrontiert werden. "Nach üblichen wissenschaftlichen Standards veröffentlichen Forscher zuerst eine Studie in einer Fachzeitschrift, die dort begutachtet wird, und gehen erst dann an die Presse", kritisieren Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer und Thomas K. Bauer, Vizepräsident des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung. "Beim Bluttest wurde dieser Standard nicht eingehalten."
Spielte das Heidelberger Universitätsklinikum mit den Gefühlen von Krebskranken und ihren Angehörigen? Nahm es in Kauf, dass mit dem Versprechen der baldigen Marktreife ("Markteinführung noch in diesem Jahr geplant") ein Hype erzeugt wurde, der am Ende in Frust enden könnte – bei den Kranken, aber auch in einer breiteren Öffentlichkeit, bei der hängen bleibt, dass die Wissenschaft "mal wieder" zu viel versprochen hat? Wird durch solch eine Kommunikation womöglich am Ende sogar die Wissenschaftsskepsis gefördert?
Nicht alle Medien sind dem Hype gefolgt. Die ZEIT zum Beispiel schrieb vergangene Woche von "Ungereimtheiten" in den Angaben des Gynäkologen Sohn, über die BILD-Schlagzeile befand die Wochenzeitung, leider stimme sie nur zur Hälfte: "Das Verfahren stammt tatsächlich aus Deutschland. Das mit der Weltsensation dagegen ist so eine Sache." Das wenige, was man wisse, deute darauf hin, dass die Methode noch nicht reif sei für eine breite Vermarktung im kommenden Jahr. Insofern sei es zu früh, Frauen Hoffnung auf einen neuen Test zur Früherkennung von Brustkrebs zu machen.
Die Leitung des Uniklinikums springt Sohn derweil zur Seite. "Wir haben die Pressemitteilung mit der Intention einer sachlichen Information verfasst und wollten keine voreilige Bewertung des Testes abgeben oder falsche Hoffnungen bei Patientinnen erwecken", schreiben die Ärztliche Direktorin Annette Grüters-Kieslich, Dekan Andreas Draguhn und die Kaufmännische Direktorin, Irmtraut Gürkan, auf Anfrage in einer gemeinsamen Stellungnahme. "Wenn Aussagen in einzelnen Berichten unsachlich und übertrieben wiedergegeben wurden, bedauern wir dies sehr."
Hier scheint sie schon wieder durch: die Strategie, alle Schuld auf die Medienberichterstattung zu schieben. Dabei wirbt die Agentur, die von der Klinikums-Ausgründung Heiscreen mit der Marken-PR beauftragt wurde, auf ihrer Website immer noch stolz mit der BILD-Veröffentlichung. Und Heiscreen verkündet immer noch auf seiner Website: "Erster marktfähiger Bluttest für Brustkrebs".
Aber warum überhaupt die Eile? Warum hat das Universitätsklinikum nicht einfach gewartet, bis die Forschungsarbeiten wirklich fertig, die Daten für alle frei verfügbar und überprüfbar waren und der Bluttest tatsächlich marktreif? Immerhin gibt Christof Sohn an, "die Studien stehen unmittelbar vor dem Abschluss mit sehr rascher Publikation." Dann, so fügt er hinzu, würden sich jedoch weitere Multicenterstudien direkt anschließen für eine breite Absicherung der Daten. Was wiederum die Frage stellt, wann überhaupt der richtige Zeitpunkt gewesen wäre, von einem Meilenstein zu sprechen: womöglich ja erst in ziemlich entfernter Zukunft.
Welche Rolle spielt das Joint Venture
mit einem chinesischen Pharma-Unternehmen?
Doch offenbar bestand Druck, jetzt zu handeln. Und womöglich sogar ein handfestes ökonomisches Interesse. So schreibt das Universitätsklinikum in seiner Pressemitteilung: "Um die notwendigen Zertifizierungen voranzutreiben und die Marktreife sicherzustellen, wurde nun eine Gesellschaft mit dem Namen HeiScreen GmbH ausgegründet." Die Gesellschaft werde die Markteinführung des Verfahrens voranbringen und Vertriebskanäle entwickeln. Die sogenannte CE-Zertifizierung habe bereits begonnen, um den Bluttest noch in diesem Jahr in die klinische Anwendung zu bringen.
Was nicht in der Pressemitteilung steht: Tatsächlich besteht die Firma laut Mannheimer Handelsregister bereits seit 2017. Und es gibt neben der HeiScreen GmbH noch eine zweite Ausgründung des Universitätsklinikums Heidelberg mit ähnlichem Namen: NKY HeiScreen. Dessen Ziel laut Handelsregistereintragung: Die Entwicklung eines Tests zur Früherkennung von Brust-, Eierstock- und Pankreaskrebs für die "Region China", womit die Volksrepublik, Hong Kong, Macao und Taiwan gemeint seien. Partner des Universitätsklinikums ist das Pharmaunternehmen Boai NKY Pharmaceuticals, ansässig in Tianjin Shi, China. Dessen Aktienkurs übrigens seit Anfang Februar, besonders aber nach dem 21. Februar einen steilen Anstieg zeigt.
Fragen, die sich stellen: Inwiefern gab es im Vorfeld der Veröffentlichung der "Meilenstein"-Pressemitteilung und des "Weltsensation"-BILD-Artikels Absprachen des Universitätsklinikums mit NKY Pharmaceuticals? Inwiefern spielt bei dem vorschnellen Gang an die Öffentlichkeit eine Rolle, dass das Universitätsklinikum Heidelberg laut Geschäftsbericht 2017 Verbindlichkeiten von fast 400 Millionen Euro auswies und dass die HeiScreen-Ausgründung möglicherweise einen warmen Geldregen verheißt? Welche persönlichen Interessen haben einzelne der Akteure?
Christof Sohn sagt ganz allgemein, er sehe "keinen Widerspruch, dass neue Entwicklungen auf den Markt gebracht werden, natürlich mit dem kommerziellen Interesse im Hintergrund". Und der Heidelberger Klinikumsvorstand, der die Pressemitteilung freigegeben hat, teilt mit, die erwähnten "Finanzierungen" (gemeint sind die 400 Millionen) bezögen sich "auf wichtige Infrastrukturmaßnahmen auf dem Campus/unseres Hauses." Einen Zusammenhang zwischen den Verbindlichkeiten und HeiScreen herzustellen, sei nicht passend, denn eine Absicherung solch langfristiger Infrastrukturmaßnahmen über Firmenausgründungen "wäre wirtschaftlich und strategisch unvertretbar."
Ob Timing und Tonalität in diesem Fall vertretbar waren, ist indes eine andere Frage. Keine Frage sollte sein, dass die wissenschaftliche Integrität einer Einrichtung wie das Universitätsklinikum Heidelberg vor den kommerziellen Interessen kommt.
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Zukunftsmusiker (Freitag, 08 März 2019 18:51)
Das ist Wissenschaftsjournalismus mit gesellschaftlichem Mehrwert: kritisch und investigativ. Weiter so!
Huksley (Montag, 11 März 2019 20:35)
Auffallend auch der Zeitpunkt der herbeigeführten medialen Aufmerksamkeit so kurz vor der Exzellenzuniversitätsbegehung. Ein Schelm wer böses dabei denkt...