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Diversifying Diversity: Verstehen wir darunter überall dasselbe?

Vielfalt hat nicht nur viele Gesichter, sondern auch Kategorien. Dessen sollten wir uns bewusst sein. Von Jeffrey Peck.

Jeffrey Peck. Foto: privat.

SEITDEM ICH Jan-Martin Wiardas Bericht zur CHE-Studie und die unschönen Fakten über die Demographie deutscher Hochschulrektoren gelesen habe, denke ich immer wieder darüber nach. Und nicht nur über den Inhalt, sondern auch über die zur Beschreibung von Diversity verwandten Kategorien.

 

Jan-Martin Wiarda betont in der Überschrift zu seinem Artikel die einseitige Zusammensetzung der Hochschulleitungen mit drei Schlagworten: "59, männlich, westdeutsch". Als amerikanischer Wissenschaftler und Hochschulmanager, der sich mit Diversity im deutschen und amerikanischen Kontext beschäftigt, frage ich mich, wie wohl ein vergleichbarer Kommentar in den Staaten aussähe. Sind alle Kategorien von Diversity gleich zu bewerten oder gibt es Unterschiede, die man wahrnehmen und sogar thematisieren sollte?

 

Diversität als positiven Zustand wahrnehmen

 

In den USA tauchen seit langem, aber besonders seit der Anhörung von Brett Kavanaugh, dem jetzigen Supreme Court Justice, andere und in gewisser Hinsicht "härtere" Diversitätskategorien auf, wie white, privileged und straight (heterosexual) male. Diese Adjektive, die die immer noch dominante US-Mehrheitsgesellschaft beschreiben, sind konnotiert als etwas Negatives, genauso wie diejenigen , die Wiarda aufzählt. In beiden Fällen wird ein Manko benannt und eine Situation, die es zu verbessern gilt. Warum? Weil Diversität in einer liberalen demokratischen Gesellschaft ein positiver Zustand ist. Dieser Einstellung stimme ich völlig zu; ich glaube an die Vorteile einer vielfältigen Gesellschaft.

 

Aber wie dieser Vergleich auch zeigt, gelten in Deutschland und in den USA unterschiedliche Maßstäbe – so wie vielleicht jede andere Region in unserer zunehmend globalisierten Welt ihre eigenes Verständnis der idealen gesellschaftlichen Vielfalt hat.

 

Welche der Kategorien gelten denn nur lokal, und gibt es auch welche, die sozusagen universell und global Diversität beschreiben? Wie gehen Gesellschaften mit Minderheiten um – nicht nur im Sinne eines Schutzes vor denjenigen, die Macht über sie haben, sondern auch um ihrer Förderung willen, damit sie selbst Macht erlangen, to empower them, gleich wo sie sind, sei es an einer Hochschule oder am Supreme Court der USA?


JEFFREY D. PECK war über viele Jahre Wissenschaftsmanager in den USA. Jetzt lebt er in Deutschland und arbeitet als Berater im Hochschulbereich. Über seine Erfahrungen und Einsichten schreibt er einmal im Monat hier im Blog.


Ganz gleich in welchem Land man sich befindet, Unterdrückung und Exklusion sind inakzeptabel und zu bekämpfen. Doch stimmt, was viele Konservative glauben, dass Macht- und Statusänderungen zu einer immer feindlicheren und fragmentierteren Welt führen? Oder ist das Gegenteil der Fall? Dass, wie viele Liberale meinen, nur durch eine stärkere Beteiligung gesellschaftlicher Minderheiten eine tolerantere und vielfältigere Welt entsteht? Und eine für mich noch wichtigere Frage lautet: Wie schaffen wir eine neue connectedness, ein Miteinander-verbunden-Sein, das zugleich Differenz und Einheit umschließt, das gelebte Vielfalt in einem lebendigen Ganzen zusammenbringt?

 

Die Antwort liegt möglicherweise in der bewussten und sensiblen Wahrnehmung dieser verschiedenen Kategorien und im Wissen um den spezifischen Kontext der Diversity-Debatte. Soweit mir bekannt, wirft niemand hier in Deutschland Wiarda vor, dass er die Kategorie "weiß" nicht verwandt hat. In den USA aber ist die kritische Wahrnehmung von gender und race/ethnicity (incl. whiteness selbst) der erste Schritt auf dem Weg zu diversityequity und inclusion. In Deutschland wäre die systematische Erfassung und der Gebrauch des Begriffes "Rasse" allein schon aufgrund der Nazi-Verbrechen im vergangenen Jahrhundert in vergleichbar direkter Form nicht vorstellbar.

 

Der Begriff "Migrationshintergrund" dient aus meiner Sicht derzeit als nicht besonders glückliche Lösung zur Erfassung dieser Dimension der Diversität. Historische Unterschiede - hier zwischen den zwei Ländern – bestimmen also ebenfalls die Definition der Kategorien und erklären die unterschiedliche Situation. Somit scheint in Deutschland eine Debatte über die Tatsache, dass es kaum Rektor_innen gibt, die "people of color" sind, – noch? – nicht vordringlich zu sein..

 

"I have a dream" hat seine Bedeutung nicht verloren

 

Obwohl es gegebenenfalls sehr begrüßenswert wäre, auch in Deutschland mehr nicht-weiße Rektor_innen zu sehen, zeigt es eher, dass Deutschland derzeit noch nicht so weit ist. Dies meine ich nicht als Ausrede, sondern als Erklärung. Hoffentlich gibt es auch hier bald zunehmend sichtbar mehr Menschen in der Öffentlichkeit, die als role models in einer immer heterogeneren deutschen Gesellschaft wirken können. Vergleiche machen uns bewusster, dass so etwas vorstellbar sei. Wer hätte vor Obama gedacht, dass in den USA ein schwarzer Präsident möglich wäre? Das historische "I have a dream" Martin Luther Kings steht beispielhaft für diese Hoffnungen.

 

Genau umgekehrt ist zum Beispiel "westlich" in Wiardas Überschrift ein spezifisches Kriterium im wiedervereinten Deutschland, das die hier auch nach fast 30 Jahren immer noch existierenden Ost-West-Machtunterschiede bezeichnet. In den USA werden Unterschiede der Regionen - mit Ausnahme vielleicht des Northeast Corridors von Boston bis Washington D.C., der oft als das "Elitezentrum" der Staaten bezeichnet wird - in solchen Diskussionen nicht so sehr wahrgenommen. Festzustellen ist allerdings, dass besonders in den USA sehr oft class - und eben nicht die Region - eine verborgene und nicht diskutierte Kategorie ist.

 

Gender, race, ethnicity, religion, class (socio-economic status), age, sexual orientation und disability oder Variationen dieser Begriffe sind in den Diversitätsdiskussionen die eigentlichen Hauptkategorien. Und wie wir immer besser verstehen, sind die jeweiligen Kategorien nicht exklusiv, ja, sie konkurrieren sogar oft miteinander. Diese Multidimensionalität ist eingeschlossen in den theoretischen Begriff intersectionality. Trotzdem müssen Menschen, die mit mehreren dieser Identitätsbezeichnungen (man hat immer mehr als eine!) beschrieben sind, so unterschiedlich und "anders" sie auch sein mögen, sich im Alltag miteinander zurechtfinden. Mit einem starken Bewusstsein ihrer selbst und ihres "Anderseins" gilt es zu erkennen und zu akzeptieren, wo sie den anderen ähneln.

 

Gemeinsame Perspektiven verbinden

 

Nur durch ein kritisches, aus der Reflexion erwachsendes Bewusstsein seiner eigenen Identität kann man zu einer größeren gesellschaftlichen Verbindlichkeit gelangen. Durch Selbstkenntnis eröffnen sich gemeinsame Perspektiven mit "dem anderen", auch wenn die Kategorien nicht unbedingt dieselben sind. Als amerikanischer Jude in Deutschland sehe ich die Welt um mich herum einerseits ähnlich, aber auch anders als ein deutscher Jude oder jüdischer Israeli; zugleich aber verbindet mich als Teil einer Minderheit in Deutschland vielleicht auch etwas mit einem türkisch-muslimischen Mann, der sich in einem christlichen Land möglicherweise manchmal ähnlich fremd fühlt wie ich mich?

 

Für Deutschland sehe ich durch die zunehmende gesellschaftliche Vielfalt in der Konfrontation mit solch neuen Kategorien von Diversity einen eindeutigen Vorteil. Es bietet sich die Chance, tradierte eigene Sichtweisen zu erweitern, um auf einer neuen Stufe ein selbst bewussteres und offeneres Mitglied einer toleranteren und im besten Sinne kritischeren vielfältigen Gesellschaft zu werden. Solch eine Welt konfrontiert Menschen ständig mit anderen Perspektiven; das ist nicht immer leicht und ein sich ständig entwickelnder Prozess. Wie vor 50 Jahren die Ost-West-Kategorie nicht vorstellbar war, werden in weiteren 50 Jahren wieder neue Kriterien in den Vordergrund treten, die erneut nur regional oder aber auch weltweit von Bedeutung sein können.

 

Kategorien werden, wie zum Beispiel white versus people of color, vielleicht ihre Priorität verloren haben, andere, heute vielleicht noch nicht vorstellbare, uns allmählich deutlich werden. Im besten Fall wird es uns als Gesellschaft gelingen, dem Bewusstsein um Verschiedenheit und Gleichheit mehr Raum zu geben – und so am Ende mehr Möglichkeiten zur Teilhabe aller zu schaffen.

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Kommentare: 1
  • #1

    Thomas (Dienstag, 12 März 2019 23:11)

    Ich finde das sehr gelungen, danke. Das ewige "Diversität ist Frauenförderung" ist ja wirklich unterkomplex.
    Und das Thema "Klasse", das finde ich super. Ganz spontan fallen mir ein: Khakzar - Fulda, Mukherjee -
    Gießen. Es gibt sicher mehr, nicht so sichtbare. Halt, van Zejl, DHBW noch, aus Südafrika (ok, "nur weiß", aber immerhin). Unterrepräsentiert? Vielleicht. Aber rein weiß ist es nicht. Das Fehlen der Ostdeutschen halte ich für bedenklicher.