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Poker um Macht und Geld

Eine hochpolitische Frage: Wie werden vom nächsten Jahrzehnt an  Wissenschaft und Hochschulen finanziert? Die Antwort muss die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz finden – bis Anfang Mai.

Foto: Pijon / Pixabay - cco.

DIE GEMEINSAME WISSENSCHAFTSKONFERENZ von Bund und Ländern ist ein erstaunliches Gremium. Erstaunlich sind die Summen, die sie verteilt. Erstaunlich ist, dass trotzdem kaum jemand im Land die GWK kennt. Dabei spielt sich hinter ihren Kulissen ein Machtpoker ab, der in den kommenden Wochen besonders heftig zu werden droht. 

 

Bis zum 3. Mai ist nur noch Zeit. Dann trifft Wissenschaftsministerin Anja Karliczek (CDU) im Bundesratsgebäude auf ihre Länderkollegen. Dann müssen auf den Sitzungstischen der GWK Vertragsentwürfe liegen, die Karliczeks Ministerialbeamte in monatelanger Kleinarbeit ausgehandelt haben. Es geht um die "Großen Wissenschaftspakte", die über die Zukunft der deutschen Wissenschaft entscheiden – zumindest über die ersten sieben Jahre dieser Zukunft. Mehr als 100 Milliarden Euro sollen insgesamt fließen. Eine Zahl mit 11 Nullen. 

 

Warum trotzdem so wenig Leute davon Notiz nehmen? Womöglich liegt das ja an den bisherigen Bezeichnungen für Pakte, die sie wie Verwaltungsakte daherkommen ließen und nicht wie Zukunftsentwürfe: Hochschulpakt, Pakt für Forschung und Innovation, Qualitätspakt Lehre. Sie alle gibt es schon, teilweise seit mehr als einem Jahrzehnt (siehe Kasten).


Drei für die Wissenschaft

Der Hochschulpakt: Er hat den historischen Run von Studienanfängern überhaupt erst ermöglicht: Heute sind 900 000 Studenten mehr an Deutschlands Hochschulen immatrikuliert als 2007. Dafür haben Bund und Länder bis heute rund 35 Milliarden zusätzlich an die Hochschulen überwiesen. 

 

Der Pakt für Forschung und Innovation: Er hat die großen Forschungsorganisationen von Max Planck bis Helmholtz um Tausende international renommierte

Wissenschaftler wachsen lassen. Das ging, weil ihre Jahresetats seit 2006 Jahr für Jahr um mindestens drei Prozent stiegen

 

Der Qualitätspakt Lehre: Er hat Hochschulen und Dozenten dabei geholfen, angesichts von Digitalisierung und einer immer bunteren Studierendenschaft neue Lehrformate zu entwickeln. Dotiert mit vergleichsweise schmalen 200 Millionen Euro pro Jahr, erzielte er seit 2011 doch große Wirkung. 



Alle drei verfallen Ende 2020, müssen erneuert werden. Jeder weiß, dass es ohne sie nicht geht, die GroKo hat versprochen, sie fortzusetzen. Hochschulpakt und Qualitätspakt Lehre will sie sogar auf Dauer zu stellen. Selbstläufer sind die Verträge aber trotzdem nicht, die Verhandlungen über die letzte Verlängerung wären 2014 zwischendurch fast geplatzt. 

 

Und erneut sind die Erwartungen riesig. Gewerkschaften und Verbände starteten im März die Kampagne "Frist ist Frust", mit der sie mehr Dauerstellen fordern. Rund 90 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter an Hochschulen sind befristet tätig, viele für wenig Geld. Zukunftsplanung und Familiengründung fallen da schwer. Gut möglich, dass Karliczek und ihre Kollegen, wenn sie am 3. Mai in Berlin-Mitte aus dem Fenster schauen, Demonstranten auf der Straße sehen. 

 

Wenn Bund und Länder über hohe Summen reden, ist die Konfrontation programmiert. Die Wissenschaftsminister der Länder wollen beim Bund für die Hochschulen möglichst viel rausschlagen, und obendrein sollen dessen Zuschüsse zum Hochschulpakt stetig wachsen. Die außeruniversitären Forschungsorganisationen kriegen auch jährlich mehr, warum also bitte nicht die Hochschulen? 

 

Bund und Länder präsentieren sich gegenseitig die Rechnung

 

Karliczek hat das mehrfach abgelehnt und präsentiert den Ländern eine ganz andere Rechnung: Sie sollen mehr als bislang zahlen. Und zwar für den Pakt für Forschung und Innovation. Derzeit trägt der Bund das jährliche 3-Prozent-Plus nämlich allein, ein aus GroKo-Sicht einmaliges Zugeständnis an die Länder in den letzten Verhandlungen 2014. Mit der Folge, dass die Jahrzehnte alten Finanzierungsschlüssel (zum Beispiel 50:50 bei Max Planck) zwischen Bund und Ländern durcheinandergeraten sind. Real zahlt der Bund derzeit ein paar Prozentpunkte mehr, die Länder weniger. Ab 2021 sollen dann wieder die "bewährten Bund- Länder-Schlüssel" gelten, fordert der Koalitionsvertrag. Im Klartext: Die Länder müssten auf einen Schlag hunderte Millionen nachzahlen. Viele Landesminister beteuern: Das sei ein Ding der Unmöglichkeit. 

 

Außerdem will Karliczeks Ministerium festklopfen, dass es besser kontrollieren kann, was die Hochschulen mit dem schönen Geld vom Bund eigentlich machen. In den GWK-Verhandlungen, bei denen offiziell auch die Finanzminister mitmischen, wird deshalb nicht nur um Zahlen gerungen, sondern auch um Verteilungskriterien und Bonussysteme. Und möglicherweise sogar um eine neue Organisation, die für die Qualität in der Hochschullehre so wichtig werden könnte wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft für die Qualität in der Forschung. 

 

Und als wären die Verhandlungen so nicht komplex genug, kommt noch das Gezerre auf der Ebene der Parlamentarier hinzu. Karliczek sitzen nämlich auch ihre eigenen Leute im Nacken. Eckhardt Rehberg zum Beispiel. Den Chefhaushälter der Union ärgert es, dass der Bundestag bei Paktentscheidungen nur eine Art "Notarfunktion" hat. Der SPD-Haushälter Swen Schulz spricht sogar von einem "untragbaren Zustand". Milliardenbeschlüsse in der Wissenschaftspolitik, ohne dass die Parlamente dabei praktisch mitreden? Geht gar nicht. Formal sind die Pakte nämlich nur Verwaltungsvereinbarungen zwischen den Regierungen, also reine Exekutivarbeit. Die Parlamente können sie nur abnicken, es sei denn, sie lehnen einen Bundes- oder Länderhaushalt komplett ab. "Ganz oder gar nicht, das bedeutet, dass wir inhaltlich keinerlei Einfluss nehmen können", sagt Schulz. Aber genau das würden die Parlamentarier gern. 

 

Zum Beispiel bei der Definition dessen, was Forschungsorganisationen für den Geldsegen leisten sollen. Albert Rupprecht, Unionsfraktionssprecher für Forschung und Bildung, sagt, besonders beim Transfer müsse mehr kommen. Dass bedeutet zum Beispiel, dass die Forscher ihre Ergebnisse der Gesellschaft besser erklären. Oder dass die Wirtschaft mehr davon profitieren kann, etwa bei der Entwicklung neuer Produkte. Ein Maß dabei ist, wie viele neue Firmen aus den Forschungsinstituten heraus gegründet werden. Im Bundestag sagte Rupprecht: "Wenn uns der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft im Ausschuss sagt, es sei ein großer Erfolg, dass die Zahl der Ausgründungen inzwischen auf 17 pro Jahr angestiegen ist – 17 bei einer Organisation mit 38 000 Mitarbeitern –, ist das, mit Verlaub gesagt, viel, viel zu wenig." Für die Zukunft fordert Rupprecht "überprüfbare Kriterien" und ein "transparentes Monitoring, das Aufschluss darüber gibt, ob die Maßnahmen zur Zielerreichung effektiv beitragen." Und dann schickt Rupprecht eine Ansage in Richtung von Karliczeks Ministerium: "Wir machen unsere Zustimmung und Unterstützung zum Pakt auch von der Berücksichtigung unserer Positionen abhängig."

 

CDU-Haushälter Rehberg: Die
Länder rechnen sich arm

 

Eckhard Rehberg ärgert noch etwas anderes. "Die Länder wollen immer mehr Geld vom Bund, und dabei greifen sie selbst längst zu Buchungstricks, damit ihre Überschüsse nicht zu hoch ausfallen." Sein Heimatland Mecklenburg-Vorpommern verfüge schon über 3,5 Milliarden Euro an Rücklagen und Sondervermögen – bei einem Jahreshaushalt von gut acht Milliarden.

 

Statements, die belegen, wie groß das Misstrauen zwischen Bund und Ländern mittlerweile ist, sobald es ums Geld geht. Viele Bundespolitiker finden die Länder gierig, die Länder wiederum verdächtigen den Bund, in ihre Kultushoheit hineinregieren zu wollen. Schon bei der für den Digitalpakt vorgenommenen Grundgesetz-Änderung hatten die Bundeshaushaltspolitiker eine empfindliche Verschärfung der Regeln ins Grundgesetz bringen wollen – und waren erst durch den Vermittlungsausschuss teilweise ausgebremst worden. 

 

Ein jährliches Plus beim Hochschulpakt jedenfalls lehnt Rehberg wie Ministerin Karliczek ab. Sein SPD-Kollege Schulz stimmt ihm teilweise zu: "Das Bild von den armen Ländern und dem reichen Bund stimmt nicht mehr." Ein jährliches Plus beim Hochschulpakt komme nur in Frage, wenn die Länder im Gleichschritt nicht nur die Kofinanzierung der Bundesgelder erhöhen, sondern ihre gesamten Hochschulbudgets. "Die können das, wenn sie nur wollen." 

 

Viele Landesminister würden dem vehement widersprechen, aber längst nicht alle. So hatte zum Beispiel Berlins Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) schon im vergangenen Juni im Interview gesagt: "Mein Vorschlag lautet, dass die Länder sich allesamt zu einem jährlichen Aufwuchs für ihre Hochschulen verpflichten, und zwar der gesamten Grundmittel, und dafür steigert der Bund jährlich entsprechend seine Mittel beim Hochschulpakt." 

 

Forderungen nach mehr Transparenz der Verhandlungen kommen derweil auch aus den mehreren Landesparlamenten, auch dort ärgern sich Abgeordnete über die spärlich fließenden Informationen. Die NRW-SPD brachte vor zwei Wochen sogar einen Antrag in den Landtag ein, Titel: "Verlängerung des Hochschulpakts – Landesregierung muss mehr Transparenz wagen". Allerdings wurde der Antrag von der schwarz-gelben Regierungsmehrheit abgelehnt. 

 

Im Bundestag haben die Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD  jetzt erstmal für die nächste Sitzung des Haushaltsausschusses am Mittwoch eine "Unterrichtung durch die Bundesregierung" über den Stand der Pakt-Verhandlungen beantragt. Ein bisschen die Zähne zeigen, darum geht es. Und wenn die Pakte in sieben Jahren erneut verhandelt werden, dann, so fordern die Parlamentarier, möglichst nicht mehr über Verwaltungsvereinbarungen. Sie wollen dann die große Debatte auch in den Parlamenten – und zwar während der Verhandlungen. Geheim wäre der Poker dann wohl nicht mehr. Aber womöglich bekämen die Pakte dann endlich die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie schon von ihrem finanziellen Volumen her verdienen? 

 

Karliczeks parlamentarischer Staatssekretär Michael Meister (CDU) spricht dagegen von einer "klassischen Rollenverteilung zwischen Parlament und Regierung". Wenn der Bundestag in den laufenden Verhandlungen mitmischte, würde das "unsere Verhandlungsposition gegenüber den Ländern nicht stärken". Selbstverständlich berichte die Regierung den Parlamentariern aber fortlaufend in den Ausschüssen. 

 

Ob die Beschwichtigungen
reichen werden?

 

Und auch wenn sich BMBF und Landesministerien an vielen Stelle derzeit uneinig sind, an dieser Stelle nicht: Wissenschaftssenatorin Eva Quante-Brandt, die mit Karliczek Co-Vorsitzender der GWK ist, betont auf Anfrage, die Verhandlungen lebten von "einer gegenseitigen Vertraulichkeit. Daher werden, wenn Ergebnisse oder auch Zwischenergebnisse vorliegen, diese auch gegenüber Parlamentariern berichtet." Aktuell gebe es noch keine Ergebnisse.

 

Ob die Beschwichtigungen den Regierungsfraktionen reichen werden? Die wiederum bekommen nämlich Druck aus der Opposition. Der FDP-Bildungsexperte Thomas Sattelberger hatte Helmholtz, Max Planck, Leibniz und Fraunhofer schon im vergangenen Sommer als "fette Katzen" bezeichnet und eine Neuausrichtung des Pakts für Forschung und Innovation verlangt. Diese Woche legen er und seine Fraktion mit einem Antrag im Bundestag nach: Sie wollen für den nächsten PFI einen ganzen "Indikatorenkatalog" und die "Vereinbarung von Zielmarken" mit den Forschungsorganisationen, um "den Forschungsoutput zu stimulieren". 

 

Und mitten in dem Poker um Macht und Geld sitzt die Bundesforschungsministerin. Anja Karlizcek muss mit den Ländern Verträge aushandeln, die die wissenschaftspolitischen Ziele berücksichtigen, von einem qualitativ hochwertigen Studium über bessere Beschäftigungsbedingungen bis hin zum "Transfer". Um den Bundestag zu befrieden, muss sie die Parlamentarier einbinden und gleichzeitig den effizienten Geldeinsatz sicherstellen. Und bei all dem der Wissenschaft die nötige Freiheit lassen. Schließlich darf sie auch nicht in so einen krassen Konflikt mit den Ländern gehen, dass die am 3. Mai möglicherweise die Unterschrift verweigern. Denn zögen sich die Verhandlungen in den Herbst hinein, wüchsen die politischen Unwägbarkeiten nochmal dramatisch – ganz im Gegensatz, siehe die tiefer werdende Konjunkturdelle, zum finanziellen Spielraum der Bundesregierung.

 

Fast schon ein Politkrimi. Wenn er für Außenstehende nur nicht so schwer zu erklären wäre. 

 

Dieser Artikel erschien heute in einer kürzeren Version zuerst in der Süddeutschen Zeitung.

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Kommentare: 1
  • #1

    * (Montag, 01 April 2019 20:39)

    Der Qualitätspakt Lehre in seiner konkreten Form wird nicht auf Dauer gestellt, ausschließlich die Mittel werden es (wohl). Die Projekte zur Lehrqualität an den Hochschulen

    Die derzeit und noch bis Ende 2020 durch den QPL geförderten Projekte sollen künftig von den Hochschulen selbst getragen werden. Übergangsregelung, nicht nötig.

    Die Konsequenz: Es gibt in den Projekten sukzessive seit Winter vergangenen Jahres Auflösungserscheinungen mangels Perspektivlosigkeit nach 2020. Immer absehbarer wird, dass von den mühsam, kleinschrittig aufgebauten Strukturen, Prozessen und Personal nur etwa 25 -40 Prozent verbleiben werden. In vielen Fällen ist noch unklar, was und wer das sein wird. Und dass bei unsicherer Lage immer die Leistungsträger zuerst gehen, war irgendwie... vorhersehbar?!

    Es gibt keine Diskussion, weder in der Politik, noch in der Berichterstattung darüber, dass der QPL in seiner jetzigen Form gescheitert ist. Rein praktisch ist er das, da die Mittel zukünftig anders verwendet werden. Ende 2018 feierte man sich noch bei "QPL - what works" in Regensburg. Es hätte heißen sollen: "what worked".