"Transfer in der Lehre" ist ein In-Thema. Doch solange die nötigen Strukturen fehlen, ist die Belastung für die Lehrenden und Studierenden hoch. Ein Gastbeitrag von Thomas Hoffmeister und Albert Kümmel-Schnur.
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IN DER KONSTANZER Stadtverwaltung lauschen fünfzig Mitarbeiter aufmerksam einer Gruppe von Studierenden. Die jungen Leute erzählen den Verwaltungsfachleuten, wie sie ihre tägliche Arbeit so umgestalten können, dass sie näher an den Bürgern dran sind – und noch dazu in derselben Zeit mehr geschafft bekommen. Die Ideen der Studierenden entstanden in einem Seminar der Universität Konstanz. "Digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung" heißt es, angeboten hat es Professorin Ines Mergel. Die besten Vorschläge der Studierenden wurden tatsächlich umgesetzt: Die Zusammenarbeit zwischen Uni und Stadt führte sogar zu einer neuen Stelle in der Stadtverwaltung.
Ines Mergel sagt, sie interessiere sich hauptsächlich für die gute Zugänglichkeit von Daten. Warum, fragt sie, kann ich auf die Dienste der Stadtverwaltung nicht 24 Stunden an sieben Tagen der Woche von meinem Wohnzimmer aus zugreifen'? Warum, fügt sie hinzu, entsteht trotz einer allgemein guten Akzeptanz soviel Frust bei Bürgerinnen und Bürgern? Studierende ihrer Kurse, trainiert in Methoden der Feldforschung, erheben in qualitativen Interviews Schritt für Schritt, was Bürgerinnen und Bürger von Verwaltungen erwarten und wie sie den Umgang mit ihnen erleben sowie umgekehrt im Gespräch mit Verwaltungsangestellten, wie Verwaltung genau arbeitet. Die Ergebnisse dieser Arbeit werden im Seminar diskutiert, verschwinden aber nicht einfach in Hausarbeiten, sondern werden in Form handlungsorientierter Analysen mit Lösungsvorschlägen zurückgegeben an die Stadtverwaltung.
Apps, Theatertexte, Migrantenkurse
Dieses Vorgehen nennt sich "Transfer in der Lehre" und verknüpft die Kooperation mit außerakademischen Partnern mit forschungsorientiertem Lernen. Oft entstehen aus solchen Zusammenarbeiten neue Produkte – Module für die Polizeiausbildung oder Krankenkassen, kulturhistorische Ausstellungen, Texte fürs Theater, Apps, die themenspezifische Stadtführungen realisieren, Nachhaltigkeitsberichte für Unternehmen oder Kurse für Migrantinnen und Migranten. Auch die Studierenden und Lehrenden profitieren sichtbar von dieser Zusammenarbeit. Oft sind Transferseminare die erste Gelegenheit, eigene kleine Forschungsprojekte durchzuführen und manchmal entstehen aus einer solchen Zusammenarbeit Fragen, die Anlass zu Forschungsprojekten mit großen Drittmittelanträgen geben. In anderen Fällen geben solche Seminare Anstöße für Ausgründungen nicht nur in den traditionell ausgründungsstarken natur- und technikwissenschaftlichen Disziplinen, sondern gerade auch in der Geistes- und Gesellschaftswissenschaft.
Thomas Hoffmeister ist Konrektor für Lehre und Studium der Universität Bremen.
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Albert Kümmel-Schnur ist Medienwissenschaftler und Transferkoordinator der Geisteswissenschaftlichen Sektion der Universität Konstanz.
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Müsste man einen hochschulpolitischen Begriff benennen, der derzeit Universitätsleitungen, Verwaltungseinheiten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie kaum ein zweiter beschäftigt, dann fiele die Wahl wahrscheinlich auf "Transfer". Bis vor wenigen Jahren war dieser Terminus in Deutschland für die Auftragsforschung in Natur- und Technikwissenschaften für die Wirtschaft und Industrie reserviert. Eine weitere Bedeutungskomponente war stets die transparente und verständliche Kommunikation wissenschaftlicher Forschungsergebnisse für die nichtakademische Öffentlichkeit. Man nannte das "Wissenschafts- und Technologietransfer". Seit 2016 ist Transfer der Name viel breiter gedachter wissenschaftspolitischer Strategien. Nicht nur in der Forschung, auch in der Lehre wollen und sollen Universitäten mit externen Partnern kooperieren. Akteure dieser Zusammenarbeit sind nicht länger nur die MINT-Fächer, sondern auch die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften.
Themen genug für das deutschlandweite Symposium "Transfer in der Lehre", zu dem Mitte März die Universitäten Bremen, Köln und Konstanz eingeladen hatten. Der Untertitel der Konferenz formulierte zugleich eine zentrale Frage, die viele umtreibt: "Zumutung oder Chance"? Oder anders formuliert: Welche Inhalte sind geeignet, in der Zusammenarbeit mit nichtakademischen Partnern bearbeitet zu werden? Welche Strukturen braucht eine Universität, um die Durchführung von Zusammenarbeit in Forschung und Lehre sinnvoll zu ermöglichen? Und, last not least: welche Vision einer zukünftigen Universität motiviert und speist die Verankerung von Transferformaten aller Art im universitären Alltag? Beteiligt waren über 100 VertreterInnen deutscher Universitäten, und zwar WissenschaftlerInnen (Inhalt), Verwaltungsangehörige (Struktur) und Hochschulmanager (Vision).
Jede Menge gute Ideen – aber
Deutlich wurde, dass es zwischen Flensburg und München kaum an guten Ideen für Transferprojekte in der Lehre fehlt. Und wenn sich auch die Kooperation mit externen Partnern nicht immer als einfach erweist, so überwiegen hier vor allem für die Studierenden die Chancen doch deutlich den Zumutungen.
Anders sieht es bei den Förder- und Unterstützungsstrukturen aus. Einige Universitäten haben zentrale Einrichtungen geschaffen. Dabei gibt es solche wie in Konstanz, die WissenschaftlerInnen helfen, ihre Ideen in die Realität umzusetzen, und andere wie in Münster, die Transferprojekte selbst zusätzlich zum normalen Curriculum anbieten. In Frankfurt am Main und Bremen hat man das Thema Transfer im Rektorat angesiedelt, an anderen Orten setzt man auf die Etablierung von Unterstützungsstrukturen in der Dezentralen. Dass Transferprojekte aufwändiger sind als übliche Seminare und Vorlesungen, ist allen Akteuren bewusst. Unklar bleibt jedoch, wer die zusätzlichen finanziellen, curricularen und energetischen Ressourcen bereitstellen soll, denn in den derzeitigen Betreuungsrelationen von Studierenden zu Lehrenden in Deutschland ist Transfer in der Lehre nicht eingepreist.
So liegt die Last derzeit meist auf hoch engagierten Lehrenden und Studierenden, wobei innovative Lehrformate noch dazu oft nicht von fest bestallten Professorinnen und Professoren, sondern von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Zeitverträgen in risikoreichen Karrieresituationen durchgeführt werden. Ohne curriculare Verankerung stellt das Mehrengagement auch Studierende vor Probleme, eine Verlängerung des Studiums zum Beispiel oder Unsicherheiten, was die Anerkennung der gebrachten Studienleistungen angeht.
Es gibt also hochschulpolitisch einiges zu tun, wenn man "Transfer in der Lehre" zum festen Programmbestandteil deutscher Universitäten machen möchte. Ganz konkret braucht es erstens die curriculare Einbindung von Transferformaten in der Fachlehre. Wer Transfer will, darf es nicht als zusätzliches Nice-to-have betrachten, sondern muss es im Studium verankern, damit eine angemessene Kreditierung des Aufwands der Studierenden erfolgt. Zweitens braucht es eine Wertschätzung der Arbeit von Lehrenden, die sich engagieren.
Aufwändiger Einsatz in der Lehre muss endlich dem Einsatz in der Forschung gleichgestellt werden. Drittens brauchen wir die Bereitschaft in den Hochschulen, sich eine übergeordnete Transferstrategie zu geben. Gefordert sind an dieser Stelle vor allem die Wissenschaftspolitik und das Wissenschaftsmanagement, denn diese Strategie muss zwangsläufig top-down erfolgen, wenn sie nachhaltig erfolgreich sein soll. Denn dass nachhaltige Strategien einer nachhaltigen Finanzierung bedürfen, dürfte allen Beteiligten klar sein.
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Klaus Diepold (Mittwoch, 17 April 2019 16:55)
Die funktionierenden Beispiele von Transfer (www.cdtm.de), die ich kenne sind alle basierend auf Grassroot-Initiativen, also komplett bottom-up. Getrieben werden diese Projekte von engagierten Individuen, die viel Herzblut und persönliche Überzeugen investieren. Ich bin nicht überzeugt, dass etwas Vergleichbares Top-Down funktioniert.
Josef König (Donnerstag, 18 April 2019 11:15)
Danke für die Beispiele und Argumentation. Solche Initiativen sind gut und wichtig.
Trotzdem sollte man nicht verkennen: Es findet fortwährend und seit Jahrhunderten Wissenstransfer von den Hochschulen und die Gesellschaft statt: Indem die Hochschulen junge Leute akademisch ausbilden und diese das Gelernte in die Betriebe, Unternehmungen, Schulen, etc. transferieren. Das ist Alltag - und dennoch spricht es keiner klar aus!
Maria Schmidt (Donnerstag, 18 April 2019 11:58)
An vielen Stellen lese ich aus der Fachhochschulperspektive und denke: super, genau so machen wir das schon! Vermutlich schon immer, weil dies im Verständnis von Hochschule für angewandte Wissenschaften längst verankert ist.
Wichtig finde ich aber Ihre Hinweise: Verankerung statt nice-to-have & Wertschätzung von Lehrenden, die transferstark lehren. An der HTW Berlin arbeiten wir gerade an einer Transferstrategie, die eben auch die Fragen der Verstetigung und Anreize diskutiert.