Die Wissenschaftspolitiker der Regierungsfraktionen loten neue Initiativen für die Wissenschaftskommunikation aus. Doch die womöglich wichtigste Aufgabe fällt den Lehrern zu.
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PLÖTZLICH MACHT DIE Politik Tempo. Erst hat die SPD-Bundestagsfraktion ein Konzeptpapier mit dem Titel "Wissenschaftskommunikation stärken" veröffentlicht und zum Austausch darüber eingeladen. Zwei Tage später war die Unionsfraktion mit ihrem Expertengespräch "Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus" dran, zwar noch ohne eigenes Konzeptpapier, dafür aber an symbolischem Ort: im Berliner Museum für Naturkunde, das mit seinem Direktor Johannes Vogel als nationaler Hotspot der bürgernahen Wissenschaft gilt.
Man darf fragen, ob neue Förderideen für gute Wissenschaftskommunikation nicht schon damit anfangen sollten, dass die beiden Regierungsfraktionen beim Nachdenken über sie nicht derart aneinander vorbei arbeiten. Aber geschenkt. Entscheidender ist, dass in der Politik das Bewusstsein für einen, auf den ersten Blick seltsamen Widerspruch wächst: Die Menschen in Deutschland sind vergleichsweise interessiert an wissenschaftlichen Themen, und die Mehrzahl gibt an, dass sie Wissenschaft und Forschung insgesamt vertrauen. Doch glauben laut der regelmäßigen Wissenschaftsbarometer-Umfrage nur 40 Prozent der Befragten, dass die Wissenschaftler zum Wohl der Gesellschaft arbeiten.
Woher kommt diese Kluft? Wie hängt sie zusammen mit der in Deutschland stark ausgeprägten Skepsis gegenüber der Genforschung oder neuen Techniken wie der CO2-Verpressung? Wieso finden Verschwörungstheorien von "Fake Science" und der angeblichen Übertreibung des Klimawandels durch Forscher auch hierzulande Gehör?
Die Antwort, da sind sich die meisten Experten einig, besteht in weniger Hochglanz-Marketing der Forschungseinrichtungen und in mehr direkten Gesprächen zwischen Wissenschaftlern und Nicht-Wissenschaftlern. In mehr kritisch-fundiertem Wissenschaftsjournalismus, dem in Zeiten von Digitalisierung und Social Media zum Teil die Geschäftsgrundlage abhandengekommen ist, und in mehr Beteiligung der Bürger an der Formulierung von Forschungsfragen und, wo möglich, auch am Forschungsprozess selbst. Geld für Wissenschaftskommunikation ist da, womöglich sogar genug, allerdings muss es anders ausgegeben werden.
Doch wird das nicht reichen. Eines wird immer deutlicher: Der Kampf gegen die Wissenschaftsskepsis fängt in der Schule an. Solange dort der jeweilige Stand der Forschung häufig ohne lange Diskussion als vorgefertigte, absolute Wahrheit an die Schüler weitergereicht wird, weil das so am einfachsten und schnellsten geht, darf man sich nicht wundern, wenn bei einigen später im Leben die Desillusionierung folgt. Weil dann, sobald neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die Forschung sich scheinbar selbst widerspricht. Was Populisten dankbar ausbeuten. Insofern war auch der Slogan des March for Science 2017 "Zu Fakten gibt es keine Alternative" denkbar schlecht gewählt.
Die Schule muss mehr als bislang klar machen, dass Wissenschaft kein eifersüchtiger Hüter unverrückbarer Fakten ist. Und die Politik sollte ihr dabei helfen, denn diese Form der Wissenschaftskommunikation wird ganz sicher mehr kosten. Vor allem Unterrichtszeit. Aber auch mehr Lehrer.
Wissenschaft ist der nie endende, von Rückschlägen begleitete Prozess der Annäherung an die Wahrheit. Das macht Wissenschaft mitunter frustrierend und schwer erklärbar – doch, wenn man sie richtig vermittelt, auch unendlich spannend.
Dieser Kommentar erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will’s wissen" im Tagesspiegel.
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Claudis (Dienstag, 23 April 2019 23:04)
„Wissenschaft ist der nie endende, von Rückschlägen begleitete Prozess der Annäherung an die Wahrheit.“ Ich finde dieser Satz definiert Wissenschaft sehr gut. Ist der von dir? Ich würde ihn gerne zitieren! Danke und Gruß Claudia
Chris (Mittwoch, 24 April 2019 08:27)
Weise gesprochen. Wie soll denn dies in der Schule konkret sein? ZB in Geschichte mit unterschiedlichen nationalen Schulen, in Physik (wo wir in der Atomphysik beim Stand von ca. 1960 enden), ...? Wäre hier für Anregungen dankbar.
Paul K. (Mittwoch, 24 April 2019 15:13)
Ein Verständnis von Wissenschaft und seinem Betrieb ist hilfreich und notwendig aber bei Weitem nicht hinreichend um Wissenschaft bzw. ihr öffentliches Bild gegen ihre antagonistischen Kräfte – gegenwärtige und zukünftige – zu schützen. Aus inhaltlichen Gründen nicht und auch nicht aus Gründen, die in der menschlichen, genauer, psychischen Eigenschaftlichkeit liegen.
Aus inhaltlichen Gründen nicht, weil Antagonisten, auch ohne lügen zu müssen, Wissenschaft windelweich prügeln können – Wissenschaft verantwortet das Wissen das sie in die Welt gesetzt hat, für ihre nachteiligen Folgen haftet sie aber quasi nicht und die Geschichte der Folgen liegt in der Zukunft – damit lässt sich übelst gegen sie argumentieren.
Aus Gründen der menschlichen Eigenschaftlichkeit nicht: Wie Mensch Welt und Wissenschaft verinnerlicht ist höchst anfällig gegenüber Manipulation, die dafür vielfältigst menschliche oder psychische Eigenschaften nutzen kann. Das Wissen für solche Manipulation entwickelt sich zunehmend und Manipulation dürfte in der Zukunft noch raffinierter und unbemerkter erfolgen, als es die aktuellen Methoden resultierend aus u. a. den Verhaltens- und Sozialwissenschaften jetzt bereits erlauben.
Um Wissenschaft gegen antagonistische Kräfte zu feien – und Mensch und Welt, darum geht es ja noch vorrangiger – müsste Kontrollierbarkeit dieser Kräfte hergestellt werden. Wozu u. a. auch gehörte, Menschen, insbesondere im Hinblick auf nachfolgende Generationen, resilient gegenüber antagonistischen, manipulativen Kräften zu machen. Dafür ist es eben nicht hinreichend eine Literacy von Wissenschaft oder so etwas zu verwirklichen. Und wenn Menschen hinsichtlich manipulativer Kräfte aufgeklärt sind, kann keineswegs erwartet werden, dass sie dieses Wissen im Sinne von, für Menschen, Welt und Wissenschaft anwenden. Mensch ist zutiefst in seinem Sinne motiviert, was in ihm auch evolutiv angelegt ist. Es bedürfte einer Normativität, die Mensch, Welt und Wissenschaft schützen..
Es ist zu fragen ob eine Normativität, die Handeln ethisch verantworten kann, Wissensvermittlung, Schaffung und Anwendung voranzugehen hat. Solche ethische Normativität, derer es Wissenschaft in der Vergangenheit fehlte, gilt es zu elaborieren. Sie könnte auch eine Gegenentwurf zu normativer Infrastruktur sein, wie sie sich nicht nur in China zunehmend verwirklicht und nicht zuletzt beinhaltet sie Möglichkeiten Verhalten nachhaltig im Sinne von, für Mensch, Lebewesen und Welt anzulegen. Das zu unternehmen ist nur das Gegenteil von trivialst.
Claudia S. (Donnerstag, 02 Mai 2019 17:21)
Vielleicht beginnt es sogar schon in der Kita, wo Kinder durch kompetente Erzieher*innen eine forschende Haltung entwickeln können?
Laubeiter (Donnerstag, 09 Mai 2019 12:27)
Kindliche Neugier ist wissenschaftlichen Neugier verwandt, deshalb können Kinder wohl gut für Forschen begeistert werden. Jugendlicher Protest ist vielleicht den Teilen der Wissenschaft verwandt, die eine eigene, revolutionäre Sicht gegen die geltende Lehrmeinung aufbauen wollen, deshalb können Jugendliche vielleicht auch gut für Forschen begeistert werden. Meine Kinder hören gern Hörspiele über Curie und Einstein, wie sie Sachen fanden, die noch keiner vor ihnen erkannt hatte.