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"Fehlentwicklungen, Verstöße, Intransparenz"

Der Bundesrechnungshof übt massive Kritik an der Gestaltung des bisherigen Hochschulpaktes – und fordert wenige Tage nach den GWK-Beschlüssen Konsequenzen für die Neuauflage.

WÄHREND DIE WISSENSCHAFTSMINISTER von Bund und Ländern ihren Verhandlungserfolg feiern, hat der Bundesrechnungshof seine Bilanz zum bisherigen Hochschulpakt vorgelegt. Und die fällt teilweise vernichtend aus. Das 2006 beschlossene Bund-Länder-Programm habe wichtige seiner Ziele verfehlt, schreiben die Prüfer in ihrem noch unveröffentlichten Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages. Es sei gekennzeichnet durch "Fehlentwicklungen, Verstöße im Haushaltsvollzug und ein intransparentes Berichtswesen". 

 

Heute um 14 Uhr wird der Haushaltsausschuss den Bericht diskutieren, auf Antrag der FDP kam er kurzfristig auf die Tagesordnung. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatte ihr Kommen zu der Sitzung schon vorher angekündigt, sie soll die Parlamentariern über das Ergebnis der Pakt-Verhandlungen informieren. Nun wird der Ausschuss sie auch zu dem Bericht des Bundesrechnungshofs befragen.

 

Danach will der Haushaltsausschuss entscheiden, welche Forderungen er an Karliczeks Ministerium richten will. Möglicherweise wird er zunächst verlangen, überhaupt einmal die kompletten Vertragsdokumente einsehen zu können. Dass der Bundestag an der Erstellung von Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarungen nicht beteiligt wird, selbst wenn es um Dutzende von Milliarden Euro Steuergelder geht, hatten unter anderem die SPD-Bundestagsfraktion in einem Positionspapier ihrer Bildungspolitiker kritisiert. 

 

Der Bundesrechnungshof nimmt in seinem Bericht jedoch vor allem das Verhalten der Länder aufs Korn. Trotz Bundesförderung in Höhe von insgesamt 20,2 Milliarden Euro durch den Hochschulpakt habe sich die Betreuung der Studierenden verschlechtert. Die Förderung von Ausbildungskapazitäten sei einhergegangen "mit fortwährenden Einbußen bei der Studienqualität".

 

Gebrochene Versprechen der Länder?

 

Als möglichen Grund sieht der Bundesrechnungshof gebrochene Versprechen. Es sei fraglich, ob die Bundesländer die Gesamtfinanzierung des Hochschulpakts im mit dem Bund vereinbarten Umfang gesichert haben, doch sei das aufgrund des intransparenten Berichtswesens kaum nachvollziehbar. 

 

Mit Ausnahme des Saarlandes hatten alle Bundesländer im Vorfeld des Hochschulpakts zugesagt, die Bundesmittel mit gleich hohen zusätzlichen Ausgaben zu ergänzen. Insofern, argumentieren die Prüfer, hätten die Hochschulausgaben pro Student zumindest konstant bleiben müssen. "In fünf Ländern gingen jedoch in den Jahren 2004 bis 2013 trotz der Bundesmittel die laufenden Grundmittel pro Studierende zurück" – und zwar in Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig- Holstein. Und insgesamt zehn Bundesländer senkten ihre Pro-Kopf-Grundmittel ab. Insgesamt entsprächen die Jahreszahlungen der Länder für den Hochschulpakt nicht den zwischen Bund und Ländern vereinbarten Beträgen. 

 

Durch die Beteiligung privater Hochschulen am Hochschulpakt hätten Bund und Länder Mitnahmeeffekte hingenommen und Förderungen gewährt, "für die es keine Notwendigkeit gab". 

 

Das Bundesforschungsministerium habe versäumt, sich einen grundlegenden Überblick über die zweckentsprechende und passgenaue Verwendung der Bundesmilliarden zu verschaffen. Deshalb könne es jetzt auch nicht nachweisen, dass das Programm in vollem Umfang wirksam und wirtschaftlich gewesen sei. "Das BMBF hat die Haushaltsgrundsätze der Sparsamkeit und Einzelveranschlagung verletzt. Es hat zugelassen, dass Länder zum Teil beachtliche Ausgabereste in ihren Haushalten bilden konnten."

 

Weitgehend "wertlose" Umsetzungsberichte?

 

Die jährlichen Umsetzungsberichte zum Hochschulpakt bewertet der Bundesrechnungshof als weitgehend wertlos. Sie hätten nicht belegt, ob die Milliarden "durchgehend zweckentsprechend verwandt wurden". Ihre Verabschiedung durch die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) entlaste Bund und Länder jedoch nicht von ihrer Verpflichtung, die ordnungsgemäße Verwendung der Paktmittel sicherzustellen. Auch die durchgeführte Evaluation des Programms habe nicht den haushaltsrechtlichen Anforderungen entsprochen, das BMBF habe nicht umfassen die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit des Pakts untersucht. 

 

Karliczeks Ministerium hält dem Prüfungsergebnis entgegen, ein Verstoß der Länder gegen die Gegenfinanzierungspflicht lasse sich nicht belegen – wobei ja laut Rechnungshof genau in der mangelnden Transparenz der Pakt-Berichterstattung eines der Kernprobleme liegt. 

 

Auch den bisherigen Qualitätspakt Lehre bewertet der Rechnungshof extrem kritisch. Er sehe in seiner Evaluation "keinen Beleg für einen flächendeckenden Kultur- und Einstellungswandel" durch das Programm, das bislang mit 200 Millionen Euro jährlich dotiert war. Mögliche positive Entwicklungen Veränderungen seien nicht einzig auf den Pakt zurückgegangen, sondern hätten "in Wechselwirkung mit Verfahren zur Qualitätssicherung und Akkreditierung, die auch zur Aufwertung der Hochschullehre führten", gestanden. Auch sei die Nachhaltigkeit der durch den Qualitätspakt finanzierten Projekte ungewiss. "Anderthalb Jahre vor Auslaufen der Förderung droht die Gefahr, dass bei den Hochschulen auf Dauer angelegte Projekte und die mit ihnen verbundenen Strukturen verloren gehen."

 

Rechnungshof will keine eigene Organisation für Lehre

 

Was die Zukunft der Pakte angeht, macht der Rechnungshof der Politik ebenfalls klare Ansagen. "Angesichts der erheblichen Bundesmittel, die in der Diskussion sind und über mehrere Jahre gebunden werden sollen", fordern auch die Prüfer eine Beteiligung des Haushaltsauschusses – und sogar eine dortige Beschlussfassung, noch bevor die neuen Bund-Länder-Vereinbarungen abschließend beschlossen werden. Auf keinen Fall dürfe es zu einem "unkündbaren" Dauer-Finanztransfer an die Länder kommen – wobei der Rechnungshof lobend zur Kenntnis nimmt, dass das Hochschulpakt-Nachfolgeprogramm zwar auf Dauer laufen soll, die von der GWK beschlossene Verwaltungsvereinbarung aber zugleich eine Kündigungsmöglichkeit enthält.

 

Der von der GWK geplanten Einrichtung einer Organisation zur "Innovation in der Hochschullehre" erteilt der Rechnungshof eine Absage. Nach der föderalen Aufgabenverteilung falle die Lehre als eine Kernaufgabe der Hochschulen in die Zuständigkeit der Länder. "Die Länder müssen hierfür auskömmliche Mittel bereitstellen und die Qualität der Lehre sicherstellen." Beim Qualitätspakt Lehre habe sich gezeigt, dass der Bund "der Vielfältigkeit des Themas nicht gerecht werden konnte". 

 

Ausführliche Zustimmung kassiert das BMBF dagegen für seine Verhandlungsposition, die es in den vergangenen Monaten in den Gesprächen zur Zukunft des Hochschulpaktes eingenommen hatte. Vor allem die geplanten Verpflichtungserklärungen der Länder bewerten die Prüfer positiv: Diese müssten wirklich verbindlich sein, sanktionsbewehrt und eine transparente Berichterstattung erreichen. Sonderreglungen für einzelne Länder oder Ländergruppen dürften nicht zugelassen werden, mahnt Rechnungshof – wohl mit Blick auf die in der GWK vereinbarten Pauschalen für die Stadtstaaten und – vorübergehend – die Ostländer und das Saarland.

 

Und so sehr der Rechnungshof das BMBF für seine Verhandlungen lobt, hegt er offenbar doch Zweifel an dem vergangene Woche erzielten Ergebnis. Anders ist die Forderung nicht zu verstehen, mit der die Prüfer ganz am Ende ihres Berichts herausrücken: "Gegebenenfalls" solle das BMBF "den Abschluss der geplanten Nachfolgevereinbarungen verschieben und mit den Ländern Verbesserungen verhandeln". Datiert ist der Bericht auf gestern, den 7. Mai, also vier Tage nach Bekanntgabe der GWK-Beschlüsse.


Nachtrag am 08. Mai 2019 abends:

Die Sitzung des Haushaltsausschusses ist vorüber, und eine Reihe von Tageszeitungen sind in ihrer Berichterstattung nachgezogen, darunter die Welt und das Handelsblatt. Karliczek sagte im Haushaltsausschuss, ihr Ministerium werde die Kritik der Rechnungsprüfer berücksichtigen. Dass das schwierig wird, wurde in der Sitzung offenbar auch deutlich, denn die Länder haben sich die ganzen Pakt-Verhandlungen hindurch gegen zu viel Bundesdruck zu Wehr gesetzt. Sie lehnten zum Beispiel ein vom Bund vorgesehenes Bonusprogramm ab,  demzufolge ein Teil der Zukunftsvertrags-Gelder zunächst zurückgehalten worden wäre, um sie später an jene Länder auszuschütten, die die Qualität in der Lehre nachweisbar gesteigert hätten – durch eine "positive Evaluation". Auf Wunsch der Länder ist in der beschlossenen Bund-Länder-Vereinbarung auch nicht von "Zielvereinbarungen" die Rede, sondern von "Verpflichtungserklärungen". 

 

Der SPD-Haushaltspolitiker und Berichterstatter fürs BMBF-Budget, Swen Schulz, sagte nach der Sitzung, die Verhandlungsergebnisse für die neuen Pakte seien "grundsätzlich gut". Gleichzeitig kündigte er an, dass der Haushaltsausschuss sich die Vereinbarungen – "gerade auch im Lichte des Rechnungshofberichtes" – noch genauer anschauen werde. 

 

Aus der Opposition kamen deutlich heftigere Kritik. "Der Bericht des Bundesrechnungshofes zeigt, dass das BMBF seine Verantwortung für gute Finanzkontrolle beim Hochschulpakt nicht ausreichend wahrgenommen hat", sagt die grüne Haushaltspolitikerin Ekin Deligöz. Die Bund-Länder-Transfers in diesem Bereich seien nicht ausreichend nachvollziehbar, die Länder hätten hohe Rücklagen gebildet und das Bundesforschungsministerium habe nicht auf Transparenz über die Verwendung von Bundesmitteln gepocht. "Das ist ein Verstoß gegen die Prinzipien von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit und muss in Zukunft anders werden." Im Ausschuss hatte Deligöz die Forderung bekräftigt, der Bundestag müsse an den Beschlüssen über künftige Wissenschaftspakte beteiligt werden.  

 

Wie erwartet hat der Haushaltsausschuss nun die Vertragstexte der Pakte angefordert. Karliczek entgegnete allerdings, sie könne die Texte nur in Absprache mit den Landeswissenschaftsministerien weitergeben.


Der Bundesrechnungshof und die "Dynamisierung"

Kritisch bewerten die Prüfer in ihrem Bericht die während der GWK-Verhandlungen von den Bundesländern erhobene Forderung nach einer "Dynamisierung", also einem jährlichen Hochschulpakt-Plus: Einige Länder hätten in der Vergangenheit die Bundesmittel ja  zu erheblichen Teilen gar nicht zeitnah verausgabt.

 

Darüber hinaus verweist der Bundesrechnungshof kurioserweise (allerdings ohne ihn namentlich zu nennen) auf den Pakt für Forschung und Innovation, der gerade wieder mit einem 3-Prozent-Aufwuchs festgeschrieben wurde: "Prüfungen im Wissenschaftsbereich zeigten, dass solche Mittelsteigerungen nicht zwangsläufig zu mehr Leistung oder besserer Qualität führen. Sie vermindern vielmehr die Anreize, die Mittel wirtschaftlich auszugeben."  

 

Außerdem sei nicht der Bund für die "Substanzerhaltung"  der Hochschulen verantwortlich, sondern die Länder. Alles Argumente, die Karliczeks von den Ländern kritisierte Ablehnung der Hochschulpakt-"Dynamisierung" stützen. Zu der vereinbarten Regelung eines einmaligen kräftigen Aufwuchses 2024 und der Vereinbarung späterer Neuverhandlungen der Pakt-Ausstattung äußert sich der Rechnungshof dagegen noch nicht.

Interessant ist an dieser Stelle auch die Warnung des Bundesrechnungshofes, der Bund sollte "nicht unbegrenzt die Folgekosten, z.B. für entfristete Landesbedienstete", tragen. Genau dies, die Planbarkeit und die Möglichkeit, mehr Dauerstellen einzurichten, ist aber laut BMBF und Karliczek eines der Kernziele des in der GWK beschlossenen "Zukunftsvertrags". 


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Kommentare: 6
  • #1

    Mascha Hansen (Donnerstag, 09 Mai 2019 08:20)

    Erstaunlich daran ist eigentlich nur, dass offenbar wirklich geglaubt wurde (und wird), mit befristetem Personal in befristeten Projekten ließen sich dauerhafte Verbesserungen in der Lehre erreichen.

  • #2

    Florian Bernstorff (Donnerstag, 09 Mai 2019 09:05)

    @Mascha Hansen: Touché.

    Und der Hochschulpakt war nie etwas anderes als eine verkappte Gegenfinanzierung für die Schuldenbremse. Um zusätzliche Studienplätze ging es nie.

  • #3

    John Doe (Donnerstag, 09 Mai 2019 09:15)

    "Auch sei die Nachhaltigkeit der durch den Qualitätspakt finanzierten Projekte ungewiss. "Anderthalb Jahre vor Auslaufen der Förderung droht die Gefahr, dass bei den Hochschulen auf Dauer angelegte Projekte und die mit ihnen verbundenen Strukturen verloren gehen." "
    Endlich weist mal jemand - der auch gehört wird - darauf hin! Das über Monate aus der Nähe anzusehen ist wie ein Unfall in Zeitlupe. Nur dass die Politik das wohl absichtlich macht.

    Bei der angedachten Übernahme der Kosten für die QPL-Projekte durch die Hochschulen wird kaum berücksichtigt, dass die Projekte mit dem unbequemen Auftrag angetreten sind, lange praktizierte Gewohnheiten von Organisationen zu verändern. Warum sollte eine Hochschule solche Projekte (nicht nur in Feigenblattgröße) verstetigen?

  • #4

    Jana (Donnerstag, 09 Mai 2019 11:01)

    Ich bin entsetzt über das hier beschriebene Demokratieverständnis von Frau Karliczek. Wo steht geschrieben, dass für die Wahrnehmung der Kontrollaufgaben des Bundestags über die Bundesregierung die Zustimmung der Landeswissenschaftsminister erforderlich ist, nur weil die Länder in diesem Fall Vertragspartner des Bundes sind? Der Bund als Vertragspartner ist eine Körperschaft, die nur im Zusammenspiel aus Parlament und Verwaltung agieren kann. Das Parlament ist beschließendes Organ und die Verwaltung ausführendes Organ. In der Realität wird dem Bürger aber gerne das Gegenteil vermittelt. In diesem Fall würde der Bundestag aber sowieso dem Haushaltsplan auch ohne Kenntnis der Verträge zustimmen, da aufgrund der Mehrheit der Koalition im Bund Parlament und Verwaltung eins sind. Kontrollaufgaben und Entscheidungen des Parlaments finden quasi während der Ausführung statt, nur ohne offizielle Beratung und Abstimmung im Parlament. Der Haushaltsplanbeschluss ist dann nur noch Makulatur.

  • #5

    Bogomil (Donnerstag, 09 Mai 2019 13:08)

    Solange es für aufstrebende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Universitäten (und zunehmend auch Fachhochschulen) zielführend ist, für die Qualität ihrer Lehre gerade soviel Energie aufzuwenden, dass sie sich nicht blamieren, wird sich die Qualität der Lehre weder strukturell noch substanziell verbessern.

  • #6

    sach_verstand (Freitag, 17 Mai 2019 16:05)

    Kann der Bundesrechnungshof nicht rechnen

    Die Kritik enthält einen fundamentalen Fehler bei den Voraussetzungen:
    Die Finanzierung der zusätzlichen Studienplätze war von Anbeginn nur auf den zusätzlichen Aufwand für die Lehre angelegt. An den Universitäten - wenn man halbe-halbe für Lehre und Forschung ansetzt - also mit 50 % der Kosten pro Studienplatz.
    In der Folge wurden 110 % Studierende an Universitäten mit 105 % der Mittel finanziert. 105/110 macht 95,45. Nur wer nicht rechnen kann wundert sich über sinkende „Grundmittel pro Studierendem“.