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Wer sagt hier Nein?

Bund und Länder liefern sich einen Machtkampf um den Bildungsrat. Ausgang: ungewiss.

Grafik: Kaz / pixabay - cco.

WENIGE TAGE VOR der eigentlich entscheidenden Sitzung der Kultusministerkonferenz (KMK) droht der Eklat. Bund und Länder werfen sich gegenseitig vor, mit ihrem Verhalten den im GroKo-Koalitionsvertrag geplanten Nationalen Bildungsrat zu gefährden. 

 

Der Streit entzündet sich erneut an der Frage der Abstimmungsregularien: Bund, Länder, Kommunen, wer bekommt wie viele Stimmen, und wie viele Stimmen sollen nötig sein, um einen Beschluss zu verhindern? Sollen einzelne Akteure sogar ein Veto-Recht bekommen, und wenn ja, welche?

 

Damit erinnern die Verhandlungen atmosphärisch wieder an ihren Ausgangspunkt. Vor ziemlich genau einem Jahr hatte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hier im Blog einen ersten Aufschlag gemacht, wie sie sich das neue Gremium vorstellte, inklusive der Ansage, der Bund wolle darin "gleichberechtigt seinen Beitrag" leisten. 

 

Dieser öffentlich vorgetragene Anspruch irritierte viele ihrer Länderkollegen, und erst recht tat es die Stimmenverteilung, die Karliczek erst kurz vor ihrem Blogbeitrag per Brief an die Kultusministerien vorgeschlagen hatte: 19 Stimmen für den Bund und damit sogar mehr als für die Länder, der sie 16 Stimmen geben wollte – und weitere drei den Kommunen. Das sei "kein guter Auftakt" gewesen "für die wichtigen Gespräche", kritisierte zum Beispiel Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD).

 

Inhaltlich ist man
sich längst einig

 

Um die Stimmung zu entschärfen, verlegte man sich in den Folgemonaten zunächst auf das Abarbeiten der übrigen Fragen: Mission, Kompetenzen, Struktur, Zusammensetzung. Und tatsächlich ging die Formulierung an den sogenannten Eckpunkten nach Wahrnehmung aller Beteiligten erstaunlich reibungslos vonstatten – einmal abgesehen davon, dass die Länder bei der Aufstellung der Zeitpläne zur weiteren Umsetzung merklich auf der Bremse standen, während der Bund seinerseits versuchte, aufs Gas zu drücken. 

 

Was angesichts der unterschiedlichen Interessenlagen aber auch wieder logisch war: Der Bund will, unterstützt von der öffentlichen Meinung, in einer Kernzuständigkeit der Länder mitreden, die Länder wollten das eigentlich nicht. Wobei einige Bildungsminister im Laufe der Verhandlungen dann doch einen gewissen Ehrgeiz entwickelten, den Bildungsrat zu einem schlagkräftigen Gremium zu entwickeln, nach dem Motto: Wenn schon, denn schon. 

 

Doch jetzt nähert sich der Showdown: Bund und Länder haben vereinbart, die Eckpunkte zum Bildungsrat im Rahmen der KMK-Sitzung am 6. und 7. Juni in Wiesbaden zu beschließen, wohin sie der amtierende KMK-Präsident Alexander Lorz, im Hauptjob hessischer Kultusminister, eingeladen hat.

 

Tatsächlich konnten die letzten offenen (wenn auch nicht mehr wirklich strittigen) inhaltlichen Fragen vor 14 Tagen von der aus Amtschefs der Ministerien bestehenden Verhandlungsgruppe "Bildungsrat" geklärt werden (siehe Kasten), womit für die Minister selbst nur die leidige Stimmen-/Abstimmungsfrage bleibt.  >>


Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften bleiben draußen

Der Bildungsrat, das steht schon lange fest, wird wie der Wissenschaftsrat aus zwei Kammern bestehen. Streit gibt es um die Stimmenverteilung in der sogenannten Verwaltungskommission von Bund, Ländern und Kommunen. Eine Detail-Einigung erzielten die Chef-Unterhändler des Bundes und aus den Ländern Hamburg, Baden-Württemberg und Hessen dagegen zuletzt bei der Frage, wie die sogenannte Bildungskommission zusammengesetzt sein soll, wobei sie sich auf die grundsätzliche Logik schon länger verständigt hatten.

 

Jetzt ist endgültig klar: Die Bildungskommission soll zur Hälfte aus Wissenschaftlern "aus dem Bereich der Bildungsforschung und angrenzender Disziplinen" bestehen und je zu einem Viertel aus sogenannten "Praktikern" und "Personen des öffentlichen Lebens". Unter "Praktiker" verstehen Bund und Länder Personen, die die Sichtweise von

Eltern, Schülern und Auszubildenden, Schulleitungen, Beschäftigten in der frühkindlichen und in der beruflichen Bildung und in der Weiterbildung vertreten sollen. Die "Personen des öffentlichen Lebens" sollen unter anderem die Perspektiven der Unternehmen und der Sozialpartner einbringen. Wichtig: Alle Mitglieder der Bildungskommission sitzen "ad personam" in dem Gremium, sie werden nicht von Verbänden geschickt. Was vor allem Arbeitgebern und Gewerkschaften dürfte.

 

Bestimmt werden sollen die Praktiker und Personen des öffentlichen Lebens durch eine fünfköpfige Findungskommission, die Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände nominieren, bestehend aus "nicht mehr aktiven Leitungspersönlichkeiten ohne aktuelle Entscheidungsfunktion". 

 

Wie der Bildungsrat ansonsten konstruiert ein soll, hatte ich bereits im März beschrieben.



>> Und genau hier droht der Streit zu eskalieren. Teilnehmer berichten aus der Sitzung der Verhandlungsgruppe, Michael Föll, der neue Amtschef von Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann, habe "auf den letzten Drücker" eine ganz neue Interpretation dessen eingebracht, was das diskutierte Veto von Bund und Ländern angeht. Demzufolge würde es bedeuten, dass Bildungsratsbeschlüsse grundsätzlich nur bei Einstimmigkeit der politischen Akteure gefasst werden könnten – also mit Zustimmung des Bundes, aller 16 Länder und gegebenenfalls sogar der Kommunalvertreter.  

 

Wird der Bildungsrat
zum "Verhinderungsgremium"?

 

Für Fölls BMBF-Kollegen Christian Luft würde eine solche Regelung jedoch "jede konstruktive Arbeit im Bildungsrat verhindern", wie er auf Anfrage kommentiert. "Wir wollen ein Ermöglichungs-, kein Verhinderungsgremium, daher kann das Vetorecht eines einzelnen Landes keine Option sein." Ansonsten, so Luft, stelle sich insgesamt die Frage, "was das Gremium überhaupt bringen kann."

 

Ist es also wieder mal Baden-Württemberg, das sich wie schon bei der Grundgesetzänderung für den Digitalpakt eine Sondernummer leistet?

 

Dem widerspricht Fölls Chefin Susanne Eisenmann energisch. "Dass Baden-Württemberg da quer im Stall steht, halte ich für eine gewagte Interpretation", sagt die CDU-Politikerin. Ihr Land vertrete die Position fast aller unionsregierten Kultusministerien. "Das von allen wahrgenommene Problem ist, dass der Bund für sich ein Vetorecht fordert, es aber den einzelnen Ländern verweigern will."

 

Belanglos, sagt Eisenmann werde der Bildungsrat nicht durch einstimmige Beschlüsse, sondern im Gegenteil dann, wenn sich ein Teil der Länder nicht in den Beschlüssen wiederfinde: "Kein Land darf sich wegen einer Empfehlung überfahren fühlen, sonst kann man viel Schönes beschließen, aber in der Umsetzung passiert nichts."

 

Tatsächlich ist es eine Besonderheit des Bildungsrates, die in den Verhandlungen außer Frage steht: Die Beschlüsse des Gremiums werden nicht bindend sein für die Länder, weil die ja die Kultushoheit auf ihrer Seite haben. Nach der Lesart des Bundes folgt daraus, dass der Bildungsrat in der Lage sein muss, möglichst mutige Beschlüsse zu fällen, um die Länder im Zweifel auch einmal treiben zu können. Christian Luft formuliert da so: "Wenn von vornherein der kleinste gemeinsame Nenner für solche Empfehlungen angestrebt werden muss, würden wir viel Potenzial verschenken.“ Während Kultusministerin Eisenmann in Frage stellt, dass die Länder sich überhaupt treiben lassen würden. 

 

Wer kann wen
überstimmen?

 

Doch was ist die Lösung? Offenbar war der Bund bislang wirklich davon ausgegangen, er könne ein eigenes Vetorecht haben, während das der Länder dann ausreichend abgesichert sei, solange sie als größere Gruppe in der Lage wären, Bildungsrats-Beschlüsse abzuwenden – womit aber einzelne Länder sehr wohl unterliegen könnten.

 

Im Entwurf der Eckpunkte hatte dazu lediglich gestanden, dass die beiden Bildungsrat-Kammern stimmenmäßig gleich stark sein sollen und dass Bund und Länder nicht überstimmt werden können. Aber was das genau heißen sollte, das hatte man bislang nicht geklärt. Weshalb sich die Baden-Württemberger auch gegen die Darstellung wehren, sie seien mit ihrer Interpretation "auf den letzten Drücker" um die Ecke gekommen: Bis zur Sitzung vor zwei Wochen habe man ja darüber gar nicht gesprochen. 

 

Eben weil man wusste, dass die Sache dann wieder eskaliert? Fest steht: Sollte der Vorstoß von Michael Föll, bis Ende Februar Finanzbürgermeister in Stuttgart, taktisch motiviert gewesen sein, hätte er sein Ziel bereits erreicht. Denn Karliczeks Staatssekretär Luft lässt im Gespräch durchblicken, dass der Bund jetzt "gegebenenfalls" bereit wäre, auf sein eigenes Vetorecht zu verzichten, wenn die Länder es auch sind. 

 

Eisenmann sagt ihrerseits, dass auch sie nicht zwangsläufig an einem Veto hänge, wenn der Bund es nicht tue. Aber zusätzlich müsse sich das BMBF an anderer Stelle bewegen. "Den gerade eingebrachten Vorschlag, den 16 Stimmen der Länder könnten 14 für den Bund und drei für die Kommunen gegenüberstehen, ohne Veto-Recht für eine Seite, können die Länder jedenfalls nur als Provokation verstehen." 

 

Den neuen Vorschlag, den Eisenmann meint, hatte Luft nach dem offenbar aufregenden AG-Treffen per Brief hinterhergeschickt. Er stellt ihn als Zugeständnis an die Länder dar, weil er – in Abweichung vom bisherigen Konsens – ein Stimmenübergewicht der Länder gegenüber dem Bund vorsehe. Für Eisenmann allerdings steht die Konsequenz des Vorschlages im Vordergrund, dass dann für Beschlüsse des Bildungsrats acht Ja-Stimmen der Länder reichen würden – acht also theoretisch nein sagen könnten.

 

Sieben Varianten,
keine Lösung

 

Und so geht der Schlagabtausch munter weiter, wobei Eisenmann sich längst nicht mit allen ihren Länderkollegen einig ist. Einige scheinen inzwischen sogar mehr der Bundesposition zuneigen, jedenfalls sind sie von der von Baden-Württemberg aufgemachten Veto-Debatte ebenfalls genervt. 

 

Inzwischen existieren mindestens sieben unterschiedliche Stimmen- und Beschlussvarianten, so dass fraglich ist, ob die KMK wirklich in der Lage ist, sich am 6. Juni mit dem Bund auf eine zu einigen. Als chancenreich gilt das "Quorums-Modell", wonach weder Bund noch Länder ein Veto-Recht hätten, aber für einen Beschluss mindestens 13 Länder an Bord sein müssten.

 

Ein Extrem-Version hingegen sieht sogar vor, dass zunächst eine Mehrheit der Länder einem Beschluss zustimmen müsste. Wenn dann ein Land überstimmt würde und die Sache ihm wichtig genug wäre, so dieser Vorschlag, könnte es immer noch ein Veto einlegen.

 

Einigkeit besteht derweil eigentlich nur darin, die jeweils andere Seite verantwortlich zu machen für die Verhandlungsprobleme. Und beide Seiten legen der anderen nahe, wollten sie die Verhandlungen verzögern oder gar platzen lassen, "dann sollten sie es aber auch ehrlich sagen".  Eine Tonlage, die hoffentlich kein Präjudiz dafür ist, wie eines Tages die Gespräche im Bildungsrat laufen werden. Aber dafür müsste der ja erstmal kommen. 

 

Ohne im Vorfeld der KMK-Sitzung konkret auf den Stimmenstreit einzugehen, erhöhte Ministerin Karliczek gestern mit einer öffentlichen Wortmeldung den Druck auf die Länder. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte sie: "Ich appelliere an die Länder: Geben wir uns einen Ruck, damit wir das hinbekommen. Wir reden schon viel zu lange darüber, dass ein Umzug von Land A in Land B den Eltern und Schulkindern keine schlaflosen Nächte bereiten darf."

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Kommentare: 2
  • #1

    Edith Riedel (Freitag, 31 Mai 2019 09:32)

    Was raus kommt, wenn der Bund viele Stimmen und viel Einfluss hat, haben wir ja bei der Entscheidung zu den Exzellenzclustern gesehen. Es kann nicht angehen, dass die Länder auf Gedeih und Verderb den Entscheidungen des Bundes ausgeliefert sind und nur beten können, dass diese von einer kompetenten Person getroffen werden.

  • #2

    Mascha Hansen (Sonntag, 02 Juni 2019 20:00)

    Die geplante Zusammensetzung des Bildungsrates lässt vermuten, dass sich wieder einmal ein Durchschnittsalter von 45++ ergeben wird. Brauchen wir wirklich ein weiteres Bildungsgremium, bei dem die Stimmen der Jüngeren, um deren Bildung es doch wohl primär geht, so wenig Gewicht haben werden?