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Perspektiven zuerst!

Weshalb Teach First ein Glücksfall für die Schüler ist und warum der Bund eine Chance verpasst. Ein Gastbeitrag von Jens Brandenburg.

Jens Brandenburg. Foto: Tobias Koch.

HUNDERTTAUSENDE JUNGE MENSCHEN sitzen dieser Tage mit rauchenden Köpfen am Schreibtisch. Seminar- und Abschlussarbeiten sind zum Semesterende fällig. So unterschiedlich ihre Herausforderungen sein mögen, so gleichsam suchen und finden viele Studierende Rat bei ihren Eltern. Ein Großteil der angehenden Akademiker/innen hat Eltern, die den Weg zum Hochschulabschluss kennen. Sie wissen um das Hinauszögern, Reinhängen, Schwitzen und Hoffen ihrer Kinder - aus eigener Erfahrung.

 

Bildungserfolg ist in Deutschland leider immer noch eine Frage der elterlichen Biografie. Bildungsaufsteiger sind eine konstante Minderheit. Nur 15 Prozent der jungen Erwachsenen mit Eltern ohne Abitur erreichen in Deutschland einen Hochschulabschluss. Haben die Eltern selbst ein Studium absolviert, sind es fast 60 Prozent. Der Zugang zu Bildung darf jungen Menschen nicht durch gläserne Decken versperrt bleiben.

 

Besonders bedrückend ist die Situation an Brennpunktschulen. Die fehlende soziale Durchmischung und die Mehrfachbelastung der Lehrkräfte besiegeln das Schicksal junger Menschen oft bereits in jungen Jahren. Wer diesen Kreislauf durchbrechen will, muss einen Weg aus der strukturellen Chancenungerechtigkeit finden. Perspektiven schaffen, wo sonst keine sind. Das Aufstiegsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft verliert seinen Kern, wenn dem theoretischen Anspruch nicht handfeste Bildungschancen eines jeden Einzelnen folgen.

 

Armutszeugnis und
Glücksfall zugleich

 

Für Bund und Länder ist es Armutszeugnis und Glücksfall zugleich, dass sich die zivilgesellschaftliche Initiative Teach First Deutschland dieser Frage mit größter Leidenschaft widmet. Seit 2009 arbeiten junge Hochschulabsolvent/innen als Teach First-Fellows für mehr Chancengerechtigkeit an deutschen Brennpunktschulen.

 

Rund 170 Fellows unterstützen derzeit die Lehrkräfte vor Ort. Sie bringen überwiegend exzellente Studienabschlüsse und eine starke persönliche Motivation mit, das Bildungssystem im Kleinen besser und gerechter zu machen. Vor dem Einstieg in eine oft lukrative Wirtschaftskarriere entscheiden sie sich bewusst für die Arbeit mit Schülern an Brennpunktschulen. Die Perspektiven dieser jungen Menschen stehen für sie an erster Stelle. Mit hoher Digitalisierungskompetenz und frischen Ideen können sie auch erfahrene Lehrkräfte unterstützen, neue innovative Lehrformate zu entwickeln. Während der Digitalpakt nur die technische Ausstattung fördert, steht bei den Fellows die praktische Anwendung digitaler Lehr- und Lernmittel im Fokus.

 

Ein dreimonatiger Intensivkurs bereitet die Fellows bundesweit auf ihren zweijährigen Schuleinsatz vor. Eine Lehrkraft können sie nicht ersetzen. Mit einem Blick von außen und ihrer enormen Einsatzbereitschaft ergänzen sie das eingespielte Lehrpersonal bei Aufgaben, die sonst häufig zu kurz kommen. Im Unterricht können sie helfen, das Klassenklima als zusätzliche Lernbegleiter zu verbessern. Die Schülerinnen und Schüler bekommen mehr Aufmerksamkeit, können mehr fragen und entdecken. Sie erhalten zusätzliche Bezugspersonen, die ihnen neue Motivation und Energie verleihen.

 

Zu diesem Ergebnis kommen auch wissenschaftliche Wirksamkeitsanalysen. In Großbritannien konnten Schülerinnen und Schüler aus ehemals unterdurchschnittlichen Klassen durch Fellows zu überdurchschnittlichen Ergebnissen geführt werden. Das Programm bringt Menschen aus Bildungsmillieus zusammen, die sich sonst niemals so persönlich kennen lernen könnten.

 

Die Nachfrage ist groß, aber es
fehlt Geld für ihre Koordination

 

Teach First Deutschland ist eine starke Initiative mit großem Potenzial. Die Nachfrage nach Fellows steigt. In acht Bundesländern sind sie bereits im Einsatz. Fast alle dieser Länder zahlen lediglich die Gehälter der Lernbegleiter. Das bundesweite Recruiting, die Ausbildung und die Betreuung der Fellows finden hingegen zentral statt – finanziert durch private Stiftungen, Unternehmen und Einzelförderer. Es ist diese zentrale Infrastruktur, die den Einsatz der Fellows überhaupt erst ermöglicht.

 

Doch das Wachstum von Teach First stößt an seine Grenzen. Nicht, weil die Fellow nicht benötigt werden. Sondern weil für die zentrale Infrastruktur das Geld fehlt.

 

Wenn der Bund also mehr Lernbegleiter in den Schulen will, muss er den Ausbau der zentralen Angebote von Teach First mit eigenen Mitteln fördern. Da die Länder die Personalkosten der Fellows tragen, wäre ein deutlicher Ausbau der Fellow-Kapazitäten bereits mit einem überschaubaren Bundeszuschuss zu den Ausbildungskosten möglich.

 

Die Fellows kommen nach ihrer didaktischen Intensivschulung unmittelbar an zahlreichen Brennpunktschulen zum Einsatz. So ließen sich also die Sachinvestitionen des Digitalpakts Schule um eine schnelle und reichweitenstarke Verbreitung didaktischer Anwendungsmöglichkeiten ergänzen. Diese Investitionen sollte der Bund durch gezielte Evaluationsstudien im Rahmen der geförderten Bildungsforschung begleiten.

 

Die Bundesregierung sieht
keinen eigenen Handlungsbedarf

 

Die Bundesregierung sieht jedoch bisher keinen eigenen Handlungsbedarf, wie eine Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion zeigt. Damit verpasst sie eine große Chance. Flächendeckende Bildungsinvestitionen in die Schüler von heute sind besser als das fahrlässige Warten auf Sozialausgaben von morgen. 

 

Auch die übrigen Länder, in denen Teach First bislang nicht aktiv ist, sind in der Pflicht. Investitionen in die Fellows lohnen sich mehrfach. Private Sponsoren und das persönliche Engagement hochqualifizierter Hochschulabsolventen zu einem geringen Referendarsgehalt schaffen eine große Hebelwirkung eingesetzter Steuermittel. Mit formalen Zuständigkeitsfragen ist den Schülerinnen und Schülern da nicht geholfen.

 

Die jüngst beschlossene Grundgesetzänderung zur Lockerung des Kooperationsverbots sollte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek gemeinsam mit ihren Länderkolleg/innen nutzen, um die Aufstiegschancen junger Menschen aus schwierigen sozialen Milieus endlich zur wichtigsten Bildungsfrage zu machen. Nun kann sie beweisen, dass die Perspektiven junger Menschen auch für die Politik an erster Stelle stehen.

 

Jens Brandenburg ist Volkswirt und Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion für Studium, berufliche Bildung und lebenslanges Lernen.

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Kommentare: 5
  • #1

    scheppler (Freitag, 28 Juni 2019 14:14)

    "In acht Bundesländern sind sie bereits im Einsatz. Fast alle dieser Länder zahlen lediglich die Gehälter der Lernbegleiter. Das bundesweite Recruiting, die Ausbildung und die Betreuung der Fellows finden hingegen zentral statt – finanziert durch private Stiftungen, Unternehmen und Einzelförderer. Es ist diese zentrale Infrastruktur, die den Einsatz der Fellows überhaupt erst ermöglicht."

    Und am Ende wird zudem noch darauf hingewiesen, dass es sich um ein "geringes Referendariatsgehalt" handele.

    Der Autor möchte also, dass der Staat Steuergelder ausgibt für eine Initiative, bei der ein Akteur (finanziert durch Stiftungen, Unternehmen und einzelne Geldgeber) sowohl die Auswahl als auch die anschließende "Ausbildung" derjenigen übernimmt, die anschließend im staatlichen, unabhängigen Schulsystem arbeiten. Und das Gehalt soll der Staat zahlen.
    Eine derart abhängige Initiative soll also zum Gatekeeper dafür werden, wer in Schulen arbeitet. Egal, um wen es sich handelt (vom Hausmeister über die Sekretärin bis zu den Lehrkräften), sollten wir nicht nur gesteigerten Wert darauf legen, dass die Auswahl und damit die Einstellung jederzeit vollständig transparent und unabhängig von Dritten stattfindet. Alles, was in staatlichen Schulen stattfindet, muss der staatlichen Aufsicht, der gesellschaftlichen Transparenz unterliegen.

    Und dann auch noch die Ausbildung in Händen Dritter? Das heißt, dass ein Dritter über die Qualifikation entscheidet und schließlich womöglich auch noch am Ende der Ausbildung entscheidet, ob ein mensch "geeignet" ist, um als Fellow in einer staatlichen Schule zu arbeiten?

    Auf so eine irre Idee, dafür auch noch mehr finanzielle Mittel der Steuerzahler zu fordern, kann wohl nur die FDP kommen. Wie das mit dem Grundgesetzartikel 7 und - das möchte ich explizit hinzufügen - dem darin formulierten Unabhängigkeitsideal des Bildungssystems zusammenpasst, ist mehr als fragwürdig.

    Was haben wir als nächstes? Von einer Adidas-Stiftung ausgewählte und ausgebildete Assistenten im Sportunterricht? Von einem von Bayer ausfinanzierten, abhängigen Dritten ausgewählte und ausgebildete Laborhelfer im naturwissenschaftlichen Unterricht?

  • #2

    scheppler (Freitag, 28 Juni 2019 14:17)

    Ergänzung:
    Das Bildungssystem vollständig auszufinanzieren, dass es einen guten und ansprechenden Unterricht in maximaler Unabhängigkeit gewährleisten kann, wäre eine sinnvolle Forderung. Das Grundproblem aber - so scheint es durch, wenn von Armutszeugnis gesprochen wird - zu erkennen und dann mit fragwürdiger Flickschusterei an den Symptomen herumzudoktorn, ist genau die Bildungspolitik, die wir nicht brauchen.

  • #3

    Jens Brandenburg (Samstag, 29 Juni 2019 15:45)

    @scheppler:
    Mit Teach First-Fellows allein wird man nicht alle Probleme der Bildungspolitik lösen. Das Grundproblem habe ich ja deutlich angesprochen. Der aktuellen Schülergeneration ist aber nicht geholfen, sie mit Verweis auf den grundsätzlichen Reformbedarf mit den „Symptomen“ allein zu lassen. Das eine tun, das andere nicht lassen.

    Die Bedenken bezüglich Auswahl und Finanzierung teile ich nicht. Teach First Deutschland ist - anders als Bayer - eine gemeinnützige Organisation und beteiligt sich mit erheblichen eigenen Mitteln an der Finanzierung der Projekte. Es gibt private Geldgeber, aber die haben keinen Einfluss auf die Auswahl oder Zuteilung der Fellows. Dass so auch aus der Privatwirtschaft zusätzliche Mittel zur Förderung junger Menschen akquiriert werden, ist eine tolle Sache. Die ununterbrochen hohe Nachfrage der Schulen zeigt, wie erfolgreich die Initiative ist.

    Ein „Gatekeeper“ für Personal in Schulen ist die Initiative nicht. Bei z. B. einem Fellow auf 50 Lehrkräfte an einer Schule ist der Vorwurf überzogen. Zumal ein Fellow eine Lehrkraft garnicht ersetzen kann. Teach First Deutschland wählt die besten Bewerber/innen für ihr Programm aus und das ist gut so. Schulen sind nicht zur Teilnahme verpflichtet, sondern bewerben sich aktiv für das Programm. Und natürlich behält die Schule die Entscheidungshoheit. Wenn sie mit dem/der zugeteilten Fellow nicht einverstanden sind, können sie ihn/sie ablehnen. Das passiert in der Praxis nur sehr selten, da die Wünsche der Schulen und die Fellowprofile vorab gut abgeglichen werden.

    Auch die Ausbildung der Fellows für den zweijährigen Einsatz ist transparent und gut auf die Anforderungen abgestimmt. Das passiert ja nicht losgelöst von Erwartungen der Schulen. Ich sehe nicht, was durch eine Verstaatlichung dieser Vorbereitungsphase besser würde. Im Gegenteil: Es ist ein Segen, dass sich die Initiative frei von kultusbürokratischer Behäbigkeit entfalten kann. Die praxisnahe Anwendbarkeit digitaler Lernmöglichkeiten beispielsweise sucht man in staatlichen Lehramtsstudiengängen häufig immer noch vergeblich. Wenn eine zivilgesellschaftliche Initiative so ein paar frische Ideen in die Schulen bringt, sollten wir das nicht durch staatliche Übernahme sofort wieder im Keim ersticken.

  • #4

    scheppler (Samstag, 29 Juni 2019 16:32)

    Vielen Dank für die ausführliche Replik. Diese zeigt, dass mein Ihre politischen Vorstellungen offenbar noch tiefgehender sind, als ich befürchtet hatte.

    Und sie sind scheinbar auch von der Unkenntnis vielfältiger Entwicklungen im Schulsystem geprägt.
    Der zweite Absatz zeigt dies deutlich: Natürlich würde Bayer keine eigene Initiative aufsetzen mit direktem Einfluss. Was wir aktuell mannigfaltig erleben ist das sogenannte Astroturfing, bei dem scheinbar gemeinnützige, scheinbar unabhängige Initiativen in Form von Stiftungen, Vereinen, gGmbHs im Bildungsbereich nur so aus dem Boden sprießen. Und immer mit der selben Behauptung: keinerlei Einfluss der Geldgeber, die sich natürlich diejenigen Initiativen aussuchen oder sie in reinster Astroturfing-Manier direkt selber anschieben. Damit reüssieren diejenigen Initivaen, die reiche, geldmächtige Gönner hinter sich haben. Damit reüssieren diehenigen Ideen im Bildungssystem, die im Interesse finanzmächtiger Gönner stehen. Damit entdemokratisiert sich das Bildungssystem, weil gar nicht finanzmächtig - oder durch die zunehmende Übermacht finanzmächtig protegierter- weniger protegierte Ansätze zunehmend keine oder geringe Chancen haben.

    Das führt zu dem fatalen Ansatz im ersten Absatz: Das eine tun - ohne das andere zu lassen. Das ist wohl der gefährlichste Ansatz in dieser Richtung, da er genau dieser skizzierten Entwicklung Vorschub leistet. Lieber jetzt ein wenig Flickschustern, als gar nichts zu tun. Lieber jetzt Flickschustern, statt sofort an die Wurzel des Problems zu gehen. Damit - und das erleben wir in so vielen Politikbereichen aktuell und das treibt derzeit so viele der jüngeren Generation in die Politikverdrossenheit - werden die Probleme schön sachte vor sich hergeschoben seitens der PolitikerInnen. Immer mit dem Halbsatz, wir haben doch hier und da Kleinigkeiten gemacht oder zugelassen. Und genau diese Kleinigkeiten machen die Probleme dann strukturell noch schwieriger.

    Die Schulen ertrinken in den Problemen, die ihnen aufgetragen werden. Die Schulen ertrinken in der finanziellen und personellen Knappheit. Ihnen dann einen scheinbaren Strohhalm "Teach First" mit all seinen Pferdefüßen hinzuhalten, ist fast schon zynisch. Das mit dem Satz zu garnieren: das eine tun - ohne das andere zu lassen, ist eine Bankrotterklärung. Kommt erstmal damit zurecht - um die echten Probleme kümmern wir uns später. Das ist nicht nur inhaltlich, sondern auch kommunikativ fatal.


    Und dann der Satz, der zeigt, dass Artikel 7 unseres Grundgesetzes offenbar nicht verstanden wurde:
    „Teach First Deutschland wählt die besten Bewerber/innen für ihr Programm aus und das ist gut so.“ vs. „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.“
    Niemand anderes - ich betone: niemand! - abgesehen von staatlichen, demokratisch legitimierten Instanzen entscheidet und wählt aus, wer in staatlichen Schulen mit Kindern und Jugendlichen, die sich der Schulpflicht nicht entziehen können, arbeitet. Niemand - ich betone niemand! - erstellt und agiert dabei nach eigenen Qualitätskriterien, sondern diese sind im Rahmen von Gesetzen, Prüfungsordnungen, personalrechtlicher Beteiligung usw. demokratisch und unabhängig auszustellen und anzuwenden. Kein „Teach First“ darf und sollte dies tun. Heute ist „Teach First“ von Unternehmen und einzelnen Gönnern finanziell abhängig, morgen gibt es ein „Teach Tomorrow“ hinter dem finanzmächtig Kirchen stehen, übermorgen ist es dann „Teach Future“ mit beliebig einsetzbaren, fragwürdigen oder intransparenten Geldgebern.
    Und weil für die Strukturen zur vollständig unabhängigen Ausfinanzierung des Bildungssystem verantwortliche PolitikerInnen das eine nicht schaffen und daher auf das andere gerne zurückgreifen, um nicht ganz handlungsentleert wahrgenommen zu werden, erweisen wir mit solchen Strukturen dem Bildungssystem einen Bärendienst.

  • #5

    scheppler (Samstag, 29 Juni 2019 16:33)

    Und dass das grundgesetzlich abgesicherte, seit Jahrzehnten praktizierte, demokratisch legitimierte System vom bildungspolitischen Sprecher der FDP scheinbar grundsätzlich in Frage gestellt wird, offenbart letztlich der Satz: „Ich sehe nicht, was durch eine Verstaatlichung dieser Vorbereitungsphase besser würde. Im Gegenteil: Es ist ein Segen, dass sich die Initiative frei von kultusbürokratischer Behäbigkeit entfalten kann.“ Damit wird nichts anderes als die staatliche Souveränität und Hoheit im Schulsystem zugunsten scheinbar agilerer Akteure in Misskredit gebracht. Demokratie und mir ihr einhergehende Entscheidungsfindungsprozesse sind langsam, mühselig und strapaziös. Aber dies, lieber Herr Brandenburg, dies ist kein Bug sondern ein Feature unserer Demokratie und damit des derart legitimierten Schulsystems. Es ist ein Vorteil, dass nicht irgendjemand mit einer demokratisch unlegitimierten Macht - in diesem Falle der Finanzmacht hinter seiner Initiative - in das Schulsystem eindringen und dort reüssieren kann. Es ist ein Feature, dass es eigentlich nicht möglich sein sollte, das Schulsystem über Jahre seitens der politischen Entscheidungsträger finanziell und personell Ausbluten zu lassen, um dann Dritten mit eigenen Finanzmitteln den Weg zu ebnen und sich damit aus der eigenen - alleinigen! (seitens der entsprechend eingesetzten Bildungsministerien - politischen Gestaltungsverantwortung zu stehlen.

    Am ende die „Entscheidungshoheit“ auf die einzelne Schule abwälzen zu wollen, ist die durch und durch neoliberale Vorstellung der FDP, dass stets die unterste, kleinste Einheit für sich entscheidet. Aber: Es wird mittelfristig zu massiver Bildungsungerechtigkeit führen, wenn wir das derart übertreiben, wie es die FDP an vielen bildungspolitischen Weichestellungen forciert. Denn wenn irgendwann jede Schule für sich selber entscheidet (in der Annahme, dass damit für alle Schulen gesorgt wein wird), werden wir diejenigen Schulen haben, die sich in diesem Wettstreit besser aufstellen werden können als andere. Das einzelne Kind, das morgens zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule kommen will, kann sich aber nicht aussuchen, zu welcher dieser im Wettbewerb sich profilierenden Schulen es fahren will. Denn manche werden einfach zu weit weg sein. Pech gehabt, kleiner Max? Nein, so einfach geht es nicht: Nicht die Einzelschule stellt LehrerInnen ein, wirbt um diese mit womöglich individuellen Verträgen/Bedarfen/Ressourcen und wählt sich diese. Dies macht ein übergeordnetes Schulamt, welches zumindest in einem Schulamts darauf achten kann und wird, dass Bildungsgerechtigkeit keine Worthülse im neoliberalen Wettstreit von schulen, die wie Unternehmen agieren, wird. Und dafür sorgen Gesetze, Normen, Erlasse, die festlegen, wie diese Schulämter dabei vorzugehen haben - nämlich nach demokratisch legitimierten und transparenten regeln.

    Ich danke Ihnen, Herr Brandenburg, aber dennoch nochmals für Ihre Replik. Denn offenbar sind wir im Rahmen unserer Bildungspolitik an einer Schaltstelle angekommen, an der wir tatsächlich Selbstverständliches nicht mehr für selbstverständlich nehmen können, da Kräfte wie Sie dieses Selbstverständliche zunehmend in Frage stellen. Wir werden noch intensiver in die demokratische Debatte eintreten müssen, um sicherzustellen, welches Schulsystem, welche demokratische Legitimität und welche Unabhängigkeit dessen wir uns in Deutschland vorstellen und wünschen. Das sollten wir offen und bald tun, bevor wir es gelassen haben und anderes getan haben, was dann nicht mehr reversibel sein wird, da wir uns in eine schleichende Abhängigkeit von „Teach First“ und all den anderen ähnlicher Struktur begeben haben, wofür ich „Teach First“ hier pars pro Toto erläutert habe.