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Vergesst nicht den Mittelstand!

Bund und Länder haben große Förderpakete für Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen beschlossen, "mehr Transfer" war dabei ein Schlüsselthema. Was übersehen wird: Den leistet vor allem die Industrieforschung. Ein Gastbeitrag von Ralf-Uwe Bauer.

Im Laser-Laboratorium Göttingen, das zur Zuse-Gemeinschaft gehört. Foto: LLG.

IN DER FORSCHUNGSPOLITIK sieht sich die Bundesregierung im Frühsommer 2019 auf einem guten Weg: Die Wissenschaftspakte zwischen Bund und Ländern sind beschlossen, eine steuerliche Forschungsförderung ist in den Bundestag eingebracht. Dem selbst gesteckten Ziel, bis 2025 einen 3,5 Prozent-Anteil von Forschung und Entwicklung (FuE) am Bruttoinlandsprodukt zu erreichen, kommt Deutschland damit ein Stück näher.

 

Was bei all der Zufriedenheit übersehen wird: Zur Stärkung des Transfers "als zentrale Säule unseres Forschungs- und Innovationssystems", wie es im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt, fehlen bislang konkrete Entscheidungen zugunsten des Mittelstandes. 


Ralf-Uwe Bauer ist Präsident der Zuse-Gemeinschaft. Der Verfahrenstechniker leitet als Geschäftsführender Direktor das Thüringische Institut für Textil- und Kunststoffforschung. Foto: TITK/André Kranert. 


Transfer, und gemeint ist hier speziell der Technologietransfer, bedeutet in der Forschungspolitik die Übersetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in anwendbare Technologien, Produkte und Dienstleistungen. Das geht nur durch eine ständige Rückkopplung zwischen Wirtschaft und Forschung. Gelingt diese Rückkopplung, entstehen Innovationen,  die zum wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen und Branchen beitragen.


Es ist ja richtig: Erfolgreicher Technologietransfer findet in Hochschulen und außeruniversitären Forschungsorganisationen statt. Aber eben auch und vor allem im Rahmen der Industrieforschung, wie sie die anwendungsnah tätigen Einrichtungen der Zuse-Gemeinschaft leisten. Die bundesweit mehr als 70 gemeinnützigen Mitgliedsinstitute sind DIE Forschungspartner des deutschen Mittelstandes, sei es in staatlich geförderten Projekten oder in bilateralen Kooperationen.

 

Der mit Abstand größte Teil des nötigen Aufwuchses, um die 3,5 Prozent FuE-Beitrag zu erreichen, wird von den Unternehmen kommen müssen. Sie verantworten rund zwei Drittel aller Forschungsausgaben, vor allem aufgrund des Beitrags von Großunternehmen. Künftig muss aber der Mittelstand im Fokus stehen für die Stärkung des Transfers, den sich die Bundesregierung auf die Fahnen geschrieben hat. Von der steuerlichen Forschungsförderung der Koalition sind allerdings für den Mittelstand leider kaum Impulse zu erwarten. 

 

Der Handlungsdruck ist immens, soll der Mittelstand in Sachen Innovation nicht weiter zurückfallen. Laut einer Erhebung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) ist der Beitrag kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) zu Forschung und Innovation in Deutschland "gering und im internationalen Vergleich sehr niedrig". Nur gut zehn Prozent der FuE-Ausgaben der deutschen Wirtschaft entfallen demnach auf KMU.

 

Alarmierend ist zudem, dass immer weniger KMU Innovationen hervorbringen. Die Innovatorenquote – Messlatte für den Anteil von Unternehmen, die Innovationen hervorbringen, ist langfristig rückläufig und betrug zuletzt nur noch 36 Prozent, nach 56 Prozent vor 20 Jahren, während die FuE-Ausgaben insgesamt stark gestiegen sind.

 

Schwächen im deutschen
Innovationssystem angehen

 

Die quantitativen gehen mit qualitativen Schwächen einher. So sieht die OECD als einen Minuspunkt des deutschen Innovationssystems eine "Unterschätzung der Bedeutung der Digitalisierung in traditionellen Wirtschaftszweigen und vielen KMU". Auch eine geringe Dynamik bei Unternehmensgründungen attestiert die OECD. Sie empfiehlt Initiativen zur Unterstützung von KMU bei Innovationsfähigkeit und Digitalisierung.  Diese Befunde und Empfehlungen müssen wir ernst nehmen. Nicht nur im Interesse der Wirtschaft, sondern um des Forschungsstandortes Deutschland willen.

 

Für effizienten Technologietransfer benötigen wir bewegliche Strukturen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, mit denen wir proaktiv Trends gestalten und gleichzeitig auf aktuelle Entwicklungen reagieren können. Geschehen muss dies in einem Förderumfeld, das Verlässlichkeit für die Forschenden und für die Unternehmen bietet.

 

Mit Programmen sowohl des Bundesforschungsministeriums wie auch des Bundeswirtschaftsministeriums bestehen erfolgreiche Formate, die diesen Anspruch erfüllen. Genannt seien hier exemplarisch das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) sowie die Programme INNO-KOM und KMU Innovativ. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie innovationsfreudige Unternehmen mit der Expertise von Forschungseinrichtungen wie denen der Zuse-Gemeinschaft effektiv zusammenbringen. Dadurch mehrt sich das Wissen und kann zum Beispiel für konkrete Prototypen eingesetzt werden – die potenziellen Markterfolge von morgen. >>


Technologietransfer in Zahlen

Welche Anteile ihrer Forschungsausgaben die verschiedenen Forschungseinrichtungen von der Wirtschaft finanziert bekommen.

Quelle: Zuse-Gemeinschaft auf Basis ZEW. Datenbasis: Statistisches Bundesamt, Stifterverband, OECD, ZEW


>> Diese wirksamen Programme gilt es zu stärken. Es darf nicht länger dem geografischen Zufall überlassen sein, ob ein starkes Forschungsprojekt förderfähig ist. INNO-KOM muss daher künftig bundesweit gelten, statt wie bisher auf strukturschwache Regionen begrenzt zu sein.

 

Hohe Kooperationsintensität 

bei der Zuse-Gemeinschaft

 

Der Erfolg von Instituten der Zuse-Gemeinschaft bei echten Neuerungen lebt auch vom zweiten Standbein der Einrichtungen, der bilateralen Zusammenarbeit mit Unternehmen. Drittmittel aus der Wirtschaft haben einen Anteil von rund 40 Prozent an den FuE-Ausgaben der Industrieforschung. Zum Vergleich: Bei den Fraunhofer-Instituten liegt der entsprechende Anteil bei 32 Prozent, im Durchschnitt der deutschen Forschungseinrichtungen sind es lediglich 13 Prozent. 

 

Bei den Instituten der Zuse-Gemeinschaft hat sich auch die von der OECD angemahnte Dynamik bei Unternehmensgründungen schon vollzogen – sichtbar an Dutzenden Ausgründungen aus ihren Reihen. Beispiel Laser-Laboratorium Göttingen (LLG): Seit 2017 sind aus dem vom Land geförderten Photonik-Inkubator der Niedersachsen bereits fünf Start Ups entstanden, die sich von Mikro-LED für Medizin und Biotechnologie über Mikro-Spiegel in Fensterscheiben fürs Smart Home bis zum optischen Coglea-Implantat für Hörgeschädigte mit einer großen Bandbreite an Innovationen befassen.

 

Das LLG hat mit seinen rund 50 Mitarbeitenden in den vergangenen Jahren mehr an Beschäftigung in Spin Offs produziert, als es selbst vorhält, und dabei gleichzeitig seine Expertise erweitert und gestärkt. Eines von vielen Beispielen für erfolgreichen Technologietransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in der Zuse-Gemeinschaft.

 

Wirtschaft und Gesellschaft nehmen die Erkenntnisse aus der Wissenschaft auf, und die staatliche Forschungsförderung erhält so ihren Mehrwert. Das von der Koalition fixierte Ziel, mindestens 3,5 Prozent FuE-Anteil am Bruttoinlandsprodukt zu erreichen, wird nur lebendig, wenn sich die Ausgaben durch kreative Neuerungen in der Lebenswirklichkeit der Menschen entfalten. Das schaffen die gemeinnützigen Industrieforschungseinrichtungen. Die Politik sollte sie daher verstärkt unterstützen. 

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Kommentare: 1
  • #1

    F. Ossing (Dienstag, 02 Juli 2019 10:47)

    Ralf-Uwe Bauer hat vor allem erst einmal recht, wenn er feststellt, dass die Industrieforschung bei der Betrachtung der deutschen Forschungslandschaft vielfach übersehen und folglich auch ihr Beitrag zum „Transfer“ unterschätzt wird. Hier muss aber differenziert werden: Bauer hebt hervor, dass er den Technologietransfer meint. Sein Beitrag zeigt deutlich das eigentlich Naheliegende, i.e. dass die Industrie- und industrienahe Forschung einen Großteil des Technologietransfers erzeugt. Das ist aber eine enge Sichtweise.
    Ceterum censeo: der eigentliche Transfer von Wissenschaft in die Gesellschaft geht weit über den Technologie-Transfer hinaus (1). Dieser Wissenstransfer aus den Forschungseinrichtungen in die Gesellschaft hinein ist der eigentlich übersehene, tagtägliche (!) Beitrag der Wissenschaft und Forschung zu unserem Gemeinwesen. Und er ist vermutlich in geldwerter Leistung größer als das, was an Finanzierung in das Wissenschaftssystem hineinfließt; an anderer Stelle findet sich dazu ein Beispiel (2). Es wäre interessant, einmal bundesweit und über alle Fachdisziplinen zu erfassen, was die Wissenschaft tagtäglich in Form von Daten, Observatoriumsleistungen, Beratungstätigkeit, Normen- und Richtlinienerstellung, Ausbildungsvorgaben, Statistiken, …, in die Gesellschaft liefert. Für die sog. „Geldgeber“ käme dabei die unbequeme Erkenntnis heraus, dass Wissenschaft und Forschung mehr an Sachleistungen in die Gesellschaft einbringen, als sie netto erhalten. Und dass sie – Stichwort Populismus – Grundlage unserer Gesellschaft sind.
    Mit der Unschärfe der Begrifflichkeit findet sich Ralf-Uwe Bauer übrigens in guter Gesellschaft. Auch in den Leitungsebenen der Minsterien und der Forschungseinrichtungen findet sich ubiquitär das Durcheinanderwerfen von Wissenstransfer, Technologietransfer, Wissenschaftskommunikation und -marketing. Hier wäre zur exakteren Leistungserfassung gründlicher zu differenzieren.
    (1) https://media.wix.com/ugd/7bac3c_f19510502a534013a04266fb630dc1ef.pdf
    (2) https://www.wissenschaftskommunikation.de/mission-innovation-oder-mission-kommunikation-19035/