Eigentlich wollte die deutsche Wissenschaft mit dem Verlag Springer Nature bis Mitte 2019 einen neuen Vertrag abschließen in den seit Jahren andauernden DEAL-Verhandlungen. Was ist aus dieser Ankündigung geworden?
Foto: Screenshot der DEAL-Website.
DIE STIMMUNG WAR gut wenige Tage vor Weihnachten. Man habe mit Springer Nature "deutliche Fortschritte" erzielt in den Verhandlungen über ein "richtungsweisendes Modell des Publizierens und Lesens wissenschaftlicher Literatur", verkündete Horst Hippler, der ehemalige Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), per Pressemitteilung. Nicht weniger zuversichtlich klang Dagmar Laging, "Vice President Institutional Sales Europe" bei dem internationalen Großverlag: "Wir sind auf die Zielgerade eingebogen."
Die Stimmung war so gut, dass die beiden sich sogar auf ein Zieldatum festlegten. Hippler sagte, man sei zuversichtlich, "dass es bis Mitte 2019 zum Abschluss eines DEAL-Vertrages mit Springer Nature kommen wird."
2016 hat die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen das Projekt DEAL gestartet, dessen Stoßrichtung mit dem Akronym treffsicher beschrieben ist: Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen wollen bundesweite Lizenzverträge mit den drei führenden Wissenschaftsverlagen Elsevier, Springer Nature und Wiley abschließen. Es geht um Kostensenkungen oder, wie es das DEAL-Konsortium formuliert, um eine "angemessene Bepreisung nach einem einfachen, zukunftsorientierten Berechnungsmodell, das sich am Publikationsaufkommen orientiert."
Jetzt ist Mitte 2019, aber der
versprochene Deal lässt auf sich warten
Jetzt ist Mitte 2019, und wenn man Hippler anruft, sagt er: "Wir sind mit Springer Nature weiter in Kontakt." Dann, vielleicht weil er merkt, dass das jetzt nicht wirklich optimistisch klingt, fügt er hinzu: "Wir sind eigentlich in einem guten Austausch. Aber unsere Preisvorstellungen passen noch nicht so richtig zusammen."
Die Nachfrage bei Springer Nature ergibt ähnliche Sätze. Daniel Ropers, der Vorstandsvorsitzende, sagt ein wenig verschachtelt, man sei weiter "sehr zuversichtlich, zu einem Abschluss zu kommen, wollen uns aber die notwendige Zeit nehmen, um der Komplexität des angestrebten Modells gerecht zu werden und einen reibungslosen Übergang und eine erfolgreiche Umsetzung für alle Beteiligten zu gewährleisten." Im Klartext: Das vor einem halben Jahr verkündete Zieldatum hat sich erledigt. Es scheint eine lange Zielgerade zu werden.
An sich ist das noch kein großes Problem. Springer Nature hat die bestehenden Verträge mit den Wissenschaftseinrichtungen kostenneutral bis Ende 2019 verlängert, als Zeichen des Entgegenkommens. Doch steigt der Druck auf die Verhandlungspartner. Und während Springer Nature nur für sich agiert, muss DEAL-Verhandlungsführer Hippler das Große und Ganze im Blick behalten. Und das sieht gerade auch nicht allzu gut aus.
Zwar hat DEAL Anfang 2019 mit Wiley einen ersten und sehr respektablen Abschluss erreicht, was von DEAL und HRK geradezu emphatisch gefeiert wurde. Ein "wichtiger Meilenstein" sei erreicht, sagte Hippler und sprach von einem "fairen Preismodell". "Revolutionär" sei, "dass wir diesen Weg zu einer Open-Access-Publikationspraxis gemeinsam mit Wiley gehen".
Erst wenn Springer Nature einschwenkt,
gerät Elsevier so richtig unter Zugzwang
Das ist nämlich neben der Kostensenkung das zweite große Ziel von DEAL: "100% Open Access". Soll heißen: Steuerfinanzierte Forschungsergebnisse sollen für alle Interessierten verfügbar sein, ohne dass dafür eine Gebühr fällig wird. Was eine Umkehr von großen Teilen des bisherigen Geschäftsmodells der Verlage bedeutet, weil sie künftig für die Veröffentlichung bezahlt würden und nicht mehr von den Lesern.
Insofern war der Wiley-Erfolg extrem wichtig für DEAL. Zur Wahrheit gehört freilich auch, dass sich Wiley schon früh als vergleichsweise kompromissbereiter Verhandlungspartner gezeigt hatte. Auch Springer Nature galt lange vergleichsweise offen für eine Einigung – weshalb die Verzögerung jetzt umso mehr wundert. Und ärgerlich aus Sicht von Hippler ist sie noch dazu: Denn nur wenn auch Springer Nature auf die DEAL-Linie einschwenkt, gerät Elsevier unter noch stärkeren Zugzwang. Der niederländische Verlag ist mit Abstand der größte – und schwierigste – Brocken. Alle drei Großverlage gemeinsam machen rund zwei Drittel der Publikationen aus, davon entfallen auf Wiley und Springer Nature jeweils ein Viertel – und auf Elsevier die ganze andere Hälfte.
Die Einigung mit Springer Nature hätte also nicht nur eine Bedeutung an sich, sie wäre auch ein Mittel zum Zweck. Denn DEAL und Elsevier kämpfen mit harten Bandagen.
Über 200 Bibliotheken, Hochschulen und Forschungseinrichtungen befinden sich inzwischen in einem vertragslosen Zustand mit dem Großverlag. Sie hatten, ermutigt von den DEAL-Verhandlungsführern, ihre Abos gekündigt. Lange Zeit ließ Elsevier aus Angst, auch noch die letzten Sympathiepunkte bei Wissenschaftlern und Studenten zu verlieren, die Nutzung seiner Zeitschriften an den betroffenen Einrichtungen kostenfrei weiterlaufen. Bis zum vergangenen Juli: Nachdem die HRK die Verhandlungen aus taktischen Gründen abgebrochen hatte, machte Elsevier den Gratis-Zugang dicht. Parallel legten immer mehr Wissenschaftler ihre Arbeit als Herausgeber von Elsevier-Zeitschriften nieder, um den DEAL-Druck auf den Verlag zu unterstützen.
Wer steht eigentlich unter
dem größeren Druck?
Inzwischen redet man zwar wieder miteinander, wie Horst Hippler und Hannfried von Hindenburg von Elsevier bestätigen. Aber wann endet der Stellungskampf? Und wer steht eigentlich unter größerem Druck? Der Verlag mit der fast schon absurden Umsatzrendite von zuletzt 37 Prozent, dem Einnahmen entgehen und dessen Image immer weiter in den Keller geht? Oder die Wissenschaftsorganisationen, deren Wissenschaftler nicht mehr so leicht an Elsevier-Publikationen kommen, wie sie es gewohnt waren?
Elsevier geht nun erneut in die Offensive und veröffentlicht die Ergebnisse einer Online-Umfrage, die es beim Marktforschungsunternehmen Confirmit in Auftrag gegeben hatte. Demnach antworteten 61 Prozent der Befragten, dass ihre Forschungsarbeit weniger effizient geworden sei, seit sie den Zugang zur Elsevier-Onlinedatenbank "ScienceDirect" verloren hätten, 54 Prozent gaben an, dadurch werde ihr wissenschaftlicher Output verzögert.
Pro Monat verbringen die Wissenschaftler eigenen Angaben zu Folge im Schnitt eine Stunde damit, Elsevier-Artikel auf Alternativ-Wegen zu ergattern – schaffen dies aber den Zahlen zufolge nur in 58 Prozent der Fälle.
Die 363 Teilnehmer wurden laut Studie aus einer Grundgesamtheit von 30.481 deutschen Wissenschaftlern, die in den vergangene drei Jahren wissenschaftlich publiziert haben (und zwar nicht nur bei Elsevier, sondern bei vielen Verlagen inklusive Springer, Wiles und PLOS), zufällig ausgewählt.
"Diese Sperre ist jeden Tag ein Riesenproblem",
schimpft ein Frankfurter Medizinprofessor
Schenkt man den von Elsevier veröffentlichten Zahlen Glauben, widersprächen sie Beteuerungen von DEAL und Hippler, für die Abschaltung der Zugänge seien im vergangenen Jahr die nötigen "Vorkehrungen" getroffen worden. Damals teilte die HRK mit, es bestünden vielfältige Wege der Dokumentlieferung: "von der klassischen Fernleihe bis zum schnellen Direktlieferdienst." Und Hippler fügte hinzu: "Ohnehin muss Elsevier weiterhin einen uneingeschränkten Zugriff auf die Inhalte gewähren, für die Archivrechte bestehen."
Einer der zunehmend genervten Wissenschaftler ist Florian Greten, Professor für Tumorbiologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. "Diese Sperre ist jeden Tag, ständig ein Riesenproblem", sagt er. "Wenn ein neuer Artikel rauskommt, den ich lesen will, ist das jedes Mal ein Abenteuer."
Neulich musste Greten, 46, zwei große Übersichtsartikel über den Forschungsstand in seinem Fachgebiet schreiben, 200 Literaturreferenzen, zu etwa 100 fehlte ihm der Zugang. Er hat Kollegen in den USA gemailt und sie gebeten, mal kurz ein paar Artikel rauszusuchen. "Aber doch nicht 200, da macht der beste Freund nicht mehr mit", sagt er. Und Bibliothekare 100 mal eine Einzelbestellung machen zu lassen, "das ist auf Dauer doch auch nicht praktikabel und für beide Seiten nervig." Nein, seine Geduld sei langsam aufgebraucht. "Sicher muss man das Geschäftsmodell und die Gewinnmargen von Elsevier & Co mit Recht hinterfragen", sagt Greten. "Aber irgendwann reicht es." Er habe sogar schon überlegt, die wichtigsten Elsevier-Zeitschriften im Alleingang nur für sein Institut zu abonnieren. "Aber natürlich habe ich das nicht gemacht. Dann käme ich mir ja vor wie ein Streikbrecher."
Die Erwartung, dass DEAL und Elsevier nun bald die Kurve bekommen, ist hoch. Doch je länger es nicht einmal mit Springer Nature hinhaut, desto mehr muss sich auch DEAL-Verhandlungsführer Hippler erklären. "Natürlich spüren wir den Druck, uns zu einigen", sagt er. "Aber nicht um und zu jedem Preis. Als Wissenschaft tragen wir eine Verantwortung uns selbst gegenüber und gegenüber den Steuerzahlern, die unsere Arbeit finanzieren."
Die andauernde Hängepartie erklärt der Ex-HRK-Chef übrigens ausgerechnet mit dem Wiley-Erfolg, der habe eine Benchmark gesetzt, "und diese Benchmark, die den Preis pro publizierten Artikel mehr oder weniger festgelegt hat, gefällt weder Springer Nature noch Elsevier." Es müsse auch in den noch ausstehenden Verträgen die Tendenz erkennbare werden, dass dank Open Access die Preise in Zukunft sinken würden. Anders formuliert: Hinter die mit Wiley ausgehandelten Standards will DEAL jetzt nicht mehr zurückfallen.
Neue Chancen mit neuer
Elsevier-Chefin?
Hippler sagt, er hoffe immer noch, dass der Vertrag mit Springer Nature zum 1. Januar 2020 in Kraft treten könne – dann endet die kostenneutrale Verlängerung, die der Verlag gewährt hat. Auch in Sachen Elsevier gibt er sich wieder optimistischer. "Der personelle Wechsel an der dortigen Spitze hat wieder mehr Offenheit in die Gespräche gebracht."
Was Hannfried von Hindenburg von Elsevier, dessen langjähriger Chef Rob Mobed im Februar 2019 in Ruhestand ging, indirekt bestätigt. "Natürlich blickt ein neuer CEO nochmal frisch auf die Verhandlungssituation", sagt er. "Und wenn Herr Hippler sagt, mit unserer neuen Chefin Kumsal Bayazit lasse sich vielleicht etwas machen, dann klingt das auch für uns positiv."
Hippler sagt allerdings auch: Was Elsevier bisher als Preis verlangt habe, sei "überreizt" gewesen. Darin komme zum Ausdruck, dass der Verlag zum riesigen Medienkonzern RELX gehöre und dank der enormen Umsatzrendite dessen Cashcow sei. "Da ist es klar, dass der Druck auf den Verlag groß ist."
Die deutsche Wissenschaft müsse aber ihr Geld verantwortungsvoll verteilen, sagt Hippler, damit nicht alles an die Großverlage gehe, sondern noch genug für die Kleinen bleibe. "Die Häuser, die sich darum kümmern, dass auch die ganz andere, von Monografien geprägte Publikationskultur in den Geistes- und Sozialwissenschaften überlebt."
Ein schlauer Schachzug des gewieften Taktikers Hippler, der genau weiß, dass die kleinen Verlage die DEAL-Verhandlungen mit Argwohn verfolgen. Sie fühlen sich ausgeschlossen, fürchten, ihnen würden künftig die Preise einfach diktiert. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels hatte 2017 sogar Klage beim Bundeskartellamt eingereicht: DEAL begünstige die exklusive Stellung die drei großen Verlage noch zusätzlich. Die Klage wurde abgewiesen, aber der Ärger schwelt weiter.
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 04:45)
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 05:48)
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