Die Opposition fordert Aufklärung zur Batteriefabrik-Entscheidung. Karliczek soll vor dem zuständigen Bundestagsausschuss erscheinen. Der Auftritt ist von enormer Bedeutung für die Forschungsministerin.
DIE OPPOSITIONSFRAKTIONEN von Grünen, FDP und Linken haben eine Sondersitzung des Bundestagsausschusses für Bildung und Forschung beantragt. Am Mittwoch, so fordern sie, soll Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) den Abgeordneten Rede und Antwort stehen. Thema: die umstrittene Entscheidung ihres Ministeriums, Münster zum Standort der Batteriezellen-Forschungsfabrik zu machen. Hunderte Millionen Euro sollen in die Region fließen, die an Karliczeks Wahlkreis angrenzt, einiges davon sogar direkt in ihre Heimatstadt Ibbenbüren.
Das BMBF verschweige trotz mehrerer parlamentarischer Anfragen die Bewertung der acht Bewerberstandorte, die sich (inklusive Münster) im Rennen befanden, bemängeln Grüne, FDP und Linke. Auch bleibt unklar, warum BMBF und Wirtschaftsministerium während eines laufenden Bewertungsverfahrens neue Bewertungskriterien angelegt hätten.
Die Kritik an der Auswahl Münsters hält Anja Karliczek nun schon seit gut drei Wochen in Atem. Tatsächlich hat sie es bislang nicht geschafft, das zu tun, was sie von Anfang an hätte tun sollen: alle Fakten, Protokolle und Dokumentationen zu dem Hergang der Entscheidung vollständig und in sich stimmig auf den Tisch zu legen.
Es ist dabei nicht so, dass Karliczek nicht kommuniziert hätte, seit mehrere Ministerpräsidenten in einem Brief an Kanzlerin Merkel eine Offenlegung der Entscheidungsgründe gefordert hatten. Karliczek hat viel geredet, viel beteuert, sie hat durchaus plausibel ihre Version der Geschehnisse dargestellt. Sie hat darauf aufmerksam gemacht, dass ihr von Anfang an die Sensibilität der Angelegenheit bewusst gewesen sei, dass sie sich, sobald sich Münster als einer der Favoriten-Standorte herausstellte, so weit wie möglich von dem Entscheidungsprozess distanziert hatte. Das klang nachvollziehbar, sogar wohl durchdacht.
Umso ärgerlicher ist es, dass ihre Darstellung durch Dritte mehrfach wieder in Frage gestellt wurde: zuerst das ebenfalls beteiligte Wirtschaftsministerium, zuletzt durch einen Bericht des Tagesspiegels. Die Zeitung hatte aus einem Schreiben zitiert, das im Vorfeld der Entscheidung aus der beauftragten Gründungskommission heraus an das Wirtschaftsministerium gegangen war. Daran war ein Votum für Münsters Konkurrenzstandort Ulm enthalten – obwohl Karliczek immer bestritten hatte, dass es ein solches Expertenvotum gegeben hatte.
Ihr Ministerium nannte die Behauptung, die Gründungskommission habe für Ulm votiert, vor dem Wochenende falsch und "wahrheitswidrig". Das zitierte Schreiben sei von seinem Autor selbst, einem Mitglied der Kommission, lediglich als "Diskussionsbeitrag" bezeichnet worden und habe in der Sitzung der Kommission dann auch keine Rolle gespielt.
Ärgerlich ist es für die Ministerin selbst, wenn sie mit Widersprüchen zu ihren Stellungnahmen konfrontiert wird, die sie dann durch wieder neue Stellungnahmen ausräumen muss. Denn von einer Verantwortung kann sie sich nicht distanzieren: der Verantwortung zur lückenlosen Darstellung einer politischen Entscheidung, die in ihrem Haus gefallen ist.
Ärgerlich ist es aber auch für die Öffentlichkeit und die Bundestagsabgeordneten, dass sie von dem Schreiben mit dem angeblichen Kommissionsvotum nicht direkt aus Karliczeks Ministerium erfahren – inklusive der jetzt gelieferten Einordnung – sondern aus den Medien. Weil genau das den Eindruck hinterlässt, das Ministerium spiele nicht mit komplett offenen Karten. Weil es das Gefühl erzeugt, da könnte noch mehr sein, was das BMBF bislang nicht gesagt hat.
Klar ist: Auch angesichts von Karliczeks dokumentierten Beteuerungen bereits Tage vor der Entscheidung Ende Juni, sie wolle sich persönlich aufgrund der Sensibilität heraushalten, ergibt es mit gesundem Menschenverstand betrachtet durchaus Sinn, ihr auch jetzt Glauben zu schenken, dass sie ihren Einfluss nicht zugunsten ihrer Heimat eingesetzt hat. Sie wusste schließlich vorher, dass der Blick danach auf sie gerichtet sein würde, sie wusste, dass die Nachfragen kommen würden.
Es ist gut möglich, dass der Weg zur Entscheidung nach allem, was man weiß, so komplex, so diffizil, aber doch korrekt gewesen sein mag, dass einzelne Teiletappen und aus dem Zusammenhang gerissene Äußerungen ein falsches, ein verzerrtes Bild vermitteln können. Erst recht, wenn so viele Akteure im Spiel sind und die Debatte über die Entscheidung mitprägen, die ihre ganz eigenen Interessen verfolgen.
Klar ist aber auch: Gerade deshalb ist es so unverständlich, ja irritierend, dass die Ministerin den Entscheidungsprozess nicht vernünftig und – vor allem: widerspruchsfrei – kommuniziert bekommen hat bislang. Dass es offenbar Leute in ihrem Ministerium gibt, die der Meinung waren oder sind, man könne das Thema irgendwie aussitzen, indem man die damit zusammenhängenden Informationen gar nicht oder scheibchenweise erst dann herausgibt, wenn es sich nicht mehr verhindern lässt.
Es ist wie so oft in der Politik: Gefährlich für Politiker sind nicht nur die Vorwürfe an sich, sondern ihr Handling in der Öffentlichkeit. Der Auftritt Karliczeks vor dem Bundestagsausschuss ist von enormer Bedeutung – für sie persönlich, aber auch für die Integrität eines für Deutschland so wichtigen Forschungsfelds.
NACHTRAG AM 22.JULI, 16 UHR:
Karliczeks Sprecher Ulrich Scharlack hat heute Nachmittag auf Twitter reagiert. Das BMBF habe, was die Standortentscheidung angeht, in Vergangenheit "zu allen Fragen Stellung genommen und wird dies selbstverständlich in Zukunft tun". Und Scharlack fügte hinzu: "Die Ministerin kommt gern in den Bundestags-Ausschuss für Forschung."
Die grüne Innovationspolitikerin Anna Christmann antwortete Scharlack ebenfalls per Twitter. Die Stellungnahmen des BMBF seien bislang leider äußerst lückenhaft und zum Teil widersprüchlich. Christmann verwies nochmals auf die nicht öffentlich vorliegenden Bewertungen der Standorte. "Gut, wenn die Ministerin teilnimmt, um vollständig aufzuklären. Ob das gelingt, sehen wir dann hoffentlich Mittwoch."
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Manfred Ronzheimer (Montag, 22 Juli 2019 21:08)
Heute ist dann doch noch die Einladung zur Sitzung des Forschungsausschusses rausgegangen:
https://www.bundestag.de/resource/blob/652036/d6ed53bd0cf4dbdae8677ef0004b0661/030_24_07_2019-data.pdf
Die 30. Sitzung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
findet statt am
Mittwoch, dem 24. Juli 2019, 14:15 Uhr
Paul-Löbe-Haus - Europasaal - (4.900)
Tagesordnungspunkt 1
Gespräch mit der Ministerin für Bildung und Forschung,
Frau Anja Karliczek, MdB
Auswahlentscheidung des Standortes Münster für die Forschungsfertigung Batteriezelle
Sitzungsende ca. 15:30 Uhr
BMBF-Sprecher Abt wußte davon in der RegPK am Mittag noch nichts.
https://www.youtube.com/watch?v=Gb8Mat3xUZY
(25:10 min)
Er machte aber die interessante Mitteilung, dass Karliczek am Sonntag garnicht in die USA gereist war, sondern lieber in Berlin blieb, um der Vereidigung der neuen Verteidigungsministerin AKK beizuwohnen. Der USA-Trip wäre in Sachen Agentur für Sprunginnovationen ein starkes Signal gewesen. Das fehlt nun.