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Lasst sie Lehrer sein!

Das "Refugee Teacher Program" der Universität Potsdam gilt deutschlandweit als vorbildlich. Doch das Brandenburger Bildungsministerium legt seinen Absolventen Steine in den Weg.

Die Absolventen der ersten Stunde: Abschlussfeier 2017. Foto: Karla Fritze

DENKEN SIE SICH folgendes Szenario: In einem Bundesland herrscht Lehrermangel. Die Absolventen der Lehramts-Studiengänge reichen bei weitem nicht aus, um die freien Stellen in den Kollegien zu besetzen. Auch aus benachbarten Bundesländern lassen sich nicht genügend Leute anwerben, denn dort hatte man den Bedarf an Lehrern ebenfalls jahrelang unterschätzt und die Studienkapazitäten heruntergefahren. Der verantwortlichen Bildungsministerin bleibt also nichts übrig, als reihenweise Seiteneinsteiger einzustellen, das sind Menschen, die nie ein Pädagogik-Studium absolviert haben.

 

Zum Glück gibt es aber eine Gruppe von Profis, die sich nichts sehnlicher wünschen, als wieder unterrichten zu dürfen. Geflüchtete Lehrer. Weil ihre Ausbildung in Deutschland nicht anerkannt wird, sind sie bereit, noch einmal zu studieren. Und zum Glück gibt es ausgerechnet an der größten Universität des Bundeslandes ein Programm, das sie auf ihren Einsatz vorbereitet. Ein Programm, das deutschlandweit lange das einzige seiner Art war. Das "Refugee Teachers Program". 

 

Welch ein Geschenk –
sollte man denken

 

Welch ein Geschenk für die Schulen, sollte man denken. Und für die Schüler, vor allem für jene, die aus Einwandererfamilien stammen, womöglich sogar selbst geflüchtet sind und die in den geflüchteten Lehrern wichtige Rollenvorbilder finden. Welch ein Geschenk aber auch für die Bildungsministerin. Sollte man denken. 

 

Nun zur Realität, wie sie sich derzeit in Brandenburg darstellt. Seit 2016 bereitet die Universität Potsdam geflüchtete Lehrer auf ihren Einsatz an deutschen Schulen vor. In bis zu 18 Monaten Vollzeit. Über 1000 Männer und Frauen haben sich bislang um einen der raren Plätze im "Refugee Teachers Program" beworben, die ersten vier Ausbildungskohorten konnten 140 von ihnen aufnehmen. 140 mal potenzielle Linderung für Brandenburgs vom Lehrermangel geplagte Schulen. Doch Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) weiß, so scheint es, nicht so richtig, was sie mit diesem Geschenk anfangen soll. 

 

Jedenfalls hat ihr Ministerium die Hürde für künftige Programmteilnehmer in fast unerreichbare Höhen geschraubt. Sie sollen, selbst wenn sie die 18 Monate mit Bravour gemeistert haben, grundsätzlich nur noch befristet beschäftigt werden. Und zwar grundsätzlich nur noch als Hilfslehrer, die nicht eigenverantwortlich Unterricht halten dürfen. Und – wie das Ministerium der Universität mitteilte: Künftig komme nur noch für diejenigen Absolventen, die bereits zum Programmabschluss (!) das Sprachniveau C2 nachweisen, eine Einstellung als vollwertige Lehrkraft in Frage.

 

C2 bedeutet, dass die Bewerber Deutsch fast wie ihre Muttersprache sprechen müssten. Wir erinnern uns: Es geht um kürzlich geflüchtete Lehrer, von denen die meisten bis zu ihrer Ankunft kein Wort Deutsch verstanden haben. Sie können vieles, haben viele Jahre Unterrichtserfahrung in ihrem Heimatland, und sie lernen, berichtet die Universität Potsdam, in erstaunlicher Geschwindigkeit. Doch sie bleiben Einwanderer. 

 

Am 1. September sind in Brandenburg 

Landtagswahlen – die AfD liegt vorn

 

Die Teilnehmer der ersten Ausbildungskohorte haben mehr Glück. Viele von ihnen haben bereits die vergangenen zwei Schuljahre als Assistenzlehrer gearbeitet, und wenn sie sich in diesem Job bewährt haben, sollen jetzt oder möglichst bald unbefristete Stellen als Voll-Lehrer erhalten. Weitere Absolventen sollen je nach Eignung Dauerstellen als "sonstiges pädagogisches Personal" erhalten oder zunächst ein weiteres Jahr in Teilzeit arbeiten, um nebenher die nötige Sprachkompetenz zu erreichen. Viele Wenn und Abers, aber immerhin. Bei der zweiten und dritten Kohorte werden dagegen schon Abstriche gemacht. 

 

Das Bildungsministerium teilte der Uni mit, die "Chancengleichheit" gebiete die neuen Regeln für die künftigen Absolventen. Regeln, die eine extreme Verschärfung gegenüber den früher gemachten Versprechungen darstellen. Aber welche Chancengleichheit meint das Ministerium eigentlich? Für andere Seiteneinsteiger? Kann sein – auch wenn die sich mit den Geflüchteten und ihrer enormen interkulturellen Kompetenz kaum vergleichen lassen. Ganz sicher kann das Ministerium nicht die Chancengleichheit für die Schüler meinen, denn jeder "Refugee Teacher" weniger an den Schulen ist ein motivierter Pädagoge weniger. 

 

Eines ist sicher: Die Absolventen des "Refugee Teachers Program" sind eine Positiv-Auswahl. Sie haben bewiesen, dass sie schlau, diszipliniert und willensstark genug sind, um in einem fremden Land ihrer Berufung zu folgen. Einige von ihnen sind jeden Tag anderthalb, zwei Stunden zwischen ihrer Unterkunft und der Uni gependelt. Pro Richtung. Sie haben sich in die Logik deutscher Universitäten eingedacht, in die Strukturen deutscher Schulen. Sie sind auch schlau, diszipliniert und willensstark genug, um sich im Zweifel eine andere Aufgabe zu suchen, in der sie Anerkennung und Planungssicherheit finden und die sie fordert. Ein Verlust, den das Bildungsministerium in Kauf nimmt.

 

Am 1. September sind Landtagswahlen in Brandenburg. Laut Umfragen könnte die AfD stärkste Partei werden, knapp vor den Sozialdemokraten, die massiv Stimmen verlieren könnten. Ein Schelm, wer einen Zusammenhang vermutet. 


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Kommentare: 3
  • #1

    tmg (Freitag, 26 Juli 2019)

    ja, das ist ja unglaublich, Herr Wiarda, wie kann man nur auf die seltsame Idee kommen, dass Lehrer in Deutschland die
    deutsche Sprache auf näherungsweise muttersprachlichem Niveau beherrschen sollten, vor Voll- und Festanstellung?
    Werden in Deutschland überhaupt deutschsprechende Kinder unterrichtet?

  • #2

    Marco Winzker (Freitag, 26 Juli 2019 20:03)

    Das ist doch eine tolle Chance für andere Bundesländer. Da kann der Föderalismus mal seine positiven Seiten ausspielen. Ich würde mich freuen, wenn NRW diese Lehrer einstellt.

  • #3

    TR2001 (Montag, 29 Juli 2019 10:44)

    @tmg - Dann lieber gar keine Bildung? Klingt logisch. Nicht.