"So Herr Jesus, Schluss mit all dem"
Der ungläubige Theologe Lüdemann im Streit mit der Kirche. – erschienen im Tagesspiegel am 18. Februar 2000.
IM MÄRZ 1998 schrieb Gerd Lüdemann einen Brief. Der Adressat war Jesus Christus. "So, Herr Jesus", schrieb Herr Lüdemann: "Schluss mit all dem. Du warst nicht ohne Sünde, und Du bist nicht Gottes Sohn. Deine Wiederkunft bleibt aus, da Deine Auferstehung gar nicht stattfand. Bleibe dort, wo Du bist, im Galiläa des ersten Jahrhunderts."
Nun könnte man die Beziehung zwischen Gerd Lüdemann und Jesus Christus als Privatangelegenheit ansehen – wäre Lüdemann nicht Theologieprofessor und hätte er seinen Brief nicht in einem Buch mit dem Titel "Der große Betrug" publik gemacht. So aber gilt Lüdemann, spätestens seit jenen Tagen, als gefragter Interviewpartner der Kategorie: äußert sich jederzeit abfällig über Kirche, Seilschaften, Auferstehungs-Irrglauben und den ganzen Rest. ZEIT, Spiegel, Süddeutsche – alle haben sie über ihn berichtet.
Seit über 20 Jahren beschäftigte ich mich mit Hochschulen, Bildung und Wissenschaft. Viel ist passiert in dieser Zeit, vieles davon durfte ich als Journalist begleiten. Der Blick zurück zeigt, wie aktuell einige meiner Themen von einst geblieben sind – obwohl sich fast alles verändert hat. Machmal allerdings auch, weil sich fast gar nichts verändert hat. Der 14. Teil einer Serie. Einen Überblick über die gesamte Serie "Blick zurück" finden Sie hier.
Erkauft hat er sich diese Popularität mit der Empörung seiner Fakultätskollegen und dem Versuch der Kirchenoberen, den niedersächsischen Wissenschaftsminister zu seiner Entlassung zu bewegen. Dazu ist es zwar nicht gekommen, aber jetzt hat das Lüneburger Oberverwaltungsgericht entschieden, dass die Universität Göttingen das Recht hatte, den Abweichler aus den theologischen Studiengängen zu entfernen, ihn "kalt zu stellen", wie Lüdemann das nennt.
Wer den 53-Jährigen dieser Tage in der Universität besucht, erlebt keinen Revoluzzer. Eher einen Menschen, der in etwas hineingeraten ist, das er nicht mehr kontrollieren kann. Hier im Theologicum, wo es nach altem Papier und Bedächtigkeit riecht, will ihn kaum noch einer haben. "Ich war ein erfolgreicher Wissenschaftler", sagt Lüdemann, seltsam teilnahmslos, als rede er von einem anderen. "Ich habe ein Stipendium der Forschungsgemeinschaft bekommen, dazu Gelder von Thyssen. Insgesamt 1,6 Millionen Mark."
Und heute? Seinen Lehrstuhl für Neues Testament hat der Universitätspräsident umbenannt in "Geschichte und Literatur des frühen Christentums": ein Fach, das es eigentlich gar nicht gibt. Kaum ein Student besucht seine Veranstaltungen, da sie in keiner Studienordnung auftauchen. Für Lüdemann kommt das einer "unglaublichen Beschneidung meiner Rechte" gleich. Mit dem Einspruch, den er beim Verwaltungsgericht eingelegt hatte, war er schon gescheitert; und jetzt die Pleite beim Oberverwaltungsgericht. "Es geht um meine Ehre", sagt er immer wieder. Die Einflussnahme der Kirche auf die theologischen Fakultäten, festgeschrieben in Staatskirchenverträgen, widerspreche der Freiheit von Lehre und Wissenschaft. Um die wolle er kämpfen, "notfalls bis zum Bundesverwaltungsgericht".
Dabei würde es schon reichen, den Flur ein Stück hinunterzugehen, dorthin, wo der Fakultätsdirektor Reinhard Kratz sein Büro hat. "Herr Lüdemann lässt nicht mit sich reden. Ich habe es versucht", sagt Kratz, schweigt dann und vergisst fast, die Asche seiner Zigarette am Aschenbecher abzuklopfen. "Oh ja, ich habe es versucht." Allerdings bezweifelt er, dass ein Gespräch viel bringen würde. "Viele Kollegen sind tief verletzt von dem pauschalen Vorwurf, ihre Arbeit sei unwissenschaftlich."
Gefallen ist der umstrittene Satz auf der Kollegiumssitzung am 22. April 1998. Es war die letzte, die Lüdemann besuchte. Als Wissenschaftler müsse er sich an den historischen Fakten orientieren, antwortet der auf die Frage, was er damals gesagt habe: "Die Fakten belegen eindeutig, dass Jesus nicht auferstanden ist." Wenn Theologen dennoch wider besseres Wissen die Auferstehung propagierten, sei das unwissenschaftlich: "Damit machen sie sich faktisch zu Handlangern der Kirche." Das war der Bruch. Reinhard Kratz schüttelt vehement den Kopf: "Das ist pure Demagogie! Wir betreiben Theologie mit der Grundüberzeugung, dass es Wahrheiten gibt, die über das historisch Erfassbare hinausgehen." Früher habe er mit dem Kollegen Lüdemann freundlichen Umgang gehabt. Seitdem aber beschränke sich der Kontakt auf Begegnungen im Flur. Und die seien selten. "Er ist ja kaum da."
Tatsächlich hat sich Professor Lüdemann mehr und mehr aus dem Theologicum zurückgezogen. Er mag sie nicht mehr sehen, seine Kollegen. Persönliche Probleme haben sie ihm nachgesagt; die Qualität seiner Arbeit lasse nach; es dränge ihn, in der Zeitung zu stehen. "Ich empfinde Verachtung für sie", sagt er und lacht. Doch auch zu Hause, in einer Doppelhaushälfte am Göttinger Stadtrand, holt ihn die Realität rasch wieder ein, spätestens beim Blick auf den Kontoauszug. Das Gericht ist teuer, die Anwaltskosten sind horrend. "Du opferst uns für deinen Scheiß!", haben seine Frau und die vier Töchter ihm neulich vorgeworfen und gesagt, er wolle immer im Mittelpunkt stehen.
"Das ist die Sprache meiner Feinde", sagt er und lacht erneut, als meine er es nicht ernst. Doch er meint es ernst und die juristische Auseinandersetzung erst recht. So bald wird es nicht zur Einigung kommen. Mit leuchtenden Augen erzählt der ungläubige Theologieprofessor von der Aufmerksamkeit der Presse: "Ich bin auf den Geschmack gekommen." Und plötzlich erinnert sich der Besucher an die erste Frage, die Lüdemann ihm am Telefon gestellt hat: "Der Tagesspiegel, welche Auflage hat der denn?"
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