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Krach, übernehmen Sie!

Berlins Schulmisere ist eklatant, die Stadt diskutiert über die Ablösung der zuständigen Senatorin Sandra Scheeres. Doch nachfolgen sollte ihr nicht der Regierende Bürgermeister. Ein Kommentar.

IN BERLIN hat die Schule wieder angefangen, und das heißt: in den Tageszeitungen der Hauptstadt wieder seitenweise Berichte über Lehrermangel, Quereinsteiger, empörte Eltern, Klassen in Schulcontainern und miese Schülerleistungen. Nur 1085 der 2734 neu eingestellten Lehrer haben laut der zuständigen Senatorin das passende Lehramtsstudium absolviert, die bundesweite Grundschul-Vergleichsarbeit VERA 3 bescheinigte 52 Prozent der Drittklässler unterdurchschnittliche Leseleistungen, rund 30 Prozent erreichten nicht einmal die Mindeststandards. Hinzu kommt die wachsende soziale Schieflage, die Forscher der Uni Potsdam und der Bertelsmann-Stiftung vermelden: Ausgerechnet die Kollegien an Brennpunktschulen bestanden schon im vergangenen Schuljahr zu 14 Prozent aus aktuellen Quereinsteigern, Tendenz stark steigend und schon zweieinhalb mal so viel wie in gut situierten Stadtteilen.  

 

"Berlin ist und bleibt die Hauptstadt der Schulkatastrophe", bilanzierte vor zwei Wochen Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner und forderte: "Müller, übernehmen Sie!" Der Regierende Bürgermeister, zurzeit Wissenschaftssenator in Personalunion, solle das Bildungsressort übernehmen und – der Leitartikel verlangte es nur implizit – dafür die Amtsinhaberin Sandra Scheeres herauskegeln. Womit Turner eine veritable Debatte in der Hauptstadt auslöste: Braucht Berlin einen neuen Bildungssenator? Und wenn ja, ist Michael Müller der Richtige für den Job?

 

Dauerkrise an den Schulen,
Jubel an den Universitäten

 

Turners Argument: Während Berlins Schulen in der Dauerkrise versacken, bejubeln Berlins Wissenschaftseinrichtungen mit Müller als Wissenschaftssenator einen Erfolg nach dem anderen. 75 Bundesmillionen pro Jahr fürs Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIG): seit Anfang Juli auf Dauer gestellt. Berlins Universitäten dürfen sich im Verbund "exzellent" nennen, nachdem sie am 19. Juli beim nationalen Uni-Wettbewerb "Exzellenzstrategie" abgeräumt haben. Studienanfänger aus aller Welt zieht es nach Berlin, Oxford wird strategischer Partner, und sogar private Spender machen das Portemonnaie auf: Der Unternehmer und Mäzen Walter Wübben hat der landeseigenen Einstein-Stiftung 30 Millionen Euro zugesagt. Wenn Hochschulrektoren in anderen Bundesländern Forderungen an ihre Wissenschaftsminister stellen, zitieren einige von ihnen inzwischen Berlins Landespolitik als Vorbild. Während Berlin in Sachen Schulpolitik als Inbegriff des Scheiterns gilt, auf Augenhöhe mit Bremen. Was die aktuelle Personaldebatte über Berlin hinaus so spannend macht.

 

Und doch: Ein bisschen wundert die Logik schon, mit der Turner und der Tagesspiegel ausgerechnet Müller zum Heilsbringer für die Schulen erklären – den Bürgermeister, den die Berliner Medien sonst häufig mit dem Attribut "glücklos" versehen. Erst Mitte Juli ergab eine Forsa-Umfrage, dass Müller der unbeliebteste Landeschef Deutschland sei. Und der soll nach der Wissenschaft nun die Bildung zum Leuchten bringen – allein dadurch, dass er sie zur "Chefsache" macht?

 

Womöglich besteht das größte wissenschaftspolitische Verdienst des Regierenden ja bislang darin, dass er schlau genug war, einen anderen machen zu lassen. Die Rede ist von Steffen Krach, dem wohl bekanntesten Wissenschaftsstaatssekretär Deutschlands. Ende 2014 kam der damals 35-Jährige ins Amt, die ersten zwei Jahre hieß seine Chefin: Sandra Scheeres, zu der Zeit Schul- und Wissenschaftssenatorin.

 

Zöllner, Müller und
ein "roter Faden"

 

Damals hat der Tagesspiegel auch mal einen Artikel über Scheeres geschrieben, Überschrift: "Wacker für die Wissenschaft". Tenor: Während die Lehrer heulen und die Schultoiletten müffeln, seien die Hochschulen nicht schlecht mit der Senatorin gefahren. Ob das vielleicht Scheeres' Staatssekretären zu verdanken sei, fragte die Kollegin Anja Kühne damals und ließ den Präsidenten der TU Berlin, Christian Thomsen, antworten: Selbst wenn es so gewesen sein sollte, spräche es für Scheeres, "dass sie mit Knut Nevermann und mit Steffen Krach tüchtige Staatssekretäre hatte." Auch in seinem aktuellen Plädoyer für den Bildungssenator Müller stellt Sebastian Turner fest: "Bei den Universitäten markieren zwei SPD-Wissenschaftssenatoren Anfang und jüngsten Höhepunkt des Erfolges, vor einem Jahrzehnt Jürgen Zöllner und heute Michael Müller, als roter Faden zwischen beiden Staatssekretär Steffen Krach". Der fing nämlich mal als Büroleiter bei Zöllner an. 

 

Seit Scheeres das Wissenschaftsressort und damit auch den Staatssekretär Krach abgeben musste, blieb ihr nur noch die Schulmisere –"dank einer unbeweglichen Verwaltung und einer dazu passenden Senatorin", wie Turner meint. 

 

Krach dagegen, der gebürtige Hannoveraner, der zum Studium nach Berlin kam, hat in der zweiten Reihe eine erstaunliche Karriere hingelegt. Wer mit den Chefs der Hochschulen und Forschungseinrichtungen redet, hörte schon vor dem aktuellen Exzellenzstrategie-Rausch viel Gutes. Er arbeite strukturiert, sei extrem ehrgeizig, ohne rücksichtslos dabei zu sein. Er habe sich komplett und umfassend in die komplizierten Strukturen der Hochschulgovernance und der Wissenschaftsförderung eingearbeitet. Man könne sich auf sein Wort verlassen. Er sei so gut vernetzt und ständig am Kommunizieren, dass als eines seiner Laster gilt, dass er das Handy fast nie aus der Hand legen kann.

 

Die Verhandlungen zum BIG hat Krach fast im Alleingang geführt, auch der Ausbau der Einstein-Stiftung geht vor allem auf sein Konto. Und dass Krach langfristige Pläne verfolgen kann, hat er mit dem Exzellenz-Coup bewiesen. Als Bund und Länder 2016 die Neuauflage der Exzellenzinitiative verhandelten, war Krach es, der im Kreis der Staatssekretäre für die Möglichkeit von Verbundbewerbungen plädierte. Die Option kam in den Vertrag zur Exzellenzstrategie, und Krach machte sich ans Werk. Er redete und lockte und schob, und schließlich schlossen sich die drei großen Berliner Universitäten und die Charité zur "Berlin University Alliance" zusammen. Strategisch ein Meisterstück: Denn so, wie klar war, dass beim Exzellenzwettbewerb Berlin als Ganzes eigentlich nicht durchfallen konnte, war wahrscheinlich, dass mindestens ein Verbund gekürt werden musste – wenn es denn nun schon diese neue Möglichkeit gab.

 

Der Landeselternausschuss
fordert Konsequenzen

 

Während Krach gerade von Erfolg zu Erfolg eilt, wird die Luft für Scheeres dünn, das zeigt auch die jüngste Forderung des Landeselternausschusses nach einem Krisengipfel: Die Senatorin müsse sich ehrlich machen – oder man werde nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten. Die FAZ schreibt deshalb heute von einem "Ultimatum an die Schulsenatorin". Zitat aus der Pressemitteilung des Landeselternausschusses: "Sollte die Senatorin unserer Forderung nicht nachkommen wollen, fordern wir den Regierenden Bürgermeister Michael Müller, auf diese Aufgabe zu übernehmen." Welche jetzt eigentlich genau? Den Krisengipfel einzuberufen? Oder Scheeres zu ersetzen? 

 

Die wichtigste Frage aber ist: durch wen ersetzen. Wenn man die von Sebastian Turner gestartete Debatte über die Zukunft des Berliner Bildungsressorts weiterdenkt, kann die Antwort eigentlich nicht Müller lauten. Sie heißt Steffen Krach. Der hat gezeigt, dass er mit der nötigen Expertise die jetzt nötigen langen Linien verfolgen kann. Dass er sich festbeißen kann an einem Ziel, wenn es diese Hartnäckigkeit braucht.

 

Dieses Ziel muss jetzt sein: Volle Transparenz über den Zustand der Schulen. Vertrauen wiederherstellen. Ein neues System bestehend aus einer nachhaltigen Personalstrategie und einem funktionierenden Service-Infrastruktur für die Kollegien. Dazu ein in sich stimmiges Berichtswesen inklusive regelmäßig (und häufiger als derzeit!) durchgeführter Vergleichsarbeiten – und der daraus folgenden strategischen Begleitung von Schulen auf der Grundlage der erhobenen Daten. Keine Gießkanne, sondern Maßnahmen und Finanzierungen, die zu jeder Schule und ihren Herausforderungen passen.

 

Im Vergleich zu den nötigen Schulreformen war das
Päppel-Programm für die Wissenschaft einfach 

 

 

Wobei auch bei Krach alles Andere als gesetzt ist, dass er seinen Uni-Coup wird wiederholen können. Im Vergleich dazu, Berlins Schulen aus dem Loch zu holen, war das Päppel-Programm für die Wissenschaft nämlich fast harmlos. Die Universitäten hatten schon vor Krach und seinem Mentor Zöllner eine vernünftige Substanz, doch war die über viele Jahre bis an die Grenze des Erträglichen heruntergespart worden. Klar war es auch Zöllners und im Anschluss unter anderem Krachs Überzeugungskünsten geschuldet, dass erst Wowereit allmählich und Müller dann vollends die Geldschleusen für die Wissenschaft öffneten. Aber dann war es eben doch auch zu einem guten Teil das zusätzliche Geld, das seine Wirkung entfaltete. 

 

Bei Berlins Schulen geht es am allerwenigsten um Geld. Von dem war zuletzt nämlich auch einiges da. So viel jedenfalls, um eine Zulage für Lehrer zu zahlen, die an Brennpunktschulen unterrichten. Nur dass diese Zulage bislang, wie Scheeres jüngst einräumte, "keine Steuerungswirkung" entfaltet hat. Es geht um mehr: um den Kampf gegen verkrustete Strukturen und eine Verwaltung, die schon, so ist zu hören, den vermeintlichen Überflieger Jürgen Zöllner an den Rand der Verzweiflung trieb. Was die Verantwortung von Scheeres für den Status Quo dann doch wieder relativiert. Und was ein Durchmarschieren ihres Nachfolgers unwahrscheinlich macht. Aber den Versuch, den wäre es wert.

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