Wieviel Freiheit bekommt die Agentur für Sprunginnovationen wirklich? Ein paar Nachfragen beim Bundesforschungsministerium.
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WIEVIEL BEWEGUNGSSPIELRAUM LÄSST die Politik der geplanten Agentur für Sprunginnovationen? Diese Frage hat angesichts des Streits um ihren Standort an Dringlichkeit gewonnen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat jetzt auf meine Anfrage hin mitgeteilt, dass der Aufsichtsrat der Agentur zur Hälfte aus politischen Repräsentanten bestehen wird. Insgesamt soll er zehn Mitglieder umfassen, außer dem BMBF haben sich das Wirtschafts- und Finanzministerium je einen Platz gesichert. Der Bundestag ist mit zwei Abgeordneten vertreten, es werden dieselben sein, die auch schon der Gründungskommission saßen: Manja Schüle für die SPD und Stefan Kaufmann für die CDU.
Die anderen fünf Sitze seien für je zwei Mitglieder aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie für einen weiteren Vertreter bzw. eine Vertreterin aus der Zivilgesellschaft" vorgesehen.
Was die überraschend starke Stellung der Politik im Aufsichtsrat noch pikanter macht: Auf Nachfrage bestätigt das BMBF, dass Stimmengleichheit im Aufsichtsrat die Ablehnung von Beschlussvorlagen bedeutet. Anders gesagt: Wenn die Politik im Block abstimmt, geht nicht gegen sie.
Gegen die Politik im Block
geht gar nichts
Im Interview hatte die SPD-Politikerin Schüle noch gesagt, dass die Politik eine zurückhaltende Rolle bei der Agentur spielen solle, "das sehen Sie doch auch schon an der Tatsache, dass... nur zwei von zwölf Mitgliedern der Gründungskommission Parlamentarier waren." Zwei von zwölf – im Aufsichtsrat aber werden es fünf von zehn sein. Und der Aufsichtsrat, so scheint es, könnte in der Governance der Agentur eine zentrale Rolle spielen und alle wichtigen Weichenstellungen absegnen wollen.
Zwar hält sich das BMBF bei der Frage nach den im Aufsichtsrat zustimmungspflichtigen Geschäftsvorgängen bedeckt und verweist allgemein auf den "Public Corporate Governance Kodex“ (PCGK)", in dem die "Grundsätze guter Unternehmens- und Beteiligungsführung im Bereich des Bundes" niedergelegt sind, also etwa für die 2018 gegründete Autobahn GmbH des Bundes.
Folgt man allerdings dem Wortlaut der – nicht immer wirklich auf die Agentur passenden – Bestimmungen des PCGK, werden voraussichtlich fast alle wichtigen Entscheidungen der beiden Geschäftsführer (von designierten Gründungsdirektor Rafael Laguna de la Vera und dem noch zu bestimmenden kaufmännischen Geschäftsführer) eine Bestätigung des Aufsichtsrates brauchen. Die Einrichtung der geplanten Tochter-GmbHs sowieso. Der Aufsichtsrat dürfte aber auch bei der Kernfunktion der Agentur, der Vergabe von Forschungsgeldern, mitreden wollen. Dazu kann er laut PCGK die Grenzen definieren, von welchem Betrag an Geschäfte der Agentur zustimmungspflichtig sind – so, wie er es in anderen GmbHs des Bundes beim Umfang von Investitionsprojekten tut.
Der Aufsichtsrat kann der Geschäftsführung dabei enge Grenzen setzen – oder weite. Und die starke Stellung der Politik wird noch stärker durch ihre Rolle im dritten zentralen Agentur-Gremium: der aus BMBF und Wirtschaftsministerium zusammengesetzten Gesellschafterversammlung. Denn die dürfte wie in den meisten GmbHs am Aufsichtsrat vorbei Vorgaben machen können, wenn sie will.
Laguna wird viel und oft
kämpfen müssen
In der Gesamtschau lässt eine solche Governance befürchten, dass Laguna viel und oft wird kämpfen müssen um seine Unabhängigkeit, die von der Bundesregierung doch als Wesensmerkmal der Agentur versprochen worden ist: Die Ministerien können gar nicht anders, als nach der Eigenlogik des Regierungsapparats und der staatlichen Finanzverwaltung zu entscheiden. Was das Agieren der Abgeordneten unabhängig von ihren eigenen (partei-)politischen Interessen umso wichtiger macht: An ihnen vor allem könnte sich die Freiheit der Agentur entscheiden.
Wer das weiß, wundert sich auch nicht mehr, warum Laguna schon beim Standort-Streit so vehement auf seine Eigenständigkeit pochte ("Die Entscheidung treffe ich") und sich damit die Gegenwehr der Potsdamer SPD-Abgeordneten Manja Schüle eingehandelt hat. Und schließlich ist dann auch klar, warum die Standort-Debatte nicht so harmlos ist, wie Schüle sie im Interview dargestellt hat.
Nachtrag am 24. August:
Die Bundesregierung hat eine Kleine Anfrage des Berliner FDP-Bundestagsabgeordneten Christoph Meyer beantwortet, über die am Samstag der Tagesspiegel Checkpoint zuerst berichtete.
Die Frage Meyers lautete: "Wie begründet die Bundesregierung, dass sie die Standortentscheidung der Gründungskommission für die Agentur für Sprunginnovationen zugunsten der Metropolregion Berlin nicht 1:1 und unmittelbar umsetzt?"
Die Antwort der Bundesregierung ist doppelt interessant. Einerseits, weil sie andere Begrifflichkeiten als Meyer wählt. Und andererseits, weil sie einmal mehr signalisiert: Die Standortentscheidung ist noch offen.
Unterzeichnet hat die Antwort der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Michael Meister. Zunächst zitiert er die Empfehlung der Gründungskommission zur Standortwahl wörtlich, die ja im Grunde eine dreiteilige ist.
Erstens: Der Standort soll eine "eine urbane Region" sein "mit starker Wissenschaftsorientierung, einem gut entwickelten Umfeld für innovative unternehmerische Aktivitäten, ausgezeichneten Verkehrsverbindungen und hoher Attraktivität für international mobile Expertinnen und Experten". Zweitens: Nach Empfehlung der Kommission soll diese Metropolregion Berlin sein. Und drittens: "Die endgültige Standortauswahl soll im Einvernehmen mit dem Gründungsdirektor getroffen werden."
Danach heißt es weiter in Meisters Antwort: "Diesem Votum folgen die Bundesministerien für Bildung und Forschung und für Wirtschaft und werden zeitnah – gemeinsam mit dem Gründungsdirektor der Agentur – potenzielle Standorte aus der Metropolregion Berlin genauer prüfen." Und schließlich: "Die beiden Ministerien werden zusammen mit dem Gründungsdirektor weitere Standorte, die den Empfehlungen der Gründungskommisison entsprechen, auf ihre Eignung hin untersuchen. Die endgültige Standortauswahl wird im Einvernehmen mit dem Gründungsdirektor zu gegebener Zeit vom Gesellschafter Bund getroffen."
Ende der Antwort. Anders als Meyer spricht BMBF-Staatssekretär Meister also von einem "Votum" und nicht von einer "Standortentscheidung" der Kommission. Was logisch ist: Denn, wie Meister ausführt, die Entscheidung trifft nicht die Kommission, sondern die Bundesregierung – im Einvernehmen mit dem Gründungsdirektor Laguna und auf der Grundlage der Empfehlung.
Konkret folgt für die Ministerien aus dem Votum der Gründungskommission, dass sie, wiederum zusammen mit Laguna, Standorte sowohl in Berlin-Brandenburg als auch anderswo prüfen werden.
Alles in allem kein neuer Sachstand, aber das BMBF hat in seiner Antwort auf Meyers Kleine Anfrage noch einmal auf die Mehrdimensionalität des Kommissionsvotums hingewiesen, aus der, gerade weil sie so ausgefallen ist, eben nicht automatisch eine Entscheidung folgt.
Es bleibt also spannend.
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Klaus Diepold (Freitag, 23 August 2019 14:04)
Immerhin geht es um die Verausgabung von "heiligem Geld", aka Steuergelder, da dürfen die Hohepriester (Politiker) nicht tatenlos zusehen und Laguna mal machen lassen.
Mit Blick auf die Erfahrungswerte bei er ExIni bzw. ExStra bzgl. der Zurückhaltung der Politik bei Entscheidungen bin ich mal gespannt, wie das in der neuen Agentur ablaufen wird. Die Vorzeichen sind bis dato nicht sehr ermutigend.
Eigentlich muss die Agentur das Unmögliche schaffen und das dann möglicherweise noch mit mindestens einem Arm auf dem Rücken gefesselt.
Skeptiker (Freitag, 23 August 2019 15:16)
Natürlich ist die Zusammensetzung des Aufsichtsrats problematisch: Entweder man macht so etwas richtig, d.h. unpolitisch und rein an der Sache orientiert. Oder man lässt es bleiben, weil andernfalls nur Geld verbrannt wird.
Aber Laguna trifft eine gehörige Mitschuld: Warum hat er nicht proaktiv einen professionellen Suchprozess begonnen? Stattdessen hat er gezeigt, wie man es nicht machen darf: Leipzig lud ihn ein, und ihm ist lt. seinem Antwortschreiben "das Herz aufgegangen" weil Leipzig seine Geburtsstadt ist. Das heisst, er hat einfach nur reagiert statt geführt. Und obendrein hat er in dieser Frage einen fetten persönlichen Interessenskonflikt, den er auch noch öffentlich kommuniziert hat. Das sind doch alles Anfängerfehler!
Mir scheint einmal mehr, dieser Job ist mindestens eine Nummer zu gross für den Mann. Die Findungskommission hätte viel weiträumiger suchen müssen. Doch jetzt ist es zu spat.