Dass Deutschlands Unis bröckeln, liegt nicht nur am knappen Geld, sondern an einer aberwitzigen Praxis im Hochschulbau, sagt Marcelo Ruiz vom HIS Institut für Hochschulentwicklung.
Foto: Wokandapix / pixabay - cco.
Herr Ruiz, wenn es um die Höhe des aufgelaufenen Sanierungsstaus geht, überbieten die Hochschulen einander mit Superlativen. Deutschlandweit sollen 35 Milliarden Euro nötig sein, um Hörsäle, Bibliotheken, Verwaltungsgebäude und Labore auf Vordermann zu bringen. Doch Sie sagen: Das Geld ist gar nicht das größte Problem?
Na ja, man muss schon konstatieren, dass sämtliche Landesregierungen über Jahrzehnte hinweg viel zu wenig in die öffentlichen Gebäude investiert haben. Wenn man sich die vielen maroden Schulen und Hochschulen ansieht, werden die Folgen dieses wortwörtlichen Kaputtsparens offensichtlich. Doch in den letzten Jahren beobachte ich ein Umdenken, einige Länder haben milliardenschwere Programme für den Hochschulbau aufgelegt, das ist durchaus bemerkenswert. Doch Geld allein wird es eben nicht richten.
Wieso?
In vielen Bereichen haben die Hochschulen sich professionalisiert, in der Administration digitaler Lehrangebote genauso wie in ihrem Forschungsmanagement. Aber es gibt einen Bereich, der aus der Zeit gefallen zu scheint: die Verwaltung des Hochschulbaus. Da wird immer noch mit einem geradezu aberwitzigen Modell operiert.
Welches Modell meinen Sie?
Stellen Sie sich vor, Sie bewohnen ein Haus, und Sie müssen die Schönheitsreparaturen zahlen. Das geht auf Dauer ganz schön ins Geld, aber Sie haben eine kostengünstige Alternative: Sie tun etwas, aber zu wenig, lassen Ihr Haus herunterkommen, und als Belohnung stellt Ihnen der Vermieter irgendwann ein Neues hin. Ich würde sagen, das führt zu Fehlanreizen. So ähnlich ist das bei Hochschulen. Sie sollen ihre Gebäude unterhalten, aber für Sanierung und Neubau sind die Bundesländer und ihre Liegenschaftsbehörden zuständig. Das ergibt keinen Sinn.
Marcelo Ruiz ist Raumplaner und beschäftigt sich am HIS Institut für Hochschulentwicklung vor allem mit der
Flächenbedarfsplanung von Hochschulen. Für die Fachzeitschrift Beiträge zur Hochschulforschung hat er die Eigentumsübertragung der Hochschulimmobilien
in den Niederlande analysiert und mit den deutschen Rahmenbedingungen verglichen.
Foto: privat.
Sie unterstellen den Hochschulen, dass sie nicht gut mit ihren Gebäuden umgehen?
Ich spreche nur von Anreizen. Und von unlogisch verteilten Zuständigkeiten, die dazu führen, dass mit den enormen Werten, die die Hochschulgebäude darstellen, nicht vernünftig umgegangen wird. Es gibt Universitätspräsidenten, die stellen sich allen Ernstes öffentlich hin und verkünden: "Wir arbeiten in Ruinen." So ein Präsident verkennt, dass eigentlich seine eigene Bauabteilung für den Zustand der Uni verantwortlich ist.
Sie meinen den Präsidenten der Universität Hamburg, Dieter Lenzen. Der hat solche Sätze aber schon länger nicht gesagt. Lieber lässt er seinem Stolz freien Lauf, dass Hamburg jetzt Exzellenzuniversität ist.
Es geht mir auch nicht um Herrn Lenzen, es geht mir um ein rationales Verhalten, das durch irrational verteilte Zuständigkeiten ausgelöst wird. Was ich sage, ist auch nicht überall mehr so, es gibt inzwischen eine Reihe von Fällen, wo Bundesländer größeren Universitäten, zum Beispiel Köln, Göttingen, Jena, Darmstadt oder andere mehr, eine Teilverantwortung fürs Bauen übertragen haben. Doch was ich sage, trifft immer noch auf 95 oder mehr Prozent der Hochschulen zu.
Was Sie als positiven Schritt preisen, wurde vor etwa zehn Jahren mal intensiv diskutiert. Juristisch formuliert ging es um die Frage der "Eigentumsübertragung": Die Landesregierungen überschreiben den Hochschulen die Gebäude, die sie nutzen, geben ihnen jedes Jahr einen bestimmten Betrag für Erhalt, Sanierung und Neubau und halten sich im Übrigen raus.
Ja, aber davon ist man abgekommen, soweit ist man selbst in Darmstadt nicht gegangen. Denn inzwischen favorisiert die Politik die abgespeckte Lösung, die sogenannte "Bauherreneigenschaft": Die Hochschulen sollen ihre Bauprojekte in Eigenverantwortung durchziehen, das gilt als effizienter, aber das Geld dafür müssen sie immer noch einzeln beim Ministerium beantragen, und der Landtag entscheidet aus der Ferne über die Prioritäten.
"Die Ministerien wissen kaum,
was vor Ort das Beste ist."
Diese Lösung scheint Sie nicht so zu begeistern.
Weil Ministerien zumal aufgrund ausgedünnter Personaldecken kaum wissen können, was vor Ort das Beste ist. Und weil ich weiß, dass es anders besser gehen könnte. Man muss den Blick nur mal über Deutschland hinausrichten, nach Großbritannien, nach Australien oder – mein Lieblingsbeispiel – in die Niederlande.
Wie machen es denn unsere Nachbarn?
In den Neunzigern war die rechtliche Lage in den Niederlanden ähnlich wie hier. Damals gab es einen heftigen Streit über die Frage, wie viele Neubauflächen die Hochschulen brauchen. Die Hochschulen haben viel Fläche gefordert, die Reichsregierung hat gesagt: Ihr übertreibt. Fest steht: Wenn sie die Gebäude umsonst hingestellt bekommen, haben Hochschulen automatisch unendlich große Flächenbedürfnisse. Genau wie bei uns.
Und was ist dann passiert?
Man konnte sich auf keine Berechnung einigen, und irgendwann hat der Staat gesagt: Dann macht es halt allein. Seitdem bekommen die Hochschulen jedes Jahr einen bestimmten Betrag pro Studierendem, gestaffelt nach Fächern, weil der Flächenbedarf einer Chemie zum Beispiel höher ist als der einer Philosophie. Das Geld geht ins normale Hochschulbudget, und die Hochschulen entscheiden selbst, was sie machen: Instandhaltung, Sanierung, Neubau.
"Sie werden in keiner niederländischen Hochschule
mehr finden, dass die Farbe von der Wand abblättert."
Und seitdem ist alles großartig?
Na ja, Hochschulen müssen weiterhin mit der Politik um eine ausreichende Ressourcenausstattung ringen. Aber zumindest berechnet eine Hochschule die benötigen Neubauflächen realistischer, weil sie sie selbst zahlen und pflegen muss. Und zweitens werden Sie in keiner niederländischen Hochschule mehr sehen, dass die Farbe von den Wänden abblättert oder dass die Raucher draußen durch Gitter vor herabfallenden Trümmern geschützt werden müssen.
Aber um welchen Preis? Dass in Deutschland die Gebäude extra bezahlt werden, verhindert wenigstens, dass Hochschulen sich ihre Gebäude aufhübschen und dafür beim Lehrpersonal sparen. Und pleite gehen können sie auch nicht, wenn ein Projekt kostenmäßig aus dem Ruder läuft.
Solche Sorgen gab es in den Niederlanden natürlich auch, weshalb eine eigene Kommission eingesetzt wurde, die prüfen sollte, ob Gelder aus der Lehre ins Bauen fließen. Das Ergebnis war eindeutig, keine Hochschule hat das gemacht. Und was die Sorge vor einem Bankrott angeht: Wenn die Hochschulen das volle Eigentümerrecht haben, müssen sie auch finanziell autonom agieren können, zum Beispiel indem sie kurzfristig einmal Kredite am Kapitalmarkt aufnehmen. Das ist mit einem Risiko verbunden, ganz klar. In den Niederlanden mussten die Hochschulen deshalb jahrelang in einen Sicherungsfonds einzahlen, eine Art Versicherung, um nicht Pleite zu gehen. Der wurde so selten gebraucht, dass er am Ende aufgelöst werden konnte.
Hochschulen, die selbst dreistellige Millionensummen bewegen? Die Kredite aufnehmen? Bringen Sie so etwas mal den deutschen Rechnungshöfen bei!
Mir ist schon klar, dass das ein zähes Unterfangen ist. Aber ich halte es nicht für aussichtlos. Die Debatte um den Sanierungsstau spitzt sich zu. Wenn sich jetzt noch mehr Länder auf den Weg machen wie Berlin, Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg und massiv in Sanierungen investieren, dann entsteht dadurch ein neuer Erwartungsdruck, und der lautet: Lasst es nie wieder soweit kommen. Lasst die Gebäude nie wieder so verrotten. Das wäre der richtige Zeitpunkt, einen Schnitt zu machen und den Neuanfang zu wagen.
Kommentar schreiben
Ruth Himmelreich (Dienstag, 17 September 2019 11:25)
Zitat: "So ein Präsident verkennt, dass eigentlich seine eigene Bauabteilung für den Zustand der Uni verantwortlich ist." Aha - hat Herr Ruiz mal überprüft, was eine Bauabteilung einer Universität so darf und was nicht? In meinem Bundesland darf sie fast nichts, was den tatsächlichen Bau betrifft. Es ist mehr oder weniger nur die Gebäudebewirtschaftung, also von Strom bis Hausmeister.
Für fast alles andere braucht man das staatliche Bauamt. Wir streiten darum, ob die Bauabteilung der Unis Kleinstmaßnahmen von wenigen tausend Euro selbst beauftragen darf. Sonst ist die staatliche Seite zuständig, die tatsächlich zu dem oben genannten Verhalten neigt: man macht jahrzehntelang nichts, dann kommt eine millionenteure, jahrelange Sanierung. Dass die Unis die Bauten quasi bewusst verkommen lassen, halte ich für eine Unterstellung.
Von einem HIS-Vertreter hätte ich eine etwas tiefere Kenntnis des Systems erwartet.
Steffen Prowe (Dienstag, 17 September 2019 13:15)
Interessant. Der Blick nach NL mag Sinn machen, nur möge man sich mal vorstellen eine dt. Hochschule (und vor allem nicht die riesigen Elite-Unis!) solle das alles selbst bewerkstelligen.
Personal zu bekommen ist das eine, Projekte stemmen (inkl aller Vorschriften zu Ausschreibung, Bau etc....) das andere.
Was aus meiner Sicht viel mehr Sinn machte ist, solche Vorhaben gemeinsam in einer Art Bauherren-Modell oder (wie auch immer) geplant, errichtet und unterhalten wird. So könnte (und müsste) zB in Berlin die zuständige Senatsverwaltung IN der Hochschule "Bau" miterleben, und nicht nur aus dem x. Stockwerk einer Behörde. Probleme und Bedarfe miterleben und auch gemeinsam gestalten würde Sinn machen.
Jana Stibbe sprach diese ungelöste Aufgabenverteilung und Verantwortungsübernahme ja auch hier im Blog mal an https://www.jmwiarda.de/2018/12/11/wenn-sich-keiner-zuständig-fühlt/
Ich fürchte (ggf außer großen Unis mit ausreichend Personalbestand in der Bauverwaltung) hier würden sich die Hochschulen verheben, was dann zwangsläufig zu Ungunsten der Lehre ginge.
Wir benötigen hier eine Partnerschaft des Vertrauens, wo fachliche Bedarfe aus der Hochschule heraus in die Landesverwaltungen getragen werden, um dort im Diskurs VOR einer rein finanziell/haushalterisch geprägten Entscheidung nachhaltig (!!) entwicklen zu können. Mit finanziellem Spielraum und auch Übernahme von Verantwortlichkeiten im machbaren Umfang durch die Hochschulen.
Marcelo Ruiz, HIS-HE (Donnerstag, 19 September 2019 15:15)
Liebe Frau Himmelreich,
Sie haben Recht. Es gibt nach wie vor Zuständigkeitsverteilungen in einigen Bundesländern, die zu sehr (sehr) geringen baubezogenen Verantwortungen der Hochschulen führen, was meine Kollegen Stibbe, Stratmann und Söder-Mahlmann 2012 auch beschrieben haben. Aber republikweit haben Hochschulen in den letzten Jahren an Kompetenzen hinzugewonnen. Ihr Beispiel habe ich nicht mehr beschrieben (welches Bundesland?), weil ich es für noch irrationaler halte, als diejenigen mit verteilten Zuständigkeiten. Wenn ein Akteur – meiner Meinung sollten das die Hochschulen als Nutzer sein – die volle Verantwortung hat, dann gibt es keine Verschiebebahnhöfe, keine politisch motivierten Schuldzuweisungen, keine schlechten Auslastungen der Räume mehr, sondern es kann sich das entwickeln, was wir in anderen Ländern beobachten können: ein hochprofessionelles Liegenschafts- und Gebäudemanagement. Als HIS HE empfehlen wir nicht, dass alle Hochschulen komplette Bauabteilungen aufbauen sollten. Dafür wäre das Bauvolumen vor allem an kleinen Hochschulen selten groß genug. Aber die Verantwortung muss gebündelt werden (beispielsweise über die Finanzhoheit bei der Hochschule, zentrale Datenspeicherung mit Zugang für alle Verantwortlichen etc.). Aufgaben kann man delegieren (z. B. an die Landesbaubetriebe). Neben den Niederlanden hat mich z.B. auch Australien beeindruckt. Dort wissen manche Gebäudemanager, wie hoch die Auslastung ihrer Gebäude ist, weil sie online über Echtzeitzeitdaten zur tatsächlichen Anwesenheit der Nutzer in Lehrräume oder Bibliotheken verfügen! Das sind in meinen Augen konstruktive Entwicklungspfade - und nicht der Streit zwischen Ländern und Hochschulen, ob ein professorales Büro 24, 20 oder 19 m² groß sein darf!