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"Glückwunsch an Leipzig!"

Der Gründungsdirektor der Agentur für Sprunginnovationen hat sich durchgesetzt: Leipzig soll Sitz der ungewöhnlichen Einrichtung werden.

Minister Altmaier, Karliczek, Gründungsdirektor Laguna (von links). Foto: JMW. 

ALSO DOCH LEIPZIG. Die Agentur für Sprunginnovationen wird ihren Sitz nicht in der Metropolregion Berlin-Brandenburg bekommen, sondern in der sächsischen Großstadt. Was gestern Abend bereits durchgesickert war, bestätigten Bundesforschungsministerin Anja Karliczek und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU) heute in einer Pressekonferenz.

 

"Wir haben uns gemeinsam entschieden, dass der Sitz Leipzig wird", sagte Altmaier. Die Stadt sei bereits heute ein innovationspolitischer Leuchtturm. Karliczek betonte, Gründungsdirektor Rafael Laguna de la Vera habe bei der Standortsuche "größtmögliche Freiheit erhalten und sich nach reiflicher Überlegung klar für Leipzig ausgesprochen." Diese Empfehlung von Laguna sei "überzeugend begründet" gewesen. Deshalb seien die Minister ihr in ihrer Entscheidung gefolgt. 

 

Die Agentur soll im Vollausbau mit einem Jahresbudget von 100 Millionen Euro ausgestattet sein und unter anderem durch Innovationswettbewerbe zur Förderung disruptiver Innovationen beitragen. Die Agentur werde in den nächsten Tagen als GmbH mit Sitz Leipzig gegründet, teilten die Minister mit. Tochtergesellschaften sollen dann nach Thema und Bedarf überall in Deutschland eingerichtet werden.

 

Wo genau in Leipzig die Agentur angesiedelt werden soll, konnte Gründungsdirektor Laguna heute noch nicht sagen. Als potenziellen Ort nannte er die Baumwollspinnerei, "sowas in der Art". Eine gemeinsame Immobilie mit der ebenfalls in Leipzig angesiedelten Agentur für Cybersecurity werde es jedenfalls wohl nicht werden.

 

Vorausgegangen war
ein heftiger Streit

 

Der heutigen Entscheidung vorausgegangen war ein heftiger Streit um die Standortwahl. Die eigens für die Agentur eingerichtete Gründungskommission hatte im Juli als Sitz "eine urbane Region mit starker Wissenschaftsorientierung, einem gut entwickelten Umfeld für innovative unternehmerische Aktivitäten, ausgezeichneten Verkehrsverbindungen und hoher Attraktivität für international mobile Expertinnen und Experten" empfohlen und explizit die Metropolregion Berlin genannt. 

 

Laguna hatte im August jedoch öffentlich seine Sympathie für Leipzig durchblicken lassen – woraufhin vor allem Politiker aus Berlin-Brandenburg protestierten. Sie werde sich dafür engagieren, "dass die einstimmige Empfehlung der Gründungskommission für die Metropolregion Berlin nicht als Ratschlag disqualifiziert wird", sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete und Forschungspolitikerin Manja Schüle, die selbst Mitglied der Gründungskommission gewesen war und sich dort für Potsdam stark gemacht hatte. 

 

Im Kern drehte die Auseinandersetzung sich um die Frage, inwiefern das Votum der Gründungskommission für Laguna verbindlich sein sollte oder nicht. Laguna selbst betonte, er werde das letzte Wort bei der Standort-Entscheidung haben. Tatsächlich hielt die Kommissions-Empfehlung wörtlich fest:  "Die endgültige Standortauswahl soll im Einvernehmen mit dem Gründungsdirektor getroffen werden."

 

Wirtschaftsminister Altmaier betonte in der Pressekonferenz auf Nachfrage, die Entscheidung für Leipzig sei keine Entscheidung gegen Potsdam. In der brandenburgischen Landeshauptstadt seien in den vergangenen Jahren eine Reihe von Bundesbehörden angesiedelt worden. Die Agentur-Gründungskommission habe die Standortentscheidung durch die Formulierung ihrer Empfehlung jedoch selbst geöffnet. "Es hat ein leichtes Übergewicht der Argumente für Leipzig gegeben."  Urbanität, unternehmerische Innovationskraft, Wissenschaftsorientierung und die ausgezeichnete Verkehrsanbindung Leipzigs seien entscheidend gewesen – womit Altmaier genau und etwas formelhaft die von der Kommission genannten Standortkriterien erwähnte. Fraglich, ob er damit die Kritiker der Standortwahl wird überzeugen können. 

 

Kritik aus
Berlin-Brandenburg

 

Vor allem die aus Berlin-Brandenburg: Laguna hatte im Vorfeld der heute verkündeten Entscheidung mehrere der 17 potenziellen Standorte der Agentur besucht, so auch Potsdam und Leipzig. Die gestern durchgesickerte Auswahl Leipzigs kommentierte der Tagesspiegel  heute in seinem Checkpoint-Newsletter wie folgt: Laguna ziehe "in seine sächsische Geburtsstadt – und setzt sich damit über die Empfehlung der Gründungskommission hinweg." Ausschlaggebend seien die "Gefühle" Lagunas für Leipzig gewesen – "und sein Ärger über die anstrengende Anreise von TXL in die brandenburgische Landeshauptstadt".

 

"Dass es jetzt nun Leipzig geworden ist, liegt daran, dass Leipzig verkehrstechnisch etwas weniger überlastet ist als der Großraum Berlin – und dass wir eine Signalwirkung erzielen wollen", sagte hingegen Laguna.  30 Jahre nach der Revolution nach Leipzig zu gehen, sei auch ein politisches Signal." Er sei in Leipzig geboren und freue sich sehr, dass er jetzt wiederkommen könne.

 

Laguna versuchte zugleich, den Streit um die Standortwahl in der Bedeutung herunterzuregeln. Die Zentrale der Agentur werde klein werden. Nach Angabe der Ministerien soll sie 35 bis 50 Mitarbeiter haben.  "Ihre Projekte der Agentur werden überall in der Republik sein", sagte Laguna. In den Konkurrenz-Bewerberstädten Potsdam und Karlsruhe etwa seien bereits durch seine Besuche Kontakte entstanden, die, so Laguna, zu Projekten führen könnten.

 

Laguna demonstriert seine Unabhängigkeit
gegenüber der Politik

 

Laguna hat sich also mit seiner Präferenz für Leipzig durchgesetzt – und demonstriert so eine Unabhängigkeit, die er nach Einschätzung vieler Experten noch dringend brauchen wird. Gerade gegenüber der Politik: Denn entgegen den ursprünglichen Versprechungen der Bundesregierung, die neue Agentur mit bislang unbekannten Freiheitsgraden auszustatten, soll zum Beispiel der Aufsichtsrat der Agentur zur Hälfte mit Vertretern aus der Politik besetzt sein – und bei Stimmengleichstand im Aufsichtsrat gilt ein Beschluss als gescheitert. 

 

Manja Schüle, einzig direkt gewählte SPD-Bundestagsgeordnete Ostdeutschlands mit ihrem Wahlkreis ausgerechnet in Potsdam, war heute wegen der in Brandenburg laufenden Koalitionsverhandlungen für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen. Dafür kommentierte Berlins Wissenschaftsstaatsekretär Steffen Krach auf Anfrage etwas säuerlich: "Glückwunsch an Leipzig! Auch dort wird seit Jahren eine top Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik gemacht." Dass er persönlich sich einen Zuschlag für Potsdam gewünscht hätte, sei kein Geheimnis. "Auch die Gründungskommission hatte eine Präferenz für diese Region. Wie dieser Zuschlag nun zustande gekommen ist, werden Herr Altmaier und Frau Karliczek sicher begründen." Er könne nur dazu raten, sagte Krach, "solche Entscheidungen transparent zu machen".

 

Kritik kam auch vom forschungspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Thomas Sattelberger. "Anstatt bei dieser Standortfrage auf die von der Gründungskommission beschworenen Bedingungen ‚ausgezeichneter Verkehrsanbindungen‘ und ‚hoher Attraktivität für international mobile Experten‘ zu setzen, betreibt die Bundesregierung offenbar lieber Förderpolitik für Deutschlands Osten." Leipzigs Anziehungskraft müsse erst noch erweisen, "andere Standorte wären besser geeignet gewesen, sagt der Abgeordnete aus München. "Wenn es so weitergeht, bleiben Sprunginnovationen in Nordamerika und Asien zuhause."


NACHTRAG:

Die Potsdamer SPD-Bundestagsabgeordnete Manja Schüle kommentierte die Entscheidung am Donnerstagvormittag auf Twitter. "Die Ostdeutschen besitzen das größte Innovationspotenzial der Republik. Das ist meine Agenda im Bundestag", schrieb sie. "Und Potsdam hat gezeigt, wir können SprinD. Glückwunsch an Leipzig und ich bin gespannt, welches disruptive Potential zur Entscheidung geführt hat."

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Kommentare: 5
  • #1

    Leserin (Mittwoch, 18 September 2019 16:34)

    Kleine Korrektur: Altmaier ist Wirtschafts- und nicht Wissenschafts-minister (oder habe ich was verpasst?!?).

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 18 September 2019 16:38)

    @Leserin: Vielen Dank für den Hinweis! Ich habe den Fehler im Text korrigiert. Und nein: Sie haben nix verpasst. :)

  • #3

    Hgh (Mittwoch, 18 September 2019 21:29)

    Wären wir beim Fußball, hätte der Schiedsrichter wegen Stürmerfaul von Herrn Sattelberger zumindest die gelbe Karte gezeigt.

  • #4

    Grundlagenforscher (Donnerstag, 19 September 2019 10:38)

    Leipzig kennt international fast keiner. Unter Ostdeutschen mag die Stadt als "revolutionär" gelten. Aber diese Agentur sollte doch gerade über den deutschen Tellerrand hinaus blicken und wirken?

    Und die Kette fragwürdiger Entscheidungen treißt nicht ab: Laguna erklärte gerade im Interview mit Heise, er sei "natürlich an erster Stelle" Chef von Open-Xchange "und das bleibe ich auch". Wie will er einen solchen Kraftakt nebenbei stemmen? Schon die Standortsuche war kein professioneller Prozeß, sondern wurde aus dem Bauch heraus betrieben. So wird das nichts.

  • #5

    Grundlagenforscher (Donnerstag, 19 September 2019 11:24)

    @ Hgh

    Wir leben in einer Demokratie. Und Meinungsfreiheit haben wir auch. Sattelberger (FDP) gehört der Opposition an, ist auch fachlich zuständig und hat daher die Pflicht, Kritik zu üben wo diese geboten ist. Und hier ist Kritik sowohl an der Entscheidung selbst als auch am "Prozeß" auf dem Weg dorthin absolut berechtigt. Wenn Ihnen nicht gefällt, was Sattelberger schreibt, sollten Sie sich an diejenigen wenden, die Anlaß zu seiner Kritik gegeben haben: BMBF, BMWi, Laguna.