Ursula von der Leyen will Bildung, Innovation und Forschung unter einer einzigen EU-Kommissarin vereinen. Das könnte eine gute Idee sein. Doch Tausende Wissenschaftler aus ganz Europa protestieren per Offenem Brief gegen den geplanten Namen für das neue Ressort. Zu Recht.
Die nächste EU-Kommissarin für...? Marija Gabriel aus Bulgarien. Foto: Isiwal - CC BY-SA 3.0.
PETER-ANDRÉ ALT äußerte sich angetan. "Erstmals seit 1999 werden die Bereiche Bildung und Forschung wieder zusammengeführt", lobte der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), nachdem die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr Team für die künftige Kommission präsentiert hatte.
Die Bulgarin Marija Gabriel soll verantwortlich für "Innovation und Jugend" werden. Und HRK-Präsident Alt befand: Aus der Aufgabenbeschreibung für Gabriel, ihrem "Mission Letter" werde deutlich, "dass Frau von der Leyen die engen Bezüge zwischen Bildung, Forschung und Innovation genutzt wissen will." Genau das habe die HRK immer gefordert, die Aufteilung der Teilbereiche in unterschiedliche Generaldirektionen sei für die europäische Hochschulpolitik "alles andere als förderlich" gewesen.
9100 Unterzeichnern eines Offenen Briefes – Stand gestern Nachmittag, Tendenz: schnell steigend – ist weniger freudig zumute, darunter mindestens 17 Nobelpreisträger, zahlreiche Unirektoren und Präsidenten europäischer Wissenschaftsverbände. Sie alle finden: Dass weder die Begriffe "Bildung" noch "Forschung" in der geplanten Bezeichnung des Ressorts enthalten sind, hebe das Ziel der "ökonomische Verwertbarkeit (d.h. Innovation) von der Bedeutung her über seine Grundlagen, die Bildung und Forschung sind, und es beschränkt Bildung auf die Jugend, obwohl Bildung für alle Altersklassen essentiell ist."
Die Briefeschreiber sehen den Ressortnamen
mehr als nur "ein wenig problematisch"
Auf der Liste der Unterzeichner fehlt HRK-Präsident Alt bislang. Immerhin: Gegen Ende seiner Lobes-Pressemitteilung sagt auch er: "Ein wenig problematisch scheint mir der Name des neuen Ressorts." Dass in Gabriels "Mission Letter" der Europäische Forschungsrat keine Erwähnung findet, bereite ihm ebenfalls Sorge, sagt Alt. "Offenbar ist die Grundlagenforschung nicht ausreichend im Blick."
Die Briefeschreiber empfinden das mit dem Namen freilich als mehr als nur "ein wenig" problematisch. Sie fordern eine explizite "Wertschätzung für Bildung und Forschung" und deshalb die Umbenennung des geplanten Ressorts in "Bildung, Forschung, Innovation und Jugend". Woher diese vorgeschlagene Begriffsreihung stammt? Von der Leyen selbst hat sie so in Gabriels Mission Letter genannt. Diese vier seien "der Schlüssel zu unserer Wettbewerbsfähigkeit".
Kann aber ein anderer Ressortname, die Verpackung, schon etwas am Inhalt ändern? Ja, kann er, denn Bezeichnungen wecken Assoziationen und prägen dadurch wiederum politische Reaktionen und Programmatiken. Wenn von der Leyen auf die Forderung der Wissenschaftler einginge, wäre es das beruhigende Signal, dass sie ihr eigenes oben zitiertes Bekenntnis tatsächlich verstanden hat.
Am 30. September starten die Anhörungen der künftigen EU-Kommissare vor dem Europäischen Parlament. Der Offene Brief ist bis dahin weiter für Unterzeichner offen.
Dieser Kommentar erschien zuerst im WISSEN3-Newsletter der ZEIT.
Deutsche Fachgesellschaften schließen sich Protest an
Fünf wissenschaftliche Fachgesellschaften aus Deutschland haben sich den Forderungen des Offenen Briefes angeschlossen. Der geplante Name werde der untrennbaren Verbindung zwischen Forschung und Innovation nicht gerecht, kritisieren die Deutsche Mathematiker-Vereinigung (DMV), die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG), die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), der Dachverband Geowissenschaften (DVGeo) und der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin (VBIO) in Deutschland. In einem gemeinsamen Protestschreiben an Ursula von der Leyen fordern sie die explizite Nennung des Begriffs "Forschung" als Zuständigkeitsbereich der Kommission.
Zugleich beklagen die Fachgesellschaften den "symbolischen Effekt": Mit dem drohenden Wegfall des Begriffs "Forschung" sende die EU-Kommission ein in fataler Weise irreführendes Signal an die Öffentlichkeit, dass Forschung offenbar einen geringeren Wert besitze. "Die Konsequenz wird zweifellos sein, dass Forschung und Wissenschaft merklich an Wertschätzung verlieren werden, vor allem unter jungen Menschen."
Diese unterzeichnenden Fachgesellschaften vertreten zusammen über 130.000 Mitglieder.
Kommentar schreiben
Th. Klein (Montag, 30 September 2019 10:17)
Man kennt diese Diskussion schon seit Jahren. Trennung oder Vereinigung von Bildung/Schule und Wissenschaft/Forschung (siehe bspw. Bayern in den letzten Jahren, aktuell wieder getrennt), Namensbestandteile wie Forschung, Wissenschaft, Innovation etc. (siehe bspw. NRW unter Pinkwart) - ändert sich tatsächlich die Wahrnehmung und noch mehr die Praxis, also das politische Handeln? Nach meinem Eindruck nicht (außer durch die angestoßenen Debatten selbst und in diesem Bedeutungsumfang)!