Bei ihrer Oktobersitzung steht die KMK vor ihrer wichtigsten Bewährungsprobe. Bildungsstaatsvertrag und Bildungsrat seien historische Gelegenheiten, den Bildungsföderalismus auf eine neue Grundlage zu stellen, sagt die Kieler Bildungsministerin Karin Prien und appelliert an ihre Kollegen: Die Entscheidungen müssten jetzt fallen.
Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Foto: Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur.
Frau Prien, steht die Kultusministerkonferenz (KMK) vor ihrer nächsten Pleite? Eigentlich wollten Sie und Ihre Kollegen bei ihrer Oktobersitzung die Grundzüge des versprochenen Bildungsstaatsvertrags beschließen und gleichzeitig den Nationalen Bildungsrat mit dem Bund besiegeln. Doch Baden-Württembergs Ressortchefin Susanne Eisenmann (CDU) warnt, in die Verhandlungen um die KMK-Reform müsse "mehr Bewegung rein", und Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) spricht beim Bildungsrat von einer "Dauerblockade, die der Bund sich mit einzelnen CDU-Ländern leistet".
Vielleicht liegt es ja daran, dass ich noch nicht so lange dabei bin als Ministerin, aber ich wehre mich gegen einen frustrierten Blick auf die KMK. Sie ist besser als ihr Ruf! Wir haben mit dem Bildungsstaatsvertrag in Verbindung mit dem Nationalen Bildungsrat jetzt die historische Gelegenheit, den deutschen Bildungsföderalismus auf eine neue Grundlage zu stellen, seine Glaubwürdigkeit zu erneuern. Und ich glaube, das kann gelingen. Allerdings müssen wir dafür das Denken in A- und B-Ländern hinter uns lassen.
"Ich frage Sie: Bildet das noch die
Regierungswirklichkeit im Jahr 2019 ab?"
Als "A-Seite" bezeichnen sich traditionell die Länder mit SPD-Regierungsbeteiligung, die "B-Seite" sind CDU-/CSU-geführte Koalitionen.
Ja, und die Grünen wurden als Koalitionspartner der A-Seite zugerechnet, die FDP war bei den B-Ländern dabei. Aber ich frage Sie: Bildet das noch die Regierungswirklichkeit im Jahr 2019 ab? Wir haben einen grünen Ministerpräsidenten in einer Koalition mit der Union, wir haben Grüne in Regierungen etwa mit der SPD und mit der FDP sowie auch mit CDU und FDP, und wir haben linke Bildungsminister. Die Konstellationen sind zu bunt, um sie noch entlang eines so einfachen Schemas abzubilden. Ich kann deshalb nur an alle meine Kolleginnen und Kollegen appellieren, gerade bei den anstehenden Entscheidungen, die so grundlegend sind, diese alten Kategorien und dieses anachronistische Lagerdenken hinter sich zu lassen. Insgesamt würde der Bildungspolitik eine weitere Entideologisierung durch eine stärkere Orientierung an den Ergebnissen der Wissenschaft guttun.
Ties Rabe ist Koordinator der A-Länder. Er will im Oktober einen Vorschlag zum Bildungsrat zur Abstimmung stellen, der im Wesentlichen dem von CDU-Bundesbildungsministerin Karliczek entspricht. Den aber Susanne Eisenmann, die Koordinatorin der B-Länder, entschieden ablehnt. Wofür werden Sie stimmen?
Der Vorschlag des Bundes liegt auf dem Tisch und bedeutet meines Erachtens in vielen Punkten ein erhebliches Entgegenkommen von Frau Karliczek gegenüber den Ländern. Ich glaube, dass man am Ende des Tages auf dieser Grundlage einschlagen kann, auch wenn man von der Idee eines Bildungsrates nicht begeistert ist. Es lohnt sich, für eine gemeinsame Lösung bei allen Bundesländern zu werben.
Sie werden also die Initiative von Ties Rabe unterstützen – gegen das Votum Ihrer CDU-Kollegin Susanne Eisenmann?
Man muss den Bildungsstaatsvertrag und den Nationalen Bildungsrat im Zusammenhang sehen. Der Staatsvertrag ist eine alte CDU-Forderung, ich sehe eine große Bereitschaft auf der B-Seite, Nägel mit Köpfen zu machen. Wenn auch die A-Seite bereit ist, hier die entscheidenden Schritte nach vorn zu machen, dann sollten wir auch beim Bildungsrat den Kompromiss suchen. Und ja, dann stimme ich dem Vorschlag von Frau Karliczek zu.
"Beide Entscheidungen
müssen jetzt fallen"
Jetzt haben wir doch wieder in A- und B-Positionen geredet.
Weil das leider noch immer zu viele unserer Diskussionen widerspiegelt. Doch wir haben im Oktober die große Chance zu belegen, dass wir uns von der Sache leiten lassen. Denn ich bin überzeugt: Beide Entscheidungen müssen jetzt fallen. Der Staatsvertrag muss 2020 in Kraft treten können. Und auch beim Bildungsrat ist es an der Zeit, gemeinsam und konstruktiv für sein Zustandekommen zu sorgen.
Es geht Ihnen um die Glaubwürdigkeit des Bildungsföderalismus. Dann lassen Sie uns konkret werden. Was muss im Staatsvertrag stehen, damit er Ihre Zustimmung erhält? Ties Rabe sagte neulich, die vorliegenden Textentwürfe seien "so unkonkret, dass sie unsere öffentlichen Versprechungen zurzeit noch nicht erfüllen."
Und da hat er Recht. Aber allein, dass wir jetzt einen von einem Experten für Bildungsrecht ausgearbeiteten Vertragsentwurf haben, ist schon was. Jetzt müssen wir die Verbindlichkeit reinbringen, die auch Ties Rabe meint. Gleichzeitig müssen wir aber auch eine Überfrachtung vermeiden. Einen Staatsvertrag müssen alle 16 Länderparlamente beschließen, den ändern Sie nicht alle zwei Jahre. Darum muss er eine gewisse Allgemeinheit besitzen. Die Ziele des Staatsvertrages werden wir dann in einer zusätzlichen politischen Vereinbarung zwischen den Landesregierungen konkretisieren und aktuell halten.
Geht es noch genauer? Was ist für Sie unverzichtbar, damit die KMK-Reform gelingt?
Vor allem müssen wir durch den Staatsvertrag die Hürden so hoch legen, dass es künftig nicht mehr möglich ist, dass wir in der KMK wichtige Vereinbarungen treffen und dann einzelne Länder ausscheren nach dem Motto: In der KMK haben wir das zwar mitgetragen, aber jetzt haben wir doch keine Lust mehr.
Sie spielen auf das Ausscheren von Niedersachsen und Bremen aus den bundesweiten VERA-Vergleichsarbeiten an.
Ja, aber es gibt noch mehr Beispiele. Der Staatsvertrag muss unbedingt die Spielregeln für die künftigen Länderkooperationen festlegen und für alle verbindlich und transparent machen.
"Der Staatsvertrag muss die Spielregeln
für künftige Länderkooperationen festlegen"
Und inhaltlich? Welche Bildungsziele stehen für Sie im Vordergrund?
Beim Abitur habe ich die dringende Erwartungshaltung, dass wir die versprochene größere Vergleichbarkeit nun auch liefern. Das Bundesverfassungsgericht hat uns das unmissverständlich ins Stammbuch geschrieben. Konkret heißt das, dass wir unmittelbar dafür sorgen, dass alle Länder sich verpflichten, einen festen Anteil an Aufgaben aus dem gemeinsamen Abituraufgabenpool nehmen und diese auch nach den gleichen Regeln einsetzen.
Ist das nicht schon Beschlusslage und in Wirklichkeit wenig ambitioniert?
Wir sind weit vorangekommen bei der Angleichung der Rahmenbedingungen des Abiturs. Die verbindliche Entnahme aus dem Aufgabenpool wäre konsequenterweise der nächste Schritt. Ebenso wichtig ist, dass wir auch den ersten und den mittleren Schulabschluss vergleichbarer machen. Und wir müssen die Schulbezeichnungen in Deutschland so weit angleichen, dass Menschen, die von einem Bundesland ins andere ziehen, in der Lage sind, sich auch im dortigen Schulsystem zurechtzufinden.
Susanne Eisenmann sagt: "Mir ist weniger wichtig, wie das Haus heißt, solange wir uns über das einigen, was im Haus gemacht wird."
Ich glaube, wir müssen schon auch daran arbeiten, wie das Haus heißt.
Susanne Eisenmann gilt auch als Hauptgegnerin des Nationalen Bildungsrates und macht keinen Hehl daraus, dass sie ihn im Grunde für überflüssig hält.
Susanne Eisenmann ist eine überzeugte Verfechterin eines strengen Bildungsföderalismus. Sicherlich haben nicht alle Kultusminister den Nationalen Bildungsrat gewollt, und man muss auch von diesem Instrument nicht begeistert sein. Ein Nationaler Bildungsrat ist aber so im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbart, im Übrigen ist er Beschlusslage der Bundes-CDU. Persönlich glaube ich, er könnte zu einem hilfreichen Thinktank von Bund, Ländern, Kommunen und Wissenschaft werden, der uns dabei hilft, die gesamte Bildungskette in langen Linien und im Zusammenhang zu betrachten und unser Bildungssystem in einem größeren Konsens in sich stimmiger als bislang zu gestalten.
"Mit einem Bildungsrat wären uns viele Irrungen
und Wirrungen erspart geblieben"
Woher kommt dann der Gegenwind?
Weil dieses Potenzial noch nicht von allen erkannt wird. Die positive Erfahrung mit dem Wissenschaftsrat kann da helfen. Wir sollten nicht vergessen: Der Bildungsrat wird den Ländern nichts verordnen können, er kann nur Empfehlungen geben. Das ist angesichts der Finanzierungsverantwortung auch richtig so. Aber genau das kann seine Stärke sein im Austausch zwischen Politik und Bildungsforschung und Schulpraxis. Ich bin überzeugt: Hätten wir ein solches Gremium schon 2005 oder 2007 gehabt, wären uns viele Irrungen und Wirrungen bei Themen wie Digitalisierung, Inklusion oder frühkindlicher Bildung erspart geblieben. Unser Bildungssystem stünde heute besser da.
Ihre Prognose für die KMK-Oktobersitzung: Kommt der Durchbruch?
Das ist eine Frage der politischen Vernunft. Ich hoffe, dass sich jetzt alle mal schütteln und darauf besinnen, was politisch notwendig ist.
Kommentar schreiben