Die Kultusminister stritten bei ihrem Treffen um Bildungsrat und Bildungsstaatsvertrag – am Ende vertagten sie beides wieder einmal.
DAS WAR NICHTS. Die Kultusminister trafen sich gestern zu ihrer Herbstsitzung in Berlin, und als sie auseinandergingen, schwankte die Stimmung bei den Beteiligten zwischen resigniertem Achselzucken und offen zur Schau getragenem Frust. Kein Wunder bei so einer Bilanz.
Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, der Koordinator der SPD-Länder in der KMK, hatte seine Ankündigung wahr gemacht und per Kampfabstimmung die Einigung beim Bildungsrat erzwingen wollen. Ein Widerspruch in sich, könnte man sagen, was vermutlich auch Rabe klar war, aber er wollte es halt wissen. Das Ergebnis lautete: Alle SPD-regierten Länder stimmten für Rabes Vorschlag zur Stimmenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen in dem geplanten Gremium – die den Kompromiss mit dem Bund ermöglicht hätte. Und alle unionsregierten Länder stimmten dagegen. Sogar diejenigen, die beim Bildungsrat in den vergangenen Wochen Verhandlungsbereitschaft signalisiert hatten. Jetzt wisse man wenigstens, wer beim Bildungsrat bremse, kommentierte Rabe im Anschluss – während CDU-Kollegen meinten, Rabes Vorstoß habe die Unionsseite erst wieder so richtig zusammengebracht.
Gibt es Bildungsrat und
Staatsvertrag nur im Paket?
Musste es so kommen? Vermutlich schon. Die SPD-Länder, die sogenannte A-Seite, wollten den Bildungsrat jetzt – unabhängig vom Bildungsstaatsvertrag. Die Länder mit CDU-/CSU-Regierungsbeteiligung, die B-Seite, forderte stattdessen ein Junktim: Ja zum Bildungsrat nur und erst dann, wenn auch der Grundsatzbeschluss zum Bildungsstaatsvertrag, also zur großen KMK-Reform, fällt. Ihre Sorge: Wenn der Bildungsrat vorher kommt, während die Länder noch um den Staatsvertrag ringen, gelingt es dem Bund, die Länder vor sich herzutreiben mithilfe schön klingender Bildungsratsempfehlungen, für die dann eine KMK geradestehen soll, die dies nicht kann.
Die SPD-Seite argumentierte hingegen: Der Bildungsrat sei mit dem Bund seit Monaten ausverhandelt, in allen seinen Details, es sei der Öffentlichkeit daher nicht länger vermittelbar, hier weiter zu warten mit der Begründung, man werde sich angeblich bei der Stimmenzahl nicht einig. Außerdem sei der Bildungsrat im Koalitionsvertrag im Bund versprochen worden. Beim Bildungsstaatsvertrag lägen die Dinge ganz anders. Bislang existierten da lediglich Hülsen, schöne Versprechungen, man wolle sich auf mehr Vergleichbarkeit im Bildungssystem verständigen, doch handfest und konkret sei davon noch kaum etwas. Deshalb könne man jetzt doch nicht beschließen, einen Staatsvertrag zu machen, der durch alle 16 Länderparlamente müsse, man wisse ja gar nicht, was man denen dann am Ende präsentieren müsse. Das sei wie die Katze im Sack.
Beides ist ernüchternd: Dass die Unionsländer wirklich glauben, weiter beim Bildungsrat auf Zeit spielen zu können – womöglich ja in der Absicht, das Thema bis zum Ende der aktuellen Bundesregierung auszusitzen und dann klammheimlich zu begraben. Und dass die SPD-Länder selbst das grundsätzliche Signal: "Ja, wir machen einen Staatsvertrag!" immer noch nicht zu geben bereit sind – obwohl schon dieses Signal wichtig wäre für eine Öffentlichkeit, die den Glauben an die Reformfähigkeit der Kultusministerkonferenz vollends aufzugeben droht. KMK-Präsident Alexander Lorz sagte nach der Sitzung, der Bildungsföderalismus stehe auf dem Prüfstand. Man könnte auch sagen: Wenn die KMK nicht aufpasst, ist er da bald schon wieder runter. Mit verweigerter Plakette.
Die Minister stimmten konsequent
nach Lagern ab
Es ist ja richtig, dass, wie die SPD-Minister gestern mahnten, der Staatsvertrag auf keinen Fall eine Luftnummer werden darf, dass er hinterlegt sein muss mit wirksamen, ambitionierten und konkreten politischen Absichtserklärungen aller Länder zum Abitur zum Beispiel, zur Mobilität von Schülern und Lehrern, zur Inklusion und zu vielen anderen zentralen Themen, von denen die Leistungsfähigkeit und die dringend nötige größere Vergleichbarkeit des föderalen Bildungssystems abhängt. Aber vielleicht hätte ja gerade die demonstrative Festlegung auf das Format Staatsvertrag den nötigen Zeit- und Erwartungsdruck erzeugt, die viele, auch viele Minister, bei der KMK-Reform bislang vermissen. Und so inhaltsleer und formelhaft ist das, was der Bildungsrechtler Hans-Peter Füssel bislang erarbeitet hat, beileibe nicht. Auch die beispielhaft von den KMK-Amtschefs ausformulierte politische Absichtserklärung zum Abitur lässt bei allen noch vorhandenen Lücken den Mut zu Standards erkennen.
Wie auch immer: Das Quid pro Quo, das einige im Vorfeld der Sitzung für möglich gehalten hatten, Bildungsrat versus Staatsvertrag-Grundsatzentscheidung, blieb aus. Und obwohl zuletzt zum Beispiel Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) ihre Kollegen zum Überwinden des Lagerdenkens aufgerufen hatte, wurde konsequent nach parteipolitischen Zugehörigkeiten abgestimmt.
Wie geht es jetzt weiter? Eine Antwort auf diese Frage fällt auch den Kultusministern nach der gestrigen Pleite schwer. Selbst Rabes Antrag zur Kampfabstimmung kann man eigentlich nur mit dem Frust über das eigene Gremium erklären. Mit dem Bund gibt es in Sachen Bildungsrat jedenfalls nichts mehr zu verhandeln. Da herrscht jetzt erstmal weiter Stillstand. Beim Staatsvertrag (von dem man ja nicht weiß, ob er überhaupt einer wird oder doch nur eine weniger verbindliche Ländervereinbarung) will man die Ministerialbeamten immerhin weiter werkeln lassen, sie sollen möglichst viele kritischen Themen ausbuchstabieren und entscheidungsreif machen, damit daraus die nötigen politischen Erklärungen entstehen können.
Dass der Staatsvertrag noch 2020 kommt,
ist nahezu ausgeschlossen
Kaum jemand geht indes noch davon aus, dass das schon bei der nächsten Ministersitzung im Dezember soweit sein wird. Immer mehr Minister rechnen damit, dass die KMK-Reform erst im nächsten Juni beschlussreif sein wird. Womit der Staatsvertrag nicht mehr, wie bisher viele hofften, noch 2020 ratifiziert werden dürfte, sondern irgendwann 2021. Was ja okay wäre, wenn dann wirklich etwas drinstünde. Was nicht okay wäre: so lange mit dem Bildungsrat zu warten. Aber angesichts der Stimmung heute in der KMK ist auch dieses Szenario nicht ausgeschlossen.
Der einzige vorzeigbare Beschluss – zumindest der einzige, zu dem die Kultusminister am Ende eine Pressemeldung herausgaben, war dieser: "Kultusministerkonferenz bekräftigt ihren Einsatz für die Ziele der Agenda Bildung 2030 der Vereinten Nationen". Die Ressortchefs betonten demonstrativ die "hohe Bedeutung von inklusiver, chancengerechter und hochwertiger Bildung" und würdigten den internationalen Austausch in der Bildungspolitik.
Eine schöne Meldung, die nichts am Gesamtbefund änderte: Es war die Sitzung der vergebenen Chancen. Und, wie die ganz KMK-Erfahrenen resümierten, seit Jahren die hitzigste Sitzung. Eines konnte man der Kultusministerkonferenz gestern immerhin nicht vorwerfen: dass sie ein langweiliger Bürokratenhaufen sei. Nein, es war eine extrem politische Sitzung. Was nicht bedeutet, dass sie konstruktiv war.
Kultusminister vertagen Prognose zum Lehrerbedarf
Eigentlich hatten die Kultusminister nach ihrer Sitzung ihre aktuelle Modellrechnung zum Lehrerbedarf veröffentlichen wollen. Doch auch diesen Beschluss haben sie ausgesetzt und auf die nächste Sitzung verschoben. Die KMK traute offenbar ihren eigenen Zahlen noch nicht, vor allem denen einiger Bundesländer. Und man wollte wohl nicht schon wieder von Bildungsforschern für die Methodik der Berechnung gescholten werden.
So bleibt die Bertelsmann-Stiftung mit ihrer neulich veröffentlichen aktualisierten Prognose vorerst allein auf weiter Flur. Sie hatte gewarnt, dass der Lehrermangel nochmal um 11.000 größer sein werde, als die KMK es im vergangenen Jahr prognostiziert hatte. 26.300 Grundschullehrer sollen jetzt laut Stiftung 2025 fehlen.
Doch auf welche Zahlen war die KMK in ihrer nicht veröffentlichen Modellrechnung gekommen? Die wichtigste Antwort: Auf niedrigere als die Stiftung. Die "zusammengefassten Modellrechnungen der Länder" wiesen laut Entwurf bis 2025 gut 7000 zusätzlich fehlende Grundschullehrer aus, also 3000 bis 4000 weniger als die Bertelsmann-Stiftung.
Dass die Kultusminister die Zahlen jedoch so nicht beschließen wollten, zeigt ihr gewachsenes Problembewusstsein. Schon im vergangenen Jahr hatten sie per Beschluss festgestellt, dass die Methodik der Modellrechnungen sich von Land zu Land unterscheide, womit sie im Ergebnis kaum vergleichbar seien. Und womit auch ihre Zusammenfassung kaum bundesweit gültige Zahlen produzieren dürfte. Die Länder reagieren zwar: mit einem länderübergreifenden Workshop für die zuständigen Statistiker und eine eigens einberufene Arbeitsgruppe "Vorausberechnungen". Doch die Vereinheitlichung dauert – und liefert einen weiteren guten Grund, beim Staatsvertrag zu Potte zu kommen.
Für die allgemeinbildenden Fächer im Sekundarbereich II und für das Gymnasium erwartet die nicht von den Kultusministern freigegebene Berechnung durchgängig ein Überangebot an Lehrern. Einen deutlichen Mangel sieht sie dagegen auch bei den Berufsschullehrern und den Sonderpädagogen. Bei den Sekundarschullehrern werden laut Berechnung ebenfalls zum Teil deutliche Engpässe erwartet.
Insgesamt stellt der Begleittext zum Entwurf der Modellrechnung fest, dass sich im Vergleich zu ihrer Berechnung vom Vorjahr der prognostizierte Bedarf an Lehrern in fast allen Lehramtsfächern erhöht habe. "Hauptursache hierfür sind die Folgen steigender Geburtenzahlung und Zuwanderung." Doch werde auch die Zahl der zur Verfügung stehenden neuen Lehrer gegenüber der 2018er Prognose zunehmen.
Übrigens ist sich die unveröffentlichte Modellrechnung mit der Bertelsmann-Stiftung an einigen Stellen durchaus einig: Der Bedarf an Lehrkräften im Grundschulbereich bleibt enorm hoch – doch um 2024 oder 2025 herum könnte eine Trendwende einsetzen. Die Bertelsmann-Stiftung erwartet ab dann zumindest fast ausgeglichene Zahlen bei Lehramtsabsolventen und den zur Verfügung stehenden Stellen; der KMK-Entwurf geht von 2024 an sogar mit einem innerhalb von zwei Jahren stark ansteigenden Überangebot an Lehrkräften aus. Mit dem Ergebnis, dass im Jahr 2026 und in den Folgejahren jeweils mehr als 3000 Abgänger statisch keine Stelle vorfinden werden.
Deutet sich hier die nächste Runde im sogenannten Schweinezyklus der Lehrerbildung an? Es wäre fatal, aber freilich nicht das erste Mal, wenn es so käme und direkt nach dem dramatischen Lehrermangel die Lehrerarbeitslosigkeit folgen würde.
KMK will Vorschläge für neue Ferienregelung sammeln
Jetzt also erstmal eine Bestandsaufnahme: Berlin und Hamburg hatten in der KMK beantragt, die Jahrzehnte alten Regeln für die Sommerferien zu ändern. Sie sollen künftig zeitlich weniger gestreckt werden, forderten die beiden Stadtstaaten. Als Reaktion beschlossen die Kultusminister, erstmal von den zuständigen Referenten ihrer Ministerien mögliche Vorschläge für Alternativmodelle erstellen zu lassen.
Aktuell steht der Beschluss der Ferientermine für 2025 bis 2030 an, normalerweise gilt ihre Festlegung durch die Kultusminister als Routinetermin, diesmal jedoch nicht.
Ziel der beantragten Änderung sei "mehr Kontinuität" im Schuljahresablauf, sagte Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) der Nachrichtenagentur dpa. "Vor allem Sprünge von einem späten Ferientermin auf einen frühen Ferientermin führen zu einer Verkürzung von Schuljahren", sagte die SPD-Politikerin. Die derzeit
geltende Regelung habe negative Auswirkungen auf die Lernzeit der Schüler, die Belastung der Lehrkräfte, "schulorganisatorische Prozesse" sowie auf den Zeitraum bei den Abschlussprüfungen. Deshalb sollten die Ferien künftig zwischen dem 1. Juli und 10. September liegen.
Doch in der KMK gab es Widerspruch, unter anderem aus Hessen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt. Manche fürchten Nachteile beim Tourismus. Ähnlich argumentierte auch Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler). Die Südländer Bayern und Baden-Württemberg haben eine besonders starke Motivation, möglichst gar nicht an den gegenwärtigen Regeln zu rütteln. Sie sind die einzigen Länder mit traditionell festen Ferienterminen, bei den anderen rotieren die Ferien nach einem festen System – verabredet im letzten großen Bildungsstaatsvertrag, dem Hamburger Abkommen von 1964.
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