Die Untersuchungskommission kann ihren Bericht zum Heidelberger Bluttest-Skandal nicht öffentlich präsentieren. Der vermeintliche Protagonist hat gerichtlich jede Aussage über seine Person untersagen lassen.
ES WAR EIN EKLAT mit Ankündigung. Gestern Abend verschickte die Pressestelle des Universitätsklinikums Heidelberg eine ungewöhnliche Mail, Betreffzeile: "Mögliche Absage der Pressekonferenz des Aufsichtsrats des UKHD am 22. Oktober 2019".
Zu der Pressemitteilung hatte das Klinikum wenige Tage zuvor eingeladen, mit der Vorstellung des Abschlussberichts der externen Untersuchungskommission sollte ein weiterer Schritt hin zur Aufklärung in dem Skandal gelingen, der in der öffentlichen Kommunikation von Klinikum und Landespolitik zurückhaltender mit "Causa Bluttest/Heiscreen" bezeichnet wird. Doch, wie die Pressestelle mitteilte, sei nur einen Tag vor dem Termin der Pressekonferenz ein "Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung" beim Verwaltungsgericht Karlsruhe eingegangen ist. "Damit soll erreicht werden, dass in der für morgen geplanten Pressekonferenz keinerlei Aussagen über einen der Beteiligten getätigt werden dürfen." Würde das Gericht dem Antrag stattgeben, teilte die Pressestelle weiter mit, "wäre eine aussagekräftige Vorstellung des Berichts nicht möglich."
Klinikdirektor Sohn hat sich
vorläufig gerichtlich durchgesetzt
Und genauso kam es. Halb eins heute Mittag verschickte die Pressestelle eine weitere Nachricht. Diesmal stand drüber: "Pressekonferenz des Aufsichtsrats des UKHD abgesagt", und zumindest wurde jetzt auch ein Name genannt: "Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat auf Antrag des Rechtsanwalts von Herrn Prof. Dr. Christof Sohn eine sog. Einstweilige Anordnung erlassen", schrieb die Pressestelle. Mit dieser Anordnung werde es dem Universitätsklinikum vorläufig untersagt, sich zu wesentlichen Ergebnissen des Sachberichts der unabhängigen Kommission zu äußern, "soweit sie Herrn Prof. Sohn und das gegen ihn geführte Disziplinarverfahren betreffen".
Das ist dann schon ein starkes Ding: Monatelang recherchiert eine Gruppe unabhängiger Experten unter den Augen der Öffentlichkeit und begleitet von der dringenden Erwartung, für Aufklärung zu sorgen, wie einer der größten Kommunikations-GAUs in der jüngeren Geschichte der Universitätsmedizin hat passieren können. Welche Motive und Akteure, welche Entscheidungen, Strukturen und Dynamiken zu den Geschehnissen um den zu Unrecht als "Durchbruch" und "marktreif" verkündeten Bluttest beigetragen haben. Und dann, wenn es endlich soweit ist, geht diejenige Person, die vermeintlich im Zentrum aller Handlungsstränge steht, vor Gericht und verhindert praktisch die Veröffentlichung des Berichts.
Die Richter, so scheint es, haben die schützenswerten Persönlichkeitsrechte Sohns vor das Recht der Öffentlichkeit auf Transparenz gestellt. Zumindest einstweilig. Zur Begründung verwies das Verwaltungsgericht laut dpa auf das laufende Disziplinarverfahren. Es sei noch offen, ob die darin erhobenen Vorwürfe zuträfen. "Ungesicherte Vorwürfe gravierender Art dürften aber nicht vom Antragsgegner in die Öffentlichkeit getragen werden."
Das Universitätsklinikum prüfe im Moment die Rechtsbehelfe gegen die einstweilige Anordnung, teilte die Pressestelle des Klinikums mit.
Die Vorsitzende des Aufsichtsrats Simone Schwanitz, im Hauptberuf Abteilungsleiterin im Wissenschaftsministerium, sagte, der Aufsichtsrat habe die externe Kommission damit beauftragt, den Sachverhalt "möglichst lückenlos" aufzuklären. "Wir haben großes Interesse, dass diese Aufklärung in der größtmöglichen Transparenz geschieht. Wir setzen daher alles daran, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt die Kommissionsergebnisse vorstellen können."
Andere mussten derweil heftige
persönliche Konsequenzen tragen
Als besonders absurd und unfair muss die heutige Gerichtsentscheidung Sohns ehemaligen Chefinnen erscheinen. Wenige Tage, nachdem die Expertenkommission Ende Juli ihren Zwischenbericht vorgelegt hatte, hatten die Vorstandsvorsitzende des Universitätsklinikums, Annette Grüters-Kieslich, und die kaufmännische Direktorin, Irmtraut Gürkan, ihren Rücktritt angekündigt. Sie mussten persönlich die Konsequenzen der Affäre tragen, nachdem der Zwischenbericht ihre Fehler haarklein auseinandergenommen hatte. Gürkan wurde sofort freigestellt, Grüters-Kieslich ist noch bis Ende Oktober im Amt. Dann übernimmt der bisherige stellvertretende Klinikumsdirektor Matthias Karck, ein Herzchirurg, kommissarisch die Leitung. Vor Grüters-Kieslich und Gürkan hatte bereits der Dekan der Medizinischen Fakultät, Andreas Draguhn, seinen Rücktritt eingereicht.
Grüters-Kieslich und Draguhn gelten in Heidelberg als Kollateralopfer des Skandals, weil sie es nicht geschafft hätten, mit den Missständen angemessen aufzuräumen – doch hätten die bereits vor ihren Amtszeiten ihren Ursprung gehabt. Als Beginn der Affäre gilt inzwischen ein von Klinikum, der unieigenen Beteiligungsfirma tth und der Firma HeiScreen (mit dem Unternehmer Jürgen Harder als Investor) 2017 abgeschlossener Vertrag, der das Klinikum offenbar extrem gebunden hat. Was genau in dem Vertrag steht, ist freilich immer noch nicht öffentlich bekannt. Auf die wiederholte Anfrage des FDP-Landtagsabgeordneten Nico Weimann antwortete das baden-württembergische Wissenschaftsministerium, die Vertragspartner hätten Verschwiegenheit vereinbart. Deren Verletzung und ein Vertragsbruch hätten massive finanzielle Konsequenzen.
Und was ist mit Sohn? Dem Direktor der Unifrauenklinik wurde laut Presseberichten bislang für drei Monate die Lehr- und Forschungserlaubnis entzogen – und es läuft das auch in der Pressemitteilung erwähnte Disziplinarverfahren. Ansonsten ist seit Monaten nicht viel von ihm zu hören, erst recht kein Wort des Bedauerns. Dafür durften andere den Kopf hinhalten.
Universitäre Senatskommission: Sohn
trägt die Hauptverantwortung
Solange der Abschlussbericht nicht veröffentlicht ist, ist auch die Systemfrage nicht zufriedenstellend beantwortet. Sie lautet: Welchen Beitrag haben das Selbstverständnis und die Governance eines Universitätsklinikums geleistet zu einem Skandal solchen Ausmaßes? Eine Frage, die womöglich noch wichtiger – und auf jeden Fall von nachhaltigerer Bedeutung – ist als die nach persönlichem Fehlverhalten einzelner Mediziner und Wissenschaftler.
Immerhin: Die universitäre Senatskommission zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und zum Umgang mit Fehlverhalten in der Wissenschaften konnte ihren Bericht veröffentlichen. In der Zusammenfassung heißt es, es sei im Zusammenhang mit der Entwicklung des Bluttests und seiner vorzeitigen Publizierung in mehrfacher Hinsicht zu wissenschaftlichem Fehlverhalten gekommen. "Die Hauptverantwortung dafür trägt Prof. Dr. Christof Sohn." Ein erhebliches und schweres wissenschaftliches Fehlverhalten durch Sohn sah die Kommission vor allem darin, dass es "trotz wiederholt schlechter Ergebnisse in der Datenauswertung des Bluttests und vielfacher Hinweise und Warnungen der Datenexperten" keine Neujustierung des Projekts gegeben habe. Ein gravierendes Fehlverhalten sei auch durch die verfrühte medienwirksame Veröffentlichung ohne vorherige belastbare Publikation gegeben. Den ehemaligen Dekan Andreas Draguhn kritisierte die Kommission für eine "mangelnde Sorgfalt im Umgang mit der Presse und die unkritische Akzeptanz der Behauptungen von Prof. Sohn", was sie ebenfalls als einen Fall von wissenschaftlichen Fehlverhaltens wertete, "allerdings von minderer Schwere". Indem Draguhn Sohns "Aktivitäten" unterstützte, habe er wesentlich dazu beigetragen, "dass aus individuellem Fehlverhalten eine institutionelle Krise wurde".
Klare Worte. Und doch: Ohne Abschlussbericht der externen Kommission ist der Aufklärungsstand in Heidelberg Stand heute äußerst unbefriedigend. Die Schuld von Expertenkommission und Aufsichtsrat ist das nicht.
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Edith Riedel (Freitag, 25 Oktober 2019 09:04)
Man fühlt sich an den Skandal um die Freiburger Sportmedizin erinnert. Ob auch in diesem Fall bald eine Auswanderung nach Südafrika ansteht? Es ist ein Unding, dass eine Aufklärung hier so aktiv behindert wird.
Victor Ehrlich (Samstag, 02 November 2019 22:29)
Der hochrangige Klinikum-Administrator und Geschäftsführer, der laut Presseberichten die ursprüngliche Projektleiterin auf Bitten von Prof. Dr. med. Prof. h. c. Christof Sohn aus dem Projekt entfernt hat, ist im Übrigen auch für Compliance zuständig. Dies zeigt, welchen Stellenwert die Einhaltung von akademischen Richtlinien, Arbeitsrecht und guter wissenschaftlicher Praxis an deutschen Unikliniken hat.