Zum zweiten Mal muss die Ministerin wegen einer umstrittenen Standort-Entscheidung vor dem Bundestagsforschungsausschuss auftreten. Die Sitzung bringt inhaltlich wenig Neues – aber atmosphärisch wichtige Erkenntnisse.
VON AUSSEN BETRACHTET sah es wie ein Déjà-Vu aus. Anja Karliczek trat vor dem Bundestagsforschungsausschuss auf, sie stand den Abgeordneten Rede und Antwort, und danach verkündete die Opposition: Das reicht nicht. Die Antworten der Bundesforschungsministerin waren unbefriedigend.
Auch das Thema war dasselbe wie bei Karliczeks letztem Erscheinen vor dem Ausschuss im Juli: die Standortentscheidung für die geplante Batterieforschungsfabrik. Hat Münster zu Recht den Zuschlag bekommen? Oder hat Karliczeks Ministerium den Entscheidungsprozess vergeigt, sind andere Bewerberstandorte womöglich absichtlich benachteiligt worden?
Zuletzt hatte Karliczeks CDU-Parteikollegin Susanne Eisenmann, die Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Landtagswahl 2021, der Ministerin den Rücktritt nahegelegt – sollten sich die Vorwürfe bestätigen. Ein bemerkenswerter Vorgang, der den Druck auf Karliczek weiter erhöht hatte.
Karliczek: BMBF habe "größtmögliche
Transparenz" gezeigt
Vor dem Ausschuss sagte Karliczek laut Teilnehmern, das BMBF habe in Sachen Standortentscheidung in den vergangenen Monaten "mit größtmöglicher Transparenz sämtliche Fragen beantwortet und zu Behauptungen immer wieder klar Stellung bezogen". Sie habe dem Parlament sämtliche Akten zur Verfügung gestellt, es habe mehrere Pressehintergrundgespräche gegeben, Presseanfragen seien stets beantwortet worden. So werde man auch künftig handeln – weil sie und ihr Ministerium von der Richtigkeit des Verfahrens überzeugt seien. So wichtig ihr persönlich Transparenz und Offenheit seien, so wichtig sei ihr noch etwas anderes, betonte die Ministerin: "Diese Debatte sachlich zu führen." Es war der erste von mehreren Versuchen, zum Gegenangriff auf ihre Kritiker überzugehen.
Die Entscheidung für Münster sei am Ende "auf der Grundlage aller verfügbaren Erkenntnisse" gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium getroffen worden, betonte Karliczek. Inhaltlich viel Neues lieferte Karliczek dem Ausschuss zur Begründung nicht, aber die Liste der von ihr angeführten – zumeist bereits bekannten – Belege und Indikatoren, weshalb aus der Sicht ihres Ministeriums Münster der stärkste Standort gewesen sei, war lang.
So sei der Leiter der Batterieforschung in Münster, Martin Winter, "die führende Koryphäe in Deutschland", wie auch die Zitationen belegten. Daran zweifelt aus der Fachwelt niemand, fügte Karliczek hinzu. Auch Winters Mitstreiter an den verbündeten Standorten Münster und Aachen seien bei zentralen Fragen am kompetentesten und erfahrensten gewesen. Münster habe zudem mehr Unterstützungsschreiben aus der Industrie erhalten als der Hauptkonkurrent Ulm – wenn auch weniger als Salzgitter.
In der Gesamtschau habe sich das NRW-Konzept als offener und als deutschlandweite Forschungsinfrastruktur für Wirtschaft und Wissenschaft tragfähiger erwiesen, weshalb es "aus der forschungspolitischen Sicht" befürwortet worden sei. Doch sei auch das Wirtschaftsministerium, was den volkswirtschaftlichen Nutzen angehe, zu dem Ergebnis gekommen, dass Münster wegen seiner Passfähigkeit zu Transfer-Förderkonzepten am besten geeignet sei. Gleiches gelte für das Recycling-Konzept, sagte die Ministerin und ging erneut zum Gegenangriff über: Ibbenbüren, das zu ihrem Wahlkreis gehöre, sei mit dem Recycling-Konzept Münsters verbunden, aber es werde "kein einziger Euro" aus der Batteriefabrik-Förderung dorthin fließen.
Karliczek spricht von "sich
wandelnden Vorwürfen"
Genau dieser Verdacht war direkt nach der Standortvergabe laut geworden. Doch die Vorwürfe gegen das BMBF und gegen sie persönlich, kritisierte Karliczek, hätten sich nach jeder "Klarstellung" gewandelt. Erst sei ihr vorgehalten worden, sie habe in das laufende Verfahren zugunsten Münsters eingegriffen. Nachdem sie diesen Vorwurf durch ihren ersten Auftritt im Forschungsausschuss entkräftet und Akteneinsicht gewährt habe, sei dem BMBF stattdessen eine mangelnde Führung des Prozesses, noch später dann eine zu starke Einflussnahme vorgeworfen worden.
Der Subtext von Karliczeks Äußerungen war unüberhörbar: Hier versuchen einige auf Teufel komm raus, einen Skandal zu konstruieren.
Zu den jüngsten Vorwürfen, Nordrhein-Westfalen mit seinem Standort Münster habe bevorzugt Informationen erhalten, sagte Karliczek, alle Bewerber seien "mit denselben Informationen" versorgt und "nach den gleichen Kriterien bewertet" worden. Zwar sei es richtig, dass das Land NRW schon "weit im Vorfeld der Standortauswahl" zu den Spezifikationen des gesuchten Grundstückes bei ihrem Ministerium nachgefragt und von dort auch eine Antwort erhalten habe. Doch sei dabei zu berücksichtigen, dass das Konzept für die Forschungsfertigung bereits in einem Workshop Ende Mai von Fraunhofer vorgestellt und mit Vertretern aus Industrie und Wissenschaft diskutiert worden sei. Das von Fraunhofer erstellte Grundkonzept habe bereits erste Abschätzungen zu den Anforderungen an Grundstück und Gebäude enthalten – und sei insofern allen Bewerbern bekannt gewesen.
An einer Stelle zeigte sich Karliczek
überraschend selbstkritisch
An einer Stelle indes zeigte Karliczek sich überraschend selbstkritisch. Die Bezeichnung "Gründungskommission" sei nicht genau genug gewesen, man hätte "sicherlich eine präzisere Bezeichnung wählen können", sagte Karliczek. Denn die Gründungskommission habe ja keine abschließende Entscheidung treffen, sondern lediglich beratende Funktion haben sollen. So wie der Prozess der Standortauswahl von der Fachebene des BMBF gemeinsam mit Fraunhofer geführt worden sei, so habe auch die Entscheidung nur von Fraunhofer und BMBF gemeinsam getroffen werden können – als "Zuwendungsempfänger" und "Zuwendungsgeber". Karliczek räumte indirekt ein, dass die Bezeichnung der Gründungskommission falsche Erwartungen an ihre Kompetenzen geweckt habe. Sie sagte: "In Zukunft werden wir genauer formulieren."
Auf die wirtschaftliche Expertise externer Experten habe man jedoch nicht verzichten können. Mit möglichen Befangenheiten sei das BMBF häufig bei Auswahlverfahren umgehen. Doch eine Besetzung mit internationalen Experten, um diese Befangenheiten zu vermeiden, sei in diesem Fall nicht in Frage gekommen. "Uns war wichtig, nationale Geschäftsgeheimnisse zu schützen", wird Karliczek aus der Sitzung zitiert.
Nach der Vielzahl an Gegenangriffen sendete Karliczek auch versöhnliche Signale. Sie könne die Enttäuschung der unterlegenen Standorte ja verstehen. Beim zweiten Hinhören klang das, was Karliczek sagte, allerdings schon wieder gar nicht so versöhnlich. Gerade in Ulm, sagte die Ministerin, sei die Erwartungshaltung besonders hoch gewesen – weil es bisher in der Bundesförderung ein privilegierter Batterie-Forschungsstandort gewesen sei.
Wirft Karliczek den Ulmern hier etwa Undankbarkeit vor? Womöglich, denn sie führte weiter aus: Ausgerechnet diejenigen BMBF-Beamten, die jetzt besonders hart kritisiert würden, hätten den Aufbau des Standortes Ulm über Jahre maßgeblich vorangetrieben. Sagte Karliczek und setzte gleich nach: Die Beamten namentlich gegenüber Medien zu erwähnen, sei im Übrigen inakzeptabel.
Oppositionspolitiker fordert
Karliczeks Rücktritt
So war es ein insgesamt kämpferischer Auftritt der Ministerin, kämpferischer als im Juli, als sie deutlich defensiver formuliert hatte. Dazu passte, dass Karliczek befand, dass alle beteiligten Länder für ihre Interessen und die Interessen der heimischen Unternehmen und Forschungsinstitute "mit harten Bandagen" gekämpft und Allianzen geschmiedet hätten. Diese Härte habe auch auf das Verfahren gewirkt. "Die Mitarbeiter meines Hauses mussten mit erheblichen Befangenheiten auch in der Gründungskommission umgehen." Soll wohl heißen: An den Befangenheiten tragen die beteiligten Länder, die sich jetzt empören, eine Mitschuld. Jedenfalls, sagte Karliczek, habe ihr Ministerium das Verfahren aufgrund dieser Befangenheiten gemeinsam mit der Fraunhofer-Gesellschaft "streng geführt".
Ob alles Hantieren mit Pro-Münster Argumenten, verbunden mit einem bislang so nicht gesehenen Angriffsmodus, Karliczek geholfen hat?
Nach der Ausschusssitzung verlangte der FDP-Forschungspolitiker Thomas Sattelberger den Rücktritt der Ministerin. "Anja Karliczek trägt die politische Verantwortung für die völlig verkorksten Abläufe in ihrem Haus", sagte er. Es sei Zeit für ihren Rücktritt. "Nicht weil die Wahl am Ende auf Münster fiel, sondern weil dieser Entscheidungsprozess völlig aus dem Ruder gelaufen ist." Das Ministerium habe ein instabiles, fehlerhaftes Verfahren aufgesetzt.
Er fühle sich zudem als Abgeordneter persönlich hinters Licht geführt, sagte Sattelberger. "Am 30. August 2019 hat mir das BMBF in einer schriftlichen Antwort mitgeteilt, Fraunhofer habe keine vorläufige Priorisierung für die möglichen Standorte genannt. Das war nur die halbe Wahrheit, wie wir heute wissen." Sattelberger sprach von einem "bananenrepublikanischen Stil". Anja Karliczek müsse jetzt ihren Hut nehmen, um weiteren Schaden von der Forschungspolitik abzuwenden.
Die Grünen Anna Christmann und Kai Gehring kommentierten: "Die Ministerin für Forschung wird zur Ministerin für Selbstverteidigung und hat offenkundig ihr Haus nicht im Griff." Das Vergabeverfahren sei von "A bis Z" chaotisch gewesen, "geprägt von Ignoranz gegenüber externer Expertise und undurchschaubaren Änderungen der Kriterien." Die Ministerin zeige keine ernsthafte Bereitschaft, Fehler einzuräumen. Auch bei ihrem zweiten Auftritt vor dem Ausschuss habe sie die Vorwürfe nicht ausräumen können. "Vielmehr hat sich bestätigt, dass das Auswahlverfahren alles andere als ordnungsgemäß war." Die Ministerin verdrehe die Tatsachen, wenn sie weiter behaupte, es habe nie eine Rangliste der Standorte gegeben. Christmann und Gehring sagten weiter: Es sei nicht hinnehmbar, dass Karliczek in der Sitzung auf Nachfrage eine unabhängige Prüfung des Verfahrens ausgeschlossen habe. "Die Ministerin hat heute den durchsichtigen Versuch unternommen, sämtliche Schuld der Gründungskommission zuzuschieben." Karliczek selbst müsse die politische Verantwortung übernehmen. "Gerade als Forschungsministerin muss sie sicherstellen, dass Vergabeverfahren sauber ablaufen. Sonst ist sie für dieses Amt nicht geeignet."
Jetzt ist die Opposition
am Zug
Zumindest Christmann, die aus Stuttgart stammende innovationspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, und Gehring, der forschungspolitische Sprecher, unterließen die direkte Rücktrittsforderung zum jetzigen Zeitpunkt also, aber auch sie waren deutlich näher dran als zuvor.
Unterstützung erhielt Anja Karliczek vom CDU-Obmann des Bildungsausschusses, dem ebenfalls aus Stuttgart stammenden Stefan Kaufmann. Die Ministern habe die Vorwürfe erneut überzeugend entkräften können, sagte Kaufmann. "Es gibt gute Gründe für den Standort Münster, insbesondere die Expertise der Wissenschaftler dort und die starke Unterstützung durch die Industrie." Jetzt sei entscheidend, "dass wir an einem Strang ziehen und das Dachkonzept rasch und kraftvoll umsetzen." Bei der Schlüsseltechnologie Batterie gehe es "um nicht weniger als unsere weltweite Wettbewerbsfähigkeit". Dazu müssten nun auch die übrigen Standorte des Dachkonzepts, darunter Ulm, Salzgitter und weitere, weiterentwickelt werden. Dafür stehe noch einmal eine beträchtliche Summe bereit. "Die Koalitionsfraktionen begleiten das Ministerium hierbei gern."
Von Seiten Karliczeks scheint die Causa Batterie-Forschungsfabrik nun vorerst auserzählt. Womit der Ball im Feld der Opposition im Bundestag liegt. Sie muss nun entscheiden, wie es weitergeht. Ein weiteres Hin und Her von Vorwürfen, Verteidigungsreden und wieder neuen Vorwürfen ergibt jetzt jedenfalls keinen Sinn mehr. FDP, Grüne und Linke müssen Farbe bekennen und sich untereinander abstimmen, ob sie weitere Schritte unternehmen wollen und wenn ja, welche das sein könnten. Ein Untersuchungsausschuss? Die dafür nötigen Stimmen zusammenzubekommen, dürfte freilich nicht einfach werden, denn auch die Opposition spaltet sich in Abgeordnete aus Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und anderen Ländern.
Siehe hierzu auch meinen Kommentar von Montag.
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T. Kuhn (Donnerstag, 24 Oktober 2019 08:53)
Damir dürfte die Sache nun endgültig durch sein. Ein Untersuchungsausschuss ist m.E. obsolet, zumal von Ministerin Karliczek (im Gegensatz zur Causa Scheuer) erstens vollständige Transparenz hergestellt wurde und zweitens keine gesetzeswidrigen Handlungen erkennbar sind, zudem fehlt die Mehrheit dafür. Die Entscheidung für Münster ist letztlich auch gut nachvollziehbar. Einzig die Frage des ominösen Rankings beschäftigt mich noch - ich entnehme den Aussagen der Ministerin, dass - obwohl Ulm in diesem "vorn" lag - drei Standorte gleichermaßen geeignet waren und weitere Kriterien (Winter als Koryphäe, Erfahrenheit Aachen/Jülich etc.) für die Entscheidung letztlich ausschlaggebend waren. Es stellt sich zudem die Frage der Befangenheit von Gutachtern.
Vielen Dank für die hier sehr ausgewogene Berichterstattung, Herr Wierda - in den Medien wurde in den letzten Wochen extrem einseitig zwar die Kritik der Opposition skizziert, es wurde jedoch völlig ausgeblendet, welche Gründe eigentlich im Detail hinter der Entscheidung standen (Ulm ist ja weiterhin dabei und hat sich durch die Kritik ja nun ca. 50 Mio. Euro zusätzlich erkämpft).
Ich hoffe, dass nun die Forschung im Verbund aller Standorte beginnen kann und der Blick nach vorn gerichtet wird.
Elmar Neitzert (Donnerstag, 24 Oktober 2019 14:20)
Eine sehr gute und (aus meiner Sicht) zutreffende Zusammenfassung der bisherigen Abläufe.
In der Sache bleibt zu hoffen, dass man sich nun wieder wichtigeren Dingen zuwendet. Die von teilweise sehr persönlich gefärbten Motiven getriebenen Akteueren bezüglich Forderungen nach Untersuchungsausschuss oder gar Rücktritt sollten Ihre Vorwürfe substantiieren oder den Verlauf der Dinge, die ausführlich dargelegt wurden, akzeptieren.