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Manager mit Mission

Studium in Kalifornien, Promotion in Jena, Karriere als Unternehmer, Präsident der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR): Andreas Zaby vereint produktive Widersprüche. Ein Porträt.

ANDREAS ZABY ERINNERT sich noch gut an den Moment, als ihm dieser Gedanke durch den Kopf schoss. Er saß in seinem neuen Büro, vor sich die Bestimmungen zur Beantragung und Abrechnung einer Dienstreise, und dachte: "Du bist jetzt in einer anderen Welt."

 

Im Jahr 2008 war das, Zaby war gerade 40 geworden, und ein Abschnitt lag hinter ihm, der sich anfühlte wie ein ganzes Leben: Finanzvorstand einer Bio-Tech-Firma, die er um die Jahrtausendwende mit Freunden gegründet hatte, immer neue Kapitalerhöhungen, Millioneninvestitionen, Firmenaufkäufe. Das Pendeln zwischen Deutschland und der Tochterfirma in den USA, manchmal buchte er den Transatlantikflug noch am selben Morgen. Und dann der Verkauf.

 

Für wieviel, sagt er nicht. Aber es wäre genug gewesen für eine längere Auszeit. Doch Zaby bewarb sich auf eine Professur an einer Berliner Fachhochschule – und ein paar Monate später saß er vor den Dienstreiseformularen. Ein Kulturschock? "Oh ja. Aber einer, den ich wollte."

 

Ein Kulturschock? "Oh ja.
Aber einer, den ich wollte."

 

Andreas Zaby, inzwischen 51, hat auch in seinem zweiten Berufsleben eine rasante Karriere hinter sich: Professor für internationales Management, schon zwei Jahre später Vizepräsident für Internationales. Im Jahr 2016 wurde er dann Präsident der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR), im gleichen Jahr Vorstandsvorsitzender des FH-Verbunds "UAS7", 2019 in den Vorstand des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) gewählt. Zaby zählt zu den einflussreichsten Repräsentanten der Fachhochschulen in Deutschland. Nur dass Zaby nicht wie einer aussieht: Er kleidet sich immer noch wie ein Manager, bevorzugt in dunklen Maßanzügen. Was treibt ihn an, diesen schmalen Mann, das Haar auf Millimeterlänge geschnitten, der immer so aussieht, als trainiere er gerade für den nächsten Marathon?

 

Für Zaby fängt die Antwort bei seinen Eltern an. Sein Vater war das jüngste Kind einer Handwerkerfamilie, eines von neun Geschwistern, geboren im Sudetenland, starke katholische Prägung. Nach Kriegsende musste die Familie nach Bayern fliehen. "Sie haben über Nacht alles verloren", sagt Zaby. "Wobei das nicht viel war." Seine Mutter kam in Chicago zur Welt, als Tochter irischer Einwanderer, ihr Vater arbeitete als Lokführer. Sie war die erste in ihrer Familie, die das College besuchte, ein katholisches natürlich. Mit einem Zwei-Jahres-Vertrag der US-Armee kam sie nach Deutschland und unterrichtete die Kinder von GIs. In München lernte sie Zabys Vater kennen, auch er ein "typischer First-Generation Student", wie Zaby das nennt.


Andreas Zaby, 51, ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und seit dem Jahr 2016 Präsident der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR). Zaby studierte BWL an der Universität Bayreuth und an der San Diego State University; 1998 promovierte er an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er hat die deutsche und die amerikanische Staatsbürgerschaft. Auf Bundesebene setzt er als HWR-Präsident zunehmend hochschulpolitische Akzente: als Vorsitzender des Fachhochschule-Verbunds "UAS7" und als kürzlich gewähltes Vorstandsmitglied des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Zaby begann seine Karriere bei einer Unternehmensberatung, anschließend war er Finanzchef eines erfolgreichen Biotech-Startups.



Zwei Lebensgeschichten, die für Zaby, so scheint es, zu so einer Art Leitbild geworden sind. "Die Aufgabe eines Bildungssystems", sagt er, "besteht darin, den Aufstieg durch Bildung immer wieder aufs Neue zu ermöglichen." Natürlich sei das nicht die einzige Aufgabe, sagt er. "Aber gerade für uns Fachhochschulen ist es eine besonders wichtige."

 

"Als Hochschullehrer ist
man intellektuell frei."

 

Überraschende Sätze für einen Ex-Manager und promovierten BWLer, für einen, der im Vorstand eines CDU-Ortsvereins im konservativen Berliner Stadtteil Zehlendorf sitzt. Aber nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick ist Zaby jemand, den der mitfühlende Katholizismus seiner Eltern genauso geprägt hat wie der amerikanische Leistungsoptimismus. Es ging los mit dem Kindergarten der US-Armee, über das Studium an der kalifornischen San Diego State University bis in die 2000er Jahre, als er als Finanzchef im "Research Triangle Park" von North Carolina auf Firmen-Shopping ging.

 

Und Zaby sucht die Widersprüche: Die vibrierende Internationalität einer amerikanischen Forschungsuniversität tauschte er 1994 für ein Promotionsstudium an der Universität Jena ein. "Das darf man sich nicht so vorstellen wie heute", sagt Zaby, "das waren 100 Prozent Locals dort." Und wieder einmal genau das, was er wollte. "Ich möchte ein komplettes Bild der Welt haben", sagt er.

 

Und genau das war auch der Grund, warum er beschloss, in die Wissenschaft zurückzukehren und für sein Ideal von Bildung einzutreten. "Du drittelst da doch dein Gehalt", haben ihm Freunde gesagt. "Na, und?" hat er zurückgefragt. Heute sagt er: "Bei aller Bürokratie und trotz der hohen Lehrverpflichtung ist das Leben eines Hochschullehrers unheimlich privilegiert. Man ist intellektuell frei."

 

Er sitzt am Besprechungstisch in seinem weitläufigen Büro, an der Wand Luftbilder von den beiden HWR-Campussen in Schöneberg und Lichtenberg. Draußen am Kleiderständer baumelt sein Fahrradhelm. Der Anzug hält Zaby nämlich nicht davon ab, jeden Morgen zur Arbeit zu radeln, 17 Kilometer pro Tag, bei jedem Wetter.

 

Zaby muss an der HWR einen
Richtungsstreit befrieden.

 

Als er 2008 kam, stand auf den Formularen noch "Fachhochschule für Wirtschaft", ein Jahr später dann die Fusion mit der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege und der neue Name: Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR). Es war schon der zweite Zusammenschluss. 2003 war die damalige Berliner Berufsakademie in der Hochschule aufgegangen. Eine bunte Hochschule sei die HWR heute, sagt Zaby.

 

Die allerdings seit vergangenem Herbst mit einem anfangs lautstark ausgetragenen Richtungsstreit Schlagzeilen macht. Schauplatz ist der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften: Eine Mehrheit der Professorinnen und Professoren um Dekan Otto von Campenhausen wolle der Volkswirtschaft ihre disziplinäre Vielfalt mit Bereichen wie Sozialpolitik und Verteilung, Gender und Nachhaltige Ökonomie nehmen, so ein fachbereichsinterner Vorwurf. Die HWR drohe zu einer "bloßen Management-Schule" zu werden, schrieben 26 Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer an den Berliner Wissenschaftsstaatsekretär Steffen Krach (SPD). Von Camphausen wies die Vorwürfe zurück.

 

Zaby, der sonst so offen erzählt, wird bei der Frage nach diesem Konflikt wortkarg. Der sei "Gegenstand eines extern professionell begleiteten Moderationsprozesses", sagt er lediglich. Das von Krach geführte HWR-Kuratorium habe ihn als Präsidenten gebeten, "diesen in die Wege zu leiten". Bis der abgeschlossen sei, habe man sich darauf geeinigt, "sich über die Inhalte und den Fortschritt nicht an die Presse zu wenden."

 

Mit seiner bestimmten und doch ausgleichenden Art gilt der Präsident als einer, der auch diesen kräftezehrenden Streit befrieden kann. Die Zeit dafür ist allerdings knapp, denn die Berliner Fachhochschulen müssen gerade aufpassen, dass die kürzlich als "exzellent" gekürten Berliner Universitäten ihnen wissenschaftspolitisch nicht die Schau stehlen. Und so erhöht Zaby die Schlagzahl und treibt nach der Internationalisierung die Digitalisierung der Lehre voran: Es gibt jetzt zwei Studios mit allem technischen Drumherum, in denen HWR-Lehrende Online-Vorlesungen produzieren können, unterstützt von professionellem Personal. Beide Studios seien ganztägig ausgebucht, sagt Zaby. "Die Zukunft ist die Kombination von Präsenz- und digitalen Angeboten."

 

Die duale Berufsausbildung muss
man in die Zukunft übersetzen, sagt Zaby.

 

Das klingt chic und modern, und wenn er schon mal dabei ist, setzt Zaby gleich noch einen drauf. "Wissen Sie, wie die nach der Dualen Hochschule Baden-Württemberg zweitgrößte staatliche Anbieterhochschule von dualen Studienplätzen in Deutschland heißt?" Kurze Pause, dann: "Richtig, die HWR". Das Erbe der ehemaligen Berufsakademie strahlt seit dem Hype ums duale Studium besonders hell, 2500 der 11000 HWR-Studenten sind schon heute in Studiengängen immatrikuliert, die die Ausbildung am Arbeitsplatz mit einem Studium kombinieren. Traditionell vor allem angehende Betriebswirte, Ingenieure und Informatiker, aber, wie Zaby sagt, da "geht viel mehr." Die duale Berufsausbildung stecke in der Krise. "Aber das heißt nicht, dass die Idee tot ist. Man muss sie nur in die Zukunft übersetzen. Diese Zukunft heiße duales Studium."

 

Angesicht solcher Ambitionen passt es gut, dass der Berliner Senat das Portemonnaie weit aufgemacht hat für den Hochschulbau in Berlin; die HWR mit ihren zum Teil arg in die Jahre gekommenen Standorten kann überfällige Sanierungen angehen. Neubauten sollen den Platzmangel lindern, den die HWR über teuer angemietete Räume kompensiert. Besonders, sagt Zaby, freue er sich auf die neuen Studierendenwohnheime, die in Berlin-Lichtenberg entstehen sollen.

 

Im nächsten Jahr läuft Zabys erste Amtszeit ab, er will sich um eine Verlängerung bewerben. Und schärft nebenher sein überregionales Profil: seit drei Jahren beim Hochschulverband UAS7, demnächst beim DAAD. Will da einer noch höher hinaus?

 

Statt einer direkten Antwort setzt Zaby zu einem Vortrag über die seines Erachtens unzureichende Forschungsförderung für Fachhochschulen an. "Die Programme des Bundes sind vom Volumen her enttäuschend, und bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft scheint noch ein Stückweit das Verständnis für unsere Belange zu fehlen", sagt er.

 

"Solche Leute sind
wie Goldstaub."

 

Die Fragen, auf die Zaby an der HWR Berlin eine Antwort finden muss, stellen sich letztlich so ähnlich an Fachhochschulen überall in Deutschland: Wie sollen sie sich positionieren zwischen Region und internationaler Vernetzung, zwischen ihrem Lehrauftrag und zunehmenden Forschungsambitionen? Und wo bekommen sie die hochklassigen Leute her, um ihre Professuren zu besetzen? Die wissenschaftlich gearbeitet haben, dazu in der freien Wirtschaft, die den pädagogischen Impetus haben und die Bereitschaft, womöglich Gehaltseinbußen hinzunehmen?

 

Zaby sagt: "Solche Leute sind wie Goldstaub." Bei den UAS7 hat er deshalb sogenannte Roadshows gestartet. Mehrmals im Jahr laden die Mitgliedshochschulen jetzt zu aufwändigen Events ein, Titel "Professor/in werden an einer Fachhochschule". Ein Riesenerfolg. Das mit der Roadshow ist meist das erste, was die UAS7-Präsidentenkolleg/-innen über ihren Vorstandsvorsitzenden Zaby erzählen.

 

Neulich wollte er mal wieder was für sich tun. Also hat er das Kugelstoßen geübt und den Standweitsprung, er ist geschwommen und gelaufen. Und hat nach ein paar Monaten die Prüfung zum Deutschen Sportabzeichen bestanden. Die Plackerei hat ihm echt Spaß gemacht. 

 

Dieser Artikel erschien zuerst im DSW-Journal 3/2019 des Deutschen Studentenwerks. 

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