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Wer dazugehört, lernt besser

Vor 20 Jahren änderte Deutschland sein Staatsbürgerrecht. Seitdem erhalten hier geborene Einwandererkinder den deutschen Pass. Die Konsequenz: drastisch verbesserte Bildungschancen. Ein Erklärungsversuch und ein paar Schlussfolgerungen.

Foto: webandi / pixabay - cco.

EIGENTLICH IST ES doch nur ein eingeschweißtes Stück Papier zwischen zwei Pappdeckeln, und das soll die Bildungschancen verbessern? Auf den ersten Blick überrascht das Ergebnis einer aktuellen Studie aus dem Münchner ifo-Institut.

 

Vor 20 Jahren hatte die damalige rot-grüne Bundesregierung beschlossen, dass Einwandererkinder mit ihrer Geburt in Deutschland künftig automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten sollten. Was hat der Pass für die nach der Reform Geborenen bedeutet, wollten die ifo-Wissenschaftler wissen, und sie fanden heraus: unheimlich viel. Die Kinder besuchten häufiger den Kindergarten. Im Vergleich zu den Geburtsjahrgängen vor 2000 sprachen sie besser Deutsch schon vor der Grundschule. Sie wurden früher eingeschult und blieben seltener sitzen.

 

Ausgewertet haben die Forscher Daten der Schuleingangsuntersuchungen und der Schulregister in Schleswig-Holstein. Helmut Rainer vom ifo erklärt die positiven Auswirkungen der Reform etwas technisch mit "Anreizen" für die Eltern, "verstärkt in das Humankapital ihrer Kinder zu investieren, da sich deren Berufs- und Karrierechancen durch den Besitz eines deutschen Passes langfristig verbessern".

 

Weniger technisch ausgedrückt: Die Eltern haben den Pass als Signal verstanden, dass ihre Kinder jetzt wirklich dazugehören. Dass keiner mehr ihre Daseinsberechtigung in Frage gestellt. Dass ihre Kinder genauso viele Rechte haben auf Bildung und Teilhabe wie alle anderen Kinder in Deutschland auch. Und das hat die Eltern angespornt, ihre Kinder anzuspornen. Wenn man es so sieht, dann ergibt das ifo-Ergebnis plötzlich sehr viel Sinn, auf den zweiten Blick.

 

Kein "Problem", sondern
ein Teil von uns

 

Wobei sicherlich Vorsicht geboten ist, einen monokausalen Zusammenhang zwischen Pass und Bildungserfolg herzustellen, wie es auch das ifo allzu plakativ in der Überschrift seiner dazu gehörigen Pressemitteilung tut. Denn kurz nach der Pass-Reform kam der Pisa-Schock über das deutsche Bildungswesen, die bittere Erkenntnis, dass ein Fünftel und mehr der 15-Jährigen in Deutschland abgehängt waren, dauerhaft, dass sie kaum richtig lesen, schreiben und rechnen konnten. Der Schock für die Bildungspolitik war so groß, dass ein Jahrzehnt des Reformeifers begann, der gerade auch die Benachteiligung der Einwandererkinder in den Blick nahm. Auch dieser Reformeifer dürfte sich in den ifo-Ergebnissen widerspiegeln.

 

Und obwohl die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund noch immer den größten Anteil in der "Risikogruppe" haben, bleibt die Botschaft des ifo bemerkenswert: Wenn wir als Gesellschaft Einwanderern etwas zutrauen, wenn wir ihnen auf Augenhöhe begegnen und sie nicht von vornherein als "Problem" betrachten, sondern als Teil von uns, dann werden sie auf Augenhöhe agieren, werden zu Lösungen für unsere Gesellschaft beitragen, weil sie auch die ihre ist. Der Umkehrschluss gilt freilich auch: Je argwöhnischer, je feindlicher das Klima gegenüber Einwanderern wird, desto weniger werden sie ermutigt, in dieser Gesellschaft über sich hinauszuwachsen.

 

Gerade, weil das Klima wieder rau geworden ist und gerade weil der Reformeifer erlahmt ist, war ein anderes bildungspolitisches Signal vor wenigen Tagen so wichtig: Bund und Länder haben sich auf die Initiative "Schule macht stark" geeinigt. 125 Millionen Euro investieren sie in die Unterstützung von Brennpunktschulen oder, politisch korrekter, von Schulen in "sozial benachteiligten Lagen".

 

Fünf Jahre lang werden Wissenschaftler mit den Lehrkräften an 200 ausgewählten Standorten zusammenarbeiten, um gemeinsam herauszufinden und wissenschaftlich auszuwerten, welche Fördermaßnahmen für welche Schüler in welchen Situationen besonders erfolgreich sind. Die nächsten fünf Jahre sollen die von den Wissenschaftlern und Lehrkräften entwickelten Konzepte dann an andere Schulen überall in der Bundesrepublik weitergegeben werden.

 

Man kann zu Recht, wie die grüne Bildungsexperten Margit Stumpp, die Initiative als zu spät bezeichnen, als zu mager ausgestattet. Doch die entscheidende Botschaft von "Schule macht stark" schmälert das nicht: Nur weil viele Kinder im Umfeld solcher Brennpunktschulen in Familien hineingeboren werden, deren Eltern nicht studiert haben, womöglich nur Hilfsarbeiter sind oder kaum Deutsch sprechen, sagt das nichts aus über das Potenzial dieser Kinder. Und erst recht nicht über ihr Anrecht auf Bildungserfolg und gesellschaftlichen Aufstieg. Es ist wieder Zeit für einen Aufbruch wie damals durch die Staatsbürgerschaft-Reform.

 

Dieser Artikel erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda Will`s Wissen" im Tagesspiegel.

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