Am Freitag hat der Bundesrat überraschend der Akademisierung der Hebammenausbildung zugestimmt, auch die Psychotherapeuten erhalten ein eigenes Studium. Die Reformen kommen die Hochschulhaushalte teuer zu stehen. Wieso haben die Länder ihren Widerstand trotzdem aufgegeben?
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ES WAR EIN MILLIONENPOKER. Am Freitag sollten zwei zentrale Reformvorhaben von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Bundesrat passieren. Noch am Vorabend war allerdings völlig offen, ob die Länder der Neuregelung der Hebammen- und Psychotherapeutenausbildung überhaupt zustimmen würden. Grund war vor allem der Widerstand vieler Wissenschaftsminister: Sie kritisierten, die Kosten würden an ihnen hängen bleiben. Am Ende gingen beide Reformen dann aber doch durch – und zwar überraschend deutlich. Was war passiert?
Von Januar an sollen Hebammen grundsätzlich ein duales Studium durchlaufen, so sah es der von Spahn vorgelegte und im Bundestag bereits beschlossene Gesetzentwurf vor: mindestens sechs, höchstens acht Semester, und währenddessen sollen die Hebammen und Entbindungshelfer eine Vergütung enthalten. Ein eigenes Bachelor- und Masterstudium soll künftig auch zum Psychotherapeuten qualifizieren, fünf Jahre soll es insgesamt dauern – was faktisch eine Verkürzung bedeutet, mussten Berufsanfänger doch bislang erst ein Vollstudium in Psychologie und dann eine kostenpflichtige Fachausbildung absolvieren.
Der eine Berufszugang wird akademisiert, der andere, bereits bislang akademische, vereinfacht – und wer Hebamme oder Psychotherapeut werden will, hat es künftig leichter, die Ausbildung finanziell zu stemmen. Kurzum: Beide Berufe werden attraktiver, und nebenbei setzt Deutschland bei den Hebammen auch noch, übrigens als letzter EU-Mitgliedsstaat die Berufsanerkennungsrichtlinie der Europäischen Union um. Konnte man da überhaupt etwas dagegen haben?
Die Wissenschaftsminister hatten nichts gegen
die Reform – aber gegen ihre Finanzierung
Konnte man: Nicht gegen die Reform an sich, betonten die Wissenschaftsminister immer wieder. Die gönnten sie den Hebammen und den Psychotherapeuten ja. Aber: Der Bund, der die Einrichtung der neuen Studiengänge angeschoben habe, lasse die Länder, die für den Betrieb der Hochschulen zuständig sei, mit den Kosten im Stich. Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) formulierte das in seinem Interview hier im Blog so: "Es ist eine Schieflage in unserem System, dass der Bund die Neudefinition von Ausbildungsanforderungen vorantreiben kann, die Finanzierung aber allein an den Ländern hängen bleibt."
Allein an den neuen Studiengängen für Psychotherapeuten hängt laut Länderschätzungen ein Preisschild von jährlich rund 50 Millionen Euro. Die Kostenberechnungen zur Reform der Hebammenausbildung, die Ende Oktober vom Sekretariat der Kultusministerkonferenz für ein internes Papier gesammelt wurden, sind in ihrer Methodik von Land zu Land so unterschiedlich, dass sich eine Gesamtsumme seriös nicht angeben lässt.
Niedersachsens Wissenschaftsminister Thümler etwa spricht für sein Land von 3,5 bis vier Millionen zusätzlich pro Jahr, Sachsen geht von 18,8 Millionen für 250 Plätze aus, Hamburg von 3,8 Millionen für jeweils 60 Studienanfänger, wobei dies jeweils Angaben für das gesamte Studium, also nicht pro Jahr sind. Drei Beispiele von vielen – hinzu kommen Transformationskosten, die den Ländern zufolge ebenfalls im Millionenbereich liegen.
Alle Summen zusammengenommen erklären die Abwehrfront der Wissenschaftsminister, die fürchteten, aus ihren Haushalten die Zeche zahlen zu müssen. Sie reagierten auch deshalb so gereizt, weil sie mit dem Bund parallel und seit langem über die Kosten der vereinbarten Studienreform für die Mediziner (Stichwort: Masterplan Medizinstudium 2020) und die noch ausstehende Neuregelung der zahnärztlichen Ausbildung streiten. Auch hierzu gibt es Kostenschätzungen, die enorm sind.
Wissenschaftspolitiker gegen
Gesundheitspolitiker
Gleichzeitig befanden sich die Wissenschaftsminister in den vergangenen Wochen in einer unkomfortablen Verhandlungsposition: Nicht nur ist die Reform vor allem der Hebammenausbildung in der Öffentlichkeit ziemlich gut zu verkaufen – und Neinsager können ziemlich schnell als Bremser hingestellt werden. Hinzu kommt, dass die Wissenschaftspolitiker nicht nur den Bund gegen sich hatten, sondern häufig auch ihre Kollegen im Kabinett, namentlich: die meisten Landesgesundheitsminister. Die wollten nämlich ebenfalls, dass die beiden Reformen schnell kamen. Die Landesgesundheitsminister müssten das Geld ja auch nicht aus ihren Hochschulen rausschneiden, hieß es aus dem Lager der Landeswissenschaftsminister.
Trotzdem hatte der Kulturausschuss des Bundesrates vor der Freitagssitzung bei beiden Gesetzen empfohlen, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um eine neue Aufteilung der Kosten zwischen Bund und Ländern zu erreichen. Der Bund habe, hieß es, bereits in seiner Stellungnahme zum ursprünglichen Regierungsentwurf deutlich gemacht, dass die Länder die Kosten nicht aus den bestehenden Mitteln stemmen könnten. Da der Bundestag nicht darauf eingegangen sei, müsse diese Frage nun im Vermittlungsverfahren geklärt werden.
Hinter den Kulissen trommelten noch Mitte vergangener Woche die Wissenschaftsminister heftigst für eine harte Haltung. Doch wurde der Druck auf sie am Ende offenbar zu groß: Jens Spahn drohte dem Vernehmen nach damit, er könne das Hebammengesetz im Falle einer Ablehnung im Bundesrat auch komplett platzen lassen – den schwarzen Peter hätte er dann den Ländern rübergeschoben. Parallel zog der Deutsche Hebammenverband in öffentlichen Appellen die moralischen Daumenschrauben an. "Deutschland muss liefern", zitierte die taz am Freitag Präsidiumsmitglied Yvonne Bovermann. Hebammen würden hierzulande dringend gebraucht, insbesondere Kliniken seien unterbesetzt.
Haben die Länder mit dem Bund
doch einen Deal gemacht?
Trotzdem war noch am Donnerstagabend alles offen. Nur Bayern, Thüringen und das Saarland seien bereit, auf jeden Fall zuzustimmen, war zu hören, die anderen würden voraussichtlich nein sagen oder sich enthalten. Dann trafen sich die Regierungschefs der Länder routinemäßig zum Kaminabend – und zurrten mit einem Mal die Einigung fest.
Aber aus welchem Grund? Nur aus Angst, von Spahn an den Pranger gestellt zu werden? Weil die Landesgesundheitsminister sie am Ende doch alle überredet hatten? Droht den Hochschulhalten im Land nun ein empfindlicher Schaden, und die meisten an den Hochschulen haben es noch nicht einmal realisiert? Oder haben sie Länder mit dem Bund doch einen Deal gemacht, der sich auch für die Wissenschaft lohnt? Darüber wird derzeit gerätselt.
Berlins Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) sagte nach der Entscheidung des Bundesrates, die Gesetze seien zur Stärkung der Arbeit von Hebammen und Psychotherapeuten inhaltlich "absolut richtig". Nur brächten auch die besten Gesetze wenig, wenn sie nicht finanziell hinterlegt würden. "Künftig müssen sich Gesundheits- und Wissenschaftspolitik in solchen Fällen frühzeitig und konstruktiv auf sinnvolle Lösungen einigen", fügte Krach hinzu. "Sonst drohen wichtige Anliegen in Bund-Länder-Verhandlungen auf der Strecke zu bleiben."
Fest steht: Die Hebammen und Psychotherapeuten waren erst der Auftakt, die Reformen bei den Ärzten und Zahnärzten müssen, siehe oben, auch noch finanziert werden und sind noch kostspieliger. Hinzu kommt die geplante, ebenfalls viele Millionen teure Akademisierung weiterer Pflegeberufe in Form neuer Studiengänge wie Pflege- oder Therapiewissenschaft. Hat der Bund etwa versprochen, hier entgegenkommender zu sein? Das wäre eine mögliche Erklärung, die man seit Freitagnachmittag häufiger hört. Niedersachsens Wissenschaftsminister Thümler sagt jedenfalls auf die Frage, wieso es trotz des Widerstandes zur Verabschiedung der Gesetze gekommen sei, lediglich: "So ist Politik eben manchmal."
Den künftigen Hebammen und Psychotherapeuten wird es recht sein.
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Ruth Himmelreich (Dienstag, 12 November 2019 10:59)
Ich bin sehr gespannt, wie die Einrichtung der Psychotherapiestudiengänge letztlich vor sich gehen wird. Die Fachbereiche haben natürlich Begehrlichkeiten und drücken aufs Gas, was der Sache nicht helfen wird. Denn sobald eine Universität zustimmt, Studienplätze einzurichten, steht sie unter finanziellem Druck. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Länder die Mehrkosten der Studienplätze 1:1 finanzieren. Schon gar nicht werden sie wollen - was die logische Konsequenz wäre, wenn sie nicht ausreichend finanzieren - dass man die Zahl der Studienplätze in der Psychologie dafür überproportional heruntersetzt. Es wird schätzungsweise das übliche Gewürge geben, so dass die Unis einen guten Teil aus Bordmitteln bezahlen, was die ohnehin angespannte Situation in der Lehre noch verschärfen wird.
Politik und Gesellschaft möchten gerne die Akademisierung von allem und jedem - nur mehr kosten soll das natürlich nicht...
GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 04:47)
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 05:59)
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