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Eine Chance bleibt noch

Nach der Absage Bayerns an den Bildungsrat müssen sich die Bildungspolitiker dringend zusammenreißen, wenn sie den Bildungsföderalismus retten wollen. Vor allem die Unionsseite muss jetzt Brücken bauen.

AM SONNTAGABEND, Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder hatte dem Nationalen Bildungsrat wenige Stunden zuvor eine endgültige Absage erteilt, machte Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) seinem Frust so richtig Luft. "Die ständigen Alleingänge der CDU-Länder in der Schulpolitik sind kaum noch erträglich. Die Menschen wünschen sich mehr Gemeinsamkeit sowie gerechte und vergleichbare Schulsysteme in Deutschland, und CSU-, CDU- und Grün-regierte Länder tricksen jeden Versuch für eine vergleichbare Schulpolitik aus." Der Bildungsrat sei auf Wunsch der CSU in den GroKo-Koalitionsvertrag gekommen, um mehr Gemeinsamkeiten in der Schulpolitik umzusetzen. "Es ist vollkommen unverständlich, dass ausgerechnet die CSU und das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg jetzt den Nationalen Bildungsrat zu Grabe tragen. Das Hin und Her der CSU in der Schulpolitik auf Bundesebene ist wirklich atemberaubend."

 

Die Chance, über den Nationalen Bildungsrat Ideen und Impulse für eine gemeinsame und zwischen den Ländern abgestimmte Bildungspolitik entwickeln, ohne gleichzeitig die Bildungshoheit der Länder auszuhebeln, sei nun vertan, befand Rabe. "Wer sich über die unterschiedlichen Schulsysteme, Noten und Prüfungen in Deutschland ärgert und sich mehr Gemeinsamkeit im Bildungswesen wünscht, der weiß jetzt wenigstens ganz genau, wer für dieses Durcheinander verantwortlich ist: die CSU und das grün-schwarz-regierte Baden-Württemberg."

 

Schwer vorstellbar, wo bei so einer Stimmung
der nächste Durchbruch herkommen soll

 

Es ist schwer vorstellbar, wie angesichts solcher Töne in wenigen Tagen ein anderer lange versprochener Durchbruch in der Kultusministerkonferenz (KMK) gelingen soll. Der zum neuen Bildungsstaatsvertrag. Dabei hatte die sogenannte Arbeitsebene der Ministerien – genau wie übrigens auch beim Bildungsrat – zuletzt substanzielle Fortschritte erzielt. Doch bereits bei ihrem Treffen im Oktober hatten sich SPD- und Unionsminister dann offene Wortgefechte geliefert, und nach gestern scheint das Vertrauen zwischen den Lagern nun erstmal vollends aufgebraucht zu sein. Und das obwohl der Bildungsföderalismus mit dem Aus für den Bildungsrat jetzt erst recht vor seiner entscheidenden Bewährungsprobe steht. 

 

Das freilich wissen auch die Unionsminister, und so betonten sie nach Söders Ankündigung einhellig, jetzt müsse der Staatsvertrag, der die Arbeit der KMK auf eine neue, verbindlichere Grundlage stellen soll, auf jeden Fall gelingen. Aller miesen Stimmung zum Trotz. Susanne Eisenmann aus Baden-Württemberg zum Beispiel sagte: "Es liegt jetzt an uns, den Föderalismus, der Ausdruck  deutscher Vielfalt, Flexibilität und Kreativität ist, neu zu definieren." KMK-Präsident Alexander Lorz aus Hessen mahnte seine Kollegen, nun das "ambitionierte Vorhaben" eines neuen Bildungs-Staatsvertrages abzuschließen. "Denn Nationaler Bildungsrat hin oder her, die manchmal berechtigten Kritikpunkte am Bildungsföderalismus könnte dieser nicht beseitigen. Das muss der Staatsvertrag schaffen."

 

Am deutlichsten auf Unionsseite formulierte es mal wieder Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), die ihre Kollegen bereits vor dem Fast-Zerwürfnis im Oktober vor dem Rückzug ins Lagerdenken gewarnt hatte: Nur nein sagen zum Bildungsrat gehe nicht. "Wir dürfen nicht den Fehler machen, die dahinterstehenden Ziele als erledigt zu betrachten", sagte Prien. Der Bildungsföderalismus müsse sich weiterentwickeln, sonst verliere er seine Legitimation. Dazu gehörten auch vergleichbare Abschlüsse, nicht nur beim Abitur. "Jetzt sind wir Länder mit der Kultusministerkonferenz in der Pflicht."

 

In der Pflicht sind übrigens jetzt in ganz besonderem Maße Bayern und Baden-Württemberg. Das – gelinde gesagt – mutige Versprechen, die KMK könne so ambitioniert weiterentwickelt werden, dass sie allein die Erwartungen der Bevölkerung an eine bundesweit vergleichbare Bildungspolitik erfüllen könne, hatte ihnen ja erst ermöglicht, den Bildungsrat öffentlichkeitswirksam zum überflüssigen bürokratischen Monstrum zu erklären. Womit auch klar ist: Wenn die Kultusminister auch beim Staatsvertrag scheitern, dann fällt das auf alle zurück – ganz besonders aber eben auf Bayern und Baden-Württemberg. 

 

Vor der größten Bewährungsprobe
steht jetzt Susanne Eisenmann

 

Eisenmann als Sprecherin der CDU-regierten Kultusministerien kommt dabei die Schlüsselrolle zu. Ihr bayerischer Ministerkollege Michael Piazolo gehört nicht einmal zur CSU, sondern zu den Freien Wählern. Außerdem will Eisenmann Ministerpräsidentin werden in Baden-Württemberg und muss ohnehin ihre Führungsstärke beweisen. Schon bei der Grundgesetz-Änderung zum Digitalpakt Anfang 2019 hatte sie die kompromisslose Bildungsföderalistin gegeben, womit bei ihr eine ähnliche Motivlage vorliegen dürfte wie bei Söder.  Und womit klar ist: Der KMK-Staatsvertrag ist jetzt auch Eisenmanns alles entscheidende Bewährungsprobe. Um sie zu bestehen, muss der Vertrag gelingen, und er muss wirklich Wegweisendes enthalten.

 

Nach dem Zerwürfnis vom Wochenende stehen die Chancen dafür allerdings schlecht. Alexander Lorz, der eigentlich gedanklich schon dabei war, sich von seiner Präsidentschaft zu verabschieden, wird ein diplomatisches Meisterwerk beim angekündigten Kaminabend der Kultusminister Anfang Dezember vollbringen müssen. Eisenmann und der Union obliegt es auch, die SPD-Seite mit Zugeständnissen zu beschwichtigen und wieder ins Boot zu holen. Und die SPD-Minister dürfen es sich ihrerseits nicht zu bequem in der Empörungsecke machen, so berechtigt sie dazu auch momentan wären. 

 

Hoffnung macht ausgerechnet, dass Ties Rabe in seiner ersten Reaktion gestern auch folgenden Satz verbreiten ließ: "Die SPD in Bund und Ländern steht nach wie vor für Gespräche zur Verfügung." Und ein Vorbild gibt es auch. Die Kultusminister sollten sich vielleicht mal ihre Kollegen aus den Wissenschaftsressorts anschauen. Da klappt die Harmonie zwischen Union und SPD, Grünen, Linken und FDP, und auch die zwischen Bund und Ländern. 160 Milliarden für die Wissenschaft, Planungssicherheit bis 2030, das haben die Wissenschaftspolitiker vergangenes Jahr (mithilfe der Finanzpolitik) hinbekommen. Könnte so ein großer Wurf nicht auch einmal in der Kultuspolitik gelingen?


Gerade nach einem Tag wie gestern ist es wichtig, die Erwartungen nicht nach unten, sondern nach oben zu schrauben. Sonst war es das wirklich bald mit dem Bildungsföderalismus.


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Kommentare: 1
  • #1

    tutnichtszursache (Montag, 25 November 2019 08:50)

    Der Wissenschaftssektor taugt nur bedingt als Vorbild, weil dort die ideologischen Gräben viel geringer sind. Auf gute Wissenschaft können sich alle verständigen. Eine Brücke zu bauen zwischen „Abitur für alle“ einerseits, harter Selektion und hohen Standards andererseits, ist schlicht schwer bis unmöglich.
    Diese und vergleichbare Frontstellungen haben schon den damaligen Bildungsrat und den Bildungsgesamtplan Anfang der 1970er Jahre (mit) zum Scheitern gebracht. Wenig Neues hier also...