Warum Nordrhein-Westfalen auf die Einführung von Studienbeiträgen für Studierende aus Drittstaaten verzichtet. Ein Gastbeitrag von Isabel Pfeiffer-Poensgen.
NRW-Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. Foto: Bettina Engel-Albustin/MKW.
IN DEN VERGANGENEN zehn Jahren haben die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen einen enormen Zulauf erfahren, die Zahl der Studienanfänger ist um zwei Drittel gestiegen. Nach ersten Erhebungen sind in NRW im aktuellen Wintersemester mehr als 780.000 Studierende eingeschrieben, mehr als in jedem anderen Bundesland. Eine große Herausforderung für die Hochschulen: Allein die Universitäten verzeichnen derzeit eine Kapazitätsauslastung von 115 Prozent.
Im Koalitionsvertrag hatte sich die neue Landesregierung 2017 das Ziel gesetzt, die Hochschulen bei dieser Herausforderung zu unterstützen. Durch zusätzliche Mittel soll die Qualität der Lehre erhöht, und zugleich sollen die Studienbedingungen verbessert werden. Zu diesem Zweck hatte die Koalition die Einführung von Studienbeiträgen für Studierende aus Drittstaaten (außerhalb von EU/EWR) in Aussicht gestellt, orientiert an der Struktur des Modells aus Baden-Württemberg.
Dort wurden zum Wintersemester 2017/18 Studiengebühren in Höhe von 1500 Euro pro Semester für diesen Personenkreis eingeführt. Zu Beginn meiner Amtszeit als Wissenschaftsministerin habe ich klargemacht, dass ich zunächst die Ergebnisse und Erfahrungen aus Baden-Württemberg abwarten möchte, ehe hierzu eine verantwortungsvolle Entscheidung für NRW getroffen werden kann.
In den vergangenen Monaten haben wir die Erfahrungen aus Baden-Württemberg sorgfältig geprüft und ausgewertet. Dabei haben wir festgestellt, dass die Kosten-Nutzen-Relation einer Einführung von Studienbeiträgen für Nordrhein-Westfalen nicht klar zu beziffern ist: Nach Abzug aller Ausnahme- und Befreiungsregelungen, die für eine sozial verträgliche Ausgestaltung von Studienbeiträgen notwendig sind, zahlen in Baden-Württemberg im Endeffekt nur rund 50 Prozent der Studierenden aus Drittstaaten Beiträge. Die umfangreichen Ausnahme- und Befreiungsregelungen wiederum bringen einen erhöhten Verwaltungsaufwand für die Hochschulen mit sich, der die zu erwartenden Einnahmen aus den Studienbeiträgen faktisch weiter reduziert.
Baden-Württemberg verfügt zudem über ein fest etabliertes Stipendiensystem, das für einen funktionierenden sozialen Ausgleich notwendig ist – etwa für Studierende aus den ärmsten Ländern der Welt. Ein solches System, das pro Jahr mehrere Millionen Euro an Landesgeldern benötigt, existiert in Nordrhein-Westfalen derzeit nicht.
Für Baden-Württemberg mag das System der
Studienbeiträge richtig sein, für NRW nicht
Nach der Einführung der Beiträge hatten die Hochschulen in Baden-Württemberg im Wintersemester 2017/18 einen Rückgang der Studierendenzahlen aus Nicht-EU-Ländern von rund 19 Prozent zu verzeichnen. Im darauffolgenden Wintersemester sind sie um 8,7 Prozent gestiegen – der Trend geht also wieder in die richtige Richtung. Trotzdem zeigt sich: Studienbeiträge können sich möglicherweise negativ auf die Zahl der Neueinschreibungen auswirken – und damit zugleich die mit ihrer Einführung erhofften Einnahmen verringern.
Hinzu kommt: Durch den in Baden-Württemberg praktizierten – und auch aus meiner Sicht sinnvollen – Vertrauensschutz für bereits eingeschriebene Studierende aus Drittstaaten wächst der Ertrag aus den Studiengebühren erst über mehrere Jahre auf die volle Höhe an. Gerade zu Anfang sind die Einnahmen noch überschaubar. Daher ist es aus meiner Sicht zumindest fraglich, ob die Einführung von Studienbeiträgen für Studierende aus Drittstaaten zu einer relevanten Verbesserung der finanziellen Situation der Hochschulen in Nordrhein-Westfalen führen würde. Kurz- und mittelfristig jedenfalls nicht.
Das System der Studienbeiträge mag für Baden-Württemberg das Richtige sein, für Nordrhein-Westfalen gibt es nach meiner festen Überzeugung passgenauere Wege, um die finanzielle Situation der Hochschulen zu verbessern.
Die Hochschulen erhalten gut
50 Millionen mehr für die Lehrqualität
Nach reiflicher Überlegung hat sich Nordrhein-Westfalen daher nun für einen anderen Weg entschieden: Der 2021 anlaufende, von Bund und Ländern gemeinsam finanzierte Zukunftsvertrag "Studium und Lehre stärken" als Nachfolger des Hochschulpakts bietet uns die Möglichkeit, mehr als 50 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich in die Qualität von Lehre und Studienbedingungen an den NRW- Hochschulen zu investieren. Statt Studienbeiträge von Studierenden aus Nicht-EU-Ländern zu erheben, wird die Landesregierung die sogenannten Qualitätsverbesserungsmittel (QVM) für die Hochschulen von bisher 249 Millionen Euro auf 300 Millionen Euro jährlich erhöhen.
Den Hochschulen stehen diese zusätzlichen Mittel von 2021 an dauerhaft und in vollem Umfang zur Verfügung. Dieses zusätzliche Geld soll maßgeblich dazu beitragen, das Betreuungsverhältnis von Lehrenden und Studierenden zu verbessern – ein Bereich, in dem Nordrhein-Westfalen seit Jahren deutlichen Nachholbedarf hat. Damit können die Hochschulen langfristig planen und zusätzliches Lehrpersonal wie Professorinnen und Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen. Ein großer Vorteil dieser Lösung: Die Erhöhung der QVM ist nicht kapazitätswirksam, sie ist also nicht mit einer automatischen Erhöhung der Aufnahmekapazitäten der Hochschulen verbunden.
Die QVM sind 2011 von der damaligen rot-grünen Landesregierung als Kompensation für abgeschaffte Studiengebühren eingeführt worden, wurden seitdem aber in ihrer Höhe nicht an die deutlich gestiegenen Studierendenzahlen angepasst. Das holen wir jetzt nach. Für die Hochschulen entsteht dadurch finanzielle Planungssicherheit, den Studierenden bietet dieser Weg die Chance, von einem verbesserten Betreuungsverhältnis und damit von günstigeren Rahmenbedingungen für ihr Studium an den Hochschulen zu profitieren.
Mit der signifikanten Erhöhung der Qualitätsverbesserungsmittel ist die Einführung von Studienbeiträgen, gegen die es auch in den Hochschulen Vorbehalte gab, aus unserer Sicht verzichtbar geworden. Die jetzt gefundene Lösung ist die schnellere und wirkungsvollere Option, dazu planungssicher für die Hochschulen und mit weniger Bürokratie verbunden.
"Nur Mut, Frau Pfeiffer-Poensgen" hat mir Jan-Martin Wiarda im Februar hier in diesem Blog zugerufen. Gemeint war natürlich der Mut zur Einführung von Studienbeiträgen. Ich meine, auch unsere jetzige Entscheidung zeugt von Mut. Dem Mut zur Vernunft, einen angedachten Weg nicht zu beschreiten, wenn sich bessere Optionen ergeben, um das angestrebte Ziel zu erreichen: die nachhaltige Verbesserung der Lehre und der Studienbedingungen an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen.
Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) ist seit Juni 2017 Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.
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Gisela Moser (Donnerstag, 28 November 2019 09:47)
Ich freue mich sehr, dass das Thema "Studienbeiträge für internationale Studierende" vom Tisch ist. Allerdings bin ich mehr als erstaunt darüber, dass hier immer wieder nur auf die Verbesserung der Betreuungsrelationen im wissenschaftlichen Bereich verwiesen wird. Der gesamte - wie es so schön heißt - wissenschaftsunterstützende Bereich wird in keiner Weise berücksichtigt. Auch hier wird qualitativ hochwertige Arbeit nicht nur im reinen "Service" geleistet, sondern es werden innovative und sinnvolle Beratungs- und Betreuungsangebote gemacht. Diese Arbeit wird offensichtlich nicht gesehen und nicht wertgeschätzt, da in diesem Bereich keine Unterstützung trotz der sich immer weiter erhöhenden Studierendenzahl vorgesehen zu sein scheint. Sehr bedauerlich und aus meiner Sicht unverständlich!