Die Länder wollen jetzt einen Bildungsrat ohne Bund. Aber wie genau soll er aussehen? KMK-Präsident Lorz konnte es heute noch nicht sagen.
EIN BEFREIUNGSSCHLAG sollte es sein. Die Kultusminister haben gestern, wie bereits kurz berichtet, einstimmig die Einrichtung eines "Bildungsrates/wissenschaftlichen Beirates" beschlossen. KMK-Präsident Alexander Lorz (CDU) sprach in einer Pressekonferenz heute Morgen von einem "Arbeitstitel".
Viel mehr als diesen Arbeitstitel gibt es bislang auch noch nicht. Der gesamte Beschluss der Kultusminister umfasst lediglich vier Punkte, und alle inhaltlichen Festlegungen lassen sich bislang mit zwei Sätzen zusammenfassen: Die Länder wollen das Gremium ohne den Bund einrichten. Die Zuständigkeiten von Gemeinsamer Wissenschaftskonferenz (GWK) und Wissenschaftsrat sollen unberührt bleiben, und der Bund soll bei Fragen, die seine Kompetenzen in der Bildung betreffen, "angemessen" beteiligt werden.
Aber was bedeutet das? Entsteht da eine Beratungsgremium nur aus Wissenschaftlern? Wer kommt sonst noch rein außer den Forschern? Wie wird der Rat verzahnt sein mit der KMK? Können die Wissenschaftler in den Gremium sich selbst beauftragen, oder müssen sie auf den Anstoß durch die Politik warten? Dürfen Sie ihre Empfehlungen eigenständig veröffentlichen – oder gehen nur solche Empfehlungen, zu denen die Politik auch ja gesagt hat? Was ist mit einer eigenen Geschäftsstelle für das Gremium, die seine institutionelle Unabhängigkeit stärken würde?
Lorz: Möglichst nur Wissenschaftler
im neuen Gremium
Fragen, auf die KMK-Präsident Lorz heute keine eindeutigen Antworten hatte, sehr wohl aber, wie er sagte, hier und da bereits persönliche Meinungen. Offizielle Antworten habe er nicht, sagt er, weil sich die Kultusminister nach dem Streit der vergangenen Wochen bewusst darauf geeinigt hätten, keine Vorfestlegungen vorzunehmen. Die beauftragte Arbeitsgruppe von Ministerialbeamten soll jetzt bis März Details ausarbeiten. Dabei würden sie aber sicherlich nicht bei Null anfangen, sondern auf die Vorarbeiten zum Nationalen Bildungsrat zurückgreifen, fügte Lorz hinzu.
Zur personellen Zusammensetzung sagte der hessische Kultusminister, er persönlich sei folgender Auffassung: "Wir sollten dieses Gremium wirklich auf die Wissenschaftlichkeit konzentrieren." Aber er wolle "nichts präjudizieren oder ausschließen." Durch die Debatte um den Nationalen Bildungsrat hätten die Kultusminister allerdings gelernt, dass es die Sache nicht weiterbringe, wenn zum Beispiel "alle möglichen organisierten Interessen des Bildungsbereichs" eine Repräsentanz in dem Gremium einforderten, so dass es am Ende zu einer "Kakophonie an Meinungen" komme.
Zur möglichen Beteiligung des Bundes sagte Lorz, er wage sich so weit aus dem Fenster, dass der Bund zum Beispiel bei Fragen der beruflichen oder der politischen Bildung eingebunden werden müsse. Eben weil er da auch zuständig sei. Aber wie genau, das müsse sich zeigen.
Lorz sagte, die entscheidende Botschaft, die von dem Beschluss, ein neues Gremium zu gründen, ausgehe, sei: Weil es auf Dauer eingerichtet werde, werde es auch einen permanenten, institutionalisierten Austausch zwischen Politik und Wissenschaft geben. Das sei das Neue.
Noch bemerkenswerter ist freilich etwas Anderes, was Lorz nicht sagte: dass die Kultusminister des sogenannten A-Lagers (also nicht schwarz-grün) überhaupt so schnell ihre Wut runtergeschluckt und gleich konstruktiv weitergearbeitet haben. Sie hätten die Unionsseite ja auch noch ein bisschen zappeln lassen können nach der Absage an den Nationalen Bildungsrat. Haben sie aber nicht. Was für zweierlei spricht: dass erstens die Begeisterung auch einiger SPD-Minister für den Bildungsrat doch nicht so groß war wie offiziell dargestellt. Und dass den SPD-Ministern bewusst war, dass sie bei einer weiteren Nichtdemonstration von Handlungsfähigkeit seitens der KMK mit dran gewesen wären bei der öffentlichen Schelte.
Karliczek: "Mittelmaß kann nicht
unser Anspruch sein"
Wenige Minuten nach Lorz äußerte sich die von den Ländern ausgebootete Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) zum ersten Mal öffentlich zu den Plänen. Nach den jüngsten PISA-Ergebnissen brauche Deutschland eine "nationale Kraftanstrengung", "Mittelmaß kann nicht unser Anspruch sein." Der Bund sei bereit, hier mit den Ländern zusammenzuarbeiten. "Es ist gut, dass die Kultusminister diesen Handlungsbedarf sehen und doch ein Beratungsgremium einsetzen wollen. Es bleibt abzuwarten, wie der wissenschaftliche Beirat ausgestaltet wird und wie der Bund konkret einbezogen werden soll. Die Länder sind hier weiter am Zug." Letztlich müsse jede Form der Kooperation so ausgestaltet werden, dass am Ende das Bildungssystem in Deutschland insgesamt tatsächlich verbessert wird.
Karliczek spielt rhetorisch also auf Zeit. Ihr bleibt auch kaum etwas Anderes übrig, weil die Länder sie vorerst kaltgestellt haben. Die Länder wiederum haben folgendes Problem: Sie müssen jetzt wirklich liefern. Das Misstrauen der Öffentlichkeit, was ihre Schlagkraft angeht, ist groß zurzeit. Die leere Hülle, die sie heute ins Schaufenster gestellt haben, wird den Kultusministern also nicht mehr als eine Atempause verschaffen.
Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek, kommentierte bereits, bei dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Nationalen Bildungsrat sei es "nicht um einen Schulrat, sondern um ein Expertengremium für die gesamte Bildungsbiografie" gegangen. "Ein wissenschaftlicher Beirat der Kultusministerkonferenz ist sicher sinnvoll, aber kein Ersatz für den Nationalen Bildungsrat." Einige Länder seien gerade dabei, Chancen für zukünftige Kooperation und damit viele Hoffnungen der Menschen zu verspielen.
Die grüne Bildungspolitikern Margit Stumpp wiederum befand, Karliczek habe es nicht vermocht, bei der Umsetzung des im Koalitionsvertrag vereinbarten nationalen Bildungsrats die Länder auf Augenhöhe einzubinden. "Nun steht sie düpiert vorm Zaun, wenn die Länder ihren wissenschaftlichen Beirat installieren." Leider würden die Kultusminister erst im März Konkretes vorlegen. "Wieder wird Zeit verschenkt, die Umsetzung des Koalitionsvertrages lässt auf sich warten. Gute Bildung kann es nur geben, wenn Bund und Länder auf Augenhöhe kooperieren."
Der Bildungsstaatsvertrag wird womöglich
nur eine Ländervereinbarung
Ebenfalls bis März soll der fertige Entwurf des versprochenen KMK-Bildungsstaatsvertrages vorliegen – wobei sich abzeichnet, dass es wohl doch kein Staatsvertrag, sondern eine Ländervereinbarung wird. Mehrere Kultusminister fürchten die hohe Hürde, einen Staatsvertrag durch alle 16 Länderparlamente bringen zu müssen, was auch mit dem unberechenbaren Verhaltens der Ministerpräsidenten beim Bildungsrat zu tun hat: Auch beim Staatsvertrag, so lautet die Befürchtung einiger Minister, könnte ihnen die nötige Rückendeckung von oben flöten gehen, wenn es Widerstand in den Parlamenten geben sollte.
Am Ende ist es eine Abwägung zwischen dem Risiko, bei der Ratifizierung des Staatsvertrages eine weitere Bauchlandung zu erleiden, mit der größeren Signalwirkung, die ein solches Dokument natürlich hätte. Von der realen Bindung her wäre eine von allen 16 Ministerpräsidenten unterzeichnete Länder-Vereinbarung vermutlich kaum weniger schlagkräftig (Einzelheiten zur KMK-internen Debatte zum Staatsvertrag und zum Stand seiner Konkretisierung finden Sie hier).
Zehn Grundsätze zur
Sprachförderung verabschiedet
Zum Ende seiner einjährigen KMK-Präsidentschaft stellte Alexander Lorz zudem die von den Kultusministern beschlossenen Empfehlungen zur Bildungssprache Deutsch und zum sprachsensiblen Unterricht an beruflichen Schulen vor. Diese Themen seien ihn ein echtes Herzensanliegen, betonte Lorz. Die Länder erhielten mit der Empfehlung zur Bildungssprache Deutsch einen Orientierungsrahmen zur Stärkung der bildungssprachlichen Kompetenzen in deutscher Sprache – "mit individuellen Ausgestaltungsmöglichkeiten für bestehende und zukünftige Maßnahmen". Zu diesem Zweck hätten sich die Länder auf zehn Grundsätze als Basis geeinigt.
Zu den Grundsätzen zählt laut KMK, dass sprachliche Bildung eine schulische Querschnittsaufgabe sei über alle Fächer, Lernbereiche und Lernfelder hinweg, dass Sprachförderung nach Möglichkeit durch evidzenzbasierte Maßnahmen und Verfahren unterstützt werden müsse und dass die Digitalisierung zugleich Herausforderung und Chance für die sprachliche Bildung sei (nähere Details hier).
Die bildungspolitische Sprecherin der linken Bundestagsfraktion Birke Bull-Bischoff sprach von einem "aufgewärmten Allerlei mit wenig Substanz und Visionen zur Umsetzung guter Sprachförderung für alle." Es handle sich um keine wirklichen Empfehlungen, sie läsen sich vielmehr so, "als ob die Kultusministerkonferenz den bildungspolitischen Schuss nicht gehört hat."
Neue Lehrerbedarfsprognose
jetzt öffentlich
Wie erwartet veröffentlichten die Kultusminister auch die neue Lehrerbedarfsprognose. Demzufolge soll es an den Grundschulen bis 2025 einen Einstellungsbedarf von 58.000 Lehrkräften geben bei einer vorhandenen Berufsanfängerzahl von knapp 48.000. Womit die Lücke gut 10.000 betragen soll. Danach setzt eine Trendwende ein. Die Werte lägen auf einem ähnlichen Niveau wie entsprechende Schätzungen der Bertelsmann-Stiftung vom Frühherbst, wie Alexander Lorz betonte. Bei allen Lehrämtern zusammengerechnet sollen bis 2025 gut 14.000 Lehrer fehlen, bis Ende des Jahrzehnts soll es dann wieder einen spürbaren Überschuss an Lehrern geben. Eine Ausnahme: An den beruflichen Schulen und in der Sekundarstufe I soll sich der Lehrermangel bis mindestens 2030 fortsetzen. Die Situation in den einzelnen Ländern sei allerdings sehr unterschiedlich, betont die KMK (Nähere Informationen zu Genese und Inhalt der neuen Prognose finden Sie ebenfalls hier).
Grundlage für den hohen Lehrerbedarf sei, dass der Anstieg der Schülerzahlen stärker ausfallen werde als in bisherigen KMK-Prognosen angenommen. So soll die Gesamtzahl der Schüler von derzeit knapp 10,8 Millionen bis 2030 auf 11,5 Millionen steigen. "Ich gebe zu, dasss wir die Entwicklung bei der Geburtenrate unterschätzt haben", sagte Lorz. "Alle 16 Länder sind sich der herausfordernden Lage bewusst."
Ihre Pressemitteilung überschrieb die KMK übrigens mit Sinn für Humor: "Gute Aussichten für Lehramtsbewerber." Für die Schüler, die bis 2030 unterrichtet werden, dürfte das angesichts solcher Zahlen weniger gelten.
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